Protokoll der Sitzung vom 22.05.2003

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Kollege Dinglreiter.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das könnte der schärfste Dringlichkeitsantrag dieses Tages sein!)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung beabsichtigt, einen Gesetzentwurf zur – wie sie es nennt –Modernisierung der Handwerksordnung vorzulegen. Das, was uns bisher bekannt ist, deutet darauf hin, dass es etwas anders werden soll. Wir sagen: Modernisierung Ja, aber keine Demontage; denn das bayerische Handwerk prägt unser Land wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell. Es ist ein unverzichtbarer Stützpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft und hat daher für unser Land eine hohe Bedeutung. Handwerksbetriebe stehen für eine Kultur der Selbstständigkeit und für engagiertes Unternehmertum, das wir in dieser Zeit dringend brauchen. Wir müssen deshalb das Handwerk stärken und dürfen es nicht schwächen. Das gilt insbesondere in dieser schwierigen Zeit. Deshalb geht es darum, eine Fortentwicklung zu betreiben, die aber angesichts der derzeitigen Wettbewerbssituation hohe Qualitätsstandards erfordert, und das kann nur über eine fundierte fachliche Qualifikation erreicht werden.

Handwerksbetriebe sind im Vergleich zu Nicht-Handwerksunternehmen deutlich bestandsfester und in der gegenwärtigen Situation mit vielen Insolvenzen weniger anfällig als vergleichbare Betriebe der Gesamtwirtschaft. Ein Zahlenvergleich ergibt, dass Handwerksbetriebe mit Meistern nur die Hälfte der Insolvenzquote aufweisen wie vergleichbare Betriebe in der Wirtschaft. Diese höhere Bestandsfestigkeit hat aber auch mit der Ausbildung zu tun.

Das Gesetz greift die Thematik des Meisterhandwerks auf, ohne sie in angemessener Weise zu lösen. Die Referentenentwürfe des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit enthalten eine Fülle von Vorschlägen zur Änderung der Handwerksordnung. Vor allem drei Regelungen weisen im Ergebnis auf eine Einschränkung des Großen Befähigungsnachweises hin, die wir so nicht hinnehmen wollen. Erstens wird durch die Legaldefinition der „einfachen“ Tätigkeiten durch einen eigenständigen Gesetzentwurf eine Atomisierung des Handwerks in meisterfreie und in Meistertätigkeiten vorgenommen. „Minderhandwerk“ ist eine Diskriminierung, diesen Begriff sollten wir nicht einführen.

Zweitens, Altgesellenregelung, der Anspruch auf selbstständige Handwerksausübung nach zehnjähriger Berufstätigkeit. Ich komme darauf im Einzelnen noch zurück, denn die offensichtlich beabsichtigte Regelung führt nicht zur Klarheit, sondern schafft Unklarheiten und erhebliche Probleme.

Drittens. Reduzierung der Anlage A um 62 Gewerke. Insbesondere diese Pläne der Bundesregierung sind aus unserer Sicht nicht hinnehmbar; denn sie werden erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf das Handwerk in unserem Land haben. Dazu gehört insbesondere der Anteil, den das Handwerk an der Sicherung des Nachwuchses für die gewerbliche Wirtschaft hat, also die Ausbildungsbedeutung des Handwerks. Aber es

gehört auch der Verbraucherschutz dazu. Ich frage mich, wo Frau Ministerin Künast bei der Vorbereitung dieser Gesetzentwürfe war.

Lassen Sie mich zum ersten Punkt zurückkommen. Der vorgelegte Entwurf, der einseitig vom Gefahrenbegriff ausgeht, wird den Realitäten nicht gerecht. Wir haben eine Reihe von Handwerken, die nicht mehr in die Gruppe A fielen, aber hervorragende Ausbildungshandwerke sind. Die neue Regelung wird sich nach unserer Auffassung mittelfristig auf das Angebot an Ausbildungsplätzen verheerend auswirken. Das Südtiroler Beispiel hat gezeigt, in welchem Ausmaß die Anzahl der Meisterprüfungen zurückgeht, wenn das Ablegen dieser Prüfung allein auf Freiwilligkeit beruht. Es hat auch gezeigt, dass in weniger Jahren weniger Menschen bereit waren auszubilden. Ich frage mich, wie dies mit der Forderung der Bundesregierung zusammenpasst, die das Handwerk dazu aufruft, noch mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dieser Gesetzentwurf ist insoweit kontraproduktiv. Ich berufe mich dabei auch auf den DGB, der das der SPD in gleicher Weise in ihr Stammbuch schreibt.

