Protokoll der Sitzung vom 30.06.2016

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Die Briten sind damit nicht nur in der Europameisterschaft gescheitert, sondern auch in den vergangenen Jahren mit ih rer Rosinenpickerei, als sie über 100 verschiedene Ausnah men im Rahmen des Vertrags von Lissabon herausgehandelt haben. Aber wohin hat das alles geführt? Zum „Brexit“ und zu Unsicherheit und Chaos in Großbritannien.

Auch die Schweiz wird mit der Masseneinwanderungsinitia tive nicht weiterkommen. Auch dort fehlt ein Konzept der In itianten. Sie können nicht 50 000 Grenzgänger, die täglich über die Grenze in die Schweiz gehen, einfach durch Schwei zer Personal ersetzen. Sie haben das Personal schlichtweg nicht. Aber wir können auch nicht zulassen, dass nur die bila teralen Verträge eingehalten werden, die einseitig der Schweiz nützen. Auch hier ist also Rosinenpickerei nicht angesagt.

Schauen wir dagegen doch einmal in die Geschichte des Ober rheins, wo wir eine so lange Periode von Frieden haben, wie es nie in der Geschichte der Fall war, nämlich 71 Jahre, in de nen Frieden herrschte; in den letzten Dekaden kamen auch noch Wohlstand und Freiheit dazu. Auch mit europäischen Fi nanzmitteln wurden dort Frieden, Freiheit und Wohlstand ge sichert. Auch Landräte und Oberbürgermeister müssen dort erkennen, dass sie die europäischen Mittel, die sie bekommen, um grenzüberschreitend zu arbeiten, nicht als ihre Mittel aus geben, sondern dass sie z. B. sagen: Hier hilft uns die Euro päische Union bei der europäischen Integration und dem Zu sammenwachsen in den Grenzregionen.

Wenn Sie das INTERREG-V-Programm anschauen, mit dem unsere Landesregierung über 109 Millionen € in den Ober rheinraum holt, dann wissen Sie, dass wir, wenn wir dieses Geld aus den INTERREG-Mitteln der Europäischen Union nicht bekämen, keine Tramverlängerung von Weil am Rhein nach Basel bzw. umgekehrt von Basel nach Weil am Rhein hätten. Wir hätten keine Tram zwischen Kehl und Straßburg, wir hätten auch kein deutsch-französisches Feuerlöschboot auf dem Rhein, und wir hätten auch keinen European Cam

pus, der die Wissenschafts- und Forschungsideen am Ober rhein bündelt.

Unser Land bietet damit eigentlich ganz Europa ein Labora torium, in dem man sehen kann, wie Integration und Zusam menarbeit in Europa gelungen sind. Wir können damit auch in andere Regionen gehen und zeigen, wie die Erfolgsfakto ren für europäische Zusammenarbeit aussehen. Wir arbeiten seit Jahren mit den Menschen von unten und mit konkreten Projekten, sodass wir jeden Tag begreifen und sehen können, wie Europa funktioniert und wie der Nutzen für die Bevölke rung in Europa aussieht.

Die Europäische Kommission sollte sich daran allerdings ein Beispiel nehmen. Die Kommission sollte das Subsidiaritäts prinzip endlich verstärkt mit Leben füllen und sich dann eben nur um die Probleme kümmern, die im europäischen Rahmen zu lösen sind, z. B. die Migrationsproblematik oder die Steu erflucht. Unsere Kommunen und Regionen in Baden-Würt temberg sind stark, und wir können unsere Wasserversorgung selbst regeln.

Die Kommission hat aber außerdem immer noch nicht er kannt, dass die Stunde geschlagen hat, in der mehr Demokra tie angebracht ist und mehr auch auf die Menschen zu hören ist. Es darf eben hier kein Mensch und keine Region übergan gen werden, wenn es z. B. um die Frage von CETA geht. Wenn jetzt eine vorläufige Anwendung von CETA von Kommissi onspräsident Juncker vorgeschlagen wird, dann schadet das dem Ansatz, dass wir Europa von unten gestalten wollen, und kompromittiert die Bürgerinnen und Bürger, die hier berech tigterweise mehr Transparenz fordern.

