Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische Angriffs krieg gegen die Ukraine, der nun schon mehr als drei Jahre andauert, ist ohne Zweifel ein tiefer Einschnitt auch für unser Land. Dieser Krieg führt uns vor Augen, wie bedeutend die äußere Sicherheit und die Verteidigungsfähigkeit unseres Lan des sind. Bislang konnten wir uns stets auf unsere Partner der NATO verlassen und darauf, dass wir im Schulterschluss mit unseren Verbündeten stark sind, um möglichen Bedrohungen entgegenzuwirken oder sie erst gar nicht entstehen zu lassen.
Der atomare Schutzschirm und die Möglichkeit der nuklea ren Teilhabe haben uns über Jahrzehnte Sicherheit in Frieden gebracht.
Spätestens jetzt aber müssen wir feststellen, dass viele Ge wissheiten so keinen Bestand mehr haben werden. Unter dem wiedergewählten US-Präsidenten Trump ist vieles infrage ge stellt, was vorher als unumstößlich galt. Wir können uns – so hart muss man es sagen – nicht mehr darauf verlassen, dass die USA unter dem Präsidenten Trump zu uns stehen, wenn es hart auf hart kommt und Europa und damit insbesondere auch Deutschland akut äußeren Bedrohungen ausgesetzt sind.
Auf die durch den Ukrainekrieg veränderte Lage hat die SPDgeführte Bundesregierung reagiert. Bundeskanzler Scholz hat im Jahr 2022 das 100 Milliarden € schwere Sondervermögen zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit erfolgreich auf den Weg gebracht. Und in Verantwortung von Bundesverteidi gungsminister Boris Pistorius wurden die Ausgaben für Ver teidigung schon in den vergangenen Jahren deutlich angeho ben: erstmals nach drei Jahrzehnten auf 2 % des Bruttoin landsprodukts.
Wenn man den Berichten aus Berlin Glauben schenken will, wollen SPD und Union in einer neuen Bundesregierung dar an anknüpfen, auf die neue Rolle der USA und deren befürch teten Abschied aus dem Verbund liberaler Demokratien re agieren und die Verteidigungsausgaben massiv erhöhen. Ge plant sind mehrere Hundert Milliarden Euro für die Stärkung der Bundeswehr über die Anpassung der Schuldenbremse.
Lassen Sie es mich so deutlich sagen: Niemand rüstet gern auf. Aber es ist in diesen Zeiten tatsächlich eine Frage der Not wendigkeit, unsere Bundeswehr fähig zu halten, fähig zu ma chen, um unser Land im Falle einer äußeren Bedrohung auch effizient verteidigen zu können.
Es bleibt jetzt zu hoffen, dass man an dieser Stelle in Berlin eine Einigung der Parteien der demokratischen Mitte hinbe kommt. Wir haben von der CDU heute schon gehört, dass man offensichtlich zur Einsicht gelangt ist, was die Anpassung der Schuldenbremse und die Höhe der Verteidigungsausgaben be trifft. Das ist eine gute Nachricht; die haben wir auch aus Ber lin so vernommen.
Vielleicht wäre es fairer gewesen, das schon vor der Wahl zu sagen, aber ich sage mal: Besser spät als nie, lieber Kollege Mack.
Jetzt dachte ich eigentlich auch, dass man die Grünen mit ins Boot bekommt. Ihre Aussagen, lieber Herr Kollege Schwarz, lassen mich daran ein bisschen zweifeln, wenn Sie quasi sa gen, dass die Ausgaben aus dem Haushalt bestritten werden müssten. So zumindest hatte ich Sie verstanden.
(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Nee, nee, nee! – Abg. Anton Baron AfD: Das ist mal vernünftig! Da muss ich sogar zustimmen! – Zuruf des Abg. Daniel Lede Abal GRÜNE)
Ich denke schon, dass es noch eines größeren Aufwands be darf, um diese Hunderte Milliarden Euro in den nächsten Jah ren zur Verfügung zu stellen. Das kann man nicht aus dem normalen Bundeshaushalt bestreiten. Da sollten wir uns doch einig sein.
(Beifall bei der SPD – Abg. Andreas Schwarz GRÜ NE: Das habe ich nicht gesagt! – Abg. Daniel Lede Abal GRÜNE: Schön bei der Wahrheit bleiben!)
Der Schutz unseres Landes und unserer freiheitlichen Gesell schaft vor militärischen Bedrohungen von außen darf eben ge rade nicht Gegenstand kleinlicher parteipolitischer Auseinan dersetzungen sein. Das muss uns allen klar sein.
