Protokoll der Sitzung vom 29.01.2003

Ein Fünf-Punkte-Plan zur Rettung Deutschlands legte der Herr Ministerpräsident vor. Es handelte sich samt und sonders um eingedampfte Vorschläge aus dem Bundestagswahlkampf, die weniger Interesse bei den Medien fanden, als Sie sich das wohl erhofft hatten.

Wer jedoch die Hoffnung hatte, dass sich der Bayerische Ministerpräsident heute endlich und ausschließlich mit bayerischen Themen, mit dem Ausblick auf das Wahljahr und mit der Frage, wie und wohin sich Bayern in den nächsten Jahren entwickeln soll, beschäftigt, sieht sich enttäuscht. Der Fünf-Punkte-Plan wird noch einmal aufgewärmt. Wieder misst man sich am Rest der Welt nach dem Motto: Seht her, wie toll wir sind. Man beschäftigt sich mit der Bundespolitik und jammert über Benachteiligungen, die wir in Franken eigentlich immer gewohnt sind.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie geben eine ganze Reihe oller Kamellen zum besten. Immerhin mussten sie erkennen, dass die reine Blockadepolitik, die Sie kurz nach der Bundestagswahl gefahren haben, bei den Wählerinnen und Wählern nicht angekommen ist. Deshalb versuchten sie in Kreuth, einen aufgeschlossenen, staatsmännischen und besonnenen Eindruck zu machen und boten der Bundesregierung großzügig die Mitarbeit an.

Für bare Münze haben wir dieses Gehabe vor laufender Kamera in Kreuth nicht genommen und wir sehen jetzt auch bei der Diskussion zur Zuwanderung, dass letztendlich alles aufgesetzt war. Die Biergärten öffnen demnächst wieder – zumindest hoffe ich das, auch wenn es heute noch nicht danach aussieht –, die Gastronomie insgesamt und insbesondere die Tourismusbranche stehen wieder vor demselben Problem: Das Personal fehlt. Auch in den Krankenhäusern hat sich die Situation nicht gebessert. Es fehlen die Pflegekräfte.

Und da fällt Ihnen nichts anderes ein als 99 Änderungsanträge zum Zuwanderungsgesetz einzubringen, einem Gesetz, das ohnehin schon einen schwarz-rot-grünen Kompromiss darstellte. War doch das bayerische Innenministerium von Anfang an an der Abfassung beteiligt.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das waren lediglich Luftballons!)

Treuherzig säuselten Sie in Kreuth etwas von Mitarbeit in die Kameras – „zu unseren Bedingungen“, dachten Sie sich dabei sicherlich im Stillen. Ich bin überzeugt davon, dass wir in einem Wahljahr zwar Vorschläge von Seiten der CSU und der Staatsregierung zu hören bekommen werden, aber sicherlich erwarten Sie, dass wir sie eins zu eins umsetzen. An eine konstruktive Zusammenarbeit – dazu gehört nun einmal auch das Eingehen auf Vorschläge des politischen Gegners – glaube ich nicht. Das passt bei Herrn Stoiber zusammen wie Lebenslust und Selbstkasteiung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Kreuzzügen hat man früher von Armut und Seuchen im eigenen Land abgelenkt. Heute beruft man Pressekonferenzen ein zu Themen, die mit der Situation in Bayern nichts zu tun haben, und man rasselt mit dem innenpolitischen Säbel. Schließlich wissen Sie, dass man ängstliche Menschen am besten wahlstrategisch im Griff hat.

Die Hoffnung jedoch, sich mit den auf den Sozialneid abzielenden Steuerdiskussionen, mit Law-and-OrderForderungen wie zum Beispiel mehr Bundeswehr statt ziviler Polizeieinsätze, von den auch in Bayern nicht so rosigen Zeiten – das haben Sie ja selbst zugegeben – abzulenken, von einer in Bayern überproportional steigenden Arbeitslosigkeit und einer schlechter werdenden Sozialbilanz wird sich nicht erfüllen.

