Protokoll der Sitzung vom 22.05.2003

Das künftige Zuwanderungsgesetz schafft die Duldung ab. Es gibt nur noch zwei Möglichkeiten des Aufenthaltsstatus. Das kann dazu führen, dass derjenige, der heute geduldet wird, zukünftig eine befristete Aufenthaltsberechtigung hat und dass es ihm auf diese Weise möglich ist, länger in Deutschland zu bleiben und zudem mit diesem Aufenthaltsstatus, beispielsweise abgelehnter Asylbewerber, auch noch ein Recht auf Familiennachzug geltend machen kann. Das alles wird durch dieses Gesetz ermöglicht.

Schließlich behaupten Sie und die Bundesregierung, die Zuwanderung belaste die Sozialkassen nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Von Zuwanderung profitieren in erster Linie die Zuwanderer, nicht aber die Bundesrepublik Deutschland. Dies hat eine Untersuchung im Jahr 2001 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ergeben. Nur bei einer langen Aufenthaltsdauer von über 25 Jahren ergibt sich ein Überschuss der geleisteten über die empfangenen Zahlungen. Bei Zuwanderern liegt die Bezugsquote bei der Arbeitslosenhilfe wesentlich höher: 2002 Deutsche 9,9%, Ausländer 18,8%.

Ähnlich sieht es bei der Sozialhilfequote aus: Stand Ende 2000, Deutsche 2,8%, Ausländer 8,1%. Dieses Gefälle beruht auf gravierenden Bildungsunterschieden. So sind von 100 deutschen Arbeitslosen 33 ohne Berufsausbildung, von 100 Ausländern dagegen mehr als drei Viertel.

Das sind die wahren Zahlen. Diese müssen Sie den Menschen nennen, wenn Sie objektiv über Zuwanderung diskutieren wollen. Diese Zahlen müssen Sie vertreten und sagen, dass das so ist und Sie sich trotzdem eine weitere Erhöhung der Zuwanderung vorstellen können. Nur dann ist die Diskussion ehrlich und vollständig und wir können uns damit auseinander setzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch zum Thema Integration kommen: Herr Kollege Vogel, auch hier sind die Ansätze des Gesetzes völlig unzureichend. Tatsächlich soll es Integrationskurse nur für neu hinzukommende Ausländer geben. Es gibt keine vernünftigen Sanktionsmöglichkeiten, wenn diese Integrationskurse nicht angenommen werden. Für diejenigen, die heute schon bei uns sind und die sich aus verschiedenen Gründen nicht integriert haben – das sind in bestimmten Städten leider sehr viele –, enthält das Gesetz überhaupt keine Integrationsangebote.

Hier haben wir auch nicht nur den geringsten Integrationsansatz. Im Gegenteil: Es sind teilweise Verschlechterungen enthalten; ich nenne nur das Stichwort Aussiedler.

Dabei sind wir uns einig: Der Integrationserfolg muss verbessert werden. Hier sind Anstrengungen zu unternehmen. Deswegen, Herr Kollege Vogel, bin auch ich dafür, wenn es zu keiner Einigung im Bundesrat kommt, dass man dann versucht, einen Integrationsteil zu dem Gesetz separat zu verabschieden.

Wer dies ablehnt, dem ist es mit der Integration nicht ernst.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Er muss erkennen, wenn auf der einen Seite keine Einigung ist, er aber trotzdem Integration fördern will, dann muss er dieses Gesetz teilen. Wer dies ablehnt, will keine Integration, dem ist dieses Anliegen nicht ernst. Das sage ich nochmals.

(Dr. Hahnzog (SPD): Davon wird es auch nicht besser!)

Folgende Punkte sind nach meiner Auffassung in Ihrem Antrag nicht richtig aufgenommen. Integration ist bei Ihnen eine Einbahnstrasse. Ich möchte noch einmal betonen: Meine Damen und Herren, um eine vernünftige Integration durchführen zu können brauchen wir eine begrenzte Zuwanderung. Zuviel Zuwanderung überfordert die Gesellschaft. Integration ist dann nicht möglich. Wir sehen das an den Schulen. Wir haben nicht dort Schwierigkeiten, wo es in den Klassen zwei oder drei Ausländerkinder gibt, sondern dort, wo von fünfundzwanzig Schülern einzwanzig Ausländerkinder sind.

(Unruhe bei der SPD)

Integration funktioniert dann nicht mehr. Deshalb ist die erste Voraussetzung eine strikte Begrenzung der Zuwanderung.

(Beifall bei der CSU – Dr. Hahnzog (SPD): Das ist vielleicht heuchlerisch!)

