Er oder sie soll auch vom Landtag gewählt werden. Das ist unser Verständnis von Teilhabe und mehr Selbstbestimmung. Wir halten es nicht für sinnvoll und wollen dieses künftig ausschließen, dass ein Staatssekretär gleichzeitig Behindertenbeauftragter ist, wie das beim Vorgänger von Frau Stein der Fall war. Das kann nicht sein. Hier gibt es Zielkonflikte.
Nun zur Berichtspflicht gegenüber dem Gesetzgeber: Wir als Landtag sind der Gesetzgeber. Wenn wir ein komplett neues Gesetz verabschieden, ist es unsere Aufgabe, eine Kontrollfunktion auszuüben. Wir müssen feststellen, wo es knirscht, wo korrigiert werden muss und was sehr gut funktioniert. Sie haben das abgelehnt, was ich sehr bedauere. Sie haben auch unseren Gesetzentwurf und unsere Änderungsanträge abgelehnt. Dadurch haben Sie die Chance vergeben, ein echtes Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung zu schaffen.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Staatsregierung zu, weil wir darin einen Schritt in die richtige Richtung sehen. Er ist ein erster Schritt für den Vollzug des Para
digmenwechsels für Menschen mit Behinderung in Bayern. In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei allen bedanken, die an diesem Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt haben, die sich engagiert haben und die sich – wie erfolgreich auch immer – innerhalb und außerhalb des Parlaments eingebracht haben. Ich nenne die Verbände, die Behindertenbeauftragte Frau Stein, die Vertreter der LAGH, die Selbsthilfe sowie die Bediensteten der Ministerien, die uns fachlich unterstützt haben.
Wir verabschieden heute ein Gleichstellungsgesetz im Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung. Dies kann nicht der Schlusspunkt sein; denn nach dem Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung geht es weiter. Wir sehen dieses Gesetz als Etappenziel. Ich habe ausgeführt, wo die Mängel sind und was wir noch erreichen und verbessern müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem 21. September wird es einen neuen Landtag mit neuen Aufgaben geben. Eine der neuen Aufgaben für die SPD-Fraktion wird sein, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung Wirklichkeit werden zu lassen. Wir müssen die nötigen Verbesserungen fordern, damit eine echte Teilnahme und eine echte Selbstbestimmung erreicht werden kann. Für uns ist dies eine wichtige Aufgabe. Vorrangigstes Ziel ist aber, den Kernsatz für einen gemeinsamen Kindergarten- und einen gemeinsamen Schulbesuch endlich im Gleichstellungsgesetz festzuschreiben.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Staatsregierung trotz der Bedenken, die ich ausgeführt habe, zu. Wir erwarten aber, dass dieses Gesetz in der neuen Legislaturperiode weiterentwickelt wird; denn es ist dringend notwendig, eine echte Gleichstellung und Selbstbestimmung zu erreichen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und der daraus folgenden Diskussion im Landtag, in Ausschüssen dieses Hauses, ist ein großer Meilenstein auf den Weg zur Weiterentwicklung einer behindertenfreundlichen Gesellschaft gesetzt worden.
Das ist ein Beginn nach all den positiven Bemühungen, die in den vergangenen Jahren in der Behindertenpolitik gerade hier im Freistaat Bayern unternommen worden sind. Das ist der Beginn eines, wie wir wissen, in der Gesellschaft durchaus dornenreichen Weges hin zu dem Ziel, die Integration von Menschen mit Behinderung zu unterstützen, einen Paradigmenwechsel von der Betreuung hin zu einem selbstbestimmten Leben zu erreichen, die Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behin
derungen und ihrer vielfältigen Interessenvertretungen und Organisationen zu stärken, Barrierefreiheit zu erreichen, nicht nur beim Zugang zu öffentlichen Gebäuden, sondern auch zu Medien und zum Transport dessen, was öffentliches Leben anbelangt. Mit diesem Diskussions- und Umsetzungsprozess soll vor allem in Behörden und Verwaltungen eine Vereinfachung im Interesse der Behindertenfreundlichkeit erreicht werden. Im täglichen Leben sollen die vielen gedanklichen Barrieren und Behinderungen aufgebrochen werden.