(Zuruf des Abgeordneten Ettengruber (CSU))

Melden Sie sich doch; Sie haben sicherlich noch etwas Redezeit übrig. Ich weiß allerdings nicht, ob Herr Glück das so toll fände.

(Zuruf des Abgeordneten Ettengruber (CSU))

Sie rühmen sich einer positiven Lehrstellenbilanz, vergessen aber zu erwähnen, dass etwa beim Anteil der jungen arbeitslosen Männer Bayern über dem Länderdurchschnitt liegt. Ohne rot zu werden wollen Sie plötzlich den Kommunen mehr Rechte einräumen, haben aber wahrscheinlich vergessen, dass entsprechende Verfassungsänderungsanträge von uns GRÜNEN in der letzten Legislaturperiode ihretwegen keine Mehrheit fanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist wirklich unverfroren, wie Sie in Ihrer Rede Themen besetzen, als wären es schon immer Ihre Themen gewesen. Sie verschweigen, dass Ihnen Volksentscheide im Nacken sitzen, die zu Ihrem Sinneswandel geführt haben. Denn wie gesagt, Sie sind jetzt zehn Jahre dran.

Hätten Sie doch in dieser Richtung einmal etwas gemacht!

Eigentlich sollte Ihnen bei Ihren Ausführungen, Herr Ministerpräsident, wie bei Pinocchio eine lange Nase wachsen.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Zurufe von der CSU)

Ich versichere Ihnen, niemand käme auf die Idee, Pinocchio als glaubwürdig zu bezeichnen.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch habe ich angesichts des thematischen Gemischtwarenladens, den Sie heute in Ihrer Rede angeboten haben, den Eindruck, dass CSU und Ministerpräsident noch nicht so recht wissen, wie Sie diesen Wahlkampf angehen sollen. Sonst hätten Sie sich sehr viel gezielter auf die Anforderungen gestürzt, vor denen Bayern steht. Stattdessen greifen Sie Altbekanntes auf. Da glauben Sie sich auszukennen und hoffen, nicht so schnell etwas falsch zu machen, außer in der Bildungspolitik, wo Sie voll danebengelangt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wider- spruch bei der CSU)

Als echter Technokrat der Sie sind – sonst würden Sie den kleinen Kindern nicht so früh die Note auf die Stirn kleben –,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

holen Sie sich Rat, wenn auch aus ominösen Umfragen.

(Ettengruber (CSU): Sie glauben selbst nicht, was Sie da sagen!)

Die berühmte Frankenstudie taugt zur Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler zwar nicht, sagt aber viel über Ihre Zweifel aus darüber, ob CSU und Staatsregierung tatsächlich noch am Puls der Bürgerinnen und Bürger sind.

(Willi Müller (CSU): Das zeigt sich bei den Wahlen! – Ettengruber (CSU): Da ist Rot-Grün aber weit hinten!)

Schließlich wollen Sie ja wissen, was die Menschen bewegt, um ihnen anschließend nach dem Mund zu reden. Im Aufsaugen von Bewegungen sind Sie wirklich Spitze, wie man an den Diskussionen zu den diversen Verfassungsänderungsvorschlägen gesehen hat. Den Leuten aufs Maul zu schauen ist ja in Ordnung, meine Damen und Herren, aber Ihnen nach dem Munde zu reden, ist billig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Inwieweit die Taktik im Wahljahr aufgeht, auf Emotionen zu setzen und zu hoffen, dass bei den Inhalten nicht so nachgefragt wird und schon gleich gar nicht, ob sie auch umgesetzt werden, werden wir erleben. Aber eines kann

man auf jeden Fall als gescheitert bezeichnen: Das war der Versuch, die rot-grüne Regierung in der Irak-Frage in Verlegenheit zu bringen.

