Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Lassen Sie mich diese von der CDU beantragte Debatte zum Anlass für einen Blick in die Vergan genheit, einen Blick in die Gegenwart und einen Blick in die Zukunft nehmen.
(Abg. Thomas Blenke CDU: Das sind drei Mal drei Minuten! Bleibt noch eine Minute übrig! – Abg. Pe ter Hofelich SPD: Gestern, heute, morgen!)
Beim Blick in die Vergangenheit meine ich nicht zuletzt die Positionierungen der CDU in den letzten Jahren zu diesem Thema. Da könnte einem manches durch den Kopf gehen. Be kanntlich hatten wir 15 Jahre lang eine schwarz-gelbe Koali tion. Diese hat längst nicht so viel gestritten wie die jetzige Koalition,
Wir hatten damals Familien ausgewiesen in Fällen, bei denen jeder gesagt hat: „Seid ihr eigentlich noch normal?“ Die wa ren komplett integriert, die Kinder gingen in die Schule, aber wir mussten sie – auf Deutsch gesagt – „rausschmeißen“. Da mals haben wir gesagt: Wenn schon kein Zuwanderungsge setz – jetzt kommt es ja –, dann vielleicht wenigstens ein klei nes Ventil, damit wir diese ziemlich verrückten Fälle lösen können.
Aber der von mir hoch geschätzte Erwin Teufel war dagegen. Ich habe zu ihm gesagt: „Ich finde das eigentlich weder hu man noch sozial noch christlich“, zumal diese Familien oft noch im Kirchenasyl gelandet sind. Aber es war nichts zu ma chen. Das ging so weit, dass dann eine Härtefallkommission ins Bundesprogramm der CDU kam – Ihrer Partei. Da hatten wir gedacht: Jetzt haben wir es geschafft. Dann ist Erwin Teu fel zum Parteitag gereist – ich glaube, es war in Mannheim –, um eine Rede zu halten mit dem einzigen Ziel, dass diese Här tefallkommission wieder rausfliegt – und sie wurde herausge nommen. Dann waren wir genauso weit wie vorher. Später ist sie ja eingeführt worden. Als er aus dem Amt schied, hat er zu uns gesagt, jetzt könnten wir es machen.
Warum erzähle ich das? Weil es eigentlich schon ein bisschen verrückt ist, was hinterher kam. Für mich war das im Grunde genommen ein Paradigmenwechsel in Ihrer Partei von einem Pol der Unvernunft zum anderen Pol der Unvernunft. Da sind
alle hinmarschiert, getreu dem Motto: „Ist der Weg auch falsch und steinig, Hauptsache, wir sind uns einig“ –
manche widerwillig, manche geradezu eifrig, so, wie der jet zige Innenminister diesem Kurs gefolgt ist.
Ich will nur noch einmal brennglasartig einfangen, wie sich das innerhalb weniger Jahre geändert hat. Es gab z. B. den Fall, dass eine baden-württembergische Schule einen argen tinischen Lehrer wollte. Sie hat ihn nicht bekommen. Es war am Schluss nicht möglich, den Nachweis zu finden, dass man nicht doch vielleicht einen deutschen Lehrer findet, der das so ähnlich hinbekommt. – So war das, gell?
Wenige Jahre darauf war es beispielsweise dann so, dass ein Bus mit 50 Jugendlichen nach Ellwangen gebracht wurde – vielleicht ganz im Sinne des Ministerpräsidenten – und am nächsten Tag, als die Betreuer nach den Jugendlichen schau en wollten, niemand mehr von ihnen da war. Die 50 Jugend lichen waren weg, man wusste nicht, wo sie waren, man wuss te nicht, wer sie waren. Denn wir haben über einen beträcht lichen Zeitraum jeden reingelassen, ohne auch nur zu wissen, wer es ist. Das hat natürlich mit Vernunft wenig zu tun, und jetzt können wir die Folgen verdauen.
