Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

Zweite familienpolitische Sünde: Sie erhöhen die Ökosteuer, die in besonderer Weise Familien mit Kindern und pflegende Familien betrifft und langen ihnen damit in den Geldbeutel.

(Zuruf von der SPD: Dafür zahlen sie weniger Versi- cherungsbeiträge!)

Dritte familienpolitische Sünde: Mit dem Umbau werden die zahlreichen Energieträger besonders herangezogen. Auch das geht zulasten der Familien.

Vierte familienpolitische Sünde: Mit Ihrer Rentenpolitik belasten Sie einseitig Beitragszahler, also Familien mit Kindern.

Fünfte familienpolitische Sünde: Bei der Rentenpolitik haben Sie mit dem so genannten Riester-Modell gerade die kleinen Leute, also Familien mit Kindern, belastet und – obwohl ein Anhebungsbetrag in dem Förderbetrag enthalten ist – zu wenig Anreize gegeben.

Sechste familienpolitische Sünde: Steueranhebungen im Bereich landwirtschaftlicher Produkte belasten die Familien zusätzlich.

(Zurufe von der SPD)

Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen. Es kommen noch einige mehr.

Siebte familienpolitische Sünde: Sie versprechen – ohne im Bund dafür zuständig zu sein – vier Milliarden für den Ausbau der Kinderbetreuung und lassen mit den wesentlich höheren Folgekosten die Kommunen alleine. Was hat das mit dem Konnexitätsprinzip zu tun, das Sie in anderen Bereichen auf einmal auch entdeckt haben?

(Zuruf von der SPD: Ich habe gedacht, das Land ist zuständig!)

Achte familienpolitische Sünde: In der Gesundheitspolitik führen vermeintliche Reformen, die ich nur als Chaos bezeichnen kann, zu zusätzlichen Belastungen, besonders zu Einschränkungen bei Familien.

Neunte familienpolitische Sünde: Ihre Maßnahmen in der Wohnungspolitik sind ein einzigartiges Abbruchunternehmen, das Familien in Wohnungsnot belastet und mittelbar mietsteigernd wirkt. Das gilt besonders für die Ballungsräume, in denen die Wohnungsnot noch nicht beseitigt ist.

Durch die katastrophale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik – das ist der zehnte Punkt – wird die Arbeitslosigkeit, gerade bei älteren Arbeitnehmern, steigen.

Elfte familienpolitische Sünde: In den Kommunen, in denen Sie Verantwortung tragen, kürzen Sie, wie zum Beispiel in München, die Förderung für die Eltern-KindGruppen sowie bei der Familienförderung oder Ähnlichem um 15%. Dadurch können viele Gruppen nicht mehr arbeiten oder müssen höhere Beiträge von den Eltern verlangen. Deshalb kommen Durchschnittsverdiener nicht mehr in den Genuss einer Förderung und ganze Einrichtungen können nicht mehr öffnen.

Zwölfter Punkt: Sie haben einen familienpolitisch verkürzten Ansatz. Nicht nur, dass Sie sich nicht zur Wahlfreiheit bekennen – der Punkt, den Sie heute genannt haben, ist ein anderer Ansatz –, Sie wollen auch die demografische Entwicklung nicht wahrnehmen. Familie heißt auch, gerade ältere Menschen, die sich wesentlich um die Familie kümmern, stärker in die Mitte zu nehmen. Das sind familienpolitische Gesichtspunkte, die in Ihren Anträgen überhaupt keine Rolle spielen. Die Stärkung der Erziehungskompetenz und Gewaltfreiheit in den Familien, wie sie in Ihrem Antrag enthalten ist, übersieht geflissentlich einen ganz wesentlichen Punkt; den Sie in Ihrer Familienpolitik auf Bundesebene in den letzten Jahren vernachlässigt haben, nämlich die Eltern- und Familienbildung sowie ihre niederschwellige Weiterentwicklung in den Mittelpunkt zu stellen.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja Landesaufgabe!)

Auch im Bildungswesen fehlt es an vielem.

Vierzehnte Sünde: Im Haushalt wollen Sie eine falsche Prioritätensetzung, wenn Sie in diesen Bereichen auf Bundesebene weiter Einsparungen vornehmen.

