Protokoll der Sitzung vom 29.01.2003

Der Herr Ministerpräsident verkündete in der „Berliner Zeitung“, er stehe für einen bürgernahen Politikstil. Heute ergänzt er: für einen glaubwürdigen und verlässlichen. Meine Herren und Damen, verlässlich von vorgestern ist Ihre Politik sicher – bürgernah und glaubwürdig sicher nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Besonders schön kann man den großen Unterschied zwischen Reden mit Leerformeln seitens der CSU und der Staatsregierung auf der einen und realem Handeln auf der anderen Seite an der Diskussion zum Bayerischen Landesentwicklungsprogramm, kurz LEP, sehen.

(Herrmann (CSU): Das hatten wir doch gestern schon!)

Aber es macht mir so große Freude, auf Ihren komischen Vorstellungen herumzureiten, Herr Herrmann. Was wird da alles großzügig, aber auch entlarvend für die CSU-Politik hineingeschrieben oder aber auch gestrichen! Wirklich, ich zelebriere das gern, weil das diese Widersprüche, die Sie eigentlich mit sich herumtragen, so deutlich aufzeigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Man kann auch „Scheinheiligkeiten“ sagen, Widersprüche oder Scheinheiligkeiten!)

Danke, Herr Kollege.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Herr Hofmann, ich biete Ihnen an, Herrn Dürr das nächste Mal mit ans Mikrofon zu nehmen. Dann halten wir die Rede gemeinsam. Das könnte ganz nett werden.

(Zurufe von der CSU und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Reaktionen zeigen immer, dass es irgendwo weh tut; denn normalerweise würden Sie vor sich hindämmern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also ist das ja gar nicht so schlecht.

Das LEP ist Ausdruck dessen, wohin es in Bayern auf ökologischem, sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet gehen soll. Das LEP ist Spiegel der politischen Einstellung der Regierenden. Und da erwarte ich schon ein gewisses Maß an aufrichtigem Bemühen, den schönen Worten, die dort niedergelegt werden, auch Taten folgen zu lassen.

Zukunftsfähig sollen die Festschreibungen sein. Sie sprechen ja selbst vom LEP als einem querschnittsorientierten Zukunftskonzept. Da liest es sich dann schon sehr interessant, dass CSU und Staatsregierung auch in den nächsten Jahrzehnten – Herr Glück hat das heute auch wiederholt, insofern sollten Sie, Herr Herrmann, Ihre Worte vielleicht auch an Herrn Glück richten und sagen, er solle nicht immer von „altem Zeug“ reden – in einem hohen Maß auf Atomstrom setzen. Der Begriff „Entsorgung“ kommt bei Ihnen aber nicht vor. Das heißt für mich: Auch in den nächsten zehn Jahren machen Sie keinen Finger krumm für das große Problem der Entsorgung des Drecks, der damit produziert wird – also eine Sache, die wir eigentlich Ihnen zu verdanken haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr- mann (CSU): Wir haben doch ein Konzept dafür!)

Ich frage Sie: Nennen Sie so ein Verhalten wirklich glaubwürdig?

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Also, diese Unverfrorenheit ist schon wirklich putzig. Herr Hofmann, Herr Hofmann!

(Herrmann (CSU): Das Konzept ist schon seit 20 Jahren fertig!)

Wir sagen: Bayern braucht eine neue Energiepolitik und keine Atompolitik. Im LEP wird viel von Nachhaltigkeit geredet.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Fertig? Gut. Also, der Herr Ministerpräsident hat vorgeschlagen, man sollte für das Betragen Noten vergeben. Herr Hofmann!

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, das ist das Problem.

Kann man diese spannende Rede nicht etwas zielstrebiger zu Ende führen? Nicht so oft ablenken lassen bitte, Frau Stahl.

(Heiterkeit)

Es wird im LEP viel von Nachhaltigkeit geredet – ein Begriff, der ursprünglich nicht aus Ihrem sprachlichen Schatzkästlein stammt, sondern von uns Umweltschützern und -schützerinnen geklaut ist. Die tatsächlichen Festschreibungen sprechen jedenfalls eine andere Sprache und sind an den Interessen von Lobbyisten orientiert, nicht aber am Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

Umweltgerechten und sozial ausgewogenen Wohlstand sichern Sie damit für die nächsten zehn Jahre nicht. Oder nennen Sie es bürgernah, wenn im LEP der Grundsatz gestrichen wird, dass die Bevölkerung vor den Belastungen durch Transitverkehr zu schützen ist? Ist es Ihrer Meinung nach mittelstandsfreundlich und wirtschaftsfördernd, wenn das LEP den Weg frei macht für die Einzelhandelsriesen? Es gibt beispielsweise keine Ausführungen mehr zur Schadstoffminimierung. Ich sage nur „Klimaschutz ade“. Diesen Begriff sollten Sie nie mehr im Mund führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kinder mit Asthma und Allergien werden es Ihnen danken.

