(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Dr. Timm Kern FDP/ DVP: Freud lässt grüßen! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die CDU würde sich freuen, eine so kom petente Kollegin zu haben!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über die rund 700 öffentlichen Haupt- und Werkrealschulen im Land sprechen, dann sprechen wir über fast 80 000 junge Menschen – junge Menschen, die schon deutlich früher als Gleichaltrige mit der Frage konfrontiert sind, wie es für sie nach der Schule weiter geht. Um diese jungen Menschen muss es uns an allererster Stelle gehen.
Um was geht es aber Ihnen, sehr geehrte Kollegin und Kolle gen von der FDP/DVP? Es geht Ihnen um den Erhalt einer Schulart. So steht es in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs. Wenigstens äußern Sie sich damit gleich ehrlich.
Wer dann aber im Gesetzentwurf auf innovative Ideen ge spannt ist, der wird enttäuscht. Sie schlagen eine Umbenen nung vor – berufliche Realschule – und eine Verlagerung ei nes Teils des Unterrichts in die beruflichen Schulen. Hoffen Sie, so wirklich die Akzeptanz dieser Schulart bei Schülerin nen und Schülern und bei Eltern zu verbessern?
Na ja, das halte ich echt für zweifelhaft. In einem der Anhö rungsergebnisse heißt es auch treffend, das wäre einfach ein neuer „Bäbber“ auf eine alte Schulart, mehr nicht, vor allem wenn man sich auch anschaut, wie Sie sich die Steigerung der Attraktivität dieser Schulart vorstellen. Die Schülerinnen und Schüler werden letzten Endes gleich mit etikettiert. Diese sind nämlich praktisch begabt, und darum sollen sie nach Meinung der FDP/DVP ab Klasse 7 an einem Tag und später dann an zwei Tagen nicht mehr die allgemeinbildende Schule, sondern die berufliche Schule besuchen.
Um gleich einmal jede böswillige Unterstellung vorwegzu nehmen: Ich bin selbst Diplom-Handelslehrerin, das heißt, ich bin wirklich ein Fan der beruflichen Schulen. An diesen Schu len wird eine tolle Arbeit geleistet,
von der Vorqualifizierung bis hin zu den beruflichen Gymna sien. Und genau an diesen Schulen sollen zukünftig dann eben auch Teile der Schülerinnen und Schüler der Haupt- und Werk realschulen unterrichtet werden. Einmal ganz abgesehen von der Frage, wie diese Schülerinnen und Schüler vor allem im ländlichen Raum überhaupt an diese Schulen kommen sollen, stellt sich für mich, liebe Kollegin und Kollegen der FDP/ DVP, die Frage: Wie stellen Sie sich das praktisch vor? Das ist ein ganz schön wackliges Haus, das Sie da errichten wol len.
Ich frage mich tatsächlich: Für wen wollen Sie dieses wack lige Haus errichten? Eigentlich für den Teil der Schülerschaft, der ohnehin schon viel mehr zu kämpfen hat als viele andere. 45 % der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrations hintergrund. Der aktuelle Bildungsbericht sagt uns, dass der Anteil derer, die am Ende das Klassenziel nicht erreichen, an den Haupt- und Werkrealschulen in Klasse 10 bei 7 % liegt. Dieser Anteil ist mehr als doppelt so hoch wie an den Gym nasien. Das sind vor allem auch Kinder, die oft in Klasse 4, wenn es um den Übergang auf die weiterführende Schule geht, schon von sich sagen: Ich habe es nicht geschafft.
Aber genau diese Kinder brauchen doch mehr als nur Berufs orientierung. Diese Kinder brauchen definitiv mehr Unterstüt zung und mehr individuelle Förderung. Diese müssen nicht einfach in Klasse 7 den Füller gegen den Zollstock einge tauscht bekommen.
Dann schlagen Sie auch noch vor, die zusätzlich benötigten 500 Deputate über die Erhöhung des Klassenteilers an den Gemeinschaftsschulen gegenzufinanzieren. Das ist nun wirk lich mehr als durchschaubar, und dafür haben Sie sich in der Anhörung auch von fast allen Beteiligten Körbe eingefangen. Das geht gar nicht. Mehr sage ich nicht dazu.
Sie schlagen also eine Stärkung des beruflich-praktischen Pro fils an den Haupt- und Werkrealschulen vor. Zur Erinnerung: Bereits jetzt wird an den Haupt- und Werkrealschulen ab Klas se 7 das Fach „Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung“ unterrichtet, und es gibt eine intensive berufliche Orientierung
an dieser Schulart – von der Kompetenzanalyse über verschie dene Praktika bis hin zu ganz vielfältigen Bildungspartner schaften zwischen Schulen und Betrieben. Wer sich vor Ort Haupt- und Werkrealschulen anschaut, ist oftmals bass er staunt ob der Vielfalt, in der im beruflichen Bereich und im Berufsvorbereitungsbereich dort gearbeitet wird.
