Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich eröffne leicht verärgert die heutige Sitzung und heiße Sie alle willkommen, auch Presse, Funk und Fernsehen.

Leider ist die Frau Staatsministerin Stewens noch nicht da, so dass wir nicht mit dem Einzelplan 10 beginnen können. In der Hoffnung, dass die Kolleginnen und Kollegen Berichterstatter dafür da sind, rufe ich auf:

Tagesordnungspunkt 6 c

Gesetzentwurf der Staatsregierung

Ausführung des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (AGGSiG) (Drucksache 14/10712)

Erste Lesung –

Wird der Gesetzentwurf von Seiten der Staatsregierung begründet? – Der Herr Staatssekretär war gestern Abend schon da und wollte das gerne machen.

Bitte schön, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere sehr, dass wir uns heute überhaupt mit diesem Thema beschäftigen müssen.

(Frau Steiger (SPD): Bedauern Sie, dass Ihre Chefin noch nicht da ist!)

Ich bedauere das deswegen, weil wir der Auffassung sind, dass der Bund dieses Gesetz überhaupt nicht hätte erlassen sollen. Wir hätten deshalb heute auch nicht über die Frage diskutieren müssen, ob wir ein Ausführungsgesetz brauchen.

(Beifall bei der CSU)

Ich hätte Ihnen diese Debatte gerne erspart, aber die Rufe aus dem Bundesrat hat die Bundesregierung nicht gehört. Das Grundsicherungsgesetz wird zum 01. 01. des Jahres 2003 in Kraft treten. Deswegen brauchen wir dazu ein Ausführungsgesetz.

Ich bin der Meinung, dass mit diesem Gesetz vom Grundsatz der Eigenvorsorge abgewichen wird. Mit der Grundsicherung wird eine Leistung eingeführt, die nicht abhängig von vorherigen Versicherungsleistungen ist. Damit wird das Ziel einer aktivierenden, auf Eigenverantwortung setzenden Sozialpolitik konterkariert. Wir sind der Meinung, dass dieses Grundsicherungsgesetz verfassungsrechtlich bedenklich ist. Es ist zu verwaltungsaufwendig und höchst kostenintensiv. Aus der Sicht der Kommunen ist es nicht verantwortbar. Wir erkennen gerade in diesen Tagen, wie schwierig die finanzielle Situation unserer Kommunen ist. Ich bin der Auffassung, dass dieses Gesetz zu einer zusätzlichen Belastung der kommunalen Finanzen führt. Dieses Gesetz passt nicht

in die momentan herrschende Finanzsituation der Kommunen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Dieses Gesetz wird die Kommunen massiv belasten. Der Bund hat das mit Zahlen dokumentiert und geht von einer Belastung von 1,9 bis 2,3 Milliarden Euro aus.

Die Daten, die uns die Bundesregierung bisher zur Verfügung gestellt hat, sind nicht realistisch. Die Kommunen werden zusätzliche Belastungen hinnehmen müssen – zusätzlich zu dem, was sie jetzt schon verkraften müssen.

Über Konnexität wird in diesen Tagen sehr viel gesprochen. Über Konnexität wird auch in diesem Hause sehr viel diskutiert. Ich meine, dass der Grundsatz –

(Dr. Hahnzog (SPD): Ihr habt jahrelang blockiert!)

Lieber Herr Kollege Hahnzog, dieser Grundsatz gilt auch für das Verhältnis des Bundes zum Land und des Bundes zu den Kommunen. Was der Bund momentan den Kommunen zur Verfügung stellt, wird nicht ausreichen, um diese Defizite abzudecken. Von den Verwaltungskosten will ich an dieser Stelle noch gar nicht sprechen.

Deswegen wäre es ganz gut, wenn Sie sich mit den kommunalen Spitzenverbänden unterhalten würden. Die sagen Ihnen nämlich ganz konkret, wie die kommunale Seite durch dieses Gesetz belastet werden wird.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Keiner weiß irgendetwas genau!)

