Protokoll der Sitzung vom 19.12.2018

Eine Verdreifachung der Laufzeit auf drei Legislaturperioden ist für uns nicht nachvollziehbar.

Zweiter Punkt: Sie haben einen jährlichen Aufwuchs einge baut, und zwar nicht in einer Indexierung – da hätte man ja noch folgen können –, sondern Sie haben eine absolute Zahl genommen. Woher wollen Sie wissen, wie hoch die Inflati onsrate z. B. im Verlauf der nächsten 15 Jahre ist? Die Italie ner haben so etwas auch mal gemacht; das nannte sich „Sca la mobile“, ist total nach hinten losgegangen. In jedem Volks wirtschaftsbuch steht: „Das ist keine vernünftige Staatspoli tik“ – lesen Sie bei Stobbe, lesen Sie bei Schlieper, Richter, Friedmann nach. Überall wird gesagt: Das ist keine vernünf tige Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Dann haben Sie es bei der Förderung, die mit dem Vertrag ge währt wird, nicht bei einer halben Million Euro belassen. Auch hier wiederum der Vergleich mit Bayern: Bayern hat vermut lich die gleiche Anzahl von deutschen Sinti und Roma. Aber wir haben einen 50-%-Aufwuchs im Vergleich zu Bayern. Wa rum? Dafür gibt es keine vernünftige Rechtfertigung – eben falls ein Fehler.

Und dann kommt etwas, was uns überhaupt nicht gefällt: Sie haben, auch im Ständigen Ausschuss, gesagt, Sie wollen da mit die innereuropäische Migration fördern. Das halten wir

für einen schweren Fehler. Die deutschen Sinti und Roma ha ben ihre eigene Kultur, haben ihre eigene Geschichte. Und hier Zuwanderung aus anderen Ländern, wo diese Sinti und Roma verfolgt werden, mit Mitteln des Landes Baden-Würt temberg zu befördern, das halten wir grundsätzlich für falsch.

(Beifall bei der AfD – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie erweisen den deutschen Sinti und Roma hier in BadenWürttemberg damit einen Bärendienst. Diskriminierung, Ras sismus in osteuropäischen Ländern müssen von den osteuro päischen Ländern innerhalb des jeweiligen Landes selbst be kämpft werden. Es darf doch nicht sein, dass die Konsequenz ist, dass Menschen, die unter Rassismus leiden, dann ihr Land, ihre Heimat verlassen müssen. Nein, wir müssen dafür sor gen, dass Rassismus und Diskriminierung europaweit been det werden, und zwar in den Ursprungsländern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Durch die AfD?)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, bringen Sie diese Feh ler in Ordnung, und wir würden diesem Vertrag zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD spricht Herr Kollege Gall.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Sinti und Roma sind nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch national eine anerkannte Minderheit – wenigstens das scheint unumstritten zu sein. Sie sind eine Minderheit, die aber ohne ein Verhältnis zur Mehrheitsgesell schaft nicht denkbar ist. So zeichnen sich die deutschen Sin ti und Roma durch eine eigene Sprache, eine eigene Identität und durch ihre Kultur aus. Gleichzeitig ist doch Deutschland auch ihre Heimat; sie sind – es wurde benannt – seit Jahrhun derten Teil unserer Gesellschaft und teilen denselben Lebens raum.

Dies anzuerkennen, deutlich zu machen und auch dazu zu ste hen ist von enormer Wichtigkeit, und das machen wir heute.

Doch in diesem Verhältnis – das wissen wir – gab es immer wieder erschütternde Einschnitte. Die Identität der Sinti und Roma als Minderheit gab in unserer gemeinsamen Geschich te immer wieder Anlass, die rechtliche Gleichbehandlung, die politische Partizipation, die gesellschaftliche Anerkennung der Sinti und Roma zu unterdrücken, sie zu verfolgen – ja, auch mit dem Ziel, sie zu vernichten.

Deshalb war und ist die Anerkennung des erlittenen Leids und der erlittenen Verfolgung der Sinti und Roma ein weiterer not wendiger, wichtiger Schritt, um das von beiden Seiten ange strebte freundschaftliche Zusammenleben weiter zu fördern. Dieses freundschaftliche Zusammenleben, wie es im Vertrags text nach meinem Empfinden so einfach, aber auch so präg nant und aussagekräftig steht, basiert auf der zentralen Forde rung nach gleichberechtigter Teilhabe in unserer Gesellschaft. Um es an dieser Stelle auch deutlich zu sagen: Die Mehrheits

gesellschaft hat hierzu den wesentlicheren Beitrag zu leisten. Wenn wir über Kosten von unter 1 Million € reden, halte ich eine Diskussion darüber nicht einmal ansatzweise für ange bracht.

(Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, vor fünf Jahren haben wir mit der Unterzeichnung des Vertrags zwischen dem Land und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband BadenWürttemberg, gemeinsam einen wirklich neuen Weg beschrit ten. Man muss es sich noch einmal in Erinnerung rufen: Nach 18 Jahren Zusagen, Vertröstungen, Abwarten und Verhand lungen lag dann endlich der erste Vertrag für Baden-Württem berg auf dem Tisch. Die Unterzeichnung im November 2013 stellte wirklich einen Meilenstein für das gemeinsame Wirken gegen Diskriminierung und Marginalisierung dar.

