Protokoll der Sitzung vom 28.01.2003

Sie wollten eine persönliche Erklärung abgeben, aber kein Zwiegespräch führen.

Ich verbitte mir solche unverschämten falschen Behauptungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Runge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Muss ich mich „Schwachkopf“ nennen lassen? – Frau Radermacher (SPD): Was hat er gesagt? Schwachkopf? – Das ist nicht parlamentarisch! – Heike (CSU): Einen Vogel zeigen, das gibt es aber nicht!)

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Tagesordnungspunkt 2

Antrag der Staatsregierung

Entwurf einer Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) (Drucksache 14/9900)

Eingabe betreffend Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Bayern; Streichung des Ziels B V 1.6.3; Az.: LU.0599.14

Antrag der Abgeordneten Dr. Kronawitter, Gartzke, Schläger und anderer (SPD)

Keine Vorbehaltsfläche für Flughafen München II in das Landesentwicklungsprogramm (Drucksache 14/9779)

Änderungsantrag der Abgeordneten Maget, Biedefeld, Gartzke und anderer (SPD)

Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms

Grundsätzliche Zielsetzungen und Leitlinien (Druck- sache 14/10809)

Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Paulig, Dr. Runge und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Landesentwicklungsprogramm

Zu Kapitel B V Nachhaltige technische Infrastruktur (Drucksache 14/10290

Anträge und Änderungsanträge zum Entwurf einer Verordnung über das Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) (siehe Anlage 2)

Änderungsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Runge, Kellner und anderer und Fraktion (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Landesentwicklungsprogramm

A 94 (Drucksache 14/11381)

Änderungsantrag der Abgeordneten Elisabeth Köhler, Dr. Runge, Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Landesentwicklungsprogramm

Aus- und Neubau der ICE-Strecke Nürnberg – Erfurt (Drucksache 14/11382)

Änderungsantrag der Abgeordneten Elisabeth Köhler, Dr. Runge, Kellner und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Landesentwicklungsprogramm

MUC II, Vorranggebiet Flughafenentwicklungsfläche (Drucksache 14/11383)

Änderungsantrag der Abgeordneten Elisabeth Köhler, Dr. Runge, Paulig und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Landesentwicklungsprogramm

Großmärkte auf der „Grünen Wiese“ (Drucksache 14/11384)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von 45 Minuten pro Fraktion vereinbart. Als erster Redner hat Herr Minister Dr. Schnappauf um das Wort gebeten.

Sehr geehrter Herr Präsident, Hohes Haus, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich mich zunächst in aller Form beim Bayerischen Landtag sehr herzlich bedanken. Die Ausschüsse haben den Entwurf

dieses Landesentwicklungsprogramms in einer außerordentlich intensiven Art und Weise, zum Teil in mehrtägigen Sitzungen bis weit in die Abendstunden hinein diskutiert. Die Kolleginnen und Kollegen dieses Hohen Hauses haben damit auch den Stellenwert unterstrichen, den sie der Aufgabe beimessen, Bayern für die Zukunftsherausforderungen fit zu machen und fit zu halten.

Es waren gute, sachliche, intensive Diskussionen. Dafür möchte ich mich besonders beim Vorsitzenden des zuständigen Ausschusses für Landesentwicklung und Umweltfragen, Herrn Abgeordneten Henning Kaul, aber auch bei Walter Hofmann sehr herzlich bedanken. Letzten Endes möchte ich mich aber bei allen Kolleginnen und Kollegen des Hauses bedanken, auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die in einigen Ausschüssen den Vorlagen zugestimmt haben, sich zum Teil der Stimme enthalten haben und damit eine Verpflichtung für die Entwicklung des Landes eingegangen sind.

In all den Sitzungen sind zahlreiche Anregungen und Vorschläge eingebracht worden, die den Entwurf bereichert und verbessert haben und unser gemeinsames Ringen um die bestmögliche Lösung zum Ausdruck bringen.