Jetzt stehen wir vor erheblichen Herausforderungen. Nach meiner Meinung sind diese Herausforderungen lösbar. Das bekommen wir hin. Aber man muss auch nüchtern sagen: Manche Euphorie ist vielleicht nicht gerade verflogen, aber schon ein bisschen gedämpft worden. Nehmen wir das Stich wort Arbeitsmarkt. Ich erinnere mich noch an die Äußerun gen eines Daimler-Vorstands, der gesagt hat: „Das ist ja ganz toll; da kommen die jungen Leute, die sind technikaffin; das sind die Fachkräfte, die wir brauchen.“ Mittlerweile wissen wir, dass es fünf bis sechs Jahre dauert, um zumindest einen Teil der jungen Flüchtlinge tatsächlich in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das ist ja doch deutlich schwieriger. Es ist machbar, aber es wird uns Jahre beschäftigen.
Oder nehmen wir den anderen Umstand: Wir haben – womit wir nicht gerechnet haben – wieder hohe Belegungsstände in den Justizvollzugsanstalten des Landes. Ich brauche nicht lan ge nach dem Grund zu fragen. Da geht es auch nicht nur um kleinere Delikte und um Handel mit Marihuana, sondern da geht es um spektakuläre Fälle, begangen von jungen Migran ten. Das ist nicht nur für die Opfer furchtbar, sondern bringt uns natürlich auch in eine ganz schwierige Diskussion in der Bevölkerung zu dem Thema Flüchtlinge insgesamt und stärkt natürlich leider auch die Positionen der AfD.
Jetzt müssen wir schauen, wie wir aus dieser Situation her auskommen. Wir könnten diese Herausforderungen natürlich mildern. Wir könnten die Herausforderungen mildern, indem wir z. B. ein Konzept der sicheren Herkunftsländer konse quent umsetzen, aber da kommt ein unverständliches Nein der Grünen, was ich eigentlich für verantwortungslos und für nicht nachvollziehbar halte.
Und dann das Abschiebungsgeschehen selbst – das haben wir ja auch mit einem Antrag in den Blick genommen –: Es kann, Herr Innenminister, nicht befriedigend sein, wenn von den möglichen Abschiebungen zwei Drittel scheitern. Zwei Drit tel finden am Ende nicht statt. Das ist natürlich keine überzeu gende Vorstellung des Rechtsstaats insgesamt.
Da betone ich: Wir kritisieren nicht nur, wir schauen nicht nur in die Vergangenheit, sondern – da bin ich, wenn man so will, bei meinem dritten Teil, beim Blick in die Zukunft –: Wir, die FDP/DVP-Fraktion, haben nachweislich seit Jahren ein Kon zept, bei dem ich bis heute nicht weiß, wo es wirkliche Ein wände geben soll. Leider haben wir die notwendigen Mehr heiten dafür nicht gefunden – bei den einen vielleicht deswe gen nicht, weil sie nichts von der FDP wollen; bei den ande ren möglicherweise aus grundsätzlichen Erwägungen. Aber seit Jahren predigen wir: Teilt das Ganze in drei Bereiche – wenn man so will, in drei bis vier. Das Erste ist das Grundge setz. Das ist sakrosankt; da wird kein Haar gekrümmt. Diesen Bereich lassen wir so, wie er ist. Dann haben wir einen Be reich Flüchtlinge. In dem Bereich Flüchtlinge verfolgen wir den konsequenten Ansatz, dass es immer nur um einen tem porären, um einen befristeten Aufenthalt gehen kann.
Das muss von vornherein klar sein. Hier reden wir nur über befristeten Aufenthalt, solange die Fluchtgründe bestehen. Da geht es streng genommen auch nicht um Integration,
sondern allenfalls darum, dass wir den Menschen hier Kennt nisse und Fertigkeiten vermitteln, die es ihnen leichter ma chen, nach der Rückkehr Fuß zu fassen. Das ist in diesem Be reich ein sinnvolles Konzept.
Dann haben wir den dritten Teil. Das betrifft ein Zuwande rungsgesetz nach australischem oder kanadischem Muster, das wir schon lange fordern. Jetzt kommt eines. Es kommt nicht genau das, was wir gern hätten – man bekommt selten im Le ben genau das, was man gern hätte –, aber es kommt jeden falls etwas.
Aber diese drei Teile im Zusammenspiel, natürlich mit der Möglichkeit, dass man unter Umständen aus dem Bereich Flüchtlinge noch wechseln kann in den Einwanderungsbereich – der berühmte Spurwechsel –, dieses Instrumentarium liegt eigentlich auf dem Tisch und wird nach unserer Meinung nicht überzeugend und geschlossen angewendet.