Der Vertrag hat dabei eine, wie ich finde, klare Sprache. Man könnte sagen: Formal geht es ganz einfach darum, die Rechts- und Finanzbeziehungen der Vertragspartner zu regeln. Der Vertrag spricht aber auch insofern eine deutliche Sprache, als zum Ausdruck kommt, worum es wirklich geht. Er spricht die Sprache der Offenheit, des Respekts und eines Umgangs mit einander auf gleicher Augenhöhe.

Die Fortführung des Vertrags bis 2033, um die es heute geht, also über einen Zeitraum von 15 Jahren, darf nun als Ausdruck der gegenseitigen Akzeptanz und Verlässlichkeit verstanden werden. Deshalb ist es richtig, dass wir diesen Vertrag nicht immer nur um ein Jahr oder um fünf Jahre verlängern, son dern dass wir längerfristig und zielgerichtet über einen länge ren Zeitraum hinweg deutlich machen, dass der Vertrag ein funktionierendes Konstrukt ist, das wir auch mit Leben erfül len wollen, und dass dieses Konstrukt Verlässlichkeit über eine längere Zeitspanne benötigt.

(Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, das gemeinsame Bestreben – da ran ändert sich inhaltlich gar nichts – bleibt, die Anerkennung der Sprache und der Kultur der Sinti und Roma in der gesam ten Gesellschaft zu verbreitern und vonseiten des Landes ver lässlich zu fördern, damit dann, wenn wir über Beratungsstel len und Ähnliches reden, planbar ist, wann das machbar und finanzierbar sein wird.

Darüber hinaus ist die Aufklärung gegen jegliche Diskrimi nierung, gegen den immer noch vorhandenen Antiziganismus in unserer Gesellschaft eines der Ziele, die wir mit der Fort schreibung des Vertrags sehr nachdrücklich verfolgen wollen. Es geht um Bildung, um Aufklärung in der Schule, um Abbau von Vorurteilen und Ausgrenzung bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche. Es geht um das Ende – das muss das Ziel sein – jeglicher antiziganistischer Stigmatisierung im Alltag von Sinti und Roma.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Deshalb freuen wir, die SPD-Fraktion, uns darüber, dass der erste Vertrag nun seine Fortsetzung findet. Ich freue mich, dass

wir den gemeinsamen Weg fortsetzen werden und für Fort schritte im Kampf gegen Antiziganismus und Diskriminierung jetzt eine noch verlässlichere Grundlage schaffen. Wir, die SPD-Fraktion, stimmen diesem Vertrag gern und mit Freude zu.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Für die FDP/DVP spricht Herr Abg. Haußmann.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutschen Sin ti und Roma sind eine anerkannte nationale Minderheit in Deutschland. Kollege von Eyb hat auch schon auf die lange Geschichte verwiesen. Seit über 600 Jahren gehören Sinti und Roma auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs zur Kultur und Geschichte dieses Landes. Ich glaube, das drückt schon aus, wie wichtig die heutige Debatte und wie wichtig die Fortsetzung des Vertrags sind. Sinti und Roma genießen den Schutz und die Anerkennung durch das Rahmenüberein kommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten und durch die Europäische Charta der Regional- oder Min derheitensprachen, die eben auch in Deutschland verbindlich sind.

Meine Vorredner haben auch darauf hingewiesen, dass wir ei ne besondere Verpflichtung haben. Aber schon vor vielen Jahr hunderten erfuhren Sinti und Roma in Deutschland und auch im heutigen Baden-Württemberg Ausgrenzung und Benach teiligung. Insofern sind wir hier in Baden-Württemberg und in Deutschland insgesamt in einer besonderen Verpflichtung, die gute Zusammenarbeit, das gute Miteinander mit den Sin ti und Roma zu suchen.

Insofern freue ich mich, dass wir den Vertrag aus dem Jahr 2013 durch eine Fortschreibung fortführen können. Die FDP/ DVP-Landtagsfraktion hat auch damals zugestimmt. Es gibt sicherlich den einen oder anderen Punkt, über den gesprochen werden kann, aber es hat uns in der letzten Legislatur im Landtag von Baden-Württemberg ausgezeichnet, dass wir hier ein gemeinsames Miteinander gefunden haben, was die Ver bindlichkeit in diesem Vertrag zwischen Sinti und Roma auf der einen Seite und dem Land Baden-Württemberg auf der an deren Seite angeht.

Es wäre schön gewesen, wenn es auch in diesem Landtag von Baden-Württemberg gelungen wäre, dadurch, dass alle Abge ordneten diesem Vertrag zustimmen, ein starkes Signal und Zeichen zu setzen. Das wäre ein starkes Signal gewesen. Ich finde es etwas schade, dass dies heute offensichtlich nicht ge lingt.