Ich möchte deshalb ausdrücklich noch einmal festhalten, dass die Behandlung des Landtags, das Expertenhearing und die umfangreiche Anhörung gewürdigt haben, dass es sich beim Landesentwicklungsprogramm um ein querschnittsorientiertes Zukunftsprogramm für ganz Bayern handelt. Lob hat auch erfahren, dass die nachhaltige Raumentwicklung konsequent im LEP verankert ist. Ich möchte das nicht einfach lapidar feststellen, sondern ganz bewusst darauf hinweisen, dass zum erstenmal das Leitbild der Nachhaltigkeit konkret und verbindlich in einem Normenwerk verankert ist und damit das seit Rio überall angestrebte Prinzip „Leitbild der Nachhaltigkeit“ nunmehr zum Gegenstand der Norm des Landesentwicklungsprogramms gemacht worden ist.

Trotz viel Verbindendem möchte ich aber auch das, was sich in den Ausschüssen an unterschiedlichen Auffassungen gezeigt hat, nicht verhehlen. Dabei geht es zum einen um ein Verständnis darüber, was Nachhaltigkeit überhaupt ist. Teile der Opposition verstanden unter nachhaltiger Entwicklung den Vorrang der Ökologie. Wir dagegen berufen uns auf die Agenda 21 von Rio, wonach es einen grundsätzlichen Gleichklang der drei Säulen Ökologie, Ökonomie sowie Soziales und Kulturelles geben muss. Wenn dies nicht der Fall wäre, wenn immer die Ökologie den Vorrang hätte, würde letzten Endes die Abwägung entfallen. Nachhaltigkeit wäre dann Stillstand, weil keinerlei Entwicklung stattfinden würde.

Das neue Landesentwicklungsprogramm ist auch straffer. Es wurde um etwa ein Drittel gegenüber dem alten gekürzt. Es wurden viele Bezüge zu anderen gültigen Werken hergestellt. Beispielhaft nenne ich die Alpenkonvention und das Kyoto-Protokoll. Im Interesse der Lesbarkeit und der Straffung des Landesentwicklungsprogramms haben wir bewusst darauf verzichtet, die ohnehin gültigen anderen Regelungen an dieser Stelle noch einmal deklaratorisch aufzuführen. Das gilt beispiels

weise auch für die Indikatorenmessung, die sich im Raumordnungsbericht findet oder in einem Indikatorenbericht, wie wir ihn in Kürze veröffentlichen werden. Es wurde auch bewusst an dem sinnvollen Energiemix festgehalten, der die Kernenergie einschließt. Damit wird deutlich, dass wir eine nachhaltige, ganzheitliche, klimafreundliche Energieversorgung als Grundlage der Zukunft in Bayern sehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Landesentwicklungsprogramm Bayern ist damit ein Drehbuch für langfristige Zukunftsvorsorge im Freistaat Bayern. Es ist ein Drehbuch für nachhaltige Regionalentwicklung in den nächsten Jahren. Es werden der Strukturwandel, die Tendenzen zur Europäisierung und zur Globalisierung genauso berücksichtigt wie der Wandel von der Agrargesellschaft zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben ein B-Movie gedreht!)

Damit zieht sich durch das Landesentwicklungsprogramm in besonderer Weise der rote Faden einer langfristigen Zukunftsvorsorge in Bayern, und es liegt mir viel daran, meine Damen und Herren, dies hier herauszustreichen. Ich erinnere daran, dass wir seit vielen Jahren im bayerischen Alpenraum die Freihaltung von so genannten Tabuzonen für Erschließungsmaßnahmen haben. Dieses Prinzip haben wir im Landesentwicklungsprogramm auf viele weitere Bereiche übertragen.