Es ist kein Zufall, dass wir uns mit diesem Gesetz und seinen gesellschaftlichen Auswirkungen im europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung in dieser intensiven Form befassen. Ich möchte diese Beratung als Gelegenheit nutzen, der Bayerischen Staatsregierung und Frau Staatsministerin Stewens dafür zu danken, dass es auch in der Öffentlichkeit eine viel beachtete Kampagne zur Bewusstseinsschärfung gegeben hat und weiterhin geben wird. Wer Pfennigfuchserei vor diesen wichtigen Bewusstseinswandel stellt, nimmt auch in Kauf, dass es immer wieder Skandalurteile von Gerichten gibt. Ich möchte hier bewusst einen Zusammenhang herstellen. So wurde nach einem Urlaubsaufenthalt Schadenersatz dafür gewährt, dass im gleichen Hotel auch behinderte Menschen waren. Solange eine derart schädliche Denkweise existiert, solange ist es dringend erforderlich, Beratungen zu derartigen Gesetzentwürfen, die sich in diesem Fall mit dem öffentlichen Recht befassen, mit positiven Kampagnen zu begleiten.
Im Zusammenhang mit der Diskussion über Gentherapie und therapeutisches Klonen wird die Verfügbarkeit von menschlichem Leben von manchen Kräften immer wieder zur Diskussion gestellt. Ich appelliere gerade im Hinblick auf den Umgang mit Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft an Sie, diesen Forderungen Einhalt zu gebieten. Wer menschliches Leben in seiner Entstehungsphase beeinflussen und gestalten will, ist unter Umständen nicht weit davon entfernt, über den Wert menschlichen Lebens an sich entscheiden zu wollen. Das muss in einer Koalition von demokratischer Politik mit Verbänden und Organisationen von Behinderten aufs Entschiedenste zurückgewiesen werden.
Die Beratungen zu diesem Gleichstellungsgesetz haben insgesamt in einem konstruktiven Klima stattgefunden. Über die wesentlichen Ziele des Gesetzentwurfes wurde erfreulicherweise politischer Konsens erzielt. Die Behindertenverbände, vor allem die Gleichstellungsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Frau Ina Stein, der ich für die CSU-Fraktion bei dieser Gelegenheit für ihre gesamte Arbeit ausdrücklich ein herzliches Dankeschön sagen möchte,
die Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ und die weiteren Behindertenverbände haben diesen Diskussionsprozess teilweise mit eigenen Gesetzentwürfen, teilweise mit äußerst konstruktiven Anregungen in der Anhörung der Staatsregierung und des Landtags begleitet.
Als wesentliche Ziele des Gesetzentwurfs möchte ich die Barrierefreiheit, die Integration und die Selbstbestimmung hervorheben. Es ist ganz wichtig, dass wir die Behindertenpolitik immer wieder an die gesellschaftliche Wirklichkeit anpassen, der Menschen mit Behinderung begegnen. Ich halte es für bemerkenswert, dass es gelungen ist, ausdrücklich die besondere Situation von Frauen mit Behinderung zu definieren und daraus konkrete politische Handlungsansätze zu formulieren. Ich möchte daran erinnern, dass es noch vor sechs oder sieben Jahren überhaupt nicht vorstellbar gewesen wäre, dass in mehreren Bundes- und Landesgesetzen und insbesondere in diesem Gleichstellungsgesetz die Anerkennung der deutschen Gebärdensprache eine besondere Rolle spielt; das ist für die Selbstbestimmung von Menschen, die von Gehörlosigkeit bedroht oder gehörlos sind, und ihre Integration ganz wichtig. Auch die Situation der Selbsthilfeorganisationen von Behinderten ist in besonderer Weise hervorgehoben; denn sie sind ein ganz wesentlicher Motor des gewünschten Paradigmenwechsels. Die Einführung des Verbandsklagerechtes, das grundsätzlich durchaus unterschiedlich bewertet werden kann, ist mit klaren Kriterien versehen und schließt sich nahtlos an das einstimmig beschlossene Bundesrecht an.
Die Verankerung der Position des oder der Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung sowie die Aussage, in den Kommunen Beauftragte dafür zu bestimmen, sind wesentlicher Bestandteil für eine verstärkte Mitwirkung. Ich halte es für richtig, diese Positionen bei der Staatsregierung anzusiedeln. Dafür haben wir bei allen Betroffenen und Interessensorganisationen Zustimmung und Unterstützung erfahren. Auf Bundesebene wurde eine vergleichbare Regelung getroffen.
