Wir dürfen nicht alles harmonisieren, sondern brauchen Platz für Verschiedenheit, für ein Europa der Regionen, das den Menschen Heimat gibt. Denn Europa, das sind nicht nur Brüs sel, Straßburg und die nationalen Hauptstädte, es sind auch die vielen europäischen Regionen mit eigenen Traditionen, ei genem Dialekt und eigener Küche.
Die nächste Reform der EU sollte sich deshalb auch der Fra ge widmen: Wie verteilen wir in Zukunft die Kompetenzen zwischen der EU, den Mitgliedsstaaten, den Regionen und den Kommunen?
Wir wollen eine Kompetenzordnung, die die EU bei den gro ßen Fragen stärkt und den Regionen und Kommunen mehr Freiraum für die Dinge gibt, die besser vor Ort entschieden werden.
Wir wollen eine EU, die unsere natürlichen Lebensgrundla gen bewahrt, eine EU, die dem Klimawandel, dem Artenster ben und der Verschmutzung der Weltmeere entschlossen ent gegentritt.
Denn all diese ökologischen Krisen machen nicht an irgend einer Grenze halt. Hier muss Europa Führung übernehmen.
Deshalb machen wir im Leitbild deutlich: Die EU muss sich international für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens starkmachen, und wir müssen endlich den europäischen Emis sionshandel scharf stellen. Die Mitgliedsstaaten und die Re gionen müssen die EU-Umweltschutzstandards konsequent umsetzen. Baden-Württemberg wird hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Auch bei der klimafreundlichen Mobilität wollen wir in Ba den-Württemberg als führendem Automobilland die Führungs rolle mit übernehmen.
Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass der Artenschutz in der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union mehr Gewicht erhält. Das Land will auch hier unseren Beitrag leis ten: Wir streben bei uns einen Anteil von 30 % Ökolandbau an.
Meine Damen und Herren, wir erleben eine Zeit, in der die al te, analoge Wirtschaftsordnung von einer neuen, digitalisier ten herausgefordert wird. Wir sehen neue Technologien, neue Märkte, neue Wettbewerber. Die USA und China gehen ent schlossen voran bei der Digitalisierung, bei der künstlichen Intelligenz und bei der Elektromobilität. Wenn wir bei diesen Schlüsseltechnologien nicht richtig Gas geben, werden wir abgehängt.
Wir müssen deshalb noch enger zusammenarbeiten. Nur ge meinsam können wir die digitale Revolution prägen. Da geht es ans Eingemachte; denn Digitalisierung auf Chinesisch, das meint auch Weltmarktführerschaft bei den Kontrolltechniken, beim Versuch, alles menschliche Tun aufzuzeichnen und zu bewerten. Wir wollen aber keine digitale Welt als Mischung aus Orwell und Pawlow, aus Überwachung und Konditionie rung.
Wir wollen auch keine Digitalisierung auf Amerikanisch, wo wenige Internetriesen die Märkte dominieren und es zu einer ungeheuren gesellschaftlichen Polarisierung kommt. Beides ist der falsche Weg. Beides ist nicht der europäische Weg.
Für uns ist klar: Digitalisierung muss den Menschen und dem Gemeinwohl dienen. Das ist der europäische Weg.
Deshalb muss Europa endlich seine Kräfte bei den Innovati onen bündeln, und zwar bei allen Zukunftstechnologien.
Was da geht, das zeigen wir Europäer doch schon jetzt bei der Raumfahrt- und Satellitentechnik. Niemand in der EU kann den Weltraum allein erobern, aber zusammen sind wir stark. Das beweist das Satellitennavigationssystem Galileo. Wenn US-Präsident Trump darüber sinniert, dass die Europäer end lich einen fairen Preis für die Nutzung von GPS bezahlen müssten,
dann sollte jedem klar sein, um was es für Europa geht. Gali leo ist ein komplett vergemeinschaftetes Projekt der EU. Es funktioniert seit 2016, und es bringt bis 2020 30 Satelliten in den Weltraum. Das ist gemeinsame europäische Souveränität – ganz konkret und mit Nutzen für alle.