Die Ausführungen zum Bodenschutz sind als mangelhaft zu bezeichnen. Flächenfraß darf ungestört fortschreiten, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Für einen aktiven Hochwasserschutz, den Sie heute auch vor sich hergetragen haben, reicht das jedenfalls nicht.

Dem Ganzen setzt der Ministerpräsident noch die Krone auf, denkt er doch laut über die Abschaffung des Artikels 35 des Baugesetzbuches nach. Ich hoffe, das hat sich dank eines ministeriumsinternen Austauschs wieder erledigt. Es geht dabei darum, dass Bauen im gemeindlichen Außenbereich vor Wildwuchs geschützt werden soll.

(Staatsminister Huber (Staatskanzlei): Frei erfunden! – Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hier kommen Zwischenrufe von der Regierungsbank! Wo sind wir denn hier?)

Ich beziehe mich hier immer auf Fakten, auf Unterlagen, auf Zitate, auf Presseberichte. Sie können sicher sein, dass ich alles, was ich hier verwende, belegen kann. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben, Herr Kollege.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wissen Sie, wir machen verantwortungsbewusste Politik, und dazu gehört eben auch, dass man weiß, wovon man redet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jedenfalls wenn Sie tatsächlich daran denken, den Artikel 35 abschaffen zu wollen, öffnen Sie Wildwuchs und Zersiedelung der Landschaft Tür und Tor. Und das kann ja nun wirklich nicht Ihre Vorstellung von Bodenschutz sein.

Sie kündigen in Ihrer Rede an, die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen zu wollen. Ich frage mich dann aber: Wieso lassen Sie die Bürgerinnen mit ihren Sorgen zu Elektrosmog und Mobilfunk alleine?

(Willi Müller (CSU): Jeder hat ein Handy und keiner will einen Masten!)

Die CSU stellt viele besorgte Bürgerinnen sogar noch als leicht überdreht hin, indem sie in ihrem Antrag von „Hochsensiblen“ spricht. Überlegen Sie einmal, welche Wortwahl Sie da haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Sprachrohr aus der Staatskanzlei – jetzt dürfen Sie zwischenrufen, Herr Huber, wenn Sie sich unbedingt angesprochen fühlen – ist weniger zimperlich und kündigt an, alles zu tun, was Gott erlaubt – so viel zum Christlichen in Ihrem Namen –, aber auch verbietet, um den Mobilfunk voranzubringen. Im doppelten Sinn des Wortes Bürger-nah lässt die Staatsregierung deshalb auf den Dächern staatlicher Gebäude Antennenmasten aufstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist erstaunlich, dass CSU und Staatsregierung, die sich ja gerne als Traditionalisten mit Gamsbart auf dem Sepplhut ablichten lassen – Herr Stoiber darf das ja jetzt nach der Bundestagswahl auch wieder ganz offiziell –, nichts mehr davon halten, das Naturerbe zu bewahren.

(Hofmann (CSU): Das ist aber eine sehr originelle Rede!)

Einen Teil Ihrer Rede verwenden Sie auch auf den Schutz der Identität Bayerns. Ist Ihnen aufgefallen, dass das Naturerbe ein Teil dieser Identität ist und dass genau das gestern von Ihnen gestrichen worden ist?

Stattdessen schreiben Sie uns aber – und lassen Sie sich versichert sein, dass das kein gleichwertiger Ersatz ist – Gentechnologie und Autobahntrassen ins Landesentwicklungsprogramm. Wenn die Bürgerinnen hier zu ihrem Recht kommen wollen, dann müssen sie klagen wie unlängst vor dem Bundesverwaltungsgericht zur A 94.

Statt des vormals festgeschriebenen Vorrangs der Schiene ist nunmehr das Ziel. so viel Flughäfen wie möglich auszubauen und vor allem zu subventionieren.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Augsbur- ger Flughafen! Bis wir bankrott gehen!)