Obwohl es viele unter den Prioritäten nur als Randerscheinung betrachten, halte ich doch die Änderung der Wahlbestimmungen gerade für blinde Menschen für ein mehr als deutliches Symbol. Gleiches gilt für die Änderung der Bayerischen Bauordnung mit der Vorgabe, dass in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnung eines Geschosses barrierefrei erreichbar und rollstuhlgerecht gestaltet sein muss. Das ist auch ein typisches Beispiel dafür, wie häufig aus Gedankenlosigkeit und mangelndem Verständnis mit Kostengründen argumentiert wird. So wird behauptet, dass die Errichtung von Gebäuden aufgrund der Barrierefreiheit teurer kommt. Das stimmt überhaupt nicht; wenn man sie von vornherein einplant, ist das nicht der Fall. Deswegen ist diese Änderung so positiv zu bewerten. Gleiches gilt auch für den Zugang zu öffentlichen Gebäuden und öffentlichen Verkehrsmitteln.
Zwar kann man immer noch mehr verlangen, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Umsetzung nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten geschehen kann. Daran erkennt man auch die dramatische Situation der öffentlichen Haushalte und die Auswirkung der vorgriffsweisen Umsetzung des Konnexitätsprinzips. Es wird gemeinsame Aufgabe von Staat und Kommunen sein, trotz der dramatischen Haushaltslage die Prioritäten richtig zu setzen.
Nach einem umfassenden Dialog mit Behindertenorganisationen und verschiedenen Betroffenen hat die CSULandtagsfraktion einen Ergänzungsantrag zum Gesetzentwurf eingebracht, dessen Zielsetzungen im federführenden sozialpolitischen Ausschuss die Zustimmung aller Fraktionen des gesamten Hohen Hauses gefunden haben.
Wir wollen, dass hör- und sprachbehinderte Eltern von nicht hör- und sprachbehinderten Kindern auf Antrag die notwendigen Aufwendungen für die Kommunikation mit der Schule in deutscher Gebärdensprache mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen erstattet bekommen. Dies ist das Ergebnis eines langen Kampfes betroffener Eltern. Man braucht sich nur die Situation zu betrachten, um zu sehen, wie hier häufig gegen Betonwände gelaufen worden ist. Auch wenn dieses Thema von mancher Seite nur als Marginalie angesehen worden ist, so ist es doch ein großer Erfolg.
Wir wollen, dass zur Verbesserung der Barrierefreiheit in den Medien insbesondere Fernsehprogramme untertitelt sowie mit Bildbeschreibungen für erblindete und sehbehinderte Menschen versehen werden. Wir wollen, dass gesetzlich fixiert – und dies muss in juristisch ausreichender Form erfolgen – ein Landesbehindertenrat gegründet wird, der von der Staatsregierung zu Fragen der Fortentwicklung und Umsetzung der Behindertenpolitik gehört wird. Dazu hat es im Nachgang der Beratungen intensive Diskussionen gegeben; Frau Kollegin Steiger hat schon darauf hingewiesen. Hierzu gibt es in der Gesundheitspolitik und auch in der Naturschutzpolitik hervorragende Beispiele. Ich erinnere in dem Zusammenhang besonders an den Landesgesundheitsrat.
Neben der Staatsministerin als Vorsitzender und der Behindertenbeauftragten gehören dem Landesbehindertenrat 15 weitere Mitglieder an, die sich aus Vertretern der Selbsthilfeorganisationen, der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege sowie der kommunalen Behindertenbeauftragten zusammensetzen sollen. Näheres soll eine Rechtsverordnung der Staatsregierung regeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich hierzu ausdrücklich zu Protokoll erklären, dass es dabei für die CSU-Landtagsfraktion entscheidende Maßstäbe und Maßgaben gibt.
Erstens. Der Entwurf der Rechtsverordnung soll mit den Betroffenen erörtert und abgestimmt werden – möglicherweise auch im Zusammenhang mit einer Anhörung. Gegebenenfalls bietet es sich dabei auch an, das Parlament einzubinden.
Zweitens. Ziel unserer Initiative ist es eindeutig, die Realität des Lebens mit Behinderung und seiner Interessensorganisationen widerzuspiegeln. Deswegen ist eine Mitwirkung der öffentlichen Wohlfahrtspflege ebenso notwendig wie die Mitwirkung anderer Verbände.
