Protokoll der Sitzung vom 18.07.2019

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD)

Ich fände es wichtig, dass wir diese Debatte und diese Studie nicht missbrauchen, um eigene Positionen einseitig

(Zuruf: Sehr gut!)

zu bestätigen. Ich fände es wichtig, dass wir diese Studie zum Anlass nehmen, jeglichen Formen von Paralleljustiz, die es zwar nicht in dramatischer Ausprägung, aber eben auch in Ba den-Württemberg gibt, konsequent entgegenzutreten. Solche Themen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren ist der fal sche Weg, und hier ist dafür der falsche Platz, liebe Kollegin nen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Die heutige Debatte sendet für mich positive Botschaften aus. Erstens zeigt sie, dass der Landtag von Baden-Württemberg die Frage nach Paralleljustizstrukturen ernst nimmt. Wir las sen es nicht zu, dass einzelne Milieus sich vom Rechtsstaat abwenden und ihre eigenen Regeln schaffen.

Zweitens hat sich gezeigt, dass die Lage in Baden-Württem berg deutlich weniger dramatisch ist als in anderen Bundes ländern. Wir wollen weder dramatisieren noch verharmlosen, sondern uns dieser Entwicklung rechtzeitig stellen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU – Zuruf: Rich tig!)

Aber diese Debatte zeigt auch: Ein starker Rechtsstaat zahlt sich aus. Unsere Investitionen in Polizei und Justiz zeigen Wirkung. Auch wenn es im Rechtsstaat häufig schwer ist, die wirklichen, sich auch in finanzieller Hinsicht ergebenden Er folge von Investitionen darzustellen, so ist diese Studie doch ein Beweis, dass die Investitionen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte bei allem, was da vielleicht auf der Strecke auch einmal falsch gelaufen ist, gute Investitionen in den Rechts staat waren und dass wir auch deshalb heute besser dastehen als manche anderen Länder –

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

ein Verdienst vieler, die in diesem Land in den letzten Jahren Verantwortung getragen haben.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Diese Botschaften zusammen stärken das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Das allein ist schon ein Verdienst dieser Aktuellen Debatte und der Studie, um die es heute geht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Montag habe ich zusam men mit Herrn Professor Rohe von der Universität ErlangenNürnberg die heute schon mehrfach zitierte Studie zur Paral leljustiz im Land Baden-Württemberg vorgestellt. Die Initia tive zu dieser Studie kam in ganz starkem Maß auch aus dem Parlament heraus, und es ist mir ein Anliegen, an dieser Stel le den verstorbenen Kollegen Bernhard Lasotta zu erwähnen, der sich dieser Thematik in ganz besonderer Weise gestellt und gewidmet hat und auch leidenschaftlich für eine Unter suchung dieser Frage gekämpft hat.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD)

Ich erinnere mich zudem noch gut an die Aktuelle Debatte En de 2017, in der die Redner aller Fraktionen die Idee einer wis senschaftlichen Untersuchung möglicher Paralleljustizstruk turen grundsätzlich unterstützt haben. Ich finde – da schaue ich alle an –, das war ein guter Ausgangspunkt dieser Entwick lung. Ich hatte damals gesagt, dass es in Sachen Paralleljus tiz um eine Grundfrage unseres Rechtsstaats geht, darum, ob der Rechtsstaat für alle da ist oder ob er inzwischen aus man chen Teilen der Gesellschaft verdrängt wurde, ob es Struktu ren gibt, in denen kulturelle Bräuche oder selbst gegebene Re geln wichtiger sind als unsere Gesetze. Das sind keine Neben sächlichkeiten; es geht um eine Grundfrage unseres Rechts staats. Deswegen war es richtig und notwendig, diese Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Denn Entwarnung kann nur geben, wer vorher genau hingeschaut hat.

Genau das hat Professor Rohe, der übrigens aus Stuttgart stammt und in Tübingen studiert hat, in seiner Studie getan. Basierend auf früheren Untersuchungen, die er als Rechts- und zugleich Islamwissenschaftler beispielsweise für das Land Berlin oder den Freistaat Bayern betreut hat, konnte er seine Ergebnisse dabei auch in einen bundesweiten Kontext einbet ten.

Die Studie zeigt: Baden-Württemberg ist nicht Berlin, und auch von den Zuständen in Nordrhein-Westfalen oder Bremen sind wir weit entfernt. Die Studie zeigt aber auch, dass Fälle von Paralleljustiz bei uns im Südwesten vorkommen. Es gibt Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen Parallel justizstrukturen anschließen, sie akzeptieren. Dies geschieht erstens aus schlichter Unkenntnis über unser Rechtssystem und die aus ihm erwachsenden Rechte, zweitens aus mangeln dem Vertrauen in Institutionen – diesem Vertrauensverlust, der da und dort schleichend zu verzeichnen ist, müssen wir entgegenwirken – und drittens teilweise auch aus einer tief sitzenden Verachtung und Ignoranz gegenüber unserer Rechts ordnung.

