Protokoll der Sitzung vom 22.05.2003

Ihr kürze meine Rede ab, weil wir noch einige Beiträge haben werden. Ganz signifikant und herrlich ist beispielsweise die Formulierung im Antrag „behutsam fortentwickeln“. Wenn es um die Reformvorschläge der Agenda 2010 geht, also beispielsweise um das Arbeitslosengeld II oder um die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, dann kann es Ihnen und Ihrem ExKanzlerkandidaten gar nicht schnell genug gehen. Er jammerte, dass es monatelang dauere. Das war ihm schon zu lange. Hier allerdings muss es ganz behutsam gehen. Was heißt das? – „Behutsam“ heißt, dass gar nichts passieren soll – nichts anderes.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass ich mich nicht davor scheue, die Bundesregierung – konkret das Ministerium der Herren Clement und Schlauch – zu kritisieren, wenn ich der Meinung bin, dass dort Kritikwürdiges fabriziert wird. Das Beispiel passt gut zum Entwurf der Handwerksordnung: Gemeint ist der Entwurf des Kleinunternehmerförderungsgesetzes mit der Möglichkeit, beim Umsatz bis 17500 Euro und später bis 35000 Euro die Hälfte des Umsatzes als Betriebsaufwand steuerlich geltend machen zu können und gleichzeitig nach der Kleinunternehmerregelung des Paragraphen 19 des Umsatzsteuergesetzes keine Mehrwertsteuer zahlen zu müssen. Ich bin der Meinung, dass dadurch Kleinstunternehmer entstehen, ohne Arbeits- und ohne Ausbildungsplätze, die immense Wettbewerbsvorteile gegenüber regulären Unternehmen mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen haben werden. Dieser Vorschlag ist in dieser Form nicht tragbar.

Bei der Reform zur Handwerksordnung sehen wir die Bundesregierung allerdings auf dem richtigen Weg.

Meine Damen und Herren von der CSU, was Sie mit Ihrem Dringlichkeitsantrag und Ihrer Presseerklärung vorführen, ist nichts anderes, als dass Sie das so viel gelobte duale Ausbildungssystem in Deutschland diskreditieren. Warum sollen denn junge Frauen und Männer, die drei Jahre Lehre und Berufsschule genossen haben, nicht selbstständig arbeiten können? Die zuständige Bundestagsabgeordnete der CSU, Frau Wöhrl, bietet „vernünftige Gespräche“ an und redet von „konstruktiven Vorschlägen“. Allerdings hat es konstruktive Vorschläge zur Reform der Handwerksordnung von Ihrer Seite nicht gegeben und liegen auch heute leider wieder nicht vor.

Gleiches spielt sich beim Thema Subventionsabbau ab. Sie predigen und fordern plakativ den Subventionsabbau. Wenn es dann konkret wird und beispielsweise Steuervergünstigungen ein klein wenig verringert werden sollen, erheben Sie sofort ein Geschrei und es kommt die Blockade.

Das zeigt, meine Damen und Herren von der CSU, Sie haben nichts, aber auch gar nichts auf diesem Gebiete zu bieten. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Das heißt, Herr Kollege Dinglreiter, wir diskutieren liebend gern mit Ihnen die Handwerksordnung, und wir diskutieren mit Ihnen auch kritisch den neuen Entwurf aus dem Hause Clement zur Reform der Handwerksordnung, weil auch wir den einen oder anderen Veränderungsbedarf sehen. Ihren Antrag halten wir für indiskutabel, da sind wir besseres von Ihnen gewohnt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Traublinger.