Lassen Sie mich hierzu einige Beispiele aufzählen. Beginnen möchte ich mit dem Alpenplan selbst. Wir alle haben während des großen Lawinenwinters 1998/1999 – Stichwort Galltür – gesehen, wie hilfreich es war, dass bereits in dem früheren Landesentwicklungsprogramm große Teile des Alpenraumes von jeglicher Erschließung freigehalten wurden. Dort gibt es keine Straßen, keine Liftanlagen, keine Ferienhaussiedlungen. In jenem Lawinenwinter kamen wir deshalb besser als die meisten anderen Alpenländer davon. Wir haben die Erfahrungen ausgewertet und zwölf weitere Gebiete in diese Tabuzone aufgenommen. Insgesamt zählen jetzt 43% unseres Alpenraums zu dieser Tabuzone. Diese Flächen werden von jeglicher Erschließung freigehalten.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese positiven Erfahrungen mit den Tabuzonen im bayerischen Alpenraum haben wir genutzt und sie zum ersten Mal auf die Uferräume entlang der Flüsse in Bayern übertragen. Mit dem neuen Landesentwicklungsprogramm schaffen wir damit die Voraussetzung, dass auch die Uferräume künftig von Bebauung zum Zwecke der Vorsorge freigehalten werden. Genauso wie wir im Alpenraum Lawinenvorsorge durch die Freihaltung von Erschließung betreiben, werden wir künftig die Uferräume an den bayerischen Gewässern freihalten und damit Vorsorge für Hochwasserereignisse treffen. Die regionalen Planungsverbände sind aufgefordert, so genannte Vorranggebiete für den Hochwasserschutz auszuweisen. Dazu haben wir bereits Gespräche mit den Vorsitzenden der Planungsverbände geführt. Wir machen Tempo, wir geben den Regionen die Ergebnisse der Überfliegungsaktionen im Freistaat Bayern zügig an

die Hand. Für diese Aktionen sind genaue Ortskenntnisse notwendig. Ich darf Ihnen sagen, dass 70% der einschlägigen Gebiete entlang der Flüsse bereits beflogen sind. Der Rest wird abgearbeitet. Inzwischen haben zwei Regionen Vorranggebiete für den Hochwasserschutz ausgewiesen.

Ich erwähne diese Beispiele deshalb so konkret, weil ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Ihre Unterstützung bitten möchte. Machen wir uns nichts vor: Wenn im Landesentwicklungsprogramm steht: „Ausweisung von Vorranggebieten für den Hochwasserschutz an den Flüssen in Bayern“, so klingt das relativ harmlos. Das bedeutet aber, dass wir in den Kommunen künftig alle gegenläufigen Planungen untersagen können. Das heißt, die natürlichen Flutmulden, die Retentionsflächen, werden kraft des Landesentwicklungsprogramms freigehalten. Das wird umgesetzt in den Regionalplänen und fortgesetzt in der Bauleitplanung der Kommunen. Es wird eine ganze Reihe von harten Diskussionen vor Ort in den Gemeinderäten und in den Stadträten in Bayern geben. Wir alle wissen, dass nach einem Hochwasser nur kurz die Erinnerungen an dieses Ereignis wach bleiben. Wir wollen durch diese Festlegung eine langfristige Vorsorge treffen und damit den Hochwasserschutz verbessern.

Ein drittes Beispiel für die langfristig angelegte Vorsorgestrategie ist der Klimaschutz. Das ist ein neuer Schwerpunkt im Landesentwicklungsprogramm, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Dabei sind wir den Anregungen aus dem Anhörungsverfahren gern gefolgt. Gleichzeitig wurde der notwendige fachübergreifende Ansatz der Klimaschutzpolitik deutlich gemacht. Das geschieht, indem der Klimaschutz sich durch nahezu alle Fachkapitel hindurchzieht, durch das Thema Energie wie durch alle anderen Fachkapitel. So enthält das Landesentwicklungsprogramm zu den regenerativen Energien Ausbauziele, und die wurden im Rahmen der Landtagsberatungen sogar verstärkt. Auch die Akzentsetzung auf den öffentlichen Nahverkehr im Zusammenhang mit der Erreichbarkeit beruflicher Schulen ist ein weiteres Beispiel.