Ein Blick in den Tätigkeitsbericht des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, zeigt eindrucksvoll, was auch in den letzten Jahren aufgebaut wur de. Ich darf einige Stichworte nennen: beispielsweise die In anspruchnahme von Beratungen und Vertretungen in den Be reichen Bürgerrechte, Gedenken, Antidiskriminierung, Bil dung, Beschäftigung, Wohnen, Soziales und Inklusion. Man sieht: Das ist eine Vielzahl von Tätigkeiten, aber es kommt eben auch zum Ausdruck, welche Herausforderungen und Aufgaben da noch vor uns liegen.

Wenn wir uns vor Augen führen, dass rund ein Viertel der in Baden-Württemberg lebenden Sinti und Roma in prekären Wohnsituationen leben, dann wissen wir, dass es notwendig ist, einen solchen Vertrag fortzuschreiben, um auch dabei Un terstützung zu gewähren; denn es wird noch lange dauern, bis man auch hier signifikante Verbesserungen erreicht.

Dazu gehört, dass der Landesverband als Vertreter der Min derheit auch einen Dialogpartner und eine Institution des öf fentlichen Lebens darstellt. Dazu gehören die Förderung der kulturellen Identität, die Förderung der Erinnerungs- und Ge denkarbeit, die Bildungsberatung, die Beratungsstelle für gleichberechtigte Teilhabe mit dem Schwerpunkt Beratung von bleibeberechtigten Roma, Erhalt und Pflege von Grab stätten, Entwicklung und Einrichtung einer Forschungsstelle zu der Geschichte und der Kultur der Sinti und Roma.

Jetzt startet die digitale Informationsplattform. Vorgesehen sind auch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Bil dungseinrichtungen des Landes und die Vertretung der Sinti und Roma im Medienbereich. Ich könnte noch eine ganze An zahl weiterer Projekte und Aufgaben benennen, denen sich der Landesverband in den letzten Jahren mit zunehmender Ak tivität gewidmet hat.

Ich rege einfach an – weil dies auch für die Abgeordneten im Landtag hilfreich wäre –, dass dieser Tätigkeitsbericht auch zu uns gelangt, dass wir ihn also nicht nur aus dem Internet abrufen können, sondern dass auch der Landtag direkt infor miert wird. Denn es ist beeindruckend, im Tätigkeitsbericht zu lesen, was gemacht wird.

Insofern unterstützt auch die FDP/DVP-Landtagsfraktion den neuen Vertrag, die Fortschreibung des Vertrags zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen und der SPD sowie Abgeordneten der CDU)

Ich darf dem Herrn Mi nisterpräsidenten das Wort erteilen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sinti und Roma sind seit über 600 Jahren Teil unserer Gesellschaft. Sie leben unter uns, sie sind ein Teil von uns und standen dennoch viel zu lange am Rand. Sie wurden diskriminiert, sie wurden ausgegrenzt und im Nationalsozialismus brutal verfolgt und systematisch ermordet.

Ich bin froh darüber, dass viele Menschen die gemeinsame Geschichte heute besser kennen als noch vor einigen Jahren. Auch unsere Arbeit hat dazu beigetragen. Viel Gutes und Neu es ist entstanden in den Jahren, seit der Vertrag zwischen dem Land und dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landes verband Baden-Württemberg, geschlossen wurde. Es war der bundesweit erste Vertrag dieser Art. Vor fünf Jahren wurde ihm in diesem Parlament einstimmig zugestimmt. Diese Ge schlossenheit war ein starkes Zeichen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD so wie Abgeordneten der FDP/DVP)

Daraus wurde ein Erfolgsprojekt. Der Vertrag war beispielge bend und hat inzwischen Nachahmer in anderen Bundeslän dern und Interesse in anderen Regionen Europas gefunden. Darüber können wir uns und können sich die Sinti und Roma sehr freuen, und daran können wir anknüpfen, wenn wir nun diesen Vertrag fortschreiben.

Meine Damen und Herren, es gibt heute mehr Normalität und Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Die deutschen Sinti und Roma sind in Deutschland heute offiziell als natio nale Minderheit anerkannt. Auch in diesem Bewusstsein ha ben wir vor fünf Jahren den Vertrag mit dem Verband Deut scher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, geschlossen.

Aber wahr ist auch: Der gute Weg, den wir beschritten haben, wird immer wieder herausgefordert. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, wie die Lage um uns herum ist. Die Sinti und Roma sind die am stärksten diskriminierte Minder heit in Europa. Auch bei uns gibt es Versuche, das Gemeinsa me und Selbstverständliche im Zusammenleben wieder zu zer stören. Gerade in den letzten Jahren mussten wir ein Erstar ken von menschenfeindlichem Denken erleben, den Versuch eines völkischen Nationalismus, die Gesellschaft in ein „Wir“ und „Sie“ zu spalten und einzelne Gruppen auszugrenzen und zu diskriminieren. Auch Sinti und Roma sind betroffen; auch sie sind Opfer von Ausgrenzung und häufig sogar Opfer von direkter Gewalt.

Deshalb sage ich an dieser Stelle klipp und klar: Die Diskri minierung von Sinti und Roma ist nicht das Problem einer ein zelnen gesellschaftlichen Gruppe, es ist ein Problem für uns alle,

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD so wie Abgeordneten der FDP/DVP)