Christa Steiger

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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn in 25 von 27 Arbeitsamtsbezirken in Bayern eine Verschlechterung der Ausbildungssituation in diesem Jahr eingetreten ist, wenn sich das regionale Gefälle deutlich in den Ausbildungsplatzangeboten verschärft hat und wenn in den Arbeitsämtern in der Oberpfalz, in Niederbayern und Oberfranken auch in diesem Jahr deutlich weniger Angebote als Bewerberinnen und Bewerber vorhanden sind, dann ist schlichtweg Feuer unterm Dach bezüglich der Ausbildungsplätze und der Zukunftschancen der jungen Menschen.
Da nützen Appelle an die Privatwirtschaft und an das Handwerk sowie die 13 Starthilfeprogramme der Staatsregierung zwar etwas, aber es ist bei weitem nicht genug. Und leider Gottes sind die Anträge, welche die CSU-Landtagsfraktion vor einiger Zeit zur Ausbildung vorgestellt hat, auch nicht zielführend für das, was wir hier in Bayern machen können; denn sie wenden sich zu 99,9% wieder einmal an den Bund. Aber wir tragen hier im Land Verantwortung und müssen sehen, was wir hier in Bayern machen können.
Es ist bei uns Handeln angesagt, und wir müssen in Bayern ansetzen. Unser Dringlichkeitsantrag zielt im Ziffer I auf die Förderung der Ausbildung in den Kommunen. Wir wissen natürlich um die Finanzsituation der Kommunen, die viele Städte und Gemeinden und auch die Landkreise an der Einstellung von Auszubildenden hindert, auch wenn sie dies gern täten. Deshalb enthält unser Antrag die Forderung, ein Programm aufzulegen – das ist unsere Forderung an die Staatsregierung –, über drei Jahre hinweg jährlich 2 Millionen e aus den Privatisierungserlösen für die Kommunen als Anreiz zu geben, um zusätzliche Auszubildende einzustellen.
Die Kommunen können sowohl in der Verwaltung als auch im handwerklichen Bereich ausbilden. Der Zuschuss wäre mit 2500 e zu beziffern, und zwar dort, wo wir deutlich weniger Ausbildungsplätze als Bewerber haben, und dort, wo sich dann die Kommunen bereit erklären, zusätzliche Ausbildung zu dem, was sie bis jetzt an Ausbildung angeboten haben, zur Verfügung zu stellen oder überhaupt erst einmal auszubilden.
Das müsste machbar sein. Als Beispiel dafür nenne ich ein Programm des Arbeitsamtes Coburg, das allerdings nur für die Privatwirtschaft aufgelegt wurde. Es hat sich gezeigt, dass dieses Programm innerhalb weniger Tage vergriffen war. Wenn es der Bayerischen Staatsregierung möglich war, 6,9 Millionen e in die Förderung des Neubaus der Bavaria Film GmbH zu investieren, dann, so denke ich, muss es auch möglich sein, die Kommunen zu unterstützen und in die Zukunftschancen junger Menschen zu investieren. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Ziffer II enthält die Forderung, die Ausbildung im eigenen Wirkungskreis der Staatsregierung zu fördern. In diesem Zusammenhang überrascht mich ein Artikel in der heutigen „Augsburger Allgemeinen“. Dort hat Herr Staatssekretär Schmid ein Interview gegeben und festgestellt, dass der Staat Ausbildungsplätze nicht selbst zur Verfügung stellen könne. Das ist mir zu einfach. Der Staat kann sehr wohl in seinem eigenen Wirkungsbereich Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Auch das wollen wir mit unserem Dringlichkeitsantrag erreichen. Man kann nicht immer nur Forderungen an die anderen stellen, sondern man muss auch selber etwas tun.
Ich hoffe, dass diese Aussage des Staatssekretärs verkürzt wiedergegeben worden ist; denn auch der Staat muss – da wiederhole ich mich – selbst etwas tun. Er muss sowohl in den Ministerien als auch in den nachgeordneten Dienststellen und Behörden Ausbildungsplätze
schaffen und zur Verfügung stellen, damit die jungen Leute eine Chance bekommen.