Wie CDU- und CSU-Abgeordnete mittlerweile selbst zugeben mussten, gibt die konsequent ablehnende Haltung der Bundesregierung zu einem bevorstehenden Krieg im Irak – sie haben es so genannt – „taktisch“ für die Union nichts her. In Wahrheit ist es doch so – auch wenn Sie heute versuchen, die Tatsachen zu verdrehen –, dass das Thema Krieg oder Frieden von CDU/CSU bisher in unverantwortlicher Weise unter dem Gesichtspunkt abgehandelt wurde: Wie schade ich Rot-Grün am besten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit können Sie jedoch nicht punkten und das kann ich Ihnen auch sagen, ohne dass ich eine Umfrage machen muss.

Im ersten TV-Duell zwischen Herrn Schröder und Herrn Stoiber am 25. August letzten Jahres sagten Sie, Herr Ministerpräsident: „Ich habe deutlich gemacht, dass ich keinen militärischen Einsatz im Irak haben möchte.“ Ähnliches haben Sie auch heute verlauten lassen, nicht zuletzt deshalb, weil Sie durch unseren Entschließungsantrag zum Irak und durch den öffentlichen Druck, durch die vielen Demonstrationen, dadurch, dass die Menschen Antworten haben möchten, zu einer Äußerung gezwungen worden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern Abend gab es dieses Kapitel in Ihrer Rede jedenfalls noch nicht. Bedauerlicherweise verstecken Sie sich auch heute letztlich wieder hinter einem Gremium. In diesem Falle ist es der Weltsicherheitsrat, auf dessen Zuständigkeit Sie verweisen, als wenn dies nötig wäre, als wenn Sie uns sagen müssten, was der Weltsicherheitsrat zu tun hat. Ich muss eher fragen: Haben Sie vergessen, dass wir dort den Vorsitz haben und dass wir uns dort positionieren müssen? Wir nehmen die Ängste der Menschen ernst, Sie nicht.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Mehr noch, Sie wollen den Menschen vorschreiben, welche Themen sie ihrer Wahlentscheidung zugrunde legen sollen.

Unser Nein zum Krieg ist eine existenzielle Entscheidung. Wir bedenken die Konsequenzen. Wenn wir auf die Straße gehen, um unserer Bundesregierung den Rücken zu stärken, dann ist das legitim und richtig und hat nichts mit Wahlkampftaktik zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihnen sollte es das Thema Irak schon Wert sein, sich etwas genauer und intensiver zu engagieren, so wie Sie sich bei der Besteuerung von Dienstwagen intensiv engagieren. Bei letzterem Thema wollten Sie – so titelte die „AZ“ – sogar eine Länderrevolte anzetteln.

(Zuruf des Abgeordneten Willi Müller (CSU))

Im Irak geht es um Tod oder Leben, Herr Kollege!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wegen der Dienstwagen sind Sie jedenfalls gleich tätig geworden und haben gleich einen Brief geschrieben, obwohl die Steuerlast der Deutschen im Vergleich zu anderen Ländern mit Ausnahme Japans die geringste ist. Meinen Sie wirklich, dass das die großen Themen sind, die Bayern weiter bringen? Wir hatten ja auch das aparte Beispiel, dass Sie Ihren Garderobieren und Pförtnern die Essengutscheine gestrichen haben. Ich sage: Angesichts von 60000 Arbeitslosen mehr im Freistaat und angesichts der bevorstehenden Schließung von Behinderteneinrichtungen doch wohl eher nicht!

Angesichts dieser Themensetzung verwundert es aber auch nicht, dass Sie Umfragen benötigen, um herauszufinden, was die Menschen wirklich bewegt. Dafür gibt es in der Staatskanzlei ja auch einen eigenen Haushaltstitel. „Erforschung der öffentlichen Meinung“ heißt der. Er wurde im Wahljahr beinahe verdoppelt. Eine Antwort auf die Frage, was sich dahinter verbirgt, haben wir leider bis heute immer noch nicht bekommen. Das kann sich ja noch ändern.

Der Herr Ministerpräsident verkündete in der „Berliner Zeitung“, er stehe für einen bürgernahen Politikstil. Heute ergänzt er: für einen glaubwürdigen und verlässlichen. Meine Herren und Damen, verlässlich von vorgestern ist Ihre Politik sicher – bürgernah und glaubwürdig sicher nicht.