Protokoll der Sitzung vom 13.11.2002

(Frau Radermacher (SPD): Das ist aber eine dumme Taktik!)

Ich habe Ihnen schon gesagt, wir kämpfen zusammen mit Renate Schmidt darum, dass unsere Schuldenlast bereinigt wird, und davon darf möglichst wenig der Wohnungsbau für die Familien betroffen sein. Sie wissen, dass beim Wohnungsbau Verbesserungen eingetreten sind. Sie wissen auch, dass wir uns in dieser Frage sehr offen der Kritik aussetzen. Sie wissen auch, dass wir bereit sind, mit Ihnen hier im Landtag oder wo auch immer den Streit darüber auszufechten. Hier agieren wir anders als Sie. Sie agieren nicht offen, Sie agieren in diesen Fragen verdeckt und heimlich, ohne den Betroffenen eine Chance zu geben, sich zu wehren.

Ich erwähne ein Beispiel, welches schon einmal kurz angesprochen worden ist. Ich glaube, es ist unglaublich familienfeindlich, sich so zu verhalten, wie es Ihre Ministerien in Bayern tun. Ich darf dazu noch einmal auf die „Nürnberger Nachrichten“ vom 9./10. November verweisen. In einem Artikel wurde davon berichtet, dass ein 37 Jahre alter Familienvater mit zwei Kindern im Altern von 11 Monaten und dreieinhalb Jahren Ende September in dem für ihn zuständigen Landratsamt ein Beratungsgespräch hatte. Bei diesem Beratungsgespräch ging es um die Eingabepläne für sein Einfamilienhaus. Er musste

zwischenzeitlich über zwanzig Einzelnachweise liefern. Über Nacht bekam das Landratsamt per E-Mail von Ihren Ministerien die Anweisung, dass das bisher einkalkulierte billige Baudarlehen des Freistaates Bayern in Höhe von 23300 e nicht mehr ausgezahlt werden dürfe. Der Familienvater müsse sich jetzt an eine Bank wenden und zusätzlich einen Kredit von 12500 e aufnehmen. Damit wird die monatliche Belastung für diese vierköpfige Familie über viele Jahre hinweg wesentlich höher sein, als es bisher einkalkuliert war. Ohne jede Vorwarnung und ohne jede Möglichkeit, sich darauf einzustellen, ergeht diese Weisung per E-Mail an alle Gebietskörperschaften und nachgeordneten Behörden. Die Haushaltssituation verbietet sogar eine moderate Übergangslösung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU, das ist Ihre Art Politik zu betreiben. Das wirkt sich zu Lasten der Menschen vor Ort aus. Diese Art von Politik ist pharisäerhaft. Auf diese Art und Weise werden wir in Bayern mit den Menschen und vor allem mit den Familien nicht umgehen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Dr. Goppel.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen die Diskussion über die Familie in unserem Land seit nunmehr gut zwei Jahren mit einer Heftigkeit und Deutlichkeit, mit der wir alle sie vorher nicht geführt haben. Die Vorgeschichte zur Familienpolitik von heute beginnt in der Zeit der sozialliberalen Koalition mit einer Reihe von Familienberichten. Damals wurden Kinder von ihren Eltern abgesondert, und man hat mit einer Fülle von Initiativen versucht, dafür zu sorgen, dass die Familie in ihrer alten Zusammensetzung nicht mehr existiert. Diese Vorgeschichte spielt in den siebziger Jahren.

(Widerspruch bei der SPD – Frau Radermacher (SPD): Nennen Sie ein Beispiel!)

Ich war damals schon im Parlament und weiß noch sehr genau, wie wir uns gegen Forderungen verwahren mussten, selbst minderjährigen Kindern Sonderrechte gegenüber den Eltern einzuräumen und dem Elternhaus den Einfluss auf die Kinder zu nehmen.

(Widerspruch bei der SPD)

Daran anschließend haben wir gemeinsam in diesem Land versäumt, uns den Familien zuzuwenden. Sie können weder ein rotes noch ein schwarzes Land nennen, welches in diesen Jahren eine besondere Präferenz für dieses Thema gehabt hätte.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie werden feststellen, dass wir die Prioritäten bei der Diskussion über die deutsche Einheit noch einmal verschoben haben. Ich möchte mit dem ewigen Märchen

aufräumen, die Probleme seien in den Jahren 1982 bis 1998 entstanden und Sie von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seien von jeder Schuld frei.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Marianne Schieder (SPD))

Lassen Sie mich ein Drittes sagen. In den letzten vier Jahren haben Sie das Kindergeld ohne Zweifel erhöht, ohne Zweifel auch kräftig erhöht, aber Sie haben gleichzeitig Familien mit Kindern so viele Abgaben und Steuern zugemutet, dass das Geld bei den Familien nicht angekommen ist.

Jetzt gibt es einen weiteren Nachholbedarf. Darüber streiten wir nicht. Wir streiten über etwas völlig anderes.

(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn Sie zuhören würden, kämen Sie ein Stück weiter. Wir streiten zum Beispiel darum, dass Sie die Kinderbetreuung bei den Niedriglohnverhältnissen, die auf Vorschlag der Hartz-Kommission eingeführt werden sollen, ausdrücklich ausnehmen. Das ist familienunfreundlich, und deswegen stellen wir uns gegen Ihre hiesige Großmäuligkeit und Ihr Prahlen, was Sie alles könnten. Denn auf Bundesebene streichen Sie Leistungen und benachteiligen die Familien.

Sie sagen, Sie gäben den Familien mehr Raum. Nein, Sie geben dem Staat mehr Raum gegenüber der Familie. Wir wehren uns nicht gegen Fördermaßnahmen für Familien.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Sie waren eben nicht da gewesen!)

Doch, ich bin die ganze Zeit da gewesen. Wenn Sie blind sind, kann ich Ihnen nicht helfen. Ich habe den Raum nicht verlassen, verehrte gnädige Frau.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Biedefeld (SPD))

Frau Biedefeld, wenn Sie plärren, können Sie nicht zuhören. Ich kann diesen Stil nicht leiden.

(Frau Radermacher (SPD): Ihre Überheblichkeit ist auch nicht toll!)

Lassen Sie mich ganz nüchtern festhalten: Es sind zwei Ansätze der Politik in diesen Tagen unterwegs. Der eine Ansatz geht davon aus, dass sich zwei erwachsene Menschen in der Ehe zusammengetan haben. Das ist unser Ansatz, da können Sie sagen, was Sie wollen. Ich bin dagegen, dass Herr Wowereit und sein Partner Kinder erziehen. Das müssen Vater und Mutter tun.

(Beifall bei der CSU)

Es ist unser Ziel, dass Vater, Mutter und Kinder von uns gefördert, gestärkt und unterstützt werden, wo immer der Staat das leisten kann.

(Frau Biedefeld (SPD): Zurück ins Mittelalter!)

Der Staat hat sich aus der Familie herauszuhalten und muss Vater und Mutter das Recht geben, dass sie ihren Kindern den Lebensweg weisen. Alles andere sind Hilfskonstruktionen. Wenn Sie von der SPD und den GRÜNEN darauf setzen, dass die Hilfskonstruktion wichtiger als die Grundkonstruktion sei, dann sind Sie auf dem falschen Dampfer. Das ist nicht im Interesse der Kinder.

(Beifall bei der CSU)

Sie können uns nicht Modelle vorhalten, die darin bestehen, Kinder vom Staat von morgens 8 bis abends um 5 Uhr betreuen zu lassen, um sie dann abends ins Bett zu bringen und morgens wieder mit einem Pausenbrot auszustatten. Das ist keine Förderung der Familie, sondern eine Förderung der Tätigkeit von Erwachsenen. Das ist zu wenig.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Aufgabe dieses Hohen Hauses ist es, dafür zu sorgen, dass Erwachsene und Kinder in einer Gemeinschaft leben können, in der sie sich untereinander stärken, stützen und helfen und dafür sorgen, dass der Einzelne erlebt, dass das Individuum in unserem Lande bei seinem Aufwachsen und seiner Entwicklung ernst genommen wird. Das kann ich nicht staatlich organisieren. Ein Ersatz ist notwendig, darüber streiten wir nicht mit Ihnen. Die Grundausrüstung besteht aber in Vater, Mutter und Kindern. Alles andere sind Hilfskonstruktionen, die wir nicht zum Maßstab erheben. Deshalb sind viele Ihrer Anträge für uns nicht nachvollziehbar und nicht umzusetzen.

(Frau Biedefeld (SPD): Sie erzählen uns Frauen, wie wir leben sollen! – Frau Radermacher (SPD): Das war ein Beispiel von Intoleranz!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Staatssekretär Regensburger.

Staatssekretär Regensburger (Innenministerium) : Frau Präsidentin! Da ich vorhin bei der Rede von Herrn Kollegen Schultz mit meiner Zwischenfrage nicht zu Wort gekommen bin und mehrfach von der Opposition kritisiert wurde, dass den Kreisverwaltungsbehörden per E-Mail eine beabsichtigte Änderung der Wohnungsbauförderbestimmungen mitgeteilt wurde, möchte ich Sie fragen, ob es Ihnen lieber gewesen wäre, wenn wir bis zum nächsten Jahr abgewartet hätten und die Leute dann einen Ablehnungsbescheid bekommen hätten.

