Aber eine solche Veränderung muss von unten kommen. Die Länder und der Bund müssen – so, wie in einer aktuellen Bun desratsinitiative geschehen – gemeinsam mit anderen Län dern, die schon weiter sind, Druck machen. Und die Natur schutzlobbyisten müssen einsehen, dass Sturheit in diesem Fall katastrophale Folgen haben kann.
Insgesamt zeigt das Thema Wolf nämlich, in welchem Dilem ma der Artenschutz insgesamt steckt. Der gesamte Arten schutz vom Wolf über den Biber bis zu Kormoran und Milan erstarrt rechtlich im Gestern, während sich die Populationen erholen und die Folgen daraus immer gravierender werden.
Tiere sind Mitgeschöpfe, ihr Schutz und ihr Erhalt sind des Menschen Auftrag und Pflicht. Das hält uns aber doch nicht davon ab, Nutztiere zu halten, Eier zu essen, aus Milch Käse zu produzieren, Fische zu fangen und den Bestand von Re hen, Rothirschen, Wildschweinen und Füchsen zu regeln. Wa rum sollte uns diese Pflicht also davon abhalten, den Bestand einst gefährdeter Tiere zu regeln, die heute andere Tiere und den Erhalt der Kulturlandschaft gefährden?
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich habe keine Angst, dass mir der Wolf etwas tut. Meine Begegnun gen mit ihm in Nordamerika haben das bestätigt, was viele Naturschützer sagen: Er ist scheu, und er geht den Menschen aus dem Weg. Kann er das aber in einem Land, das so zersie delt und überplant ist wie das unsere? Das glaube ich nicht.
Der Umgang mit anderen Wildtieren zeigt doch: Nur dort, wo Bestände reguliert werden und die Angst vor dem Menschen real ist, bleiben Wildtiere wild. Anderswo essen Füchse aus Mülleimern, tummeln sich Schweine in Maisäckern und ver gnügen sich Dachse in Vorgärten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. An dreas Glück FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Jetzt aber!)
Mich treiben andere Gedanken viel mehr um. Ich habe Angst vor einer leise und lautlos verschwindenden Weidehaltung, vor Rückschlägen in der naturschutzfachlich dringend not wendigen Bewirtschaftung von Magerstandorten. Ich habe Angst vor der Reaktion von Menschen, die, sosehr man sie auch beruhigen mag, aus Angst vor dem Wolf klammheimlich Gebiete meiden, in denen er sich herumtreibt.
Wir begrüßen daher die Richtung, die die Kommission mit den aktuellen Beschlüssen eingeschlagen hat. Wir bringen aber auch deutlich zum Ausdruck, dass wir von der EU, dem Bund und den Ländern weitere Schritte erwarten.
In einer sich wandelnden Landbewirtschaftung brauchen wir mehr denn je überzeugte Weidetierhalter. Ihnen gebührt un sere ganze Aufmerksamkeit.
Angesichts eines sich verändernden Freizeit- und Erholungs bedarfs brauchen wir touristische Naherholungskonzepte, und bei einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Biodiversität ist es wichtig, dass man nicht einzelne Tiere oder einzelne Arten, sondern den gesamten Naturraum im Blick hat.
Das alles lassen wir uns von einem ideologisch motivierten, auf Einzelarten beschränkten Ökofanatismus an einzelnen Stellen nicht kaputt machen. Deshalb, meine lieben Kollegin nen und Kollegen, muss der Canis lupus sich an den Homo sapiens gewöhnen und nicht umgekehrt.
Sehr geehrte Frau Präsi dentin, werte Kolleginnen und Kollegen! „Umgang mit dem Wolf – Europa bewegt sich. Das Land bewegt sich mit.“, so tituliert die CDU diese Debatte. Es gibt Erfreuliches aus Brüs sel. Seit zwölf Tagen wissen wir ganz offiziell: 100 % der Sachkosten sind beim Herdenschutz erstattbar. Das ist ein gro ßer Erfolg der deutschen Unterhändler – übrigens parteiüber greifend.
Zweimal war Staatssekretär Jochen Flasbarth vom SPD-ge führten BMU gemeinsam mit Vertretern von CDU und Grü nen aus fünf Bundesländern in Brüssel und hat das erreicht; darunter war Helmfried Meinel, der Ministerialdirektor im ba den-württembergischen Umweltministerium. Dank an alle Be teiligten! Dank auch an alle Weidetierhalter, die bei ihrer schwierigen, schlecht bezahlten Arbeit davon profitieren.
Das zeigt übrigens allen Unkenrufen zum Trotz zweierlei. Ers tens: Politik und Politiker sind handlungsfähig. Zweitens: Die Europäische Union reagiert flexibel und unbürokratisch. Es gibt Parteien, auch hier im Parlament, die sich darin gefallen, die EU so oft wie möglich madig zu machen. Das wäre ein gutes Beispiel, die EU wirklich im gesamten Parlament ein mal zu loben.
