Protokoll der Sitzung vom 24.10.2018

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 72. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Dr. Aden, Herr Abg. Berg, Herr Abg. Hahn, Herr Abg. Hockenberger, Frau Abg. Martin und Herr Abg. Walter.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich ganztägig Frau Staatssekretärin Petra Olschowski.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen ver vielfältigt vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. Vielen Dank.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migra

tion vom 8. Oktober 2018 – Zustimmung des Landtags von BadenWürttemberg zum Abkommen zwischen der Regierung des Landes Baden-Württemberg und der Regierung der Französischen Republik über die Einrichtung einer deutsch-französischen Wasserschutzpoli zeistation am Rhein – Drucksache 16/5035

Überweisung an den Innenausschuss

2. Schreiben des Verfassungsgerichtshofs vom 4. Oktober 2018, Az.:

1 GR 53/18 – Organstreitverfahren eines Abgeordneten gegen seine ehemalige Fraktion wegen der Erstattung der Kosten der außerge richtlichen anwaltlichen Tätigkeit in einem Organstreit

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Aktuelle Debatte – E-Health und Empathie: Digitalisie

rung im baden-württembergischen Gesundheitswesen – beantragt von der Fraktion GRÜNE

b) Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des

Ministeriums für Soziales und Integration – Chancen des medizinischen Fortschritts für Baden-Württemberg – Drucksache 16/2340

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet.

Für die Aussprache zu den Buchstaben a und b steht eine Re dezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Schließlich kommt wie immer der Verweis auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung, wonach im Rahmen der Aktuellen De batte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Frau Abg. Krebs.

Guten Morgen, Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg ist ein ausgesprochen hochwertiger Gesundheitsstandort, der durch Spitzenmedizin überzeugt. Auch der Gesundheitswirt schaft in Baden-Württemberg kommt eine hohe wirtschafts-, innovations- und gesellschaftspolitische Bedeutung zu. Sie trägt maßgeblich zur Wirtschaftsleistung bei.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Nun ist das Thema „Digitalisierung und Industrie 4.0“ in al len Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein fester Be standteil – nur im Bereich der Medizin und der Gesundheit scheint es uns noch fremd zu sein. Viele befürchten, dass dort etwas Großes, Fremdes auf uns zukommt, das allen Angst macht.

Die Vorstellung, dass sich im Fall von gesundheitlichen Pro blemen nicht mehr der analoge Arzt, sondern irgendein Ro boter oder ein digitalisiertes Instrument damit befasst, macht uns Angst. Ich habe großes Verständnis für diese Angst. Wir brauchen diese Angst aber nicht zu haben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Denn auch der digitale Wandel im Gesundheitswesen bietet uns hier in Baden-Württemberg und in der ganzen Welt – da ist er schon eingetreten – sehr große Chancen. Wir sind da durch weiterhin umfassend und gut versorgt.

Der Einsatz neuer Technologien zur Sicherstellung einer flä chendeckenden Versorgung wird an Bedeutung zunehmen. Denn letztlich wird es darum gehen, kommunikative und or ganisatorische Prozesse zu optimieren.

Das Ende 2015 in Kraft getretene Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen – kurz E-Health-Gesetz – hat das Ziel, die Chancen der Digita lisierung für die Gesundheitsversorgung zu nutzen; es soll die

zügige Einführung und Nutzung von medizinischen Anwen dungen ermöglichen.

Es geht also vorwiegend um die Nutzbarmachung von verfüg baren Daten, die über moderne Informations- und Kommuni kationstechnologien gemanagt werden müssen. Dazu gehört auch die elektronische Gesundheitskarte. Die Karte ist da; sie muss nun endlich zum Einsatz kommen und mit allen durch sie gegebenen Möglichkeiten genutzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Denken wir doch einmal visionär, denken wir an eine elekt ronische Patientenakte, denken wir an die Möglichkeit, auf ei ner elektronischen Gesundheitskarte zu vermerken, ob ich Or ganspenderin oder Organspender bin oder nicht, denken wir an einen Medikationsplan und an elektronische Arztbriefe, die nicht nur das Leben der Kranken, sondern auch von Men schen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, so unendlich er leichtern würden.

Meine Damen und Herren, eines ist doch ganz klar: Digitali sierung und die damit einhergehende künstliche Intelligenz wird in alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftli chen Lebens einziehen. Eine extrem dynamische, technologi sche Fortentwicklung der Informationstechnologien eröffnet für die Medizin und die damit einhergehende Gesundheitsver sorgung völlig neue Möglichkeiten. Wir wollen und wir müs sen uns da mit einbringen, uns ins Spiel bringen und Rück stände aufholen.

Wir können uns auf den Kopf stellen; wir können uns drehen und wenden, so oft wir wollen – wir werden das Thema bear beiten müssen, und wir werden es auch tun. Wir sind auf dem Weg, es zu tun, und wir machen das auch gut.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Doch keine Debatte ohne ein Aber: Natürlich müssen die Menschen immer die Hoheit über ihre eigenen Daten behal ten. Datenschutz ist etwas extrem Wichtiges. Hier geht es um ganz sensible persönliche Daten, und wir sind gehalten, die zu schützen.