Wir haben bei der Integration in Bayern einiges geleistet. Ich verweise auf den Bericht und den Folgebericht zur Ausländerintegration, der vom Sozialministerium vorgestellt worden ist. Darin werden die Integrationsbemühungen aufgezeigt. Meine Damen und Herren, wir haben auch Erfolge erzielt. Das muss ich Rot-Grün schon sagen: Schauen sie doch einmal in die Pisa-Studie, dann werden sie sehen, dass bei uns Ausländerkinder, selbst in der deutschen Sprachkompetenz, teilweise besser abgeschnitten haben als deutsche Kinder in rotgrün regierten Bundesländern.

(Frau Radermacher (SPD): Sie wissen aber schon warum!)

Das zeigt, dass wir zur Integration einiges getan haben. Sie sollten sich bemühen, in gewissen Bundesländern im Hinblick auf das Niveau deutscher Schulkinder zumindest aufzuschließen.

Wir wehren uns aber gegen Begriffe wie Integrationsplan oder Integrationsprogramme. Diese Begriffe zeigen Ihre Denkweise und Ihren falschen Lösungsansatz. Für Sie ist Integration eine Einbahnstrasse. Es ist eine Bringschuld des Staates. Der Staat, die Länder und die Gemeinden sind nach ihrer Auffassung verantwortlich für das Gelingen oder Scheitern der Integration. Sie haben Angebote zu erbringen, die finanziellen Lasten zu tragen, und wenn es in Ihren Augen nicht klappt, sind diese Bemühungen zu verstärken. Dieser Ansatz, meine Damen und Herren, ist nach meiner Auffassung einseitig. Auch die Menschen, die in unser Land kommen, sind für die Integration mitverantwortlich. Wir müssen auf der einen Seite fördern, genauso aber müssen wir von diesen Menschen fordern. Fördern und fordern gehört bei der Integration zusammen. Der Staat bietet selbstverständlich auch allen Ausländerrinnen und Ausländern die gesamte soziale Infrastruktur an. Denken wir nur an die Kindergärten und das relativ gut ausgebaute Schulsystem. Aber, meine Damen und Herren, wir erwarten und fordern von den Zuwanderern, dass sie sich auf unsere Gesellschaft einlassen, und dass sie die Angebote der Integration annehmen. Nur dann werden sie Erfolg haben und nur dann werden wir in unseren Bemü

hungen insgesamt gesehen weiter kommen. Nur wer sich integrieren will, wird in unserer Gesellschaft auf Dauer zurechtkommen. Dies ist ein Ansatz, den wir klarer herausstellen müssen: Fördern und fordern. Alle müssen ihren Beitrag leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Zuruf der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz ist ein Gesetz, das die Zuwanderung nicht begrenzt, sondern ausweitet. Wir lehnen eine zusätzliche Ermöglichung von Einwanderung zur Arbeitsaufnahme bei fast fünf Millionen Arbeitslosen ab. Wir sind gegen eine Verstärkung der Zuwanderung in unsere Sozialsysteme, angesichts der derzeit leeren Kassen, und wir lehnen dies als unverantwortlich ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Wir sind für zusätzliche Anstrengungen der Integration. Sie müssen aber auf dem Prinzip Fördern und fordern beruhen. Alle sind gefordert, in diesem Bereich mitzuarbeiten. Mit einer Bringschuld, mit einer einseitigen Lastenzuweisung wird dies nie gelingen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Meine Damen und Herren, wir können den Anträgen von Rot-Grün deshalb nicht zustimmen. Wir werden sie ablehnen, weil sie in die falsche Richtung gehen, weil sie in eine Richtung gehen, die von der Bevölkerung in Bayern überwiegend nicht gewollt wird. Ich bitte sie gleichzeitig, dem Dringlichkeitsantrag der CSU zuzustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Bevor ich die nächste Wortmeldung aufrufe, gebe ich bekannt, dass seitens der CSU-Fraktion namentliche Abstimmung zu ihrem Dringlichkeitsantrag beantragt wurde.

(Dr. Hahnzog (SPD): Zu unserem Antrag auch!)

Zum Antrag der SPD auch, Herr Dr. Hahnzog?

(Dr. Hahnzog (SPD): Ja!)

Dann gibt es also zwei namentliche Abstimmungen. Nun hat Frau Köhler das Wort.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kreuzer, Sie haben voller Inbrunst erklärt, dass Sie jedes weitere Zuwandern ablehnen. Ich frage Sie zurück: Gilt das auch für den FC-Bayern?