Jetzt führen wir aber heute hier im Landtag keine verteidi gungspolitische Debatte, sondern befassen uns vor allem mit dem wirtschaftlichen Potenzial der Verteidigungsindustrie. Insgesamt betrachtet ist diese Industrie noch kein übergroßer Faktor, wenn man das wirtschaftliche Potenzial, die Wirt schaftsleistungen der Bundesrepublik Deutschland berechnet. Konzerne der Verteidigungsindustrie, so berichtet der SWR Anfang März, trügen derzeit gerade einmal 0,3 % zur gesam ten deutschen Wirtschaftsleistung bei. Das ist sicherlich aus baufähig. Nach einer Schätzung des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums arbeiten in der baden-württembergi schen Verteidigungsindustrie bereits jetzt direkt und indirekt 40 000 Menschen. Darauf sollte und kann man aufbauen. Die Verteidigungsindustrie hat sicher das Potenzial, eine weitere baden-württembergische Leitindustrie zu werden.
Schon jetzt gibt es in Baden-Württemberg in diesem Bereich industrielle Schwergewichte, u. a. Diehl Defence und HEN SOLDT im Bereich der Optoelektronik und Sensorik. In Ober kochen konnte ich mich erst kürzlich selbst vor Ort über den Neubau des „HENSOLDT Optronics Campus“ informieren: 100 Millionen € Invest in ein beeindruckendes Projekt, und ein starkes Bekenntnis zum Industriestandort Baden-Würt temberg.
Aber auch für Betriebe, die bislang beispielsweise im Auto mobilzulieferbereich tätig sind, liefert die Verteidigungsindus
trie neue Chancen und neue Geschäftsmodelle. Erst vor we nigen Tagen war zu lesen, dass TRUMPF in Ditzingen die Entwicklung von Lasern zur Drohnenabwehr erwägt. Ein ent sprechender Laser sei bereits erfolgreich getestet worden. Auch über die Dürr AG in Bietigheim-Bissingen war Anfang dieser Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu le sen, dass der Verteidigungsbereich dem Unternehmen neue Chancen bieten könnte. Nach einer Untersuchung der Unter nehmensberatung Kearney werden, wenn in Europa die Ver teidigungsausgaben auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts hoch geschraubt werden, rund 760 000 Fachkräfte benötigt, viele davon in Deutschland – und in Baden-Württemberg, wenn es nach uns geht.
Noch ist es zu früh, von einer perspektivisch funktionieren den Arbeitsdrehscheibe zu sprechen, aber die Signale sind durchaus vielversprechend. Sie müssen aber auch landessei tig flankiert werden, zumal dann, wenn der Bund notwendi gerweise die Nachfrage finanziell erheblich stimuliert.
Auch die IG Metall sieht hier den Staat in der Pflicht, einen industriepolitischen Plan für die wehrtechnische Industrie vor zulegen, wie IG-Metall-Vize Jürgen Kerner Anfang der Wo che in einem Interview ausgeführt hat. Wir sehen hier nicht nur den Bund, sondern auch und gerade das Land am Zuge. Es ist gut, wenn Ministerpräsident Kretschmann hier einen Wachstumsschub erwartet, wenn er Resilienz fördern und lan deseigene Kompetenzen im Bereich der Verteidigungsindus trie aufbauen möchte. Das ist ein richtiger Weg. Aber viel leicht findet er auch einmal Zeit, dem Chef des Landeskom mandos der Bundeswehr Audienz zu gewähren. Das wäre schon mal ein Anfang, die Interessen der Landesverteidigung auch in der Landesvertretung richtig ernst zu nehmen.
Im Ergebnis braucht Baden-Württemberg eine Ansiedlungs strategie für Unternehmen der Verteidigungsindustrie, einge bettet in eine bundes- und europaweite Koordinierung. Bis her ist die grün-schwarze Landesregierung eher im KleinKlein unterwegs, wenn es um Investitionen in die industriel le Infrastruktur geht. Wir, die SPD-Fraktion, haben dies bei den Haushaltsberatungen kritisiert und eigene Vorschläge ein gebracht – leider erfolglos aufgrund der grün-schwarzen Mehr heit in diesem Parlament. Wir haben aber nicht die Zeit, län ger zu warten, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen, damit unsere baden-württembergische Industrie wie der an die Spitze kommt und damit auch Hunderttausende von Arbeitsplätzen gerettet werden. Das gilt für die Maschinen- und Anlagenbauindustrie sowie die Automobilindustrie, aber eben auch für die Verteidigungsindustrie. Es bleibt zu hoffen, dass Grüne und CDU im Land infolge der positiven Signale aus Berlin endlich auch hier das Steuer herumreißen.
