Protokoll der Sitzung vom 29.11.2018

Aber wenn sich alles um uns herum mit einer Geschwindig keit verändert, die wir uns vor zehn oder 20 Jahren überhaupt noch nicht vorstellen konnten, dann ist es meiner Ansicht nach grob fahrlässig, nicht darauf zu reagieren und nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir doch einmal ehr lich, gehen wir einmal in uns.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Immer! – Abg. Rainer Stickel berger SPD: Wir schon!)

Kennen wir nicht alle, die wir heute hier in diesem Hohen Haus sitzen, aus unserem persönlichen Umfeld oder auch aus

unseren Wahlkreisen Fälle wie diese? Wie oft wird wegen ei nes dringenden Projekts im Betrieb auch mal länger gearbei tet? Wie oft lassen sich Dienstreisen eben nicht danach aus richten, dass die Tageshöchstarbeitszeit nicht überschritten wird? Wie oft ist eine dringende Rede fertigzustellen? Wie oft dauert ein Termin am Abend auch mal etwas länger? Und wie oft setzen sich junge Mütter und Väter, nachdem sie nach ei nem anstrengenden Arbeitstag ihre Kinder ins Bett gebracht haben, noch einmal an den Schreibtisch und beantworten E-Mails? Das tun sie nicht selten auch aus eigenem Interesse, weil sie vielleicht für den folgenden Vormittag Zeit brauchen – Zeit, um ihre Kinder in die Schule zu bringen, um ihre Mut ter ins Krankenhaus zu bringen, Zeit für private Termine.

Es geht deshalb keinesfalls darum, illegales Verhalten durch einen Federstrich zu legalisieren. Mir geht es um etwas ganz anderes: Mir geht es darum, dass es viele Tätigkeiten in der Wirtschaft, im öffentlichen Dienst oder bei den Verbänden gibt, die mit der Vorstellung einer auf zehn Stunden begrenz ten Tageshöchstarbeitszeit einfach nicht mehr zurechtkom men. In ihre Welt passt das nicht mehr.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Rainer Stickel berger SPD)

Mir geht es eben auch darum, dass wir so ehrlich sein sollten, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen, und das nicht zynisch und achselzuckend, sondern konstruktiv und im Sinne der Be troffenen.

(Abg. Dr. Patrick Rapp CDU: Sehr gut!)

Deswegen ist der von der SPD erhobene Vorwurf, ich würde mich mit meinem Vorschlag gegen die Arbeitnehmerinteres sen wenden, nicht nur falsch und haltlos. Nein, für mich zeugt er auch von einer paternalistischen Grundhaltung.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Bitte?)

Und das, lieber Herr Kollege Stoch, nenne ich einen Schlag ins Gesicht aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall bei der CDU – Abg. Andreas Stoch SPD: Pa ternalistisch ist Ihre Wirtschaftspolitik! Das ist eine Unverschämtheit! – Abg. Reinhold Gall SPD: Lä cherlich! Das ist eine schräge Argumentation! – Zu ruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Mein Vorschlag ist eben gerade nicht einseitig, ist gerade nicht maßlos; mein Vorschlag geht eben gerade nicht nur auf die Arbeitgeberinteressen ein, sondern nimmt die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerinteressen ernst

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Deswegen waren die Gewerkschaften so begeistert!)

und sucht eine ausgewogene Gesamtlösung. Das müssen wir in den Blick nehmen,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Reden Sie eigent lich mit den Gewerkschaften?)

wenn wir politisch Verantwortung übernehmen und das auch ernst meinen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Pippi Langstrumpf!)

Was verändert sich durch den Vorschlag nicht? Es verändert sich nicht die grundsätzliche Ruhezeit von elf Stunden in ei nem 24-Stunden-Zeitraum, es verändert sich nicht die durch schnittliche Wochenarbeitszeit, es verändert sich nicht das Recht auf Pausen, es verändert sich nicht die Möglichkeit, ta rifvertraglich alternative Regelungen zu vereinbaren, und es verändert sich nicht die Ausgleichspflicht in einem Sechsmo natszeitraum.

Durch die Veränderungen kann die Erhöhung der täglichen Höchstarbeitszeit im Einzelfall zu zusätzlichen Belastungen führen, ohne Frage. Aber dem tragen wir durch drei ganz we sentliche Vorkehrungen Rechnung. Diese sind in der bisheri gen öffentlichen Diskussion von Oppositionsseite geflissent lich ignoriert worden.

Zum Ersten senken wir die maximal mögliche Höchstarbeits zeit von bisher rechnerisch möglichen 60 Stunden auf 54 Stun den. Denn wer bisher in einer Sechs-Tage-Woche im Ausnah mefall bis zu 60 Stunden arbeiten konnte oder musste, kann oder muss jetzt nur noch maximal 54 Stunden arbeiten.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Wie großzügig!)

Zum Zweiten machen wir das Vorliegen einer Gefährdungs beurteilung, die ja schon heute vorgeschrieben ist, zur Voraus setzung dafür, dass von der Flexibilisierung über bisherige Möglichkeiten hinaus Gebrauch gemacht werden kann. Denn nicht jeder Arbeitsplatz ist für zwölf Stunden geeignet.