Was uns allen leider klar ist: Trotz all dieser Bemühungen sind nicht alle jungen Menschen am Ende der Klasse 10 ausbil dungsreif. Aber ich bin mir sicher: Die Ausbildungsreife er reichen wir nicht dadurch, dass wir diese Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7 an die beruflichen Schulen karren und sie dann dort unterrichten lassen.
Ich halte fest: Wir haben schon heute die beruflich-praktische Orientierung an den Haupt- und Werkrealschulen. Das wissen auch die Eltern. Der Zulauf zu den Haupt- und Werkrealschu len schwindet. Dafür besteht aber ein Interesse am längeren gemeinschaftlichen Lernen plus berufliche Orientierung, wie der Trend bei den Gemeinschaftsschulen zeigt.
Ich bin gleich fertig. – Es muss das Ziel all unserer Bestrebungen im Bildungsbereich sein, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg hin zu einem eigen verantwortlichen und zu einem selbstbestimmten Leben zu begleiten. Der Gesetzentwurf der FDP/DVP wird diesem An spruch nicht gerecht, und daher lehnen wir ihn ab.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Rülke, der CDU muss man nicht den Wert der Haupt- und Werkrealschulen er läutern.
Wir sind diejenigen, die immer zu dieser Schulart gestanden haben. Wir sind verantwortlich dafür, dass die Haupt- und Werkrealschulen im Koalitionsvertrag einen eigenen Titel be kommen haben, dass es heute wieder ein Haupt- und Werkre alschulreferat gibt. Wir sind verantwortlich dafür, dass die von Ihnen angesprochene Stellenhebung tatsächlich kommt, weil wir ebenfalls der Meinung sind, dass gerade die Lehrerinnen und Lehrer, die an Haupt- und Werkrealschulen unterrichten, ihren Kolleginnen und Kollegen an der Gemeinschaftsschule in nichts nachstehen sollten. Deswegen brauchen wir, wie ge sagt, keine Nachhilfe in Sachen Haupt- und Werkrealschule.
Beim Lesen des Gesetzentwurfs ist mir ein altes Lied aus dem Jahr 1956 von Freddy Quinn eingefallen:
„So schön, schön war die Zeit...“ Ja, schön war die Zeit, als wir einmal ein Werkrealschulkonzept – –
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie sind an scheinend älter, als Sie aussehen! – Vereinzelt Hei terkeit)
Nein, meine Eltern sind älter, als man denkt. Es kommt ja bald wieder der Sommerurlaub; vielleicht erinnert sich der ei ne oder andere noch daran.
Das Werkrealschulkonzept war gut, so wie wir es verabschie det hatten. Es hätte im Schuljahr 2012/2013 zu ebendieser Ko operation mit den beruflichen Schulen geführt. Diese ist auf grund einer anderen Bildungspolitik ab 2011 nicht gekom men. Deswegen sind wir im Grundsatz einig, dass die Verbin dung dieser beiden Schularten grundsätzlich positiv ist.
Vorsicht, Vorsicht! – Schön war auch die Zeit, als die FDP zu Beginn dieser Legislaturperiode den großen Schulfrieden verlangt und ausgerufen hat,
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das war noch in der letzten! Da waren Sie noch in der Oppo sition!)
den sie jetzt mit ihrem Vorschlag gefährdet. Das sage nicht ich, sondern das sagt ausgerechnet die IHK. Ich zitiere:
Zudem befürchten wir durch die Einführung einer neuen Schulart und der fortgeführten Schulstrukturdebatte eine weitere Verunsicherung im Schulsystem.
Es stimmt, dass sich nur noch 6 % der Schülerinnen und Schü ler nach der vierten Klasse dazu entscheiden, auf eine Haupt- und Werkrealschule zu gehen. Das ist zu wenig. Und es stimmt, nur 17,1 % der Schülerinnen und Schüler beginnen nach dem Abschluss eine Lehre. Auch das ist zu wenig. Und ja, es stimmt, eine Verzahnung mit der Berufsschule ist durchaus wünschenswert.
Aber die Haupt- und Werkrealschulen, die den Kahlschlag 2011 bis 2016 überlebt haben, sind wertvolle Bausteine in der Bildungslandschaft vor Ort.
Frau Zimmer hat bereits erläutert, warum das so ist. Natürlich ist das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer und der Rek toren, auch mit dem Umfeld zusammenzuarbeiten, sehr hoch. Es gibt sehr viele Kooperationen zwischen den Haupt- und Werkrealschulen mit den Betrieben vor Ort und mit den Kom
Zweitens: Dort, wo die Haupt- und Werkrealschulen funktio nieren, leisten sie auch einen wertvollen Beitrag für diejeni gen Eltern, die genau wissen, dass sie jemanden zu Hause ha ben, den man vielleicht das eine oder andere Mal auch schu cken muss, wie man auf gut Schwäbisch sagt, und dem man eben mit einer Schule ohne Noten nicht wirklich weiterhilft. Das sind die Eltern, die sich ganz bewusst für diese Schule entscheiden. Deswegen sollten wir auch diesen Eltern weiter hin eine Möglichkeit geben.