Ich kann es Ihnen genau sagen. Auf Bayern heruntergebrochen wird dieses Gesetz 200 Millionen Euro kosten, 150 Millionen Euro Ersparnis bringen.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD)

Lassen Sie es sich doch erklären.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten – Güller (SPD): Erst letzte Woche haben wir mit den Verbänden gesprochen. Keiner konnte konkrete Zahlen nennen!)

Ich werde Ihnen die offiziellen Daten noch einmal nennen, weil ich sie sehr genau im Kopf habe: 200 Millionen Euro wird die Grundsicherung kosten. 150 Millionen Euro werden bei der Sozialhilfe eingespart.

(Zuruf des Abgeordneten Wahnschaffe (SPD))

Damit sind es 50 Millionen Euro Defizit. Aus der Gesamtsumme von 409 Millionen Euro entfallen 35 Millionen Euro auf den Freistaat Bayern.

Herr Kollege Wahnschaffe, das Defizit zwischen 35 Millionen und 50 Millionen Euro beträgt 15 Millionen Euro. Das ist eine realistische Zahl.

(Zuruf des Abgeordneten Wahnschaffe (SPD))

Jetzt hören Sie doch einmal zu.

Auch im Haushaltsausschuss ist dieses Thema diskutiert worden – ich war selbst anwesend –, im Übrigen gar nicht so kontrovers, wie Sie das hier andeuten. Es war eine realistische Zahl, die wir gemeinsam diskutiert haben.

Die Kommunen nennen noch wesentlich höhere Zahlen. Sie können davon ausgehen, dass diese Schätzung realistisch ist. Die Verwaltungskosten werden übrigens auch hier nicht erstattet, die kommen noch dazu. Damit wird es zu einer weiteren Belastung der Kommunen kommen.

Mit diesem Ausführungsgesetz versuchen wir, parallele Strukturen zwischen der Sozialhilfe und dem neuen Grundsicherungsgesetz zu schaffen, sodass wir die notwendigen Synergieeffekte nutzen können. Außerdem ist dieses neue Aufgabenfeld in Absprache mit den kommunalen Spitzenverbänden in den Wirkungskreis der Kommunen übertragen worden.

Ich glaube, dass wir aus dieser Situation – uns wurde ein Bundesgesetz vorgegeben –, das Optimale gemacht haben. Ich darf Sie sehr herzlich bitten, nach der Beratung diesem Ausführungsgesetz zuzustimmen. Wir können das Grundsicherungsgesetz der Bundesregierung nicht mehr ändern. Wir müssen es hinnehmen und akzeptieren und das Beste daraus machen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetz.

Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin, dass im Anschluss die Anträge 11 bis 14 behandelt werden. Das Wort hat Herr Kollege Wahnschaffe.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, ich teile Ihren Unmut über die Art und Weise, wie heute mit wichtigen Themen verfahren wird. Dieses Gesetz war nicht zur Beratung für heute Morgen vorgesehen, sondern hätte entweder gestern Abend oder heute Nachmittag beraten werden sollen. Deswegen kann ich zu diesem Gesetz nur spontan Stellung nehmen, ohne die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu haben. Aber es entspricht der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags, frei zu reden.

Was Herr Staatssekretär Georg Schmid eben ausgeführt hat, ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten; denn die Frau Ministerin, die jetzt glücklicherweise eingetroffen ist, hat im Bundesrat ausgeführt, auch der Freistaat Bayern sei im Grunde für ein solches Gesetz. Nur komme jetzt dieses Gesetz zum falschen Zeitpunkt, weil Länder und Kommunen dafür kein Geld hätten. Das heißt im Klartext nichts anderes, als dass Frau Staatsministerin Stewens bei den Ärmsten der Armen sparen möchte. Da möchten Sie den Rotstift ansetzen. Aber da werden wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hat Gott sei Dank nicht die Mehrheit im Bayerischen Landtag, sondern abschließend der Bundestag bereits im April dieses Jahres entschieden. Darin liegt der eigentliche Skandal: Das Gesetz soll zum 01. 01. 2003 in Kraft treten, und jetzt im November legen Sie einen Gesetzentwurf zur Ausführung dieses Gesetzes vor. So gehen Sie mit Bundesgesetzen um. Sie nennen das Bundestreue. Das grenzt schon an Verweigerung.

