Protokoll der Sitzung vom 20.12.2018

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 80. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Frau Abg. Erikli, Herr Abg. Hahn, Herr Abg. Dr. Lasotta, Herr Abg. Dr. Merz, Frau Abg. Philippi sowie Frau Abg. Saebel.

Entschuldigt sind Frau Staatsrätin Erler und Frau Staatssekre tärin Mielich.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Dr. Schütte hat heu te Geburtstag.

(Beifall bei allen Fraktionen und auf der Regierungs bank)

Lieber Herr Dr. Schütte, im Namen des ganzen Hauses gratu liere ich Ihnen sehr herzlich zum Geburtstag, wünsche Ihnen alles Gute und später hoffentlich eine schöne Feier, vielleicht auch mit uns.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung ein treten, möchte ich einen Verlust von Vielfalt in unserem Par lament bedauern. Sie, lieber Herr Abg. Drexler, haben beklagt, dass die Gruppe der über Siebzigjährigen im Landtag unter repräsentiert sei. Dieser Missstand wird nun leider noch grö ßer

(Abg. Wolfgang Drexler SPD steht von seinem Platz auf und setzt sich in die vorderste Reihe.)

ja, kommen Sie ruhig nach vorn, genau –,

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

denn Sie legen Ihr Mandat zum Ende des Jahres nieder.

Mit Ihnen, lieber Herr Drexler, verliert der Landtag mehr als nur einen langjährigen, erfahrenen Abgeordneten. Wir verab schieden heute einen Parlamentarier, ohne den der Landtag heute anders aussähe, einen Parlamentarier mit Ecken und Kanten – davon können alle Fraktionen, aber auch Ihre eige ne Partei ein Lied singen –, einen, der mit seiner Leidenschaft und seiner direkten Art das Profil unserer Volksvertretung schärfte. Sie, lieber Herr Kollege Drexler, legten als Parla mentarier einen wahren Ultramarathon hin. Seit 1988 – also seit 30 Jahren – vertreten Sie Ihre Heimatstadt Esslingen. Sie gaben und geben dem Landtag ein Gesicht.

Als Vertreter der Landesparlamente haben Sie sich für die Fö deralismusreform II starkgemacht. Dass die Länder, die Land

tage heute mehr in eigener Kompetenz entscheiden können, auch das ist mit Ihr Verdienst und, wie wir wissen, ein hoch aktuelles Thema.

Als Oppositionsführer kämpften Sie in beherzten Reden und mit markanten Zwischenrufen nimmermüde dafür, unsere Po sition gegenüber der Exekutive zu stärken und das Regie rungshandeln strenger Kontrolle durch die Volksvertreterin nen und Volksvertreter zu unterwerfen.

Als langjähriger Vizepräsident des Landtags haben Sie mit für die Einhaltung der parlamentarischen Spielregeln gesorgt. Für die Art und Weise, wie Sie das Amt ausgefüllt haben, wurden Sie von allen damaligen Fraktionen und auch von der Land tagsverwaltung sehr geschätzt und respektiert.

Auch als Vorsitzender zweier Untersuchungsausschüsse zum Thema „Rechtsterrorismus/NSU“ haben Sie sich, lieber Herr Kollege Drexler, um den Parlamentarismus verdient gemacht und gezeigt, dass Sie mit dem schärfsten Schwert des Parla ments virtuos umzugehen verstehen – auch rhetorisch. Sie ha ben die Aufklärungsfähigkeit des Landtags unter Beweis ge stellt, indem Sie vier Jahre lang überparteilich, kompromiss los und teilweise auch unkonventionell im Dienste der Sache unterwegs waren.

Unvergessen ist Ihr größter Coup: Der Ausschussvorsitzende Drexler streift sich blaue Gummihandschuhe über und prä sentiert der Öffentlichkeit vor laufenden Kameras verkohlte Gegenstände aus dem ausgebrannten Fahrzeug eines mutmaß lichen NSU-Zeugen. Damit war klar: Der Ausschuss hatte Be weismittel gefunden, die die Kriminaltechniker bislang über sehen hatten. Die folgenden Ermittlungen haben viele offene Fragen beantwortet.

Sie, lieber Herr Drexler, werden später noch die Bilanz des Untersuchungsausschusses ziehen. Ich sage Ihnen aber schon jetzt herzlichen Dank für Ihre Beharrlichkeit, für Ihre beharr liche und unermüdliche Detektivarbeit als Ausschussvorsit zender.

Ganz persönlich möchte ich noch etwas anfügen. In meinem ersten Jahr als Abgeordnete habe ich von Ihnen einen sehr net ten, sehr persönlichen Geburtstagsbrief erhalten – handschrift lich, eng beschrieben. Das empfand ich als eine sehr schöne Geste. Ich erwähne dies, weil ich finde, auch das gehört zu Ih rem Engagement für das Parlament: der kollegiale, wertschät zende Umgang mit Kolleginnen und Kollegen über Parteigrenzen hinweg.

Lieber Kollege Drexler, der Landtag von Baden-Württemberg ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet.

(Präsidentin Muhterem Aras)

Persönlich und im Namen des Hohen Hauses wünsche ich Ih nen und Ihrer Frau alles Gute, Glück und Segen für Ihre au ßerparlamentarische Zukunft. Wie die irgendwann aussehen soll, steht auf der Homepage Ihrer Fraktion. Ich zitiere:

Im hohen Alter will Drexler putzmunter in der Esslinger Maille sitzen, mit einem guten Viertele und einer knusp rigen Brezel, die er noch beißen kann.