15.: Bei der Betreuung für Schulkinder muss ich feststellen, dass Sie nicht bereit sind zur Kenntnis zu nehmen, dass es unterschiedliche Betreuungskonzepte im schulischen Bereich gibt. Da gibt es in Brennpunkten den schulischen Bereich, es gibt aber auch den Ansatz, der auf einem bürgerschaftlichen Engagement beruht. Dies geschieht zum Beispiel über Musikschulen. Das ist ein großes Erfolgsmodell, wie ich mir heute erst wieder habe berichten lassen. Die Nachmittagsbetreuung ist mit Vereinen und Elterninitiativen wesentlich effektiver und auf das Umfeld der Kommune ausgerichtet.

Schließlich: Sie setzen in Ihrer Familienpolitik überwiegend auf den Staat, statt sich in erster Linie für die Rahmenbedingungen verantwortlich zu führen. Das Bundesverfassungsgericht – ich kann Ihnen das nicht oft genug sagen – hat im Zusammenhang mit einem Urteil zur Familienförderung gerade etwas anderes gesagt, nämlich, dass wir in diesem Zusammenhang Wahlfreiheit und Autonomie für Familien herstellen müssen. Wenn Sie das Ehrenamt in Ihrem Antrag benennen und Mütterzentren ansprechen, dann müssen Sie sehen, dass nirgendwo in der Bundesrepublik Deutschland das Konzept der Mütterzentren so gefördert wird, wie das in Bayern der Fall ist. Ihr politischer Ansatz, meine Damen und Herren von der SPD, zur Familie ist unglaubwürdig, weil Sie dort, wo Sie das politische Sagen haben, nichts für die Familien tun, im Gegenteil noch Einschränkungen vornehmen. Dieser Antrag ist in dieser Form völlig falsch angesetzt. Wir werden ihn deshalb ablehnen und die

bewährte bayerische Familienpolitik weiterentwickeln und fortsetzen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Frau Schopper.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Zum Einen freut es mich, dass Kollege Unterländer sein Herz für die Eltern-Kind-Initiativen in München entdeckt hat. Es bestand doch lange eine abgekühlte Liebe, wenn man das so sagen kann. Ansonsten hätten Sie schon Mittel in die Förderung einstellen können. Eines muss ich Ihnen sagen: Es geistert hier 15% als Zahl durch die Lande, weil eine Haushaltssperre von 15% besteht. Sie wissen aber sehr genau, dass noch alles im Fluss ist und es Nachverhandlungen gibt. Sie machen nun Panik und setzen Befürchtungen von Beitragssatzsteigerungen bei den Eltern-Kind-Initiativen in die Welt, die so nicht stimmen. Zum Anderen: Es hat mich gefreut, dass Sie sich als Katholik gar nicht auf zehn Gebote beschränkt haben, sondern es mussten gar 15 Sünden her. Ich hoffe aber, dass nicht, wie sonst bei der katholischen Kirche alles wieder gut ist, wenn man gebeichtet hat. Ich denke, im Sinne der Politik für Kinder muss eine größere Nachhaltigkeit zum Ausdruck kommen.

Familienpolitik ist ins Zentrum gerückt. Familie ist für uns immer dort, wo Kinder leben. Leider ist es so, dass oftmals die demografische Melodie sozusagen den Takt bestimmt, in der die Debatte über Familienpolitik intoniert wird. Auch für uns sind fehlende Beitragseinnahmen in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ein Punkt, wo man schauen muss, wie man die sozialen Sicherungssysteme fit für die Zukunft machen kann. Im Grunde genommen ist aber das A und O, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu schaffen. Danach muss man sich fragen: Welche Rahmenbedingungen brauchen wir dazu? Selbst dann, wenn alle freundlich wären – das muss man ganz ehrlich sagen – kosten Kinder einfach Geld. Kinder sind einfach teuer; man kann das durchaus aus eigener Erfahrung berichten.

(Gabsteiger (CSU): Sie sind auch lieb!)

Ja, sie sind auch lieb. Ich kann nur für meine reden. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist. Ich hoffe aber nicht anders.

(Bernhard (CSU): Sind Ihre nicht lieb?)

Meine sind lieb. Ich weiß aber nicht, wie es bei Herrn Gabsteiger ist.