Wir haben bewusst davon abgesehen, hier auch noch einmal das bayerische Klimaschutzprogramm zu wiederholen. Das will ich deutlich machen. Uns war an der Lesbarkeit und der Verständlichkeit des Landesentwicklungsprogramms sehr gelegen. Wir haben deshalb auch nicht die Protokolle von Rio oder Kyoto wiederholt.

Das vierte Beispiel für eine langfristige Vorsorge ist die Flächenvorsorge. Wie Sie wissen, ist die Reduzierung des Flächenverbrauchs ein zentrales Ziel bayerischer Politik. Das Landesentwicklungsprogramm wird deshalb zum ersten Mal auch als Handwerkszeug eingesetzt, um den Flächenverbrauch künftig zu reduzieren. Wir wollen zunächst eine Trendwende erreichen und dann eine Reduktion des Flächenverbrauchs. Wir haben im neuen Landesentwicklungsprogramm als Ziel aufgenommen, dass der Nutzung erschlossener Baulandreserven und der Wiedernutzung von Siedlungsbrachen in der Regel vor Neuausweisungen der Vorzug gegeben werden muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das ist eine Neuerung mit weitreichenden Folgen für die Arbeit in den Gemeinderäten und in den Stadträten im ganzen Land. Das heißt nämlich ganz konkret: Bevor ein Ratsgremium ein Wohnoder Gewerbegebiet auf der freien Wiese ausweist, muss der Gemeinderat künftig prüfen, ob es auf dem Gemeindegebiet Baulücken wie etwa alte Eisenbahngelände, frühere Bundeswehrstandorte usw. gibt. Sie müssen prüfen, ob Industriebrachen oder andere Gelände neu genutzt oder für Wohn- und Gewerbebesiedlung umgenutzt werden können. Das muss geschehen, bevor auf die grüne Wiese vor der Stadt zurückgegriffen werden kann.

Daran wird deutlich, wie stark sich der Gedanke langfristiger Zukunftsvorsorge sich wie ein roter Faden durch das neue Landesentwicklungsprogramm hindurchzieht. In diesem Zusammenhang ist es mir auch ein Anliegen, auf einen weiteren Schwerpunkt hinzuweisen, der hiermit in engem Zusammenhang steht: ein ökologisches Gitternetz über das ganze Land hinweg. Die Stichwörter hierzu sind Biodiversität und biologische Vielfalt. Sie wissen, dass wir über 300 Arten- und Biotopschutzverbundprojekte in Bayern realisieren. Das Landesentwicklungsprogramm sichert demnach die Erhaltung von Lebensräumen für gefährdete Pflanzen und Tiere in ausreichender Größe ab sowie die Vorhaltung geeigneter Räume, in denen auch die Entwicklung zur Wildnis ermöglicht wird, und ein vernetztes Biotopverbundsystem im ganzen Land.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun ein offenes Wort zu dem immer wieder diskutierten System der zentralen Orte sagen. Wir haben darüber viel und intensiv nachgedacht. Es ist keineswegs ein Erbhof, mit dem wir sozusagen kritiklos umgegangen wären, sondern es war mir immer ein besonderes Anliegen, zu vereinfachen, zu entbürokratisieren, wo immer es möglich ist. Ich weiß sehr wohl, dass sich manche Diskussion um dieses System der zentralen Orte in Bayern rankt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – heute haben wir noch 12 Millionen Einwohner, prognostiziert wird bis zum Jahr 2050 ein Rückgang auf 10 Millionen Einwohner – tun wir gut daran, die zentralen Orte im ganzen Land aufrecht zu erhalten, um an diesen zentralen Orten wie Pflöcken in der Landschaft die Versorgungsinfrastruktur für die rückläufige Bevölkerung aufrechtzuerhalten.