Herr Präsident, Hohes Haus! Liebe Kollegen Dr. Scholz und Dr. Runge, was Sie zum Gesetzentwurf der Bundesregierung gesagt haben, kann so nicht stehen bleiben. Sie werfen dem Kollegen Dinglreiter und damit der CSU-Fraktion vor, wir würden nach dem Motto verfahren: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Lassen Sie mich kurz in der Geschichte der Diskussion um die Novelle der Handwerksordnung ein wenig zurückblicken. Die Bundesregierung hat 1998 nach Ihrer Bestätigung zusammen mit dem ZDH vereinbart, dass wir seitens des Handwerks einen Vorschlag machen, über den die Bundesregierung mit uns spricht und verhandelt. Ich weiß wovon ich rede, weil ich das Thema Handwerksordnung federführend für den ZDH bearbeite. Der Vorschlag – er ist mittlerweile öffentlich – müsste Ihnen vorliegen, und wenn Sie guten Willens wären, würden Sie sich die Zeit nehmen und die Mühe machen, ihn zu lesen. Am 10. April 2003 ist der Vorschlag des ZDH in Berlin, beschlossen und veröffentlicht worden. Am weiteren Verfahren sieht man, wie nachlässig die Bundesregierung mit diesem Thema umgeht, obwohl in diesem Wirtschaftsbereich in Bayern 15 Prozent der Beschäftigten arbeiten, 36 Prozent aller Lehrlinge ausgebildet werden, sogar 66 Prozent im gewerblich-technischen Bereich, und 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet werden.

Die Bundesregierung hat am 22. April den Ministerien der Länder und damit auch dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie einen Gesetzentwurf zugeleitet mit der Aufforderung, dazu bis zum 2. Mai eine Stellungnahme abzuliefern. Daran, dass diese Stellungnahme innerhalb weniger Tage abgegeben werden sollte, sieht man ganz genau, wie ernst es der Bundesregierung mit einem Konsens in dieser Frage ist. Die Bundesregierung hat in dieser Frage gegenüber dem Handwerk eindeutig Wort gebrochen. Ähnliches sagt übrigens auch der DGB in anderen Fragen.

Meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren, warum wollen wir eine Handwerksordnung und warum wollen wir eine Novelle der Handwerksordnung? Was haben wir denn vorgeschlagen? Das Handwerk sieht sich hier Gott sei Dank massiv und deutlich von der Bayerischen Staatsregierung unterstützt. Das deutsche Handwerk hat diesen Paradigmenwechsel nicht mitgemacht. Die Bundesregierung will die jetzt 94 Berufe in der Anlage A auf 32 gefahrengeneigte Berufe reduzieren.

(Dr. Scholz (SPD): Das sind 70% aller Betriebe!)

Sie weiß übrigens ganz genau, dass dies nicht mehr verfassungskonform ist. Wenn ich heute ausschließlich auf die Gefahrengeneigtheit abstelle, werde ich beim nächsten Urteil baden gehen. Aus dem Grund sind wir der Auffassung, dass es Sinn macht, einen eigenen Gesetzentwurf entgegenzustellen.

Welchen Inhalt soll dieser Gesetzentwurf haben? Wir wollen ein atmendes Handwerk. Sie haben es vorhin erwähnt. Das ist nichts anderes als eine Bewegung zwischen den Berufen der Anlage A und den Berufen der Anlage B. Auf der Grundlage des Urteils aus dem Jahre 1961 soll bei Ergänzung um das Thema Verbraucherschutz und Umweltschutz sowie bei Herausnahme des Inhaberprinzips eine Rechtslage hergestellt werden, die jeder Gerichtsentscheidung standhält. Darüber hinaus sollen die Berufe der Anlage A und die Berufe der Anlage B in einem siebenjährigen Rhythmus einer Revision unterzogen werden. Das heißt, es soll auch ein Austausch zwischen den beiden Anlagen stattfinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen Punkt haben wir bei dieser Diskussion vergessen. Herr Dr. Runge, Sie haben zwar auf die berufliche Bildung hingewiesen. Sie wissen aber ganz genau, dass das duale Bildungssystem in Deutschland im Bereich des Handwerks ausschließlich aufgrund der Vorbildung der Meister gewährleistet werden kann. Die Meister werden in ihrem Fach nicht nur in der Fertigkeit ausgebildet und geprüft; darin – damit haben Sie Recht – wird auch jeder Geselle ausgebildet und geprüft. Die Meister werden darüber hinaus auch in Betriebswirtschaft, in unternehmerischen Fähigkeiten und – das ist der Sinn des dualen Bildungssystems – in Berufspädagogik ausgebildet und geprüft. Deswegen habe ich auch kein Verständnis dafür, dass die Ausbildereignungsverordnung ausgesetzt wird. Genau die Meisterqualifikation ist aber die Voraussetzung dafür, dass wir in Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der Europäischen Union die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit haben. Wir haben die