Der Punkt ist: Kindergeld – das wurde gerade in Abrede gestellt – und steuerliche Vorteile, die auf Bundesebene gewährt wurden, sind sozusagen in Vergessenheit geraten. Ich möchte Ihnen nur einmal die Zahlen vor Augen halten: In der letzten Legislaturperiode hat Rot-Grün auf Bundesebene 53 Milliarden mehr für materielle Verbesserungen ausgegeben. Das ist angesichts der Haus

haltslage – es ist nicht immer nur ein Verteilen von Wohltaten möglich – eine stolze Bilanz, die man vorweisen kann.

Dennoch – man muss das nüchtern feststellen –: Das Leben mit Kindern führt vielfach zu Armut. Wir haben auch in Bayern – wir haben erst kürzlich den Bericht im Ausschuss diskutiert – nicht nur über rosige Tatsachen zu berichten. Wir wissen, dass vor allem Alleinerziehende und Familien mit mehr Kindern akut von Armut bedroht sein können. Von daher muss man feststellen: In Bayern sind allein 70000 Kinder davon betroffen, die ein Drittel der Sozialhilfebezieher ausmachen. Ich verhehle nicht, dass mir ein Mehr an Ausstattung für diese Kinder wünschenswert erscheint. Wir hätten von grüner Seite durchaus Ideen und Möglichkeiten in Aussicht. Ich nenne nur das Stichwort Kindergrundsicherung, wodurch gerade einkommensschwache Familien gestärkt worden wären.

Sie zucken gleich zusammen, wenn wir Ihnen sagen, wie wir die Kindergrundsicherung finanziert haben wollen.

Natürlich müssen wir kinderfreundliche Rahmenbedingungen schaffen. Dabei gilt der alte Grundsatz: Eine zufriedene Mutter hat meist auch zufriedene Kinder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für viele Frauen ist es einfach wichtig, dass sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren können. Deswegen hat die Diskussion um die Kinderbetreuung eine ganz elementare Bedeutung. Dabei gibt es nun einmal unterschiedliche Auffassungen über die Quoten, die wir anstreben. Sie meinen, bei den Krippen reiche eine Quote von 7% aus. Ich glaube, wir brauchen eine weit höhere Quote. Wir sehen, dass sich immer mehr gut qualifizierte Frauen keinen Kinderwunsch erfüllen. Das liegt aber nicht daran, dass sie keine Kinder wollen, sondern daran, dass sie Beruf und Familie nicht miteinander vereinbaren können. Deshalb ist im Hinblick auf die Kinderkrippen-Quote ein Umdenken erforderlich.

Zum Angebot an Kindergartenplätzen hat uns das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum damaligen Schwangerenberatungsgesetz eine klare Verpflichtung auferlegt. Die Verpflichtung, einen Kindergartenplatz für jedes Kind bereitzustellen, wurde in Bayern zwar nicht umgesetzt. Letztlich aber haben die Kommunen in einem Kraftakt doch eine Versorgungsquote erreicht, mit der wir zufrieden sein können.

Dennoch muss auch nach der Qualität der Betreuung gesehen werden. Zuvor ist das Stichwort Kindergartenfinanzierung gefallen. Wir haben von unserer Seite ein ausgiebiges Konzept dazu vorgelegt. Ich glaube, dass die eine oder andere Idee hier noch Eingang finden kann. Die Betreuung nach der Schule war früher ein riesiges Problem. Wenn auch während der Kindergartenzeit Familie und Beruf noch miteinander vereinbart werden konnten, so ist dies jäh gescheitert, wenn die Kinder in die Schule kamen. Was die Ganztagsschule betrifft, besteht bei Ihnen noch einiges an Nachholbedarf.

Für uns steht die Frage im Mittelpunkt, wie wir noch mehr Qualität in den Einrichtungen erzielen können. Angesichts der momentanen Haushaltssituation kann ich natürlich keine großen Sprünge auf Seiten der Staatsregierung erwarten. Ich wäre aber auch zum jetzigen Zeitpunkt gegen ein verpflichtendes und beitragsfreies Kindergartenjahr. Für mich steht die Qualität an erster Stelle. Wir müssen die Finanzierung der Bildungsangebote insgesamt umstrukturieren, damit wir auch mehr für die frühkindliche Bildung ausgeben können. Wir haben bei den Kindergärten eine relativ hohe Besuchsquote. Mit der Einführung eines verpflichtenden beitragsfreien Kindergartenjahres würden wir große Gruppen provozieren, ohne dass sich die Qualität verbessert. Beim Kindergarten würde eine Verschulungstendenz einsetzen, und das möchte ich auf keinen Fall. Für mich steht die Qualität der Kindergartenbetreuung an erster Stelle, und dazu sollten erst einmal die Gruppen verkleinert werden. In kleineren Gruppen können die Kinder eher sprachlich, musisch und auch in sonstigen Fähigkeiten gefördert werden. Zusätzlich sollen wir auch die individuelle Entwicklung der Kinder fördern und dokumentieren. Von unseren Vorschlägen dazu ist bei Ihnen schon einiges angekommen.

