Protokoll der Sitzung vom 09.10.2019

Deshalb unser Appell an die Ministerin und die Frau Staats sekretärin: Machen Sie jetzt bei der Doppik die gleichen Feh ler nicht noch mal, wie Sie sie bei der Schuldenbremse ge macht haben. Beziehen Sie das Parlament in seiner Gänze früh ein, laden Sie die Fraktionen ein, führen Sie Gespräche. Jetzt ist noch Zeit dafür. Da stehen Sie nicht so unter Zeitdruck wie bei der Schuldenbremse.

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Es gibt doch Ge spräche! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Die waren doch bisher für die Katz!)

Ich glaube, die Achtung vor dem Haushaltsgesetzgeber gebie tet es, dass Sie hier einen breiten Konsens herbeiführen.

Im Übrigen: Herr Kollege Wald hat ja auch auf den Haushalt und die dort vorgesehenen Maßnahmen, die Schuldenbrem se, abgehoben. Da würde uns dann schon mal interessieren, Frau Staatssekretärin, wie es denn kommt, dass, während man über Jahre hinweg eine Änderung der Verfassung für nötig ge halten hat, dies jetzt plötzlich nicht mehr gilt.

Warum eigentlich? Sie haben das Thema sehr hoch gehängt. Die Verfassungsänderung ist auch aus unserer Sicht geboten. Sie haben sich davon verabschiedet. Wir wüssten gern, war um. Warum gehen Sie jetzt einen offensichtlich leichteren Weg und lassen das Parlament in seiner breiten Mehrheit au ßen vor?

(Beifall bei der SPD – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Das Wort für die FDP/DVPFraktion erteile ich Herrn Abg. Brauer.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung der Doppik auch auf Landesebene ist grundsätzlich positiv zu se hen. Durch die Doppik werden Zahlungsströme, in denen Geld fließt, von der tatsächlichen Entstehung der Erträge und der Aufwendungen zeitlich entkoppelt. Die Doppik ermöglicht somit eine zeitgenaue Zuweisung von Aufwendungen und Er trägen auf das jeweilige Haushaltsjahr und die Feststellung ei nes genau abgegrenzten Ergebnisses. Zudem werden die Ab schreibungen erfasst und Rückstellungen gebildet.

Bei den Abschreibungen wäre dann ein notwendiger weiterer Schritt, kalkulatorische Abschreibungen durchzuführen, bei

denen nicht die Anschaffungs- und Herstellungskosten maß geblich sind, sondern die geschätzten Wiederbeschaffungs kosten. Nur so können im Haushalt notwendige künftige Er satzinvestitionen berücksichtigt werden. Aber das ist natür lich Zukunftsmusik. Hierzu müsste in einem weiteren Schritt eine Kostenrechnung aufgebaut werden.

Bei den Rückstellungen wird die Sache heikel. Rückstellun gen sind Verbindlichkeiten, die zwar dem Grunde nach be kannt sind, im Hinblick auf ihre Fälligkeit und genaue Höhe aber unbekannt sind. Allein für die Pensionsrückstellungen wären derzeit 148 Milliarden € unter dem Fremdkapital ein zustellen. Baden-Württemberg wäre durch diese Pensions rückstellungen mit einem Schlag am Rande der Überschul dung.

Rückstellungen dürfen nicht mit Rücklagen verwechselt wer den. Letztere werden aus dem Jahresüberschuss gebildet, den man in der Privatwirtschaft auch Gewinn nennt. Rücklagen stellen Eigenkapital dar, während Rückstellungen Verbind lichkeiten und damit Fremdkapital sind. Die Pensionsrück stellungen sind also Verbindlichkeiten gegenüber den künfti gen Pensionären, von denen wir nicht genau wissen, wie vie le es sein werden, wie hoch die Pension sein wird und wie lan ge die Pensionäre leben.

148 Milliarden € sind eine riesige Verpflichtung gegenüber der künftigen Generation. Diesen Betrag in einer Bilanz auf der Passivseite als Schulden auszuweisen würde für mehr Transparenz sorgen und die tatsächliche Haushaltslage realis tischer abbilden. Insoweit spricht das für die Doppik.

Die Doppik ist nicht schuld an dieser Situation. Sie schafft le diglich Transparenz, ermöglicht Zeitvergleiche und schafft auch Vergleichbarkeit mit anderen Bundesländern, welche die Doppik schon eingeführt haben; Hessen wurde bereits ge nannt.

Bevor die Doppik in Gänze eingeführt wird, bevor also auch doppisch gebucht wird, ist es sinnvoll, einzelne Elemente ei ner doppischen Buchführung in die Haushaltsrechnung des Landes zu integrieren. Zu nennen sind hier die Vermögens rechnung, die Ergebnisrechnung mit den entsprechenden Ab schreibungen und der Bildung von Rückstellungen. Das alles werden wir bereits in der nächsten Haushaltsrechnung präsen tiert bekommen.