Natürlich kommt dann die berühmte vierte Abteilung, könn te man sagen. Diese vierte Abteilung bedeutet Rückreise, be deutet Ausweisung. Es geht nicht anders.
Es stimmt ja hoffnungsfroh, dass die CDU, wie Sie vorhin ge sagt haben, lieber Kollege Blenke, gesehen hat, dass wir da dringend etwas machen müssen. Ob aber das bayerische Sä belrasseln uns an dieser Stelle wirklich hilft, erscheint frag lich. Da gibt es natürlich Hindernisse, wobei ich mir eine An
merkung in Richtung des Kollegen Binder zum Schluss noch erlaube. Ich war vorhin ein bisschen überrascht. Denn ich ha be in meinem Gedächtnis gekramt, und ich meine mich zu er innern, dass es ein Minister Ihrer Partei war, der das Thema Abschiebehaft in eine völlig ungeeignete, zu kleine Pforzhei mer Anstalt gezwängt hat.
Wer eigentlich den Beginn dieser Probleme selbst gesetzt hat, der muss da ein bisschen vorsichtig sein mit der Kritik.
Wir raten dringend, dieses Geschehen noch besser in den Blick zu nehmen, Herr Innenminister. Wenn man sich die Gründe anschaut, weshalb Abschiebungen scheitern, ist das doch ein bisschen arg einfach. Da kann man vielleicht doch noch ein bisschen mehr erreichen. Denn das macht es natür lich leichter, den Herausforderungen zu begegnen, die wir in der Flüchtlingspolitik haben, die – ich sage es nochmals – lös bar sind, aber die man auch nicht auf die leichte Schulter neh men darf.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kol legen! Die Anmeldung des Tagesordnungspunkts durch die Fraktion der CDU steht unter der Überschrift „Ausreisepflicht durchsetzen – für Humanität und Ordnung in der Migrations politik“. Ich finde, der Titel dieser Debatte ist mit Bedacht ge wählt. Humanität auf der einen Seite und Durchsetzung der Ausreisepflicht auf der anderen Seite gehören zusammen.
Herz und Härte und Handeln, das ist die Leitlinie dieser Ko alition und dieser Landesregierung in Sachen Migration, in Sachen Integration, in Sachen Sicherheit. Alles gehört zusam men: Herz und Härte und konsequentes Handeln. Ich bin der Koalition dankbar, dass sie das so mitträgt.
Abschiebungen stehen dabei nicht im Widerspruch zum Rechts staat. Vielmehr ist es Aufgabe der Behörden, das Recht durch zusetzen, zumal dann, wenn die vollziehbare Ausreisepflicht in einem gründlichen Verfahren durch mehrere Behörden und Gerichte rechtskräftig festgestellt wurde. Abschiebungen sind Ausdruck eines funktionierenden Rechtsstaats. Nicht diejeni gen müssen sich entschuldigen, die das geltende Recht kon sequent umsetzen, sondern diejenigen, die das nicht tun und das Recht missachten.
Nein. – Dabei stelle ich nicht infrage, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass für die betroffenen Menschen eine Abschiebung ein einschneidendes Ereignis ist. Daher ist es auch unser Anliegen, die Personen, die unser Land verlas sen müssen, zu einer freiwilligen Ausreise zu bewegen.
Das hat Priorität. Leider gelingt dies nicht immer. Die Zahlen der freiwilligen Ausreise sind insgesamt sogar rückläufig. Ge lingt es nicht, die Ausreisepflichtigen zur freiwilligen Ausrei se zu bewegen, dann bleibt uns nur, die Ausreisepflicht auf der Grundlage des rechtlichen Rahmens zwangsweise zu voll strecken.
Mir ist aber auch der andere Teil der Überschrift, den die CDU-Fraktion für diese Debatte gewählt hat, wichtig. Es geht nicht nur um Abschiebung, sondern es geht insgesamt um ei ne neue Ordnung der Migrationspolitik in Deutschland. Dies schließt auch die Bestimmungen zur Zuwanderung mit ein. Zuwanderung und Rückführung, das sind zwei Seiten einer Medaille, Herz und Härte, Vernunft und kluges Handeln.