Die dritte Forderung lautet deshalb, die schulische Qualifikation sicherzustellen. Das ist heute im Laufe der Debatte um die Regierungserklärung von Frau Ministerin Hohlmeier schon mehrfach angesprochen worden. Auch hier darf ich Herrn Staatssekretär zitieren. Wenn er sagt, wir dürften die Schwachen nicht vergessen, die berufsbegleitende Maßnahmen brauchen, dann sage ich nur: wie wahr. Er sagt weiter: „Wer heute keine Ausbildung hat, hat in seinem beruflichen Leben kaum eine Chance.“ Wie wahr, wie wahr! Deshalb halte ich es für kontraproduktiv, wenn die ministerielle Anweisung Bestand haben sollte, keine zusätzlichen Klassen an den beruflichen Schulen und den Berufsfachschulen einzurichten. Das kann es in der Situation, in der wir uns bewegen, nicht sein. Ein Aufnahmestopp ist ein Verwehren von Zukunftschancen. Das halte ich für unverantwortlich.
Sie sollten diese Anweisung möglichst schnell zurücknehmen. Weiter sagt er in diesem Interview auf die Feststellung hin, dass die Qualität der schulischen Abschlüsse zu wünschen übrig lasse, diese Klagen gebe es häufig. Man könne sich die Schüler nicht aussuchen. Dazu muss ich ebenfalls feststellen, dass das ein bisschen arg einfach ist. Wir können uns zwar die Schüler nicht aussuchen, aber wir können sie fördern und wir müssen genau da ansetzen, worüber heute morgen bis in den Mittag hinein diskutiert worden ist.
Ja, die Frau Ministerin ist im Augenblick nicht da. Wir müssen uns fragen, wie wir die Schülerinnen und Schüler fördern können. Da geht unsere Forderung in diesem Antrag dahin, zusätzliche Voraussetzungen im schulischen Bereich zu schaffen, und zwar sowohl zum Nachholen des Hauptschulabschlusses in Vollzeitmaßnahmen als auch durch zusätzliche Klassen für das Berufsvorbereitungsjahr an den Berufsschulen sowie an den Berufsfachschulen.
Es kann doch nicht sein, dass Sie in ihrem 13-PunkteProgramm fünf zusätzliche zeitlich befristete Berufsfachschulklassen anbieten und wir bis heute noch nicht wissen, wo das sein soll, wer es macht und was es ist; denn das Schuljahr ist ja schon fast zu Ende. Hier tragen Sie die Verantwortung.
Die BVJ-Klassen sind gerade für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die einen zusätzlichen Ausbildungsschub brauchen, eine zusätzliche Chance. Wir brauchen aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten auch regional zugeschnittene Lösungen. Nachdem das JUMP-Programm durchaus erfolgreich war und es auf Bundesebene auch eine Neuauflage gibt, sollte dies unterstützt werden. Es kommen dann ja auch noch andere Maßnahmen dazu, zum Beispiel durch das Programm „Kapital für Arbeit“, das auch auf Arbeitsplatzsuchende ausgeweitet worden ist. Dies sollten Sie, wie gesagt, unterstützen; denn die Ausbildung für junge
Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von Bund, Wirtschaft, Land und Kommunen, also von uns allen, getragen werden muss. Deshalb fordere ich Sie auf, die Verantwortung in Ihrem eigenen Bereich zu übernehmen und unserem Antrag zuzustimmen.
– Das ist aber nett. Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, dass die Lehrstellen- und Ausbildungsplatzakquisiteure hervorragend arbeiten, dann frage ich Sie: Warum wurde unser Antrag zur staatlichen Finanzierung von Akquisiteuren für jeden Landkreis und für jede kreisfreie Staat abgelehnt?
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute ein Bayerisches Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung verabschieden, dann war der Weg bis hierhin ein langer und sehr mühsamer. Die Vorgeschichte betrifft die Einfügung des Artikels 3 Absatz 3 in das Grundgesetz – niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden – sowie Artikel 118a der Bayerischen Verfassung: – Menschen mit Behinderung dürfen nicht benachteiligt werden. Der Staat setzt sich für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderung ein.