(Beifall bei Abgeordnetem Dr. Wilhelm (CSU))

Mit dem Abstellen auf die Gefahrengeneigtheit als einzigen Grund für die Verfassungsmäßigkeit der obligatorischen Meisterprüfung nimmt die Bundesregierung einen Paradigmenwechsel vor. Dieser Versuch ist nicht sinnvoll; denn in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1961 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des Großen Befähigungsnachweises bejaht. Diese Grundsatzentscheidung wurde in der ständigen Rechtsprechung mehrfach bestätigt. Es besteht also keinerlei Grund für eine Änderung des bestehenden Gesetzes.

Die Gründe, weshalb das Bundesverfassungsgericht seinerzeit den Befähigungsnachweis für das Handwerk als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen hat, waren die Erhaltung des Leistungsstandards und der Leistungsfähigkeit des Handwerks sowie die Sicherung eines qualitativ hochwertigen Nachwuchses für die gesamte gewerbliche Wirtschaft. Diese Gründe gelten heute mehr denn je.

Ein weiterer Punkt ist der Verzicht auf Praxisjahre vor der Meisterprüfung. Es gibt immer mehr, die eine rein schulische Ausbildung vorziehen und die eine Berufsfachschule besuchen. Deren Abschluss kommt einem Gesellenbrief gleich. Wer also im Anschluss daran seine Meisterprüfung macht, hat einen Meisterbrief, ohne je einen Handwerksbetrieb von innen gesehen zu haben. Das kann nicht richtig sein und führt zwangsläufig zu Qualitäts- und Imageverlusten. Die Frage ist, ob dies die Bundesregierung will.

Richtig ist, dass die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung von der geltenden Handwerksordnung nicht mehr in vollem Umfang aufgefangen wird, weil dem Handwerk immer wieder neue Tätigkeiten und Berufe zuwachsen. Insofern ist eine vernünftige und konstruktive Novellierung durchaus sinnvoll.

Die Änderung der Handwerksordnung, wie sie die Bundesregierung vorsieht, wird dem aber nicht gerecht, weil wesentliche Änderungsvorschläge – ich habe bereits einige angesprochen – nicht akzeptabel sind. Wenn die Bundesregierung eine Änderung damit begründet, dass das Handwerk als Wirtschaftszweig im Umsatz generell rückläufig sei und die Ausbildungsaufgabe nicht mehr in dem Maße wie früher erfülle, sollte sie sich einmal fragen, woher das kommt und was für den Niedergang des Handwerks und seine schwachen Umsätze verantwortlich ist. Die katastrophale Finanzausstattung der Kommunen hat natürlich mit der Gewerbesteuer und anderen Aufgaben zu tun, die die Bundesregierung den Kommunen aufgebürdet hat.

Die von der Bundesregierung vielfach vorgeschlagenen einschneidenden Änderungen der Handwerksordnung führen zu einem völlig falschen Schluss. Man sollte andere Gründe zu Hilfe nehmen, wenn es darum geht, etwas zu ändern.

Wir fordern deshalb die Staatsregierung auf, in diesem Zusammenhang tätig zu werden und eine Unterscheidung und Begrenzung des Großen Befähigungsnachweises auf so genannte Gefahrenhandwerke abzulehnen. Die derzeitige Meisterprüfung, die insgesamt die Qualität handwerklicher Leistungen sichert, die die wirtschaftliche Stabilität der Betriebe begründet, wie ich eben ausgeführt habe, und die die Ausbildungsleistung des Handwerks erhält, darf nicht von einem Berufszulassungssystem allein für sicherheitsrelevante Leistungen abgelöst werden.

Das wäre völlig verfehlt. Wenn es denn überhaupt Sinn hat, etwas Neues in dieser Richtung zu machen, dann sollte man Kriterien festlegen, die für die Einordnung in die Anlage A wichtig sind, und anhand der Kriterien eine Bemessung vornehmen, anstatt einfach eine willkürliche Entscheidung zu treffen, die an der Wirklichkeit vorbeiführt.