Wir wollen deshalb den europäischen Wissenschafts- und For schungsraum vollenden und die europäischen Forschungssys teme eng vernetzen.
Wir unterstützen die Verdopplung der Mittel für das ERAS MUS-Programm. Denn Europa entsteht in den Köpfen, dort,
Das Land Baden-Württemberg geht selbst voran. Am Ober rhein etablieren wir gemeinsam mit Frankreich und der Schweiz die erste „Europäische Universität“. Der Verbund der Univer sitäten Freiburg, Basel, Mulhouse, Straßburg und Karlsruhe hat über 100 000 Studierende und 15 000 Forschende. Wir wollen länderübergreifende Studiengänge, gemeinsame Be rufungen von Professoren, schnelle Verbindungen und ein grenzüberschreitendes Semesterticket – sodass man vormit tags in Basel ein Seminar besucht, nachmittags eine Vorlesung in Freiburg hört und abends eine Fete in Mulhouse feiert.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der AfD: Und alles mit dem Fahrrad! – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos])
Sie sehen also: Wir setzen voll auf Europa, um gemeinsam die technologischen Revolutionen zu meistern und beim interna tionalen Wettbewerb um Innovationen ganz vorn mitzuspie len.
Auch bei uns steht die deutsch-französische Freundschaft ganz vorn. Wir gehen mit unseren Nachbarn und Freunden im El sass immer mehr ganz konkrete grenzüberschreitende Projek te an, mit denen wir deutlich machen: Europa hat wirklich ei nen Mehrwert für alle, gerade in den Grenzregionen.
(Beifall bei den Grünen und der CDU, Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Gabriele Reich-Gutjahr FDP/ DVP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Baden-Württemberg liegt im Herzen des Kontinents. Wir haben eine besondere Verant wortung für Europa – für ein Europa, das eine tiefe Orientie rungskrise durchlebt. Mit unserem Europadialog und unserem Leitbildprozess stellen wir uns unserer Verantwortung. Wir haben ein neues Europaleitbild des Landes entwickelt und ge ben damit doppelt Orientierung: uns selbst, weil dieses Leit bild den Kompass für die künftige Europapolitik der Landes regierung darstellt, und anderen, weil wir uns mit dem Leit bild klar und sichtbar in die Debatte um die Zukunft Europas einbringen.
Dies wurde uns gestern wieder klar, als wir in Brüssel unser Leitbild beschlossen und vorgestellt haben. Kommissionsprä sident Juncker war sichtlich beeindruckt.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Rainer Podeswa AfD und Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)
Er hat uns gesagt, keine andere Region in Europa habe sich in vergleichbarer Weise in die Zukunftsdebatte der EU einge bracht. Er hat an diesem Dialogprozess auch selbst mitgewirkt – dafür noch einmal herzlichen Dank.
Doch diese Forderung ist paradox. Ja, in einer Welt im Um bruch kann ich die Sehnsucht nach Kontrolle, Halt und Si cherheit gut verstehen. Aber die Konsequenz: „Raus aus Eu ropa, zurück in die nationale Wagenburg“, das ist ein fataler Fehlschluss.
Der Nationalismus bringt eben keine neue Souveränität, nein, er ist eine Anleitung zum Kontrollverlust. Wenn wir alle so handeln, wenn wir alle „Wir zuerst!“ brüllen, dann lösen wir keines der großen Probleme unserer Zeit. Taking back control – das geht nur europäisch. Im 21. Jahrhundert können wir nur noch gemeinsam souverän sein und nicht mehr allein. Denn die Alternativen lauten heute: Entweder europäisch zusam menstehen und die neue Weltordnung
Der englische Humor hat dafür ein schönes Bild, wenn er ziemlich trocken feststellt: „Wenn du nicht am Tisch sitzt, stehst du auf der Speisekarte.“