Jeder Punkt für sich ist Anlass zur Sorge, und jeder Punkt er fordert eigene Antworten.

Oft genug muss sich die Politik vorhalten lassen, zu lange un tätig zugeschaut zu haben. Hier haben wir rechtzeitig gehan delt. Wir haben nicht weggeschaut, sondern genau geprüft, um festzustellen, ob es in Sachen Paralleljustiz auch in Ba den-Württemberg Probleme geben könnte. Man muss doch den Mut haben, Probleme rechtzeitig zu benennen, wenn sie nicht größer werden sollen. Ich habe deshalb diejenigen Stim men nicht verstanden, die lieber wegschauen oder gar nicht feststellen wollten, ob es in Sachen Paralleljustiz in BadenWürttemberg ein Problem geben könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU, der AfD und der FDP/DVP)

Diese Schwierigkeiten gibt es: Straftaten zur Durchsetzung anderer Rechtsvorstellungen, also Taten, die zeigen, dass nach völlig anderen Spielregeln agiert und unsere Rechtsordnung ignoriert wird, Straftaten zur Verhinderung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, also Taten, in denen Polizei und Justiz absichtlich außen vor gehalten werden, und schließ lich Straftaten zur Beherrschung des öffentlichen Raums, al so Taten, bei denen eine Gruppe unsere Straßen und Plätze ih ren eigenen Regeln unterwerfen will.

Lieber Kollege Weinmann, Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen, der auch mich sehr und nachhaltig beschäftigt, nämlich diesen Verlust an Respekt vor dem Staat

(Abg. Andreas Deuschle CDU: Ja, genau!)

und den diesen Staat verkörpernden Institutionen und Perso nen. Wir erleben immer häufiger, dass Menschen, die für die sen Rechtsstaat stehen, die für die Ordnung in diesem Rechts staat stehen, erheblichen Anfeindungen ausgesetzt sind. Las sen Sie mich deshalb heute dem Oberbürgermeister von Ho ckenheim stellvertretend für all jene, die schon angegriffen worden sind, unsere besten Genesungswünsche ausrichten. Lieber Herr Gummer, an dieser Stelle und von hier alles Gu te und baldige Genesung!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Aber der Verlust an Respekt betrifft – das zeigt die Studie – die linksautonome Szene ebenso wie Rechtsradikale. Auch das ist eine wesentliche Erkenntnis. Das betrifft ausländische Gruppen, die die Konflikte in ihren Herkunftsstaaten auf un seren Straßen austragen, ebenso wie wohl überwiegend türki sche oder arabische Hochzeitsgesellschaften, die neuerdings voller Aggressivität Kreuzungen und Autobahnen blockieren.

Die Vielfalt der Fälle zeigt, wie vielschichtig die Herausfor derungen sind. Die Studie hat sich deswegen nicht auf be stimmte soziale Gruppen beschränkt, sondern alle Bereiche in den Blick genommen, in denen Erscheinungsformen von Paralleljustiz in Betracht kommen. Einbezogen wurden die Rockerkriminalität, Subkulturen in Gefängnissen, ethnische Milieus oder auch der islamistische Bereich. Denn der Rechts staat darf auf keinem Auge blind sein. Wir müssen die Bedro hungen aus allen Milieus im Blick behalten. Hier müssen und werden wir weiterhin konsequent reagieren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Es ist deswegen das Verdienst der Studie, dass wir heute und in Zukunft auf einer soliden Basis über die Reaktion von Staat

und Gesellschaft auf Fälle von Paralleljustiz sprechen kön nen. Diese Studie darf nicht der Endpunkt sein, sondern muss vielmehr der Beginn dieser Debatte zu einem frühen Zeitpunkt sein. Sie ist nicht bei der Analyse stehen geblieben, sondern macht uns konkrete Vorschläge, um den festgestellten Ent wicklungen entgegenzutreten.

Ich rede bewusst nicht von einem Masterplan, den es jetzt auf zustellen gilt, sondern von einem Mosaik von Maßnahmen, die zusammengenommen wirken und den Rechtsstaat stärken. Lassen Sie mich einige konkrete Beispiele nennen. Sie sind auch in Ihren Beiträgen bereits angeklungen.