Aber das ist nicht das Einzige. Sie vergießen hier Krokodilstränen über das Konnexitätsprinzip. Sie sagen, der Bund habe sich gegenüber den Kommunen nicht fair verhalten. Der Freistaat Bayern ist eigentlich außen vor und müsste sich als Wächter der Kommunen verstehen. Nur: Sie selbst treten das Konnexitätsprinzip nicht einmal, sondern ständig mit Füßen. In diesen Tagen reden wir über die sechsstufige Realschule. Sie können tagtäglich anhand einer Reihe von Beispielen nachvollziehen, dass der Freistaat Bayern Aufgaben auf die Kommunen überträgt, ohne sie mit entsprechenden finanziellen Mitteln auszustatten, zum Beispiel für die Schulsozialarbeit.

Das Ganze betrifft ausgerechnet ein noch völlig ungesichertes Terrain, wobei völlig unklar ist, wie viel das Ganze letzen Endes kosten wird, denn es geht um einen Personenkreis, den man im Augenblick nur schwer identifizieren kann. Da sind Menschen, die bisher – aus welchen Gründen auch immer – Sozialhilfe bisher nicht in Anspruch genommen haben oder konnten und die durch alle Sicherungssysteme gefallen sind. Es sind vor allem auch behinderte Menschen, die auf diese Weise die Möglichkeit erhalten sollen, neben anderen geringen Einkünften, die sie vielleicht aus abhängiger Beschäftigung beziehen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Nach jahrzehntelanger Diskussion ist dieses Ziel endlich verwirklicht worden. Deswegen werden wir alles daran setzen, dass auch diese Menschen in den Genuss dieser Möglichkeiten kommen.

Ob die Finanzausstattung, die der Bund nicht den Kommunen, sondern zunächst, weil es keine direkten Beziehungen gibt, den Ländern zur Verfügung stellt, ausreicht, wird die Zukunft erst erweisen müssen. Natürlich gibt es vom einzelnen Kämmerer über den Bayerischen Städtetag und den Deutschen Städtetag Berechnungen. Aber alle diese Berechnungen bewegen sich auf unsicherem Terrain. Deswegen ist die Frage, ob die vom Bund eingestellten 409 Millionen Euro ausreichen, im Augenblick müßig.

Sollten diese Mittel nicht ausreichen, werden auch wir uns selbstverständlich dafür einsetzen, dass der Bund nachbessert. Es kann natürlich nicht sein, dass die Aufgabe zu Lasten der Kommunen geht. Das war auch der Streit zwischen Ihnen und den Spitzenorganisationen. Das ist eine Aufgabe im übertragenen Wirkungskreis. Zum Glück haben Sie zum Schluss doch noch die Kurve gekriegt. Wir werden in den Ausschüssen darüber noch ausführlich beraten. Das ist ein Weg in die richtige Richtung.

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Obermeier.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in Erster Lesung ein Ausführungsgesetz, dessen Grundlage, nämlich das Grundsicherungsgesetz, von allen Politikern, die in den kommunalen Gremien tätig sind, grundsätzlich abgelehnt wird.

(Frau Radermacher (SPD): Das stimmt überhaupt nicht!)

Gehen Sie einmal in Ihre Stadt- und Gemeinderäte und fragen Sie Ihre Parteikollegen. Sie werden genau dieses hören: Das Gesetz wird wegen der bereits ausgeführten zusätzlichen finanziellen Lasten, die hier auf die Kommunen zukommen, abgelehnt. Der Freistaat Bayern hat dieses Grundsicherungsgesetz im Bundesrat zu Recht abgelehnt, weil es in der heutigen Zeit nicht mehr zumutbar ist, den Kommunen noch mehr finanzielle Lasten als bisher aufzubürden.

(Beifall bei der CSU)