Eine gesetzliche Regelung, derzufolge Gesellen nach zehn Jahren generell einen Anspruch auf selbstständige Ausübung ihres Handwerks haben, ist in der geplanten Form, in der Begrifflichkeit, die wir kennen, abzulehnen. Nach den vom Bund-Länder-Ausschuss „Handwerksrecht“ im Zusammenwirken mit dem Handwerk verabschiedeten „Leipziger Beschlüssen“ aus dem Jahr 2000 gibt es bereits Erleichterungen für langjährige Gesellen zur Erlangung einer Ausnahmebewilligung, sodass für die jetzige Regelung kein Bedarf besteht. Man kann allenfalls darüber reden, diese Ausnahmeregelungen für diese Fallgruppen fortzuentwickeln und möglicherweise etwas präziser zu fassen, damit sie für alle klarer werden. Wir sind auch der Meinung, dass Abschlüsse von Technikern, Ingenieuren und Industriemeistern, wenn sie den entsprechenden Qualifikationsanforderungen entsprechen, im Handwerk generell anerkannt werden sollen.

Eine gesetzliche Definition so genannter, „einfacherer oder minderhandwerklicher Tätigkeiten“ lehnen wir ab, weil sie den großen Befähigungsnachweis aushöhlen würden.

Schließlich fordern wir die Staatsregierung auf, auf konstruktive rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen für das mittelständische Handwerk hinzuwirken. Entsprechend der Systematik der Handwerksordnung mit ihrem dynamischen Handwerksbegriff sind Möglichkeiten zu eröffnen, damit das Handwerk in seinen vorgegebenen Vorbehaltsbereichen nicht von technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ausgeschlossen wird. Das ist wichtig in dieser Zeit des Umbruchs, die auch dem Handwerk eine Menge an Herausforderungen auferlegt.

Wir warten jetzt ab, was die Bundesregierung konkret vorschlägt; das werden wir bald wissen. Wenn auf dieser Basis keine vernünftige Einigung mit der Union möglich ist, behalten wir uns vor, im Bundesrat einen eigenen Gesetzentwurf zu fordern. Zunächst einmal setzen wir darauf, dass es die Möglichkeit gibt, über gemeinsame Gespräche für das Handwerk das Richtige zu tun. Allerdings werden wir von den Forderungen, die wir erheben, kein Stück weit abweichen. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Scholz.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der CSU hat die Überschrift „Modernisierung der Handwerksordnung – aber keine Demontage“. Das klingt wie Clement original. Genau das ist unsere Zielsetzung.

(Traublinger (CSU): Nur ist bei Clement etwas anderes drin!)

Ja, aber was drin ist, erfüllt genau diese Forderung: Modernisierung, aber keine Demontage.

Die ersten vier Absätze des CSU-Antrags enthalten recht vernünftige Zustands- und Zielbeschreibungen. Da wird festgestellt, dass im bayerischen Handwerk aufgrund des Strukturwandels generell Veränderungen notwendig sind, eine Fortentwicklung der Handwerksordnung dringend geboten ist und dass die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung von der geltenden Handwerksordnung nicht mehr aufgefangen wird. Dann folgt aber nur noch die Aussage: Lasst doch das, was ist, so weiter bestehen.

Sie lehnen all das ab, was die Bundesregierung vorschlägt, ohne zu sagen, was Sie selbst wollen. Das Handwerk weist schon seit längerem rückläufige Zahlen auf; das ist schon seit vielen Jahren so. Daraus kann man nicht den Schluss ziehen: Dann bestrafen wir euch mit einer Änderung der Handwerksordnung. Das ist selbstverständlich Quatsch. Sie sehen ein, dass man etwas ändern muss. Sie haben aber Ihren Antrag nach dem Motto verfasst: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Deswegen kommen wir zu dem Ergebnis, dass man diesen Antrag zwar nicht ablehnen kann, ihm aber schon gar nicht zustimmen kann; deswegen werden wir uns der Stimme enthalten.