Eine komplette Einführung der Doppik lehnen wir zum jetzi gen Zeitpunkt ab.

(Beifall des Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE)

Nicht zuletzt die Umstellungskosten sprechen für ein schritt weises Vorgehen.

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Ja! Sehr gut!)

Nach der Integration der genannten Elemente und nach der Evaluation der Erfahrungen aus anderen Bundesländern soll te allerdings mittelfristig die Umstellung erfolgen. Unterneh men müssen doppisch buchen, die Kommunen werden ver pflichtet, doppisch zu buchen, und damit ist es nur recht und billig, wenn das Land hier nachzieht.

Entscheidend ist natürlich, dass die Erkenntnisse der Doppik dann auch zur Planung, Kontrolle und Steuerung des Landes

haushalts genutzt werden. Denn Zahlenfriedhöfe schaffen so wenig einen Mehrwert, wie die Doppik zu einer wunderbaren Geldvermehrung führt. Dass die Einführung der doppelten Buchführung automatisch zu effizienteren Entscheidungen in der Finanzverwaltung führt und sich selbst komplett refinan ziert, wie von der AfD-Fraktion in ihrem Gesetzentwurf be schrieben, möchte ich bezweifeln. Auch deshalb lehnen wir, die FDP/DVP-Fraktion, diesen Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Dr. Mar kus Rösler GRÜNE und Tobias Wald CDU)

Für die Landesregierung er teile ich Frau Staatssekretärin Dr. Splett das Wort.

(Abg. Anton Baron AfD: Sie muss schon erklären, warum die Ministerin schnell abgehauen ist!)

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst möchte ich gern noch einmal betonen, was ich bereits in der Ersten Be ratung des Gesetzentwurfs am 16. Mai gesagt habe: Das Land Baden-Württemberg ist mit dem derzeitigen kameralen Rech nungswesen, das um doppische Elemente erweitert ist, sehr gut aufgestellt.

Die zeitnahe Einführung der Doppik ist für uns deshalb kein vorrangiges Thema. Aufwand und Ertrag stünden in keinem vertretbaren Verhältnis. Diese Einschätzung wird durch die mittlerweile durchgeführte Anhörung zum Gesetzentwurf be stätigt – auch wenn Sie, Herr Podeswa, deren Ergebnisse et was selektiv gelesen und interpretiert haben.

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Genau! So ist es!)

Natürlich bietet die Doppik grundsätzlich eine umfassende In formationsgrundlage über Vermögens-, Finanzierungs-, Er folgs- und Liquiditätssicht. Das stellen weder die Expertinnen und Experten und die Verbände, die sich im Rahmen der An hörung gemeldet haben, noch wir infrage. Aber wir stellen na türlich schon die Frage, welchen Nutzen, welchen Zweck ei ne zeitnahe Umstellung auf die Doppik für das Land hätte. Und die Umstellung auf die Doppik führte eben gerade nicht zwangsläufig zu besseren, also zu wirtschaftlicheren oder nachhaltigeren Entscheidungen. Sie böte uns nicht wirklich zusätzliche Entscheidungskriterien.

In unserer Landesverwaltung würden wir mit der Umstellung keine völlig neue Informationsbasis schaffen; denn wir haben bereits heute ausreichend Instrumente für eine Haushaltspo litik, die sowohl die aktuelle wirtschaftliche Situation als auch die Interessen nachkommender Generationen im Blick hat. Dies gilt für die Finanzierungs- und für die Leistungsseite.

Um da noch einmal ein paar Punkte zu nennen: Mit der Ver mögensrechnung schaffen wir Transparenz über den Ressour cenverbrauch, die Entwicklung der Schulden und der zukünf tigen Verpflichtungen des Landes. In der Vermögensrechnung sind über die Pensionsrückstellungen die Verpflichtungen dar gestellt, die das Land künftig für seine aktiven Beamtinnen und Beamten sowie für die Versorgungsempfängerinnen und -empfänger erfüllen muss. Ebenso ist über die Abschreibun gen der Ressourcenverbrauch unseres Anlagevermögens er sichtlich.

Eine Grundlage für die Vermögensrechnung ist die Anlage buchhaltung, die flächendeckend im Land eingesetzt wird. In der Anlagebuchhaltung ist das gesamte Anlagevermögen des Landes erfasst und bewertet und wird über die jeweilige Nut zungsdauer abgeschrieben.

Ich möchte mich nicht wiederholen, darf aber trotzdem noch einmal darauf hinweisen, dass wir mit der Kosten- und Leis tungsrechnung sowie mit den produktorientierten Informati onen bereits heute Instrumente nutzen, die für eine Aufgaben sicht und Leistungsorientierung der Verwaltung stehen. Sie ermöglichen Leistungsvergleiche und stellen Kennzahlen zur Verfügung, die im Rahmen der Haushaltsaufstellung die Ver waltungsleistung, also den Output, abbilden.