Mit solchen Aktionen wird vor allem den Rechtspopulisten Wasser auf deren Mühlen geschüttet, die dann gesamthaft ein negatives Bild zeichnen und das Kind mit dem Bade ausschüt ten, anstatt eben auch an die Errungenschaften der Europäi schen Union zu denken.

Wir müssen nun aber eine Debatte lostreten, die von unten ge tragen wird. Im Hinblick auf die Abstimmungen der Schwei zer und der Briten ist es wichtig, auch zu sehen, dass wir die junge Generation mit einbeziehen, weil diese die Zukunft der Europäischen Union darstellt. Vielleicht kann auch unser Leit bildprozess „Welt:Bürger gefragt!“ für ein Modell stehen, das dann heißen könnte: „Europa:Bürger gefragt!“

Lassen Sie uns in den kommenden Monaten nicht einfach zur normalen Tagesordnung übergehen, sondern lassen Sie uns mit den Bürgerinnen und Bürgern – unter starkem Einbezug der Jugend – Europa zum Thema machen, aber auch über die Vorteile Europas reden.

Gerade für die, die Europa nur mit einer Europäischen Union kennen, ist dies wichtig. Viele von uns, die wir hier sitzen, wissen noch, wie die Grenzkontrollen waren. Aber viele, die nun mitentscheiden dürfen, kennen dies nicht.

Lassen Sie uns die Europäische Union aus den Regionen he raus mit deren Expertisen weiterentwickeln und das Haus Eu ropa konstruktiv weiterbauen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Kößler.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist seit dem 23. Ju ni in Bewegung geraten. Es wird entscheidend darauf ankom men, was wir aus dieser Bewegung machen.

Lassen Sie mich zunächst einmal auf die Flüchtlingspolitik eingehen. Die Flüchtlingskrise ist der entscheidende Punkt, den wir in Europa zu bewältigen haben. Die Menschen erwar ten von uns Lösungen. Die Europäische Kommission hat in den letzten Monaten einige Lösungen vorgeschlagen. Wir, die CDU-Fraktion, begrüßen, dass die Europäische Kommission in diesem Bereich tätig geworden ist.

Beide vorgeschlagenen Alternativen haben unsere Sympathie. Entweder wird das bestehende Dublin-Abkommen gestrafft – hinzukommen muss allerdings ein Lastenausgleichssystem –, oder wir müssen neue Verteilungsschlüssel für die Lasten in Europa benennen.

Es ist richtig, dass das Eurodac-System weiterhin ausgebaut wird. Das Eurodac-System verhindert, dass Flüchtlinge in mehreren Ländern Asylanträge stellen können. Wir brauchen für Europa insgesamt ein einheitliches, gemeinsames Asyl verfahren. Klar ist, dass ein wirksamer Außenschutz und die Freizügigkeit im Inneren zusammengehören.

Gerade in einem Land in der Mitte Europas ist es wichtig, dass wir das Schengen-Abkommen weiterhin aufrechterhalten. Da her müssen wir die Pläne für einen europäischen Grenzschutz – das ist entscheidend – weiter ausbauen. Für uns ist es klar, dass die kommenden Herausforderungen natürlich auch den EU-Haushalt berühren werden. Wir müssen dafür sorgen, dass genügend Geld zur Verfügung gestellt wird. Wir müssen den EU-Haushalt auch im Hinblick auf den Schutz der Außengren zen noch einmal überdenken.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der AfD so wie der Abg. Sandra Boser GRÜNE)

Es zeigt sich, dass hier die Solidarität in ganz Europa gestärkt werden muss. Nicht nur Deutschland kann grundsätzlich die Probleme in Europa mit der Migration von Flüchtlingen lö sen, sondern jedes Mitglied der EU muss daran teilnehmen.

Es zeigt sich auch, dass das Abkommen mit der Türkei all mählich Wirkung zeigt. Die Zahl der Grenzübertritte nimmt ab, Schleusungen gibt es fast keine mehr. Es ist wichtig, dass wir weiterhin mit der türkischen Regierung zusammenarbei ten. Aber es ist auch klar: Europa und die EU dürfen sich nicht erpressen lassen.

Bei einer möglichen Visafreigabe müssen die Standards und die Benchmarks, die wir in Europa gesetzt haben, erhalten bleiben. Sie müssen genauso von der Türkei wie auch von an deren Staaten übernommen werden. Die Türkei ist verpflich tet, ihre rechtsstaatlichen Standards aufrechtzuerhalten, zu verbessern und auf einen europäischen Standard zu bringen.