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und bei der SPD)

Der Ausländeranteil des FC-Bayern ist sehr, sehr hoch. Wenn Sie sich hier voll Inbrunst hinstellen, dann will ich

schon sagen: Sehen Sie sich doch einmal um. Es gibt noch weitere Beispiele in Bayern, wo vordergründig Begrenzung gefordert, dann aber beispielsweise die Green Card in besonderer Weise angenommen wird. Oder es werden Sonderregelungen mit Berlin ausgehandelt, wenn es in Bayern Arbeitskräftemangel gibt. So ist dann beispielsweise möglich, dass Pflegekräfte aus osteuropäischen Ländern in Bayern arbeiten können. So sieht Ihre doppelbödige Migrationspolitik aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn in der kommenden Woche die Ausländer- und Integrationsbeauftragten des Bundes und der Länder auf Einladung des SPD-Bürgermeisters, Herrn Wengert, in Augsburg, zu Ihrer alljährlichen Jahrestagung zusammentreffen, dann wird das Land Bayern entweder überhaupt nicht vertreten sein, oder es wird sich durch einen Beamten aus dem Sozialministerium vertreten lassen. Für mich ist das ein Ausdruck davon, wie man in Bayern Integrationspolitik versteht. Integrationspolitik wird bürokratisch verwaltet, aber nicht innovativ gestaltet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Schon gar nicht werden aber Migrantengruppen und -organisationen in die zu entwickelnden Konzeptionen einbezogen. Deshalb wird das Thema Migration und Integration von der CSU – das haben wir gerade vom Kollegen Kreuzer wieder gehört – immer unter den Vorzeichen diskutiert: Migranten belasten uns, Migranten bedrohen uns. Die andere Seite der Zuwanderung, die damit verbundene Innovation, die wirtschaftliche und kulturelle Bereicherung unseres Landes wird negiert. Wir, die Grüne Landtagsfraktion, haben in der vergangenen Woche ein interkulturelles Parlament durchgeführt, bei dem wir erfolgreiche Unternehmer und Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund eingeladen hatten. Sie erzählten uns, welches wirtschaftliche Potenzial in den in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten steckt, welchen Beitrag diese Menschen zum Wohlstand unseres Landes beitragen, und welche Hürden sie hier zu überwinden hatten.

Die Zuwanderungskommission der Bundesregierung hat errechnet: Zwei Millionen Migrantinnen und Migranten sind in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Circa 263000 sind als Selbstständige in Industrie, Handel und Handwerk tätig. Sie schaffen dort im Durchschnitt drei bis vier Arbeitsplätze. Die Beschäftigungseffekte, so sagt der Zuwanderungsbericht, können auf mehr als insgesamt eine Million Erwerbstätige veranschlagt werden. Sie sind damit zu einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Deutschland geworden und schaffen nicht nur Beschäftigung, sondern sie bereichern auch das Güter- und Dienstleistungsangebot in unserem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Lehrstellenmangels könnte man seitens der Bayerischen Staatsregierung, des Wirtschaftsministeriums und der Kammern

Initiativen ergreifen und gezielt auf ausländische Unternehmen zugehen, um die dort vorhandenen Ausbildungskapazitäten zu erschließen.

Nach Untersuchungen des Zentrums für Türkeistudien könnten theoretisch etwa 80% der türkischen Betriebe ausbilden und dabei ein breites Berufsspektrum abdecken. 40% der Betriebe erfüllten bereits jetzt die Voraussetzungen. Tatsächlich bilden aber nur 10% der Betriebe aus. Das macht deutlich, welches Potenzial hier vorhanden ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Laut dieser Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien in Essen – dort ist das, glaube ich – zeigten 75% der türkischen Unternehmer durchaus die Bereitschaft zur Ausbildung. Es geht also im Prinzip nur darum, die bestehenden Hemmnisse – zum Beispiel mangelnde Erfahrung, Informationsdefizite, Furcht vor der Ausbildereignungsprüfung und vor bürokratischen Hürden – abzubauen.

Wie wir uns leicht vorstellen können, entwickelt die Bayerische Staatsregierung hier aber keinen großen Ehrgeiz. Sie hat im März letzten Jahres auf eine Schriftliche Anfrage meiner Kollegen Martin Runge und Emma Kellner betreffend die ausländischen Selbstständigen in Bayern geantwortet, für die Beantwortung der Frage liege kein ausreichendes Datenmaterial vor. In der Regel erfolge keine Differenzierung zwischen deutschen und ausländischen Unternehmen. Damit war die Beantwortung beendet.

Wenn schon kein Datenmaterial vorliegt, dann gibt es auch keine Erkenntnisse darüber, welche Potenziale hier schlummern und vergeudet werden. Es ist die übliche Ignoranz, die einem hier in Bayern bei der Frage von Migration und Integration aufseiten der Staatsregierung begegnet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es allerdings um Aussiedler geht, dann wird zum Beispiel im Landesentwicklungsprogramm ausführlich die wirtschaftliche Bedeutung beschrieben, die die Zuwanderung dieser Migrantengruppe zur Folge hat. Können Sie mir erklären, warum die Zuwanderung von Menschen aus Kasachstan ein Segen ist und die Zuwanderung von Menschen aus der Türkei quasi des Teufels? Mir erschließt sich das jedenfalls nicht.