Ich will noch einiges dazu im Einzelnen sagen, zunächst zu den so genannten Gefahrenhandwerken. Die Bundesregierung spricht von „gefahrgeneigten Handwerken“. Dieser Begriff schließt Sicherheit und Gesundheit mit ein. Der Verbraucherschutz im Sinne des Gesundheitsschutzes ist bei diesem Vorschlag voll berücksichtigt; das ist Teil des Konzepts der Bundesregierung.

Die Herausnahme der Gewerke aus der Anlage A in die Anlage B bedeutet nicht, dass dort keine Meister mehr gefragt sind. Sie sind natürlich gefragt. Der Meisterbrief wird weiterhin als Qualitätssiegel wichtig und notwendig sein.

Kollege Dinglreiter verwies auf die „Leipziger Beschlüsse“ und hat zum Schluss gesagt, sie müssten präzisiert werden. Genau das wollen wir auch: Die „Leipziger Beschlüsse“ werden in der Bundesrepublik ganz unterschiedlich gehandhabt.

(Zuruf des Abgeordneten Traublinger (CSU))

In der Oberpfalz gibt es viele, die stur sind, und schon abwinken, wenn sie nur von den „Leipziger Beschlüssen“ hören. Wir hatten dazu mehrere Petitionen im Haushaltsausschuss. In ganz Deutschland werden die „Leipziger Beschlüsse“ unterschiedlich ausgelegt, obwohl sie Einigkeit herbeiführen sollten. Man braucht saubere Entscheidungen und eine Gleichbehandlung in allen Kammerbezirken in den verschiedenen Bundesländern. Deswegen muss man hier etwas tun.

In Ihrem Antrag gehen Sie nach meiner Meinung hinter das zurück – Kollege Traublinger ist da –, was von der bayerischen Politik und auch vom Zentralverband des Handwerks unter dem Stichwort „Atmendes Handwerk“ als Zielvorstellung entwickelt wurde. Wenn ich das richtig interpretiere, befindet sich das Handwerk also noch im Schwitzkasten und braucht eine Öffnung zum Atmen. Ihr Antrag geht hinter das zurück, was der Zentralverband des Handwerks kurz vor Ostern als Vorschlag eingebracht hat. Ich verstehe, dass das Handwerk darüber verärgert ist, dass das kurz vor Ostern eingebracht wurde und in der Woche nach Ostern schon der Referentenentwurf kam. Man hätte das zeitlich besser abstimmen können. Jeder fordert aber von der Bundesregierung zu Recht, sie müsse handeln, und das tut sie.

Ich gehe noch auf die Stichworte Rating und Basel 2 ein. Landauf, landab führe ich Veranstaltungen zum Thema „Handwerk und Mittelstand“ durch und gehe dabei auch auf das Rating ein. Kluge Leute haben mir gesagt, das Rating würde auf der einen Seite den Meisterbrief bestätigen, und auf der anderen Seite wird es überall dort, wo es keinen Meisterbrief gibt – zum Beispiel im Bereich Gaststätten, worüber wir uns im Wirtschaftsausschuss schon einmal unterhalten haben, ein Qualifizierungsmerkmal sein. Der Meisterbrief wird seinen Inhabern beim Rating einen gewaltigen Vorteil verschaffen.

Die Änderung der Handwerksordnung löst nicht alle Probleme des Handwerks; das glauben wir auch nicht. Das Handwerk braucht Aufträge und noch einmal Aufträge und dazu bessere kommunale Finanzen. Dazu kann nicht nur der Bund beitragen, sondern dafür muss auch

der Freistaat Bayern etwas tun; darüber haben wir heute schon diskutiert. Das Handwerk braucht auch eine vernünftige Kosten-Preis-Relation. Dafür hat die Bundesregierung mit ihrer Steuerreform bereits etwas getan. Als Beispiel nenne ich nur die Senkung des Eingangssteuersatzes von 25,7% auf 19,9%. Mit der Agenda 2010 wollen wir die Weichen für die Zukunft entscheidend stellen.