am besten ausgebildeten Kräfte. In einem Land, in dem die Ressourcen knapp sind, muss es selbstverständlich sein, dass wir auf die Ressource Geist setzen und dafür sorgen, dass die Bildung stimmt. Sie bewirken genau das Gegenteil. Die Bundesregierung nimmt einen Wechsel von der Qualität zur Quantität vor. Ich gebe es Ihnen schon heute mit Brief und Siegel: Sie werden mit Ihrem Gesetz keinen zusätzlichen Ausbildungsplatz und keinen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen. Im Gegenteil, Sie vernichten Arbeitsplätze und selbständige Existenzen, insbesondere diejenigen, die sich am Markt behaupten könnten.

(Beifall bei der CSU – Dr. Scholz (SPD): Warum haben Sie das dann nicht in Ihren Antrag hineingeschrieben?)

Herr Staatssekretär Spitzner verzichtet auf seinen Beitrag. Wir schließen damit die Aussprache und kommen zu Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/12490 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der CSU und Herr Kollege Hartenstein. Gibt es Gegenstimmen? – Gegenstimmen bei der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Die Fraktion der SPD. Der Antrag ist damit angenommen.

Jetzt rufe ich zur gemeinsamen Behandlung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Vogel, Dr. Hahnzog und anderer und Fraktion (SPD)

Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Bayern (Drucksache 14/12491)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Herrmann, Welnhofer und anderer und Fraktion (CSU)

Ablehnung des Zuwanderungsgesetzes (Drucksa- che 14/12496)

und

Tagesordnungspunkt 21

Antrag der Abgeordneten Christine Stahl, Elisabeth Köhler, Tausendfreund und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zuwanderung gestalten – Integration fördern – Humanität bewahren (Drucksache 14/11765)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Vogel.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Wohl noch vor unserer nächsten Plenarsitzung wird der Bundesrat das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern, das so genannte Zuwanderungsgesetz, beraten. Trotz aller bisherigen Erfahrungen mit CSU-Polemik und der manchmal auch zynischen, ja menschen

verachtenden Härte in der bayerischen Ausländerpolitik appellieren wir mit unserem heutigen Dringlichkeitsantrag vor dieser wichtigen Entscheidung noch einmal an Ihre Vernunft, Herr Kollege Herrmann, an Ihre Politikfähigkeit und an Ihre christliche Einsicht, damit dieses für die Zukunft unseres Landes wichtige Vorhaben nicht zum Scheitern gebracht wird.

(Zuruf des Abgeordneten Freiherr von Rotenhan (CSU))

Herr Kollege von Rotenhan, hier kann ich nur mit Karl Kraus sagen: Herr vergib Ihnen, denn sie wissen, was sie tun.

Wir appellieren an die Staatsregierung, angesichts der nach wie vor notwendigen Weichenstellung für eine menschliche und zukunftsfähige Migrations- und Integrationsgesetzgebung zum sachlichen und konstruktiven Diskurs zurückzukehren. Wir erwarten Lösungsvorschläge für die Menschen, die hier leben, und für die, die noch zu uns kommen werden, auch wenn sich die CSU auf den Kopf stellt. Wir erwarten Lösungsvorschläge für diejenigen, die zu integrieren sind, ebenso wie für diejenigen, die integrieren müssen und dies meist auch wollen. Wir fordern die Staatsregierung auf, ihre bisherige Obstruktionspolitik aufzugeben, eine Politik, die aus wahltaktischen Gründen und wider besseren Wissens selbst eigene Einsichten ignoriert.