Konsequent gegen Paralleljustiz vorzugehen heißt, Verfahren zu beschleunigen. Es ist völlig zu Recht angesprochen wor den, dass von diesem Instrument in Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Ländern relativ wenig Gebrauch ge macht wird. Das müssen wir verändern.

Ich will allerdings an dieser Stelle auch sagen: Vieles von dem, was wir jetzt diskutieren, ist auch eine Ressourcenfra ge. Wenn wir im Zuge von Haushaltsdebatten immer wieder auch überlegen, wie wir den Rechtsstaat stärken können, dann dürfen wir diese Notwendigkeiten nicht aus dem Blick verlie ren. Wenn wir von den Menschen, die für unseren Rechtsstaat stehen, erwarten, dass sie ihn wirkungsvoll schützen, dann müssen wir ihnen auch die notwendige personelle und säch liche Ausstattung geben. Das ist unsere Verantwortung.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Wir wollen bei Delikten wie Beleidigung und Körperverlet zung die Verweisung auf den Privatklageweg reduzieren und damit die staatliche Strafverfolgung stärken. Übrigens geht es schon auch um die auch hier immer wieder kontrovers disku tierte Forderung: „Liebe Justiz, kümmert euch mehr um die großen Verbrechen und nicht so sehr um die Bagatellverbre chen und die Kleinkriminalität.“ Der Gutachter sagt genau das Gegenteil: Nicht Kriminalität gegeneinander ausspielen, Klein gegen Groß, Groß gegen Klein. Jede Form von Kriminalität, von rechtswidrigem Verhalten muss geahndet werden. Auch da gilt das Prinzip „Wehret den Anfängen!“, liebe Kollegin nen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Wir sind schon jetzt dabei, die Gewinne aus Straftaten besser abzuschöpfen. Diesen Monat haben wir hierfür die neue Zen tralstelle für Vermögensabschöpfung bei der Generalstaatsan waltschaft in Karlsruhe ins Leben gerufen, eine neue Einrich tung, die auch aufgrund einer gesetzlichen Änderung im Jahr 2017 weitere Möglichkeiten eröffnet.

Es kann doch nicht sein, dass wir Straftätern auch noch den finanziellen Vermögensvorteil ihres strafbaren Handelns be lassen. Es ist einerseits wichtig, dagegen vorzugehen, genau so, wie es andererseits gilt, den Opfern von Straftaten einen besseren Schutz zu gewähren, sie zu unterstützen, wenn es um den Ausgleich ihres Vermögensnachteils geht.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der AfD und der SPD – Zuruf von der AfD: Ja wohl!)

Die Studie benennt die Notwendigkeit eines starken Staates, der klare Spielregeln formuliert und deren Einhaltung kon trolliert. Sie fordert Wertevermittlung und Prävention – zu der wir vonseiten der Justiz mit dem Rechtsstaatunterricht übri gens einen eigenen Beitrag leisten –, und sie fordert eine ge sellschaftliche Anstrengung, damit sich die Schwachen auf den Schutz des Rechtsstaats verlassen können. Auch das ist angeklungen. Vor allem die Schwachen brauchen unseren Schutz und haben ihn in besonderer Weise verdient.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Vereinzelt Beifall bei der FDP/DVP)

Dazu gehört die Präsenz der Polizei ebenso wie ausreichend Hilfsangebote für Opfer. Deswegen gibt mir die Studie „Par alleljustiz“ auch Anlass, einen interministeriellen Austausch zwischen Justizministerium, Innenministerium, Sozialminis terium auf den Weg zu bringen, um gemeinsam Lösungen und Perspektiven zu entwickeln, um diesen Strukturen entgegen zuwirken. Das ist eine gemeinsame Kraftanstrengung, der wir uns innerhalb der Regierung stellen wollen, aber eine gemein same Kraftanstrengung, die durch Ihre Zustimmung, Ihre Be gleitung auch in die Gesellschaft hinaus wirkt.

Lassen Sie uns gemeinsam das klare Signal aussenden: Wir stellen uns jeder Form von Paralleljustiz in diesem Land kon sequent entgegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

In der zweiten Runde erteile ich das Wort für die CDU-Fraktion Herrn Abg. von Eyb.

Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Minister Wolf hat es deutlich gemacht: Das wird Ressourcen kosten. Helfen Sie mit, dass diese Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Herr Kollege Klos, zu Ihnen möchte ich doch noch eine Be merkung zum Thema Parallelgesellschaft machen. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie würden in einer solchen leben.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Absolut! – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Sehr gut!)

Nun erteile ich das Wort für die AfD-Fraktion Herrn Abg. Klos.