Protokoll der Sitzung vom 18.07.2019

(Beifall bei der SPD)

Mit dem „Forum Recht“ entsteht in Karlsruhe ein Ort, der un seren Rechtsstaat anschaulich macht und Verständnis für Rechtsprechung entwickeln kann. Prävention ist eine wichti ge Säule in der Stärkung des Rechtsstaats. Es ist gut, dass wir zukünftig in der Stadt des Rechts in Baden-Württemberg ei nen solchen Leuchtturm haben.

Ich möchte auf einige Handlungsempfehlungen eingehen. Ein Punkt liegt mir besonders am Herzen: der Schutz der Opfer. Ihre Sicherheit sollte und muss an erster Stelle stehen. Die Studie offenbart Lücken im Zeugenschutzprogramm und bei der Möglichkeit zur Unterbringung in Frauenhäusern sowie zur Unterbringung männlicher Opfer. Sie, Herr von Eyb und Herr Filius, haben das angesprochen. Genau das ist der drin gende Handlungsbedarf, den wir gemeinsam angehen müs sen. Wir müssen für ausreichende Unterbringungsplätze sor gen. Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung hier zügig mit den Beteiligten an einer Lösung arbeiten wird.

Vor dem Hintergrund von massiven Beeinflussungen von Zeu gen im Vorfeld eines Verfahrens hat mich eine Zahl negativ überrascht: Lediglich 52 beschleunigte Verfahren hat es in Ba den-Württemberg im Jahr 2017 gegeben. In Bayern waren es im gleichen Zeitraum 3 206. Herr Minister Wolf, mein drin gender Appell: Sorgen Sie dafür, dass die Staatsanwaltschaf ten hier entsprechend sensibilisiert werden und wir dieses In strument sinnvoll einsetzen können.

Der größte Teil der berichteten Fälle betrifft das Rockermili eu. Ganz offensichtlich wird die Gegnerschaft bei sogenann ten Reichsbürgern. Auch unter Migranten haben sich Struk turen fern des Rechtsstaats gebildet.

Wie wichtig es ist, eine klare Haltung zu zeigen, belegt die Studie am Beispiel krimineller Rockergruppen. Infolge star ken Verfolgungsdrucks haben sich diese Strukturen hier schnell aufgelöst. Wir danken unserem ehemaligen Innenmi nister Reinhold Gall, dass er mit Vereinsverboten hier zu Recht klare Kante gezeigt hat.

(Beifall bei der SPD)

Herr Klos, Sie sprachen von „Wehret den Anfängen!“. Ich fin de, diejenigen, die vor zwei Jahren hier in der Debatte im Landtag am lautesten waren, sollten heute am stillsten sein.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Es gibt nämlich nur eine Partei, die in dieser Studie erwähnt wird. Ich führe zwei Zitate an.

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Wer hat das bezahlt?)

Sie haben da doch zugestimmt. Es war doch Ihre Forderung, diese Studie hier gemeinsam mit den anderen Fraktionen auf den Weg zu bringen. Also haben Sie sie gefordert und haben auch Sie sie bezahlt.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr gut gekon tert!)

Das erste Zitat:

Eine zusätzliche,... nicht abzuschätzende Gefahr sind ge meinsame Aktionen... von... radikalen Gruppen bzw. rechtsradikalen Extremisten und prominenten Vertretern einer in vielen Parlamenten vertretenen Partei (AfD),...

(Zuruf von der SPD)

Das zweite Zitat:

Die Übernahme extremistischer Parolen... schafft den Nährboden für Paralleljustiz...

(Abg. Andreas Stoch SPD: Aha!)

Ihre Vertreter sind eine Gefahr für unseren Rechtsstaat.

(Beifall bei der SPD, den Grünen, der CDU und der FDP/DVP – Abg. Andreas Stoch SPD: So sieht es aus!)

Ich habe es eingangs bereits gesagt: Wir Sozialdemokraten wollen einen starken Staat. Unser Grundgesetz hat in den ver gangenen 70 Jahren die Basis hierfür geliefert. Max Weber hat in seinem Buch „Politik als Beruf“ treffend geschrieben:

Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche... das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht.

Sorgen wir gemeinsam für diesen Erfolg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Weinmann das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ja, Paralleljustiz ist eine Herausfor derung für den Rechtsstaat, weil mit Paralleljustiz eine Infra gestellung des staatlichen Gewaltmonopols einhergeht. Auch wenn die Lage in Baden-Württemberg im Vergleich mit an deren Ländern – beispielsweise Berlin oder Nordrhein-West falen – in Ordnung zu sein scheint, nehmen wir zur Kenntnis, dass dieses Problem signifikant auch bei uns nachweisbar ist und dass eine schleichende Erosion des Vertrauens in die staat lichen Institutionen erkennbar wird.

Jetzt müssen wir zunächst festhalten, dass der Begriff „Paral leljustiz“ durchaus missverständlich ist. Die Rechtsprechung obliegt dem gesetzlichen Richter – Artikel 92 unseres Grund gesetzes. Dennoch lässt unsere Rechtsordnung viel Freiraum und Gestaltungsmöglichkeiten zur außergerichtlichen Kon fliktlösung, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch gut so.