Das zeigt, wie lange der Prozess gedauert hat. Es ist aber unsere Aufgabe, diese Artikel mit Leben zu erfüllen und den Paradigmenwechsel in der Politik für Menschen mit Behinderung auch in Bayern zu vollziehen. Wir müssen weg von der Fürsorge, hin zum selbstbestimmten Leben. Wir müssen weg vom „wir wissen schon, was für euch gut ist“ hin zu selbst entscheiden und selbstbestimmt und selbstbewusst leben können. Wir merken, allein die Änderung in der Sprache ist enorm. Statt immer von Behinderten zu sprechen, ist jetzt von Menschen mit Behinderung die Rede. Das hat lange Zeit gedauert und hat sich noch lange nicht bei allen durchgesetzt. Das merken wir immer wieder.
Auch wir selbst müssen uns immer wieder kritisch hinterfragen, wie wir mit diesen Begriffen umgehen.
Die Geschichte des Bayerischen Gleichstellungsgesetzes für Menschen mit Behinderung ist also eine ziemlich lange. Ich möchte es aber nicht versäumen, sie trotzdem ins Gedächtnis zu rufen. Im Oktober 2000 gab es in Düsseldorf einen Kongress mit ganz konkreten Forderungen nach einem Gleichstellungsgesetz des Bundes und nach Ländergleichstellungsgesetzes. Dazu kamen dann die Entscheidungen auf Bundesebene, das waren drei Gesetzesvorhaben: Erstens: das Gesetz zur Eingliederung von Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das ist im Jahr 2000 in Kraft getreten. Zweitens: das SGB IX, das 2001 in Kraft getreten ist und drittens: das Bundesgleichstellungsgesetz von 2002. Diese Bundesgesetze müssen auch in Bayern Konsequenzen haben.
Für uns Sozialdemokraten war von Anfang an klar, dass ein Bundesgleichstellungsgesetz allein nicht genügt,
denn wir haben Gesetzgebungskompetenzen auf Länderebene, und zwar ganz deutliche und federführende.
Das hat auch etwas mit dem Selbstverständnis der Länderparlamente zu tun. Für uns als SPD-Fraktion war es auch von vornherein klar, dass wir ein Landesgleichstellungsgesetz brauchen. Das war auch die Forderung der Verbände, der Wohlfahrtsverbände, der Selbsthilfeorganisationen, der LAGH, des VdK und von vielen anderen Organisationen. Nicht zuletzt war es eine Forderung von Frau Ina Stein, der Behindertenbeauftragen der Bayerischen Staatsregierung.
Wenn man sich bewusst macht, dass acht Prozent der bayerischen Bevölkerung schwerbehindert sind, dann heißt das, jeder bzw. jede zwölfte in Bayern ist betroffen. Das sind etwa eine Million Menschen. Wenn man sich weiterhin bewusst macht, dass davon nur 4,5 Prozent von Geburt an eine Behinderung haben, dann kann von einem Bayerischen Gleichstellungsgesetz, von einem Ländergesetz nur jeder von uns profitieren. Zu dieser einen Millionen Menschen kommen noch die Lebenspartner hinzu, die Kinder, die Eltern, Menschen, die Menschen mit Behinderung unterstützen, mit ihnen leben und mit ihnen arbeiten. Das sind mehrere Millionen Menschen. Das ist, weiß Gott, keine Minderheit.
Menschen mit Behinderung brauchen Teilhabe, brauchen Selbstbestimmung. Sie wollen Ausbildung und Arbeit. Menschen mit Behinderung – das wird immer wieder vergessen – sind ein nicht zu unterschätzender Faktor, denn sie sind auch Arbeitgeber, und sie schaffen auch Arbeitsplätze.
Wie gesagt, der Weg bis heute war sehr lang. Soweit zu kommen, hat sehr vieler Überzeugungsarbeit bedurft, und bedeutete das Bohren dicker Bretter, denn am Anfang, als wir unseren Gesetzentwurf vor sage und schreibe zwei Jahren eingebracht haben, stand die Mehrheit in diesem Hause wie auch die Staatsregierung ihm ablehnend gegenüber. Die Ablehnung war festgemauert nach dem Motto: Das brauchen wir nicht, wir warten ab, was der Bund macht. Mehr brauchen wir nicht. – Langsam hat sich diese Haltung durch viele Initiativen aufgeweicht. Schließlich – und das hängt mit dem September des vergangenen Jahres zusammen – sagte Ministerpräsident Stoiber in einer seiner vielen Regierungserklärungen: Wir machen ein Bayerisches Gleichstellungsgesetz.