Für das 21. Jahrhundert brauchen wir ein modernes Zuwanderungsrecht, das der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung, der Globalisierung, dem Wegfall von Grenzen und der immer höheren Mobilität von Menschen Rechnung trägt. Dazu hat eine, wie ich meine, in Deutschland allseits anerkannte Institution schon vor sechs Jahren das Passende gesagt:

Die in Deutschland geltenden legislativen und administrativen Regeln über Einreise und Aufenthalt von Zuwanderern werden den Anforderungen nicht mehr gerecht. Die gewandelte Stellung Deutschlands in der Staatenwelt verlangt eine Neubestimmung der Einstellung gegenüber Angehörigen anderer Staaten. Zur Sicherung der notwendigen Bedingungen für den Wirtschaftsstandort gehört es, Konsequenzen aus seiner Rolle als Mittelpunkt des Lebens und Arbeitens vieler Nichtdeutscher zu ziehen.

Zitat Ende. Dieses Zitat stammt aus dem gemeinsamen Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht. Das ist, glaube ich, für uns alle eine objektive Quelle der Erkenntnis. Deswegen können wir ein defensives Ausländerrecht, welches die gesetzlichen Regelungen als Abwehrbollwerk gegen Zuwanderung versteht und missbraucht, nicht brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Internationale Erfahrungen zeigen, dass dieser Defensivansatz auch nicht die erhoffte Wirkung zeigt. Die Migration nimmt dadurch nicht ab. Die Vorstellungen der Union, die aus ihren 128 Änderungsanträgen hervorgehen, entsprechen genau diesem falschen Definitivan

satz. Das ist nicht der Weg für eine moderne Zuwanderungsgesetzgebung. Er wird uns nicht in eine geregelte, gesteuerte und begrenzte Zuwanderung führen. Wir sehen nun, dass diese 128 Änderungsanträge noch nicht einmal in den unionsgeführten Bundesländern mehrheitsfähig sind. Das kommt also einer Fundamentalopposition gleich. Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU, signalisieren damit, dass Sie keine Einigung wollen, weil Sie Ihr parteitaktisches Süppchen mit der Zuwanderung kochen.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen an einem verstaubten Ausländerrecht festhalten. Es geht Ihnen um Abschottung und um die Behinderung von Zuwanderung. Wer Arbeitsmigration de facto gar nicht will, dem geht es auch nicht wirklich um das wirtschaftliche Wohl unseres Landes. Wer soll denn nachvollziehen, warum Sie hochqualifizierten Arbeitskräften, die Sie hier brauchen können, wieder nur einen befristeten Aufenthalt gestatten? Das war ja der Kritikpunkt bei der Green-Card-Regelung. Das ist doch wider jede ökonomische Vernunft.

Wer soll nachvollziehen, warum Migrantenkinder wieder Schwierigkeiten bei der Einbürgerung bekommen sollen? Das ist Familienpolitik à la CSU. Warum sollen ausländische Ehefrauen wieder vier statt zwei Jahre auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht warten müssen und etwa bei einer gescheiterten Beziehung Prügel und Schikanen einstecken müssen?

(Beifall bei der SPD)

Warum um alles in der Welt wollen Sie Frauen und Mädchen, die zum Beispiel aus Angst vor der Beschneidung hierher geflüchtet sind, nicht wenigstens befristet eine verlässliche Lebensperspektive gewähren?

(Beifall bei der SPD)

Über diese zutiefst unchristliche und unmenschliche Art des Umgangs mit der geschlechtsspezifischen Verfolgung schütteln fast alle europäischen Partnerstaaten den Kopf. Sie erweisen sich in der Asyl- und Flüchtlingspolitik als europauntauglich.

(Beifall bei der SPD – Freiherr von Rotenhan (CSU): Na! Na!)

Es tut gut zu sehen, dass wenigstens einer aus Ihrer Fraktion zuhört, Herr von Rotenhan.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Herr Hofmann, jetzt sind Sie wach. Grüß Gott.