Gemeinhin ist die Paralleljustiz in funktionaler Perspektive ein mit unserer Rechtsordnung nicht zu vereinbarendes Inst rument zur Durchsetzung geltender Normen und Entscheidun gen. Dieses Phänomen ist vielfältig und von durchaus unter schiedlicher Qualität. Wir nehmen es in der Regel im sozialnormativ geprägten Migrantenbereich wahr, wir nehmen es durch die archaischen Strukturen in Clan- und Großfamilien wahr. Aber Paralleljustiz kann auch dann vorliegen – in Kör perschaften beispielsweise –, wenn mitunter ohne konkrete Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden die Auf arbeitung sexuellen Missbrauchs erfolgt und so der Eindruck entsteht, eine konsequente Strafverfolgung in Kenntnis des Offizialdelikts würde nicht vorgenommen.

Realistisch müssen wir erkennen, dass eine völlige Verhinde rung von Paralleljustiz nicht möglich ist. Gleichwohl – das gilt es an dieser Stelle deutlich zu sagen – müssen wir größte Anstrengungen unternehmen, institutionell verfestigte Struk turen, die mit dem deutschen Justizsystem in konfliktiver Kon kurrenz stehen, von vornherein zu vermeiden und frühestmög lich zu unterbinden.

Die Studie liefert zahlreiche neue, aber auch viele altbewähr te Ansätze, wie wir diesen Parallelstrukturen tatsächlich ent gegentreten können.

Viele Schutzmaßnahmen sind genannt; vieles wurde bereits angesprochen. Lassen Sie mich aber auf zwei Punkte noch nä her eingehen.

Das ist zum einen das Thema „Beschleunigte Verfahren“. In der Tat ist eine der Maßnahmen, um den Tätern frühestmög lich zu signalisieren, dass sie hier einen falschen Weg beschrit ten haben, dass die Sanktion unmittelbar der Tat folgt.

Wir müssen auch, ohne hier die Unabhängigkeit der Justiz in frage stellen zu wollen, darauf hinwirken, dass eine größere Sensibilisierung beispielsweise bei der Einstellung von Ver fahren nach § 153 a StPO oder auch nach § 45, § 47 JGG ent steht. Auch der Verweis auf das Privatklageverfahren muss re striktiver gehandhabt werden. Ansonsten geht insbesondere bei den jungen Delinquenten das Vertrauen in unseren Rechts staat verloren, wenn der Handlung nur eine Einstellung folgt; dies kann nicht das Ergebnis sein.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Daniel Rott mann AfD)

Ein hervorragendes Beispiel – dafür plädieren wir auch – ist eine stärkere Ausweitung der Häuser des Jugendrechts, in de nen eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Justiz, Polizei und den kommunalen Jugendämtern stattfindet, um Jugend kriminalität vereint zu bekämpfen und dieser präventiv ent gegenzutreten. Erst jüngst konnte ich mich in Heilbronn hier von überzeugen. Das ist sicherlich ein weiterer Ansatz, der prima ist.

Das wesentliche Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber der abnehmende Respekt vor den Repräsentanten un seres Staates.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU, der AfD und der SPD)

Daher können all die Maßnahmen, die in dieser Studie be nannt werden, nur dann funktionieren, wenn auch die Polizei in gleichem Umfang dafür sensibilisiert ist und frühzeitig die Verfahrensführung mit der Staatsanwaltschaft abstimmt. In soweit, Herr Minister, wären wir auch daran interessiert, zu erfahren, wie der Umgang mit diesen Handlungsempfehlun gen und die zeitlichen Abläufe vorgesehen sind.

Hier, meine Damen und Herren, brauchen wir ein erhöhtes Problembewusstsein bei allen Beteiligten. Sowohl Justizmi nisterium als auch Innenministerium sollten hier zentrale An sprechpartner benennen, Handlungsanleitungen vorbereiten und regelmäßig Schulungen dazu durchführen. Diese Infor mationen sollten auch – wie gesagt, ohne die Unabhängigkeit der Gerichte infrage zu stellen – den Gerichten zur Verfügung gestellt werden.

Voraussetzungen für all das sind aber eine gute und bedarfs gerechte Ausstattung sowie motiviertes Personal in allen Be reichen. Die Studie verweist explizit auf die Justizwachtmeis ter, deren wichtige Aufgabe u. a. im Zusammenhang mit Reichsbürgern beleuchtet wird.

Mit Blick auf die Besoldungslage in diesem Bereich wird aber auch klar, dass es schwierig wird, gutes, geeignetes und mo tiviertes Personal zu rekrutieren. Auch hier sind wir gefragt, entsprechende Signale zu senden.

Klar ist – diese Botschaft muss aus der heutigen Debatte he rauskommen –: Wir in Baden-Württemberg dulden keine rechtsfreien Räume. Hier gilt es entschlossen und entschieden entgegenzuwirken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Minister Wolf das Wort.

Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf dieser Aktuellen Debatte hat nach meiner Wahrnehmung einerseits einen positiven Aspekt, indem wir zur Kenntnis nehmen dür fen, dass sich über alle Fraktionsgrenzen dieses Hauses hin weg ein Verständnis starkmacht, dass wir keinerlei Struktu ren, die zu einer Paralleljustiz in diesem Land führen könnten oder in Ansätzen geführt haben, akzeptieren. Dieses Hohe Haus stellt sich jeglicher Form von Paralleljustiz in BadenWürttemberg entgegen.

(Beifall bei allen Fraktion)

Herr Kollege Klos, Sie haben andererseits mit den Begriff lichkeiten „Brandstifter“ und „Feuerwehr“ gespielt. Sie ha ben den „Bengel“ einer großen Volkspartei dieses Landes, der die AfD als Brandstifter bezeichnet hat, gerügt und sich selbst, der AfD, gleichzeitig die Rolle der Feuerwehr zugewiesen. Mit Verlaub, was Sie heute hier an dieser Stelle gesagt haben, war mehr Brandstiftung als Feuerwehr, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD)