Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

Die Schülerzahlen müssen meist herhalten, wenn begründet werden muss, warum zu wenig oder gar nichts getan wird. Entweder sind die Schülerzahlen gerade so stark im Steigen, dass man damit einfach nicht rechnen konnte und Abhilfe so schnell nicht geschaffen werden kann, siehe FOS und BOS, oder sie werden sich in den nächsten Jahren so stark nach unten entwickeln, dass man mit Rücksicht darauf wiederum nicht viel tun kann.

(Beifall bei der SPD)

Schülerzahlen sind also für Begründungen immer gut. Warum man sie nicht genau berechnen kann, entzieht sich seit meiner Zugehörigkeit zu diesem Hohen Haus wirklich jeder nachvollziehbaren Begründung.

(Beifall bei der SPD)

Super ist stets aber die Art und Weise, wie die zuständige Ministerin vorgibt, mit den Problemen und steigenden Anforderungen fertig zu werden. Zu allen Themen werden große, tatenversprechende Presseerklärungen abgegeben nach dem Motto: Hauptsache, das Thema ist besetzt, die Aktivität ist angekündigt und man ist im Gespräch. Es gibt ein Modellprojekt mehr da, selbstverständlich mit entsprechender Vermarktung; dann hat man etwas gemacht, und bis zum Ablauf der Modellphase ist das Thema erst einmal vom Tisch. Es gibt ein bisschen neue Methode dort – siehe Sprachlernklassen –, selbstverständlich mit hohen konzeptionellen Ansprüchen ausgestattet und von einem entsprechenden bürokratischem Aufwand begleitet, und das alles unter der ständigen und absoluten Kontrolle der Staatsregierung. Aber eines stimmt immer, nämlich die Show.

Bei genauer Betrachtung erkennt man allerdings, dass all das, was neu gemacht wird, zumeist aus dem vorhandenen Fleisch – wie es der Präsident des BLLV ausgedrückt hat – geschnitten wird und es dafür eben keine zusätzlichen Ressourcen gibt. Die tollen Vorschläge führen vor Ort zu zusätzlichen Belastungen, ohne dass es dafür einen Ausgleich gibt. Es heißt dann auf unsere Anfragen, nicht die Quantität wurde verbessert, dafür aber die Qualität im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Das meiste hilft nur wenigen und dient mehr der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums und der Ministerin als den Betroffenen vor Ort. Und das meiste muss von anderen bezahlt werden, siehe Schulsozialarbeit oder Ganztagsschulangebote.

(Beifall bei der SPD)

Die von mir anfangs geschilderte Realität spiegelt sich auch im Haushalt wieder. Die großen Ankündigungen, gerade bei den Schulen den Rotstift nicht anzusetzen, sind weniger auf ein besonderes Bekenntnis zur besonderen Wertigkeit von Bildung zurückzuführen als vielmehr auf das Einsehen, dass mit noch weniger Mitteln der Mangel nicht mehr verwaltet werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Oder wollen Sie noch mehr Klassen mit mehr als 30 Schülerinnen und Schülern? Denn davon gibt es immer noch genügend. Allein für die Herstellung eines Zustandes, in dem es nicht mehr als 30 Schülerinnen und Schüler pro Klasse gibt, bräuchte man zusätzlich 1875 Lehrerstellen. Wollte man die Klassen mit jeweils höchstens 25 Schülern besetzen, müsste man 8200 zusätzliche Planstellen einrichten. Mir ist klar, dass ein solcher Kraftakt nicht in einem Doppelhaushalt gemeistert werden kann; doch es wäre nötig, wie immer wieder von uns gefordert, endlich zumindest einen Stufenplan zu entwickeln, um dem Ziel kleinerer Klassen wirklich näher kommen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Sie verkünden zwar zu Schuljahresbeginn immer wieder, dass die Klassen mit einer Schülerzahl von über 30 weniger geworden sind, doch dieser Erfolg ist meines Erachtens weniger der Erfolg Ihres gezielten Handels als vielmehr das Resultat des sich von selbst ergebenden Schülerrückgangs, der da und dort zu kleineren Klassen führt. Besonders wichtig wäre es für mein Dafürhalten, gerade in den Eingangsklassen keine Klasse mit mehr als 25 Schülerinnen und Schülern zu bilden.

(Beifall bei der SPD)

Besonders zu Beginn der Schullaufbahn sollten Lehrerinnen und Lehrer genügend Zeit haben für jedes einzelne Mädchen und jeden einzelnen Buben. Kein Kind sollte das Gefühl bekommen dürfen, sozusagen in der Masse unterzugehen. Das wäre auch der große Wunsch der Eltern, wie die zahlreichen Petitionen, die uns vor Schuljahresbeginn immer wieder vorliegen, zeigen.

Eine Grundschulklasse ist zudem – das wird meines Erachtens in der Diskussion zu wenig beachtet – eine doch sehr inhomogene Gruppe, in der hochbegabte Kinder, die schnell unterfordert sind, genauso gefördert werden müssen wie Kinder, die dem Unterricht nur sehr schwer folgen können und dringend zusätzliche Unterstützung und Förderung bräuchten.

(Beifall bei der SPD)

Sicher ist die Klassenstärke nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg, aber vieles geht doch leichter mit weniger Kindern in der Klasse. Der von mir eben beschriebene Spagat, den Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer bewältigen müssen, wird in einer Klasse mit über 30 Schülern nur schwer gelingen.

Nicht erst seit der Einführung der R 6, aber durch diese verstärkt, prägt für Schülerinnen und Schüler genauso wie für deren Eltern und Lehrerinnen und Lehrer ein enormer Auslesedruck das Leben und das Bewußtsein an unseren Schulen. Die Motivation, zu lernen, ist mehr gelenkt von der Angst vor dem Schulversagen als von der Freude am Lernen und von der Hoffnung auf Erfolg.

(Beifall bei der SPD)

Wir können aber auf Dauer von unseren Kindern nicht nur fordern, sondern wir müssen zuerst fördern. Es wäre endlich an der Zeit und nach Pisa mehr denn je angezeigt, die Grundschule als Fundament jeder Schullaufbahn zu stärken und dafür Sorge zu tragen, dass es dort eine möglichst individuelle und intensive Förderung der Kinder gibt.

(Beifall bei der SPD)

Dass dies Erfolge bringt, zeigt das Beispiel Finnland. Die Bayerische Staatsregierung tut seit Jahren das Gegenteil und hat der Grundschule immer wieder Stunden weggenommen, um Lehrerstellen einzusparen, und nur einen geringen Teil davon zurückgegeben. Tatsache ist auch, dass die öffentlichen Ausgaben für die Grundschu

len in Bayern nur circa 60 % der Gelder ausmachen, die in den OECD-Staaten im Schnitt dafür zur Verfügung gestellt werden. In Bayern entfallen auf einen Grundschüler pro Schuljahr lediglich 3000 e. In der Schweiz zum Beispiel investiert man jährlich über 7000 e pro Grundschüler, in Österreich knapp 7000 e und in Finnland 5000 e. Es ist uns wiederum klar – ich möchte das noch einmal betonen –, dass man die zusätzliche Förderung der Grundschule nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen kann. Hier rächt sich natürlich die Politik der Vergangenheit.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre aber – so meine ich – durchaus möglich und dringend erforderlich, wiederum im Rahmen eines Stufenplans jetzt damit anzufangen, die durch den sich anbahnenden Schülerrückgang frei werdenden Ressourcen zu nutzen und kontinuierlich aufzustocken und so der Grundschule eine neue und höhere Wertigkeit zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Tatsache ist doch, dass das, was in den Grundschulen versäumt wird, später nur schwer nachgeholt werden kann.

Auch bei der Hauptschule können Sie gar nicht weniger tun, Frau Staatsministerin. Sie tun nämlich sowieso schon fast nichts. Das ist die Realität. Gehen Sie doch hinaus an die Hauptschulen, fragen Sie die Lehrerinnen und Lehrer, nehmen Sie deren Bedenken und Sorgen ernst und wischen Sie sie nicht weg. Sie sehen zu, wie mit der Einführung der R 6 Zug um Zug die Hauptschulen leerer werden und sogar wegsterben. Sie sehen zu, wie die Arbeit dort immer schwerer wird, und wollen nichts mehr wissen von Ihren Versprechen, die Sie den Hauptschulen zu Zeiten des Volksbegehrens gegeben haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss Ihnen genauso wie viele Lehrerinnen und Lehrer und viele Kommunalpolitiker vor Ort unterstellen, dass Ihnen dieses Hauptschulsterben gerade recht kommt; denn dann können Sie Schulen zusammenlegen und noch mehr Lehrer einsparen, als Sie es jetzt schon tun.

(Beifall bei der SPD)

Auch an den Hauptschulen haben Sie in den letzen Jahren Stunden gestrichen und keine davon zurückgegeben. Die Hauptschule ist in Bayern ebenso unterfinanziert wie die Grundschule. Hier betragen die Ausgaben ebenfalls nur circa 60% dessen, was in den OECD-Staaten dafür verwendet wird. Circa 10% der Schülerinnen und Schüler verlassen in Bayern die Schule ohne Abschluss. In starkem Maß betroffen sind die Hauptschülerinnen und Hauptschüler. Das kann doch nicht im Ernst so bleiben. Hier muss über neue Konzepte nachgedacht werden, genauso wie über eine stärkere finanzielle Förderung dieser Schulart.

(Beifall bei der SPD)

Ich bitte Sie: Tun Sie doch endlich etwas zur Optimierung der Förderung der Schülerinnen und Schüler an den Hauptschulen, zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Hauptschülerinnen und Hauptschüler ebenso wie für die Sicherung und den Ausbau der beruflichen und sozialen Integration. Dabei ist es mit den Praxisklassen allein nicht getan. Das wissen Sie ganz genau. Das ist wieder eines dieser vielen Projekte, die man gut verkaufen kann, die aber die Probleme vor Ort nicht wirklich lösen.

(Beifall bei der SPD)

Tun Sie etwas, damit Hauptschulen ein attraktives Schulartprofil entwickeln können und die Akzeptanz dieser Schulart bei den Eltern verbessert wird. Wichtig scheint es mir gerade in den Hauptschulen, aber nicht nur dort, eine Unterstützung für die zu bewältigenden erzieherischen Aufgaben anzubieten.

Es werden an unseren Schulen nämlich – ich muss es Ihnen immer wieder ins Gedächtnis rufen – Kinder unterrichtet, und nicht nur Fächer.

(Beifall bei der SPD)

Es sind Kinder, die ihre Sorgen und Nöte nicht an der Schultür abladen können, sondern mit in die Schule bringen.

Die nötige Unterstützung wäre mit einem flächendeckenden Ausbau der Schulsozialarbeit, erfolgreich erprobt in Modellversuchen, gut möglich. Allerdings wird dieser Ausbau nur gelingen, wenn Sie endlich damit aufhören, diese Unterstützung den Jugendhilfeträgern aufbürden zu wollen, indem Sie dies als Jugendsozialarbeit an den Schulen bezeichnen. Bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung. Nennen Sie das Kind beim richtigen Namen, und richten Sie in ausreichendem Maße vom Freistaat Bayern finanzierte Schulsozialarbeit ein.

(Beifall bei der SPD)

In sehr vielen Fällen ist mangelnde Sprachkompetenz die Hauptursache für den mangelnden Schulerfolg. Endlich, sehr geehrte Frau Ministerin, nehmen Sie sich dieses Problems an, aber das, was Sie tun, ist wirklich viel zu wenig, um nicht zu sagen ein Tropfen auf den heißen Stein. Oder halten Sie im Ernst angesichts der Tatsache, dass es in Bayern 35604 Schulklassen und 88470 ausländische Schülerinnen und Schüler gibt – die deutschstämmigen Spätaussiedlerkinder, die der deutschen Sprache ebenfalls oft zu wenig mächtig sind, kommen noch dazu – 100 Sprachlernklassen für ausreichend?

(Beifall bei der SPD)

Abgesehen davon – das werden Ihnen Schulleiterinnen und Schulleiter an Brennpunktschulen und anderen Schulen bestätigen – ist dieses Konzept, so gut es auch gemeint sein mag, nur schwer umsetzbar und hilft vielerorts nichts, wo ebenso dringender Handlungsbedarf

bestünde. Viel sinnvoller wäre es, Sie würden den Schulen, bei denen dieser Bedarf besteht, Lehrerstunden und Mittel zur Verfügung stellen und es diesen Schulen gestatten, nach ihrem Bedarf und nach einem eigenen Konzept auf ihr Problem zu reagieren.

(Beifall bei der SPD)

Es muss doch nicht wirklich an allen Schulen Bayerns dieselbe Sache gemacht werden. Es kann doch in diesem Bereich damit angefangen werden, den Schulen Eigenständigkeit und Freiräume einzuräumen.

(Beifall bei der SPD)

Auch an den Gymnasien gebe es Anlass zum Handeln. Es fehlen dort laut Presseerklärung des Philologenverbandes mindestens 120 Lehrerinnen und Lehrer. Nötig wäre es dringend, das den Schulen zugewiesene Budget so anzuheben, das den Schulen wirklicher Handlungsspielraum bleibt, um tatsächlich von eigenen Gestaltungsspielräumen sprechen zu können. Das ist bei der momentanen Lage vielleicht beabsichtigt, aber mangels Ressourcen nicht möglich.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Man weiß, dass circa 20% aller Gymnasiasten in Bayern das Gymnasium vorzeitig verlassen, also im Grunde dort scheitern. Deshalb muss alles getan werden, um auch an den Gymnasien die Möglichkeit für zusätzliche Förderung der Kinder und jungen Menschen zu verbessern. Leider wurden mangels Kapazitäten alle diese Möglichkeiten in den letzten Jahren nahezu gegen Null gefahren. Erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel wären auch für die Realschulen notwendig. Um dem dort herrschenden Lehrermangel beizukommen, meinte die Staatsregierung sogar, den Realschullehrerinnen und Realschullehrern zusätzliche Unterrichtsverpflichtungen verordnen zu können. Zu Recht haben sich die Betroffenen massiv dagegen gewehrt;