Bei allen Differenzen ist aber auch klar: Wir brauchen die Zu sammenarbeit mit der Türkei, aber wir müssen auch kritisch gegenüber der Türkei sein. Bei aller Kritik, die an dem geübt wird, was wir mit der Türkei vereinbaren: Es gibt kaum eine

andere Lösung. Bisher hat niemand eine bessere Lösung vor geschlagen.

Wir brauchen für die wachsende Zahl der Schleusungen aus Nordafrika eine Lösung. Wir müssen auch darüber nachden ken, wie wir diese Schleusungen unterbinden können. Es geht natürlich auch darum, Menschenleben zu retten.

Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der im Bericht ausführlich dargelegt wurde, und zwar das Verhält nis zur Schweiz. Kollege Frey hat es schon angesprochen: Ba den-Württemberg hat exzellente wirtschaftliche Verflechtun gen mit der Schweiz. Die Masseneinwanderungsinitiative der Schweiz bedeutet für uns natürlich Probleme. Es ist gut, dass der Ministerpräsident bei seinem Besuch in Bern noch einmal deutlich gemacht hat, wie wichtig eine Vereinbarung mit der Schweiz ist.

(Abg. Felix Schreiner CDU: So ist es!)

Es muss einiges getan werden, damit wir weiterhin ein gutes Verhältnis zur Schweiz haben.

Aber es ist klar: Der Binnenmarkt besteht aus vier Grundfrei heiten. Dazu gehört auch die Personenfreizügigkeit. Wir müs sen der Schweiz deutlich machen, dass Rosinenpickerei nicht möglich ist. Vielmehr bestehen wir auf den vier Grundfreihei ten, zu denen auch die Personenfreizügigkeit gehört.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Wir stehen vor einer Bewährungsprobe in der EU. Das Refe rendum in Großbritannien hat im Grunde klargemacht, wel che Differenzen es in der EU gibt.

Robert Schuman hat am 9. Mai 1950 gesagt, wichtig für Eu ropa sei die „Solidarität der Tat“. Es geht also nicht nur um ein historisches Gedankengebäude Europa. Vielmehr muss die Tat folgen.

Wir in Baden-Württemberg profitieren exzellent von der EU. Wir müssen alles daransetzen, dass wir eine positive Zukunft haben.

Ich will noch ein paar Sätze zu dem Referendum in Großbri tannien sagen.

(Glocke des Präsidenten)

Wenn Sie „noch ein paar Sätze“ sagen, dann darf ich Sie daran erinnern, dass Ihre Re dezeit schon zu Ende ist.

Nur noch zwei Sätze werde ich sagen. – Das Referendum in Großbritannien hat viele Diskus sionen hervorgerufen. Aber eines ist klar: Großbritannien ge hört zu Europa. Aus Europa kann niemand austreten, auch nicht, wenn er aus der EU austritt.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Dr. Bernd Grimmer AfD: Sehr richtig! – Abg. Anton Baron AfD: Bravo!)

Der Gedanke, den Theodor Heuss schon 1950 zum Verhältnis von Deutschland zu Europa angesprochen hat, gilt analog na türlich auch für Großbritannien. Europa braucht Großbritan nien, aber Großbritannien braucht auch Europa. Es wäre auf

einen Exit vom „Brexit“ zu hoffen; das würde viele Probleme lösen.

Bei allem, was wir jetzt tun, rate ich dazu – insbesondere mit Blick auf die EU-Kommission –, Besonnenheit walten zu las sen. Schnellschüsse nützen in dieser Sache nichts.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Abg. Sandra Boser und Jo sef Frey GRÜNE sowie des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

Für die AfD-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Berg.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kollegen, liebe interessierte Gäste auf den oberen Rän gen! Auch die AfD-Fraktion bedankt sich ganz herzlich beim Staatsministerium für diesen Bericht.

Gestatten Sie mir vorab eine kurze Bemerkung: Angesichts der Tragweite der europapolitischen Themen, die wir in die sem Haus diskutieren, empfinde ich es als bedauerlich, dass die Regierungsbank durch derartige Leere besticht.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Felix Schreiner CDU: Der Europaminister ist aber da! – Abg. Thomas Blenke CDU: Der zuständige Minister ist da!)