Und zum Dritten halte ich es für notwendig, dass in den Fäl len, in denen mehr als bisher pro Tag gearbeitet werden soll, verpflichtend eine Dokumentation der Arbeitszeiten erfolgen muss. Beim Mindestlohn haben wir gesehen: Das kann diszi plinierende Wirkung haben.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Ach ja?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich ab schließend zusammenfassen: Es ist absurd, der Landesregie rung vorzuwerfen, sie betreibe Politik gegen die Interessen der Beschäftigten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir ha ben im Koalitionsvertrag aus guten Gründen festgehalten, dass wir das Thema „Flexible Arbeitszeiten“ in den Blick nehmen wollen. Dies entspricht den Herausforderungen unserer mo dernen Arbeitswelt, und dies entspricht auch der Realität, den immer individuelleren Bedürfnissen von Arbeitgebern und Ar beitnehmern. Das gilt es in eine zeitgemäße und sinnvolle Ba lance zu bringen. Darüber müssen wir sprechen. Über konst ruktive Beiträge von Ihrer Seite in dieser Debatte freuen wir uns sehr.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Patrick Rapp CDU: Sehr gut!)

In der zweiten Runde erteile ich für die SPD-Fraktion Herrn Fraktionsvorsitzenden Stoch das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Zunächst einmal, Frau Ministerin Hoff meister-Kraut, bin ich schon erstaunt darüber, dass Sie hier am Pult stehen und so tun, als ob es eine Großzügigkeit in Ih rem Amt als Ministerin wäre, mit dem Parlament über die Fra ge der Arbeitszeit zu diskutieren.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Das stimmt doch gar nicht! Das ist Unsinn! So ein Quatsch!)

Das gebietet der Respekt vor diesem Parlament. Es ist die Le gislative, die sich mit diesem Thema zu beschäftigen hat, und deswegen muss es in diesem Parlament diskutiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Das Zweite, was ich Ihnen mitgeben möchte, ist: Für die Be schäftigten soll das Ganze sein. Ich glaube, ich habe vorhin deutlich gemacht, was die Gewerkschaften zu diesem Thema sagen. Wenn Sie einmal auf die letzten 120, 130 Jahre zurück blicken, stellen Sie fest, dass die Gründung von Gewerkschaf ten, die Gründung von Betriebsräten immer dazu da war, Ar beitnehmerrechten zur Durchsetzungskraft zu verhelfen. Was Sie tun – ich habe es vorhin gesagt; Sie haben es offensicht lich nicht verstanden –, ist, Anreize zu setzen, um aus der Ta rifpartnerschaft herauszugehen – gerade dort setzen sich die Gewerkschaften für die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein –, indem Sie gesetzliche Vorgaben ab senken und vom Standpunkt der Arbeitnehmerinnen und Ar beitnehmer verschlechtern. Wer das tut, wird der Tarifbindung den Garaus machen. Das ist keine Politik für ein erfolgreiches Wirtschaftsland, Frau Ministerin.

(Beifall bei der SPD – Abg. Nicole Razavi CDU: Das ist völlig falsch!)

Was die SPD tut, sage ich Ihnen ganz deutlich. Die SPD tut das, was sie tun muss, weil es diese Landesregierung sonst of fensichtlich nicht tut. Sie schützt das wichtigste Gut eines je den Unternehmens in Baden-Württemberg, sie schützt näm lich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor, dass sie ihre Arbeit nicht mehr gut machen können. Denn Menschen, die zu lange arbeiten – das gilt auch für die Höchstarbeitszeit pro Tag –, können nicht erfolgreich sein, die können auch nicht gute Arbeit leisten. Deswegen sind wir gegen Ihren Vor stoß. Lassen Sie die Finger vom Arbeitszeitrecht in BadenWürttemberg und in Deutschland!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich Frau Abg. Lindlohr das Wort.

Wir reden heute hier über ein wichtiges Gesetz, ein wichtiges Bundesgesetz. Das Ar beitszeitgesetz ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Trotzdem kann der Bundesrat natürlich mitwirken.

Wir haben heute einige Übereinstimmungen und weiterhin auch einige Differenzen feststellen können. Ich habe mich wie andere – wie auch die Ministerin – auf den Passus im Koali tionsvertrag der GroKo im Bund bezogen, wo es heißt, dass die Große Koalition das Arbeitszeitgesetz ändern und neue Tariföffnungsklauseln schaffen wolle.

In der Frage, auf welcher Grundlage wir jetzt eigentlich wei terdiskutieren, wäre allen gedient, wenn die Landesregierung, aber auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD ihre Quellen nutzen und uns mitteilen, ob zu dem Vorhaben der SPD – die mit Hubertus Heil den zuständigen Bundesminister stellt – ,

das Arbeitszeitgesetz zur Schaffung neuer Tariföffnungsklau seln zu ändern, jetzt vom Bund etwas kommt, mit dem wir uns beschäftigen können. Im Koalitionsvertrag des Bundes steht, dass das Arbeitszeitgesetz entsprechend geändert wer de. Kommt das? Gibt es dazu einen Vorschlag? Wenn ja, dann sehen wir uns diesen an. Kommt er nicht, machen wir selbst einen. Da können Sie uns gern behilflich sein. Sagen Sie mal, was die SPD im Bund will.

(Minister Manfred Lucha: Das weiß er selbst nicht!)

Dann können wir hier auch weiterarbeiten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Rapp das Wort.

(Abg. Raimund Haser CDU: Guter Mann!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In das, was die Wirtschafts ministerin an Eckpunkten vorgestellt und vorgeschlagen hat, wurde ja einiges hineininterpretiert. Bevor ich noch mal auf den Inhalt eingehe, sage ich an die Kolleginnen und Kollegen der SPD gerichtet: Sie sind gut im Ignorieren dessen, was die Ministerin gesagt hat. Sie sind gut im Ignorieren dessen, was Inhalt war. Aber da sind Sie stringent. Sie machen das ja mit Blick auf Ihre Wählerschaft genauso.

(Beifall bei der CDU)