Ein kurzer Blick auf den Pflegeroboter, vor dem so viele Angst haben: Stellen wir uns doch vor, dass ein pflegedürftiger Mensch auf seinen eigenen Wunsch in seiner Häuslichkeit ver bleiben kann und durch ein Smart-Home-System – ich möch te jetzt keine Namen nennen; Sie wissen, was ich meine, was es jetzt schon gibt –, z. B. durch Möglichkeiten, das Licht ein zuschalten, die Heizung zu regeln, den Rolladen herunterzu lassen, die Musik lauter zu stellen, wirklich an Lebensquali tät gewinnen kann. Ich nenne ein anderes, spezifisches Bei spiel: der Roboter, der Medikamente zusammenstellt, zuvor den Blutdruck misst und analysiert und durch einen Algorith mus prüft, ob die Medikamente letztlich gegeben werden sol len oder nicht.

Der Einsatz von technischen Hilfsmitteln – sogenannten AAL –, angefangen bei der Aufstehhilfe bis zum intelligenten Rollator, kann für die Selbstbestimmtheit der Betroffenen ein großer Se gen sein.

Gleichzeitig sind wir da aber auch ganz schnell bei Dingen, die infrage gestellt werden müssen. Für mich höchst fragwür dig, meiner Meinung nach auch ethisch höchst bedenklich ist

die Idee – ich frage mich, wofür die Welt dies braucht – eines kleinen Roboters, der zum Patienten ans Bett fährt und ihm etwas auf der Geige vorspielt. Das hat für mich nichts mehr mit Menschlichkeit und zwischenmenschlicher Beziehung zu tun; es ist etwas, was menschliche Nähe lediglich suggeriert. Wir sind da in einem Spannungsfeld, das wirklich ganz, ganz schwierig ist.

Wir werden in diesem Zusammenhang also unbedingt über die gesellschaftlichen Folgen diskutieren müssen; es geht da rum, eine zeitgemäße, „smarte“ Debatte über künstliche In telligenz mit Bürgerinnen und Bürgern zu führen. Das muss gar nicht immer analog erfolgen; wichtig ist die Fragestellung: Was ist denkbar, was ist menschlich, was ist ethisch, und was ist auch machbar?

Wir Grünen sehen es als unsere Aufgabe, die Chancen, aber auch die Risiken von digitalen Entwicklungen realistisch ein zuschätzen und verantwortungsvoll zu handeln. Digitalisie rung ist keine Naturkatastrophe. Der digitale Wandel kommt nicht einfach über uns, sondern kann und muss politisch ge staltet werden. Wir stehen für eine wertegeleitete Gestaltung des digitalen Wandels. Digitalisierung muss einen Mehrwert haben. Sie muss uns allen etwas bringen.

Neue Verfahren, neue Techniken, neue Geräte – all das kann das Leben einfacher und vor allem auch komfortabler machen. Aber das klappt nur, wenn Technik und Mensch zusammen kommen. Dafür stehen wir.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Ganz einfach dekliniert: Der Mensch – also der Mediziner oder der Pflegende – entscheidet und trägt die Verantwortung; die Maschine – der Rechner, der Computer oder der Roboter – schlägt vor, prüft Regeln, dokumentiert, gibt Hinweise, er innert, überwacht oder visualisiert.

Im Juli vergangenen Jahres wurde die Digitalisierungsstrate gie des Landes verabschiedet. Das Ministerium für Soziales und Integration hat 4 Millionen € für 14 wunderbare, innova tive Projekte bereitgestellt, und das ist gut angelegtes Geld.

Innovation muss nicht immer Hightech sein. Für mich ist ein wirkliches Highlight das Modellprojekt „docdirekt – Smart zum Arzt“, welches mit der Stadt Stuttgart und dem Landkreis Tuttlingen gestartet ist. Die Innovation ist hier nicht die Tech nik, sondern es sind die Regeln, die eine solche Fernbehand lung, die bisher nicht möglich war, möglich machen. Das Pro jekt haben wir zusammen mit der Kassenärztlichen Vereini gung Baden-Württemberg auf den Weg gebracht. Ich halte es für ein wirklich sehr schönes Beispiel für den Wert sozialer Innovationen.

Die Kassenärztliche Vereinigung hat nun dieses Telemedizin projekt etabliert. Wir freuen uns sehr, dass jetzt alle Bürgerin nen und Bürger in Baden-Württemberg auf dieses telemedi zinische Projekt zugreifen können, ein Medizinprojekt, bei dem sie mit einem Anruf, mit einem Videoanruf oder auch mit einem Chat eine niedergelassene Ärztin erreichen können. Zu vor wird in einem von einer Fachkraft durchgeführten Vorbe reitungsgespräch überlegt, ob die entsprechende Person wirk lich einen Arzt braucht, ob es dringend ist, ob eventuell sogar ein Rettungsarzt benötigt wird.

Die Teleärztin kann also in Zukunft überall in Baden-Würt temberg bestimmte Untersuchungen und Beratungen unab hängig vom Ort und von der physischen Anwesenheit durch führen. Das entlastet die Praxis, und es entlastet gleichzeitig die Patienten, die sich dadurch Wege und das Warten in vol len und oft keimverseuchten Wartezimmern sparen können.

Wir sind also auf dem richtigen Weg. Der nächste logische Schritt muss und wird nun sein, das elektronische Rezept für gesetzlich Versicherte zu erproben.