Wenn es nach uns geht, schließt die Stärkung der Rüstungs industrie ausdrücklich auch die Forschung mit ein, weil das Ziel sein muss, nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Entwicklung spitze zu sein. Insgesamt gesehen werden wir in Europa alles daransetzen müssen, resilienter und unab hängiger zu werden. Auch deshalb braucht es eine eigene Pro duktion und auch die Entwicklung von Rüstungsgütern.
Die Entwicklung der jüngsten Vergangenheit mit Russlands Angriffskrieg und einer völlig veränderten Rolle der Vereinig ten Staaten machen es erforderlich, jetzt zu handeln. Deshalb ist es wichtig, heute auch hier im Landtag über diese Thema tik zu diskutieren. Noch wichtiger wäre es aber, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und rasch entsprechende Maß nahmen einzuleiten. Dazu wird die Landesregierung zügig konkrete Umsetzungsvorschläge vorlegen müssen, wenn es ihr ernst ist und die Äußerungen des Ministerpräsidenten zur Rüstungsindustrie keine hohlen Phrasen bleiben sollen.
In diesem Sinn warten wir gespannt auf die konkrete Strate gie der Landesregierung und deren Umsetzung, damit unser Land seinen Beitrag zur Verteidigungsbereitschaft Deutsch lands und unserer europäischen Partner leistet und zugleich den Wirtschafts- und Industriestandort stärkt und somit auch viele Hunderttausend Arbeitsplätze in Baden-Württemberg si chert und ausbaut.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! „Unsere Freiheit verteidigen“, so lau tet der erste Halbsatz im Titel der Aktuellen Debatte, die wir heute, beantragt von der CDU-Fraktion, führen. Ich bin sicher, dass dies ein Ziel ist, bei dem sich die demokratischen Kräf te in diesem Haus einig sind.
Unsere Freiheit verteidigen, und das als vereintes Europa – also die Fortsetzung der Idee Europas, so wie es auch Kolle ge Mack schon beschrieben hat –: Das ist für mich eines der zentralen Ziele der nächsten Jahre, dem wir uns stellen müs sen. Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es keine Al ternative.
Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, dies heu te hier thematisieren, überrascht natürlich kaum – es wurde auch angesprochen –, hat doch Ihr Chefverhandler im Bund, Friedrich Merz, den Schuldentopf entgegen aller Wahlkampf beteuerungen in großem Stil erweitert und diesen angezapft, und er will dabei die Investitionen in die Verteidigung stark erhöhen.
Bei dem Thema „Sicherheit und Verteidigung“ ist die FDP durchaus gesprächsbereit, wenn es um eine sinnvolle Modifi zierung der Schuldenbremse geht. Es gibt da differenzierte Ausgestaltungsmöglichkeiten.
Sie, Kollege Schwarz, sind darauf auch schon eingegangen. Es ist ein Unterschied, ob wir 1 % des Inlandsprodukts in die Verteidigung investieren und im Haushalt abbilden oder ob wir 2 % abbilden.
Da besteht ein großer Unterschied, und hier gibt es sicherlich noch Gesprächsbedarf. Wir sollten darauf achten, dass aus die
sem Bereich dann nicht Wahlgeschenke finanziert werden. Das ist unser Anliegen. Es ist sicherlich die Position der FDP, da zu unterstützen, wo es Sinn macht.
Dennoch ist nun ein richtiger und wichtiger Zeitpunkt – das will ich ausdrücklich sagen –, darüber zu sprechen, wie die Landesregierung jetzt die richtigen Weichen stellen kann, da mit unsere Wirtschaft im Land wenigstens von diesem Füll horn entsprechend partizipiert.
Es ist bei den Vorgängern schon angeklungen: Krieg will kei ner von uns. „Profitieren“ ist da auch nicht das richtige Wort. Aber wenn es nun einmal darum geht, solch große Summen zu investieren, sollten wir auch bereit sein, diese Beträge in Baden-Württemberg – in Deutschland, aber gerade auch in Baden-Württemberg – entsprechend aufzunehmen und es hier umzusetzen. Darum wird es gehen. Das ist die Grundlage; und das ist der Sinn dieser Debatte, die wir heute führen. Deswe gen sind wir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, dankbar.
Schließlich ist auch dieses Thema, wie wir das bei wirtschafts politischen Themen immer wieder mal erlebt haben – das The ma Ansiedlungsstrategie wurde schon erwähnt –, bereits jetzt Chefsache, weil man es offensichtlich dem zuständigen Mi nisterium nicht zutraut.
Herr Ministerpräsident Kretschmann hat sich höchstpersön lich bereits am 4. März in einem Interview mit dem „Südku rier“ zur Rüstungsindustrie in unserem Land bekannt – es wur de erwähnt. Sie, Herr Ministerpräsident, haben darin gleich mal mit dem Irrglauben aufgeräumt, dass Sie als Grüner au tomatisch Pazifist wären.