(Heiterkeit)

Dem schließen wir uns an.

(Präsidentin Muhterem Aras überreicht Abg. Wolf gang Drexler SPD zwei Brezeln sowie ein Weinprä sent. – Die Abgeordneten der Grünen, der CDU, der SPD, der FDP/DVP, die Regierungsvertreter sowie einige Abgeordnete der AfD erheben sich von ihren Plätzen und spenden stehend anhaltenden Beifall.)

Vielen Dank. – Frau Landtags präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir heu te natürlich schwer, nach 30 Jahren aus dem Landtag auszu scheiden. Ich bin vorhin gefragt worden, warum ich mein Mandat niederlege. Ich will dies ganz kurz erklären: Mir geht es gesundheitlich wieder sehr gut. Ich könnte noch drei Le gislaturperioden machen.

(Heiterkeit)

Aber ich habe eine ganze Menge Ehrenämter. Das ist ja auch bekannt. Ich bin u. a. Präsident des Schwäbischen Turner bunds. Mir ist im Laufe des Jahres klar geworden, dass man so viele Ehrenämter neben der Ausübung eines Landtagsman dats nicht ausüben kann. Ich habe auch überlegt, ob ich nicht meine Ehrenämter niederlegen kann. Ich muss sagen: Das ist bedeutend schwieriger, als einen Zweitkandidaten in den Landtag zu bringen.

(Heiterkeit)

Deswegen habe ich mich dann auch entschlossen, mein Man dat niederzulegen. Das hat sich nach der Beendigung der Ar beit des NSU-Untersuchungsausschusses auch sehr gut erge ben. Ich gehöre dem Landtag nun 30 Jahre an, und der NSUUntersuchungsausschuss beendet seine Arbeit.

Natürlich halte ich jetzt mein Versprechen nicht ein. Ich woll te eigentlich Winfried Kretschmann nicht allein im Landtag lassen,

(Heiterkeit)

der ja auch schon 30 Jahre hier ist und mit dem ich auch in der Föderalismuskommission einiges zustande gebracht ha be.

Ich will jetzt auch keine längere Rede halten. Ich weiß auf grund langjähriger Sitzungspraxis, dass man am letzten Tag im Jahr unter Stress steht. Man will auch nach Hause.

Ich habe zuerst gedacht, ich erzähle jetzt viele Geschichten, angefangen vom ersten Ministerpräsidenten. Ich habe ja fünf Ministerpräsidenten über- und erlebt –

(Vereinzelt Heiterkeit)

das ist auch eine schöne Sache –, und zwar ohne Schaden überlebt. Das muss man auch sagen.

(Heiterkeit – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Ja, genau. Es ging auch da noch. – Das mache ich nicht.

Aber ich wollte nur noch eines sagen, weil ich als Vizepräsi dent auch für die Ordnung in diesem Haus zuständig war: Es ist sicherlich ein einmaliger Vorgang, der in der letzten Wo che passiert ist. Ich kann eigentlich nur alle, die anderen Frak tionen, auffordern, darauf zu achten, dass solche Dinge nicht mehr vorkommen.

Ich hätte mir in meinen 30 Jahren auch nie vorstellen können, dass dies in Baden-Württemberg möglich ist: Beleidigungen, das Nichtakzeptieren von Ordnungsrufen der Präsidentin und dann auch noch rassistisches Angehen der Präsidentin, indem man ausschließlich die Frage des Geburtsorts zum Maßstab ihres Handelns nimmt. Das ist Rassismus, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Insofern einfach ein Rat: Die Fraktionen müssen sich Gedan ken darüber machen. Es ist ein Tabubruch, den ich eigentlich nur aus der Geschichte am Ende der Weimarer Zeit kenne, in der systematisch von Nationalsozialisten und der rechten Sei te versucht wurde, Repräsentanten des Parlaments und das Parlament selbst kaputt zu machen, zu verleumden, zu diskre ditieren, zu beleidigen. Genau das haben wir letzte Woche er lebt. Deswegen fordere ich Sie alle auf, sich Gedanken zu ma chen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU – Mehrere Abgeordnete der AfD verlassen den Plenarsaal.)

Mein zweiter Wunsch ist – das kommt aus der Föderalismus kommission –: Kämpfen Sie weiterhin für sehr starke födera le Länder. Versuchen Sie, endlich den Schritt zu machen, der uns nicht gelungen ist, sodass wir eine andere Finanzauftei lung bekommen, nämlich einen Prozentpunkt mehr bei der Mehrwertsteuer. Dann müsste der Bund nicht laufend irgend welche Hilfsmaßnahmen für die Länder ergreifen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP – Zuruf: Sehr gut!)

Das wäre das Beste, was Sie vereinbaren könnten. – Im Üb rigen steht es auch im Grundgesetz, dass man das machen soll.

Mein dritter Wunsch: Viele von Ihnen sind ja in den Landtag gekommen, als ich schon im Landtag war, und viele sind ge gangen, obwohl ich noch geblieben bin – auch das gab es. Ich habe es immer so erlebt und es als angenehm empfunden, in einem Landtag zu sein, in dem es auch möglich ist, Freund schaften über Fraktionsgrenzen hinweg zu pflegen. Das ist ein hohes Gut in diesem Landtag. Ich finde das gut. Das ist auch nicht zu diskreditieren, sondern es ist ein großer Vorteil, dass das möglich ist. Daran sollten Sie auch festhalten.

Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg – der linken Seite natürlich mehr als Ihnen.