Drittens. Die CSU-Landtagsfraktion geht jedoch davon aus – und dies erscheint mir am wichtigsten –, dass aufgrund der mit dem Landesbehindertenrat verbundenen Zielsetzung das Schwergewicht der Mitglieder auch hin
sichtlich des Stimmenanteils bei den Vertretern der Selbsthilfeorganisationen liegen muss. Dies ist für uns, sehr verehrte Frau Staatsministerin, eine erklärte Voraussetzung. Wir werden die Umsetzung der Arbeit des Rates auch von politischer Seite aus partnerschaftlich begleiten. Diese Initiative ist aus unserer Sicht ein deutliches Signal für mehr Mitbestimmungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Selbsthilfeorganisationen und der Behindertenverbände in der Behindertenpolitik. Damit kann bereits in der Entstehungsphase von behindertenpolitischen relevanten Maßnahmen der Einfluss der Behinderten effektiv geltend gemacht werden. Inhaltlich denke ich dabei zum Beispiel an die behindertenfeindlichen Auswirkungen der Änderungen des SGB III, also des Arbeitsförderungsrechts, auf Betroffene im Freistaat Bayern.
Darüber hinaus wollen wir mit der Definition der Integration bei den generellen Zielsetzungen und mit der Definition eines präventiven Ansatzes bei der Berücksichtigung der Situation von Frauen mit Behinderung klare Signale setzen.
Im Hinblick auf den Landesbehindertenrat und die Zuordnung des Behindertenbeauftragten hat es zwar nicht im Grundsatz, aber in den Ausführungen bei den Beratungen durchaus unterschiedliche Ansätze gegenüber den Oppositionsparteien gegeben. Wir sind jedoch der Auffassung, dass es schon aus dem juristischen Grund der hinreichenden Bestimmtheit einer Regelung nicht reicht, nur einen allgemeinen Satz zu diesen komplexen Themen in den Gesetzentwurf aufzunehmen, wie es von der SPD und den GRÜNEN vorgeschlagen worden ist.
Eine Differenz gibt es im Hinblick auf die Aufnahme eines Programmsatzes in das Gleichstellungsgesetz, der die Integration von Kindern mit Behinderung in Regeleinrichtungen der frühkindlichen und der schulischen Erziehung betrifft. Für uns war dies in erster Linie deshalb nicht der richtige Ansatz, weil der Weg zur schulischen Öffnung, orientiert an der Fördersituation des einzelnen Kindes und dem Elternwillen, im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz bereits in positiver Weise geregelt wurde. Ich kann Ihnen sagen, aufgrund des Handlungsbedarfs bei manchen Betroffenen und bei manchen Eltern, die zum Beispiel ein Kind mit DownSyndrom an der Regelschule eingeschult haben wollten, hat sich aufgrund dieses Gesetzes in der Schulverwaltung ein Paradigmenwechsel ergeben. Mit der Schaffung eines Bayerischen Kindertagesstättengesetzes zum 1. Januar 2005 werden wir konkretere und klarere Zeichen setzen können, als dies im Behindertengleichstellungsgesetz möglich ist. Vor allem wird im Kindergarten in Bayern diese Integration seit vielen Jahren in vorbildlicher Weise praktiziert. Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Es gibt sehr viele positive Beispiele. Wir können den Trägern und Einrichtungen für diese positive Entwicklung mehr als dankbar sein. Deswegen konnten wir diesen Vorschlägen im Gegensatz zu einigen weiteren Änderungsvorschlägen, etwa in Bezug auf die Zuleitung des Berichts des Gleichstellungsbeauftragten an das Parlament und die Diskussion darüber,
Mit den Beratungen über den Gesetzentwurf und die Änderungsanträge sind auch sonstige Antragsinitiativen und Gesetzentwürfe aller hier im Landtag vertretenen Parteien behandelt und aus unserer Sicht vollständig erledigt worden.