Das Wissen der Erzieherinnen kommt bei den Lehrerinnen meistens nicht mehr an. Mit einem individuellen Entwicklungsplan könnte diesem Problem wesentlich abgeholfen werden. Für uns ist eine bessere Verzahnung der Einrichtungen Kindergarten und Schule wichtig. Dazu müssen die Institutionen besser zusammenarbeiten. Das muss schon bei der Ausbildung beginnen. Mir schwebt vor, dass Erzieherinnen auch in der Grundschule ein Praktikum absolvieren, während umgekehrt eine Grundschullehrerin auch Einblick in die Kindergartenarbeit erhält. Die beiden Einrichtungen dürfen nicht so stark voneinander abgeschottet werden, dass keiner vom anderen etwas wissen will.

Die Kinder müssen in ihren Stärken gefördert werden, und die Schwächen müssen abgebaut werden, nur so können wir Perspektiven für die Kinder entwickeln. Besonders wichtig ist dies für Kinder aus bildungsferneren und aus Migrantenfamilien, weil wir damit erste Schritte der Armutsprävention machen können. Wir müssen auch die Eltern mit auf die Reise nehmen. Wir brauchen in einer komplexen Welt komplexe Anforderungen an Einrichtungen, und deshalb müssen wir bei den Kindergärten in vielerlei Richtung umdenken, damit die verschiedenen Angebote wie Kinderbetreuung, Erziehungshilfen oder Sprachkurse unter ein Dach kommen. Auch Manchen auf Ihrer Seite wird dabei noch ein Licht aufgehen.

Kinderpolitik ist ein Politikfeld, das sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Wir sehen die Kinderpolitik oftmals nur unter dem sozialpolitischen Aspekt. In allen Politikbereichen, in denen wir tätig sind – in der Umwelt-, der Verkehrs-, der Arbeitsmarkt- und auch der Innenpolitik – muss das Prinzip gelten, dass die Kinder die Nase vorne haben. Wenn dieses Prinzip in alle Politikbereiche Eingang finden würde, hätten wir in der Kinderpolitik wesentlich mehr Nachhaltigkeit, als wir sie jetzt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Goppel (CSU) zieht seine Wortmeldung zurück.)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Schultz.

(Frau Radermacher (SPD): Zieh doch auch zurück!)

Nein, ich ziehe nicht zurück.

Frau Präsidentin, meine Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich natürlich gefreut, dass ich den Herrn Goppel noch vor mir habe. Jetzt habe ich gehört, dass er verzichtet. Gehen wir also auf die Kolleginnen und Kollegen ein, die vor mir gesprochen haben. Ich will auch nur zwei Punkte dazu erwähnen.

Herr Unterländer, ich schätze sie als einen wirklich redlichen Politiker, der versucht, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihm die CSU bietet, in Sachen Familie sein Bestes zu geben. Wer aber mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigen drei Finger wieder zurück. Sie können sich nicht hierher stellen und glauben, den anderen ein Sündenregister öffnen zu dürfen. Ich erwähne das auch angesichts der Probleme, die wir zur Zeit mit den Finanzen haben. Ich habe vorhin schon gesagt, worin die Gründe liegen. Dazu gehören natürlich auch die Probleme im Wohnungsbau. Wie können wir dem entgegensteuern, dass die Familien von diesen Problemen überproportional betroffen sind? Ich sage Ihnen auch an dieser Stelle, auch in dem Moment – –

(Wortmeldung des Abg. Dr. Goppel (CSU))

Jetzt kommt er doch, jetzt traut er sich.

(Frau Radermacher (SPD): Das ist aber eine dumme Taktik!)