Die EU hat sich aber schon früher bewegt; auch das kann man sagen. Es gibt schon seit 2014 eine EU-Platform on Coexis tence between People and Large Carnivores. Dort tauschen sich Landnutzer, Wissenschaftler, Ökologen und Jäger Hand in Hand über Erfahrungen im Umgang mit den großen Beu tegreifern Bär, Wolf, Luchs und Vielfraß aus. Dazu gehören regionale Workshops, vom Rentierverband in Finnland bis zum WWF in Montenegro. Das ist der richtige Weg, gemein sam miteinander, mit dem Ziel – so heißt es dort auf Englisch – „Minimizing Conflicts – Finding Solutions“. Das ist der richtige Weg.
Zur FFH-Richtlinie lässt sich sagen: Es gab 2016 den Prozess REFIT. Jean-Claude Juncker hatte den angestoßen,
quer über viele Richtlinien insgesamt für die Europäische Uni on, und es war sein Bemühen, diese zu ändern. Es gab aber eine Rückmeldung vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas, es gab eine Rückmeldung vom Europaparlament, es gab die Rückmeldung von über 90 % der 500 000 Menschen, die sich an einer Bürgerbefragung der Europäischen Union beteiligt haben. Sie alle haben gesagt: Die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie sind beide wichtige, gute Instrumen te, die die Ziele dessen, was Deutschland und was andere Staa ten Europas angestrebt haben, erfüllen; deswegen sollen sie nicht geändert werden. – Wir streuen anderen Leuten Sand in
Sie wird – so hat die EU erst vor Kurzem nochmals bestätigt – nicht geändert werden. Wir werden beim Thema Wolf an dere Möglichkeiten haben und werden uns dafür einsetzen – da stimmen wir überein –, dass wir da noch Luft nach oben haben, was die Europäische Union betrifft.
Einige wenige Beispiele nur: Die Debatte gibt uns die Mög lichkeit einer kleinen Tour d’Horizon durch Europa. Begin nen wir im Südwesten, in Portugal. Dort gibt es den Kuhhir ten José Ferreira in Aroes, in Nordportugal: Einwohnerdich te 127 pro Quadratkilometer, doppelt so viel wie im Biosphä rengebiet Südschwarzwald und gleich viel wie im Main-Tau ber-Kreis und in manchen anderen ländlichen Regionen Eu ropas. Dort gibt es einen stabilen Wolfsbestand und gleichzei tig Herdenschutzhunde der Rasse Serra da Estrela sowie Hü tehunde, die gut abgestimmt miteinander arbeiten. Wenn man José Ferreira fragt: Er ist zufrieden mit seinen Herdenschutz hunden, die sich, als wir von der EUROPARC Federation dort waren, streicheln ließen. Es sind dieselben Tiere, die einer seits friedlich gegenüber Menschen waren, andererseits aber aggressiv und erfolgreich Wölfe verjagt haben.
Wichtig ist es, Probleme offen zu benennen. Im ersten Jahr wurde einer seiner Herdenschutzhunde totgebissen. Dieser hatte kein Halsband mit Dornen und war allein unterwegs.
Es gibt Dinge, die wir offen benennen müssen. Wir müssen aus schlechten Erfahrungen lernen, wir müssen sagen, wo wir was ändern müssen, und wir müssen auch bereit sein, von Fall zu Fall – selbstverständlich auf der Basis des Bundesnatur schutzgesetzes – den einen oder anderen Wolf abzuschießen. – Ich formuliere das so ganz deutlich.
Was wir aber nicht machen sollten, ist, Ängste zu schüren und Gefahren zu übertreiben. Angst ist ein schlechter Ratgeber.
Beispiel Nummer 2: Im hoch erschlossenen Nationalpark Gran Sasso und Monti della Laga in Italien mit zigtausend Be suchern ist Giulio Petronio – ich bin leider nicht gut im Itali enischen – Schäfer im dortigen Campo Imperatore. In diesem Nationalpark leben auf 150 000 ha – die Hälfte der Fläche des Naturparks Nordschwarzwald – 70 bis 100 Wölfe, gleichzei tig 85 000 Nutztiere,
darunter 66 500 Schafe. Giulio hat 2 000 Schafe, aber er hat seit über zwei Jahren trotz allgegenwärtiger Wölfe kein ein ziges verloren. Warum? Er hat sich die weißen Herdenschutz hunde der Abruzzen angeschafft und vermarktet seinen Käse hochpreisig, u. a. auch nach Deutschland.
Drittes Beispiel: Dr. Michaela Skuban, eine der besten Wild biologinnen Europas, formulierte gestern, als ich sie angefragt hatte, wie folgt zur Situation in der Slowakei – Zitat –:
Guter Herdenschutz trägt maßgeblich zu einem verbes serten Schutz der Herden bei, auch im Mittelgebirge. Die Verluste können signifikant reduziert, wenn auch nicht ganz eliminiert werden. Wir hatten in den letzten Jahr zehnten weder Angriffe durch Wölfe noch aggressive Be gegnungen zwischen Menschen und Wölfen – bei einem Bestand von vielen Hundert Wölfen.
Ich hoffe, das hilft Ihnen ein bisschen weiter. Ich werde mich jetzt für das Feld fertig machen, da wir einen Bären narkotisieren wollen.
Ich könnte auch noch von Wildbiologen aus Rumänien be richten, die dort im Umfeld einer Großstadt Wölfe telemetrie ren und untersuchen, wie sie sich bewegen. Auch da gibt es keine Probleme bei der Frage der Kinder im Wald.