Meine Damen und Herren, die Berichtspflicht, die Sie angemahnt haben, kann das Parlament und jede Fraktion jederzeit beantragen. Dies gilt vor allem auch in der neuen Legislaturperiode. Ich weiß nicht, welche Einschränkungen und Probleme Sie hier sehen. Integration, die Mitwirkung am eigenen Leben und die Öffnung zu einer noch behindertenfreundlicheren Gesellschaft, vor allem aber auch die Barrierefreiheit im täglichen Leben und in den Köpfen, was das Zusammenleben anbelangt, sind Zielsetzungen, die über einen längeren Zeitraum realisiert werden müssen. Hinsichtlich des öffentlichen Bereichs ist das Gesetz ein bahnbrechender Wegweiser, der von der Gesellschaft auch als solcher verstanden werden sollte. Wir bitten deshalb um Zustimmung in diesem Sinne.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist schon vielfach das Europäische Jahr der Behinderten genannt worden. Wir dürfen deswegen auch ein bisschen stolz darauf sein, dass wir heute ein bayerisches Gleichstellungsgesetz verabschieden. Vorausgegangen sind auf der Bundesebene viele Gesetze, die wegweisend waren. Das Gleichstellungsgesetz auf Landesebene ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens schon ein gewisser Meilenstein; denn auch in Bayern haben wir einen Paradigmenwechsel eingeläutet. Wir wollen weg vom fürsorglichen Wohlfahrtsstaat hin zum selbstbestimmten Leben. Wir wollen Teilhabe, Mitbestimmung und Mitgestaltung. Das ist nicht nur für die Behinderten wichtig, sondern das ist auch für die Gesellschaft ein wichtiges Signal und ein wichtiger Schritt hin zur Normalität. Wir müssen die Barrieren Zug um Zug abbauen. Der Wermutstropfen ist schon einige Male genannt worden. Wir haben beim Barrierenabbau auch aufgrund der Haushaltsmittel eher ein Schneckentempo vorlegen müssen. Ich habe im Gesetz nachgelesen, was alles unter Haushaltsvorbehalt steht. Deshalb werden beim öffentlichen Nahverkehr, bei Zügen, Bussen und Trambahnen, für die Zuschüsse gewährt werden, mitunter sehr lange Wartezeiten entstehen.
Wir haben vor ein paar Monaten auf dem Marienplatz einen Aktionstag veranstaltet, bei dem sich unter dem Motto „Bayerisches Gleichstellungsgesetz durchgesetzt
Ich denke, es ist vieles erreicht worden. Das Gesetz ist ein guter Anfang. Trotzdem können wir den Schalter nicht komplett von heute auf morgen umlegen. Die Barrieren können aufgrund der finanziellen Verhältnisse nicht alle auf einmal abgebaut werden. Von den Barrieren sind etwa eine Million behinderter Menschen und zusätzlich alte Menschen betroffen. Gesellschaftliche Realität ist, dass behindert werden jeden Tag für jeden möglich ist.
Schon die Planungen müssen auf Barrierefreiheit abgestellt werden; denn es ist nichts so schlimm, wie wenn nachgerüstet und repariert werden muss. An so manchen S-Bahnstationen kann ein Behinderter gerade noch aussteigen, für ihn gibt es aber kein Entrinnen aus dem Bahnhof oder vom Bahnsteig. Das ist leider kein Einzelfall, sondern beim öffentlichen Personennahverkehr oftmals die Realität nach dem Motto: Hier müssen Sie draußen bleiben. Das ist beschämend. Gleichermaßen beschämend ist, dass es noch sehr lange dauern wird, bis sich etwas ändert.
Die Gedankenlosigkeit ist ebenso schlimm. Sehr oft sind Behindertenparkplätze zugeparkt. Es wird sehr wenig Rücksicht genommen. Auch hier ist noch einiges zu tun.
In den Beratungen habe ich angesprochen, dass die Architektenausbildung für die Barrierefreiheit sensibilisiert werden muss. Wahrscheinlich geht den Architekten die Ästhetik vor Praktikabilität. Im jetzigen Gesetz ist die Barrierefreiheit für das Erdgeschoss fixiert. Künftig sollte eingeführt werden, dass nicht nur im Erdgeschoss barrierefrei gebaut wird, sondern dass auch im Geschosswohnungsbau die Barrierefreiheit viel mehr berücksichtigt werden sollte. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es immer mehr Menschen mit Gehbehinderung geben. Denen ist das Leben in der eigenen Wohnung nicht mehr möglich, weil die Wohnung zum Gefängnis wird. Solche Probleme sollten bei Neubauten berücksichtigt werden.
Die Barriere in den Köpfen der Menschen, die nicht behindert sind, darf nicht unterschätzt werden. Die öffentliche Diskussion um die Benachteiligungsverbote im Grundgesetz und in der Bayerischen Verfassung und in den Gleichstellungsgesetzen des Bundes und des Landes können dazu beitragen, ein anderes Bewusstsein zu schaffen, damit die Realität anerkannt und das Ziel erreicht wird, Akzeptanz, Toleranz, Gleichstellung und Selbstbestimmtheit Normalität werden zu lassen. Das Urteil, das Klägern Schadensersatz zugesprochen hat, weil sich gleichzeitig Behinderte im Hotel aufhielten, ist schändlich. Noch schändlicher ist jedoch, dass überhaupt ein Prozess angestrebt wurde, weil man sich von behinderten Menschen gestört fühlte. Ein solcher Vorfall ist ein Gradmesser, wie weit wir von der Normalität entfernt sind.