Ich glaube, es ist vernünftig, auch moderne Kommunikationsmittel zu nutzen – und das ist die E-Mail –, um den Kreisverwaltungsbehörden Hinweise zu geben, dass aufgrund der durch die Politik des Bundes verursachten radikalen Kürzungen der Fördermittel für den Wohnungsbau die Wohnungsbauförderungsbestimmungen geändert werden müssen, damit sich die Betroffenen rechtzeitig darauf einstellen können.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Staatsministerin Stewens.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion spiegelt mit seiner Konturenlosigkeit und seinen Allgemeinplätzen Planlosigkeit in der Familienpolitik wider, die auf Bundesebene insgesamt für die Familien verheerend wirkt. Das könnte man Lufthoheit über den Kinderbetten nennen. Wenn man in dieser Art und Weise Kinder instrumentalisiert und die Lufthoheit über den Babybettchen erobert, dann frage ich mich, wo wir überhaupt leben. Wie gehen Sie überhaupt mit unseren Kindern um? Das müssen Sie sich fragen lassen.

(Beifall bei der CSU)

Für die Bayerische Staatsregierung hat die Familienpolitik seit Jahren Priorität. Sie fordern jetzt von der Bayerischen Staatsregierung Verbesserungen, die Sie bei Ihren Genossen in Berlin nicht durchsetzen können. Ein Stichwort ist die finanzielle Lebensgrundlage von Familien. Ich gebe Ihnen Recht: Natürlich brauchen Familien mehr Geld. Das ist gar keine Frage. Eine Kindergelderhöhung hätten wir gebraucht, aber wir bekommen sie nicht. Rot-Grün sagt Nein zu Kindergelderhöhungen.

(Widerspruch bei der SPD – Zuruf der Frau Abge- ordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Sie setzen überhaupt nichts durch. Die rot-grüne Bundesregierung hat stattdessen eine Mehrbelastung erreicht. Sie haben die Einschnitte bei der Eigenheimförderung gemacht, Sie erhöhen die Ökosteuer zu Beginn des nächsten Jahres weiter, Sie erhöhen die Steuern auf Erdgas, Sie heben den bisher ermäßigten Mehrwertsteuersatz an, und Sie haben die Steigerung der Beiträge in nahezu allen Sozialversicherungszweigen zu verantworten. Glauben Sie tatsächlich, dass das am Geldbeutel der Familien spurlos vorübergeht? Was machen Sie sich überhaupt vor?

Es gibt keine Verbesserungen für Mehrkinderfamilien. Die letzte Kindergelderhöhung für das dritte und vierte Kind war vor sechs Jahren. Wie kann man nur so vollmundig reden? Es gibt keine Verbesserungen für Eltern, die für die Kindererziehung auf Erwerbstätigkeit verzichten. Nein, Sie geben einen unglaublich zynischen Rat und sagen, diejenigen, die kein Geld hätten, sollten doch arbeiten gehen. Weiterhin gibt es eine Verschlechterung für die Alleinerziehenden durch die Abschmelzung des Haushaltsfreibetrages. Das sind die Tatsachen.

In Ihrem Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Kollege Goppel hat darauf schon hingewiesen – stehen die Zubereitung von Mahlzeiten, die Reinigung der Wohnung, Gartenpflege, Pflege – damit sind die älteren Menschen gemeint –, die Versorgung und Betreuung von Kranken. Die Kinderbetreuung ist nicht erwähnt und ist nicht steuerlich absetzbar. Danach fragen Familien immer wieder. Sie führen vor Ort familienpolitische Diskussionen. Sie sollten wissen, dass die

steuerliche Absetzbarkeit eine finanzielle Erleichterung für unsere Familien bringen würde.

(Frau Radermacher (SPD): Wie viele können sich denn eine Hausangestellte leisten?)

Wir lassen unsere Familien nicht im Stich. Wir unterstützen gerade die Mehrkinderfamilien und Alleinerziehende, weil das die diejenigen sind – blicken Sie in den Sozialbericht und in den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung –, denen es nicht besonders gut geht. Mit dem Landeserziehungsgeld nehmen wir angesichts der Dauer der Gewährung bundesweit eine Spitzenstellung ein. Es gibt übrigens kein SPD-regiertes Land, das Landeserziehungsgeld anbietet. Dort sollten Sie einmal hingehen und Ihre Forderungen stellen.