Ich möchte auch noch einmal betonen, dass in den Landesbe trieben, also in den Bereichen der Landesverwaltung, deren Aufgaben auf eine möglichst hohe Kostendeckung bzw. auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, bereits seit Langem das doppische Rechnungswesen eingesetzt und genutzt wird. Un sere erweiterte Kameralistik erfüllt also bereits heute die An forderungen, die Sie von einem doppischen Rechnungswesen erwarten.

Wichtiger, als zum jetzigen Zeitpunkt über die Einführung der Doppik zu diskutieren, ist, die Informationen, die die vorhan denen Instrumente liefern, auch tatsächlich zu nutzen. Nur so können die richtigen Entscheidungen im Interesse der Bürge rinnen und Bürger getroffen werden, und genau das ist unse re Leitschnur.

Ich danke den Expertinnen und Experten und Verbänden für die fundierten Stellungnahmen. Ich danke einmal mehr dem Rechnungshof für seine wichtige Arbeit und für seine Stel lungnahme. Ich darf an dieser Stelle aus der Stellungnahme des Rechnungshofs zitieren:

Er hält jedoch die um die oben genannten Instrumente er weiterte Kameralistik für einen sinnvollen und pragma tischen Weg, um auch den mit der Doppik verbundenen Zielen verbesserter Transparenz und Übersichtlichkeit hinsichtlich Schulden, Vermögen und Ressourcenverbrauch, in modifiziertem Umfang, Rechnung tragen zu können,...

In diesem Zusammenhang ist auch die Diskussion auf euro päischer Ebene anzusprechen; sie wurde ja auch schon ange sprochen. Es handelt sich derzeit um eine sehr heterogene Landschaft im Bereich der staatlichen Doppik, und die EUKommission strebt eine Harmonisierung der europäischen Rechnungslegungsgrundsätze, der EPSAS, an. Da gibt es im Übrigen keine neuen Signale, seitdem wir das letzte Mal den Landtag informiert haben. Wir berichten ja regelmäßig gegen über dem Landtag, und wir warten jetzt auch, was sich da dann mit der neuen Kommission tun wird.

In den eingegangenen Stellungnahmen wird deshalb häufig zu einem einheitlichen Vorgehen von Bund und Ländern ge raten, und es wird eben auch empfohlen, die Entwicklung auf der europäischen Ebene zu beachten.

Auch dazu noch ein Zitat aus der Stellungnahme des Rech nungshofs:

Eine Systemumstellung zum jetzigen Zeitpunkt hält er mit Blick auf die erst jüngst eingeführte Vermögensrechnung,

auf die mit einer Umstellung fraglos verbundenen zusätz lichen Kosten sowie auf die aktuelle Diskussion auf EUEbene um die eventuelle Einführung verbindlicher Rech nungslegungsstandards (EPSAS) mit wiederum neuen An passungserfordernissen und erneutem Kostenaufwand für nicht wirtschaftlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, als Fazit möchte ich festhalten: Mit den vorhandenen Instrumen ten ist Baden-Württemberg sehr gut aufgestellt, um eine wirt schaftliche, nachhaltige und zukunftsfähige Haushaltsführung im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie ak tueller und nachfolgender Generationen zu gewährleisten. Wir bleiben, was die Entwicklung betrifft, natürlich am Ball.

Ein Beispiel dafür ist die Restrukturierung unseres Haushalts managementsystems – Herr Abg. Rösler hat es ebenfalls be reits angesprochen –, das Projekt RePro, das technische Vor aussetzungen für zukünftige Systeme schafft. Wir haben also ein gutes System. Wir entwickeln es kontinuierlich weiter. Ei ner Umstellung auf ein doppisches Rechnungswesen bedarf es zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Frau Staatssekretärin Dr. Splett, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stickelberger zu?

Vielleicht wartet er ab, bis ich noch auf einen Punkt eingegangen bin. Das wollte ich genau an dieser Stelle tun.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Ja! – Abg. Reinhold Gall SPD: Wir haben Zeit! Wir sind ja da!)

Er hatte die Schuldenbremse angesprochen. Sie hat zwar nichts mit dem heute zu diskutierenden Gesetzentwurf zu tun, aber ich möchte trotzdem gern antworten. Wir haben die Fraktio nen hierbei von Anfang an sehr eng eingebunden. Es gab Ge spräche, und wir haben das Fachwissen aus dem Finanzmi nisterium in diese Gespräche eingespeist. Klar ist aber auch: Für eine Verfassungsänderung braucht man eine breite Mehr heit in diesem Haus. Insoweit liegt der Ball im Spielfeld bei Ihnen. Wir, das Finanzministerium, halten an unseren Zielset zungen fest und arbeiten weiterhin an einer generationenge rechten Haushaltspolitik und an generationengerechten Haus haltsaufstellungen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Jetzt die Zwischenfrage von Herrn Abg. Stickelberger.