Wir sind mit dem Handwerk – sowohl mit den Handwerkern als auch mit den Handwerksorganisationen – seit Jahren in Diskussion. Wir halten den Clement-Vorschlag für eine gute Diskussionsgrundlage, und wir haben bereits und werden als Landtags-SPD selbstbewusst und aktiv im Interesse des Handwerks und seiner 900000 Mitarbeiter in Bayern mitgestalten.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt hat Herr Kollege Dr. Runge ums Wort gebeten.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Darüber, dass wir in unserem Land dringend Reformen brauchen, herrscht hier weitgehend Einigkeit. Stichworte sind: Finanzkrise bei den öffentlichen Haushalten, Massenerwerbslosigkeit, Strukturprobleme und riesige Krisen bei der gesetzlichen Sozialversicherung. Im Wesentlichen ist auch die Diskussion über das Wo der Reformen unstrittig. Primär gilt es, die Sozialversicherung umzubauen, damit es diese nicht zerreißt. Daneben werden Reformen des Arbeitsmarktes diskutiert. Herr Dr. Stoiber spricht von „Entriegelung des Arbeitsmarktes“. Es geht also um Reformen im Arbeits- und Arbeitsförderungsrecht, bei der Berufszulassung und Berufsausübung.

Damit sind wir bei der Handwerksordnung angelangt. Hier müsste eigentlich auch noch unstrittig sein, dass es einen ganz ganz dringenden Reformbedarf gibt. Von Ihnen, meinen Damen und Herren von der CSU und der Staatsregierung, kommt immer wieder der Verweis, dass wir nicht auf einer Insel leben würden und laufend an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten müssten.

Fakt ist: Das Knüpfen des Erlaubnisganges in die Selbständigkeit an den großen Befähigungsnachweis ist inländerfeindlich – ich verweise auf die Niederlassung und Berufsfausübung von EU-Ausländern – und ist daneben gründer- und wettbewerbsfeindlich.

Die Änderungen der Handwerksordnung 1993, 1994 und 1998 greife ich heraus; sie können nicht Reformen genannt werden. Ich überspitze die Darstellung: Was ist passiert? – Gerade mal die Bürstenbinder und Pinselmacher sind in die Anlage B gewandert, und es konnte gerade noch verhindert werden – das war ein Ansinnen von manchen – die Computerhändler und Computerbastler in die Anlage A zu zwingen.

Jetzt liegt in der Tat ein radikaler Reformentwurf vor. Von 94 Gewerbearten sollen nur noch 32 in der Anlage A als sogenannte Handwerksarten verbleiben, „bei deren Ausübung Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter entstehen können“.

Hier soll es weiterhin den großen Befähigungsnachweis – den Meisterbrief – als Voraussetzung für die Selbstständigkeit geben. In der Anlage B soll es zwei Kategorien geben nämlich das zulassungsfreie Handwerksgewerbe und daneben das handwerksähnliche Gewerbe. Der Meister soll weiterhin fakultativ als „Gütesiegel“ möglich sein. Weitere erhebliche Änderungsschritte sind: Das Inhaberprinzip soll aufgehoben werden. Gesellen mit zehnjähriger Berufserfahrung, davon fünf Jahre in leitender Position, sollen sich auch in einem Gewerbe der Anlage A selbständig machen können.

Wie nicht anders zu erwarten, kommt seitens des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks – ZDH – und seitens der Vertreter einzelner Kammern der große Aufschrei und – wie nicht anders zu erwarten – fällt die CSU sogleich in den Jammerchor ein. Sie verfährt – Kollege Dr. Scholz hat es genannt – nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass; wir brauchen überall Reformen, aber nicht bei uns selbst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun bin ich beim Dringlichkeitsantrag der CSU angelangt. Herr Dinglreiter, ich teile Ihre Kritik am Euphemismus, an den Übertreibungen und den konstruierten Zusammenhängen in der Begründung. Keine Frage, hier wurde sehr dick aufgetragen. Da ist aber schon Schluss mit unseren Gemeinsamkeiten.

Ihr kürze meine Rede ab, weil wir noch einige Beiträge haben werden. Ganz signifikant und herrlich ist beispielsweise die Formulierung im Antrag „behutsam fortentwickeln“. Wenn es um die Reformvorschläge der Agenda 2010 geht, also beispielsweise um das Arbeitslosengeld II oder um die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, dann kann es Ihnen und Ihrem ExKanzlerkandidaten gar nicht schnell genug gehen. Er jammerte, dass es monatelang dauere. Das war ihm schon zu lange. Hier allerdings muss es ganz behutsam gehen. Was heißt das? – „Behutsam“ heißt, dass gar nichts passieren soll – nichts anderes.