Jetzt sind wir also soweit, dass auch die Staatsregierung einen Gesetzentwurf eingebracht hat. Das ist gut, umso mehr, weil wir heute ein Gleichstellungsgesetz verabschieden können. Es ist gut, weil vieles, was wir in unserem Gesetzesentwurf eingebracht haben, im Gesetzentwurf der Staatsregierung übernommen worden ist. Ich hätte mich allerdings noch mehr gefreut, wenn Sie alles übernommen hätten. In diesem Fall hätte ich überhaupt
nichts dagegen gehabt, wenn Sie alles abgeschrieben hätten. Mir ist nicht das Erstgeburtsrecht wichtig, mir geht es darum, dass Menschen mit Behinderung in Bayern eine Verbesserung erfahren.
Ich möchte einige Punkte ansprechen, wo wir große Einigkeit haben. Das ist die Barrierefreiheit, sie ist der Dreh- und Angelpunkt. Aber Barrierefreiheit heißt nicht nur, Stufen und Hindernisse abzubauen. Wir haben neben den sichtbaren Hindernissen auch gewaltige Mengen von unsichtbaren Hindernissen in den Köpfen und bei der Kommunikationsfreiheit von Menschen mit Behinderung.
Wir müssen an das Baurecht, die Bauordnung, den ÖPNV, das Wohnen und all diese Themen herangehen. In der Konsequenz gehört dazu auch eine Änderung in der Architekturausbildung; denn kein gutwilliger Architekt kann barrierefrei und behindertengerecht bauen, wenn er dazu die Grundvoraussetzungen nicht verpflichtend erworben hat. Der Abbau von Barrieren ist nicht nur für Menschen mit Behinderung sinnvoll, sondern auch für Familien, für Menschen, die mit dem Kinderwagen unterwegs sind, für Leute, die schwere Lasten transportieren usw. Wir alle haben etwas davon. Die Gedankenlosigkeit bei der Planung muss deshalb abgebaut werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Zugang zur Kommunikation. Das betrifft vor allem die sehbehinderten, die gehörlosen und die hörgeschädigten Menschen. Wichtig ist zum Beispiel die Anerkennung der Gebärdensprache oder der Kommunikationszugang für sehbehinderte Menschen zu den modernen Technologien. Ganz wichtig wäre, dass die Einrichtung von kommunalen Behindertenbeauftragten künftig nicht mehr freiwillig geschieht, sondern die Kommunen von vornherein verpflichtet werden, die Belange von Menschen mit Behinderung in ihre Planungen aufzunehmen in Form der Kommunalen Behindertenbeauftragten. Ein weiteres wichtiges Thema ist das Verbandsklagerecht und die Berücksichtigung der Belange von Frauen mit Behinderung, da diese sehr häufig eine doppelte Benachteiligung erfahren.
Damit hört es mit den Gemeinsamkeiten schon auf. Mir erschließt sich überhaupt nicht, warum Sie sich nicht trauen, die Gleichstellung für alle Lebensbereiche in dem Gesetz festzuschreiben und unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. In dem Gesetzentwurf der Staatsregierung fehlen leider elementare Punkte für eine echte Gleichstellung. Ich bedauere sehr, dass Sie zwar angelaufen und abgesprungen sind, beim Springen aber gebremst haben und frühzeitig gelandet sind. Warum diese Zögerlichkeit? Warum treffen Sie keine Kernaussage im Gleichstellungsgesetz für Kindergärten oder eine Kernaussage zur Schule?
Sie haben argumentiert, dazu gebe es Einzelgesetze. Dieses Argument greift zu kurz; denn wir haben im Gleichstellungsgesetz eine ganze Latte von Änderungen bei Einzelgesetzen beschlossen. Da Frau Stein heute
hier ist und in der „Süddeutschen Zeitung“ angemahnt und beklagt hat, dass weder im Kindergartengesetz noch im Erziehungs- und Unterrichtsgesetz ein Kernsatz Eingang gefunden hat, möchte ich noch einmal betonen, dass das gemeinsame Lernen, das gemeinsame Erziehen, das gemeinsame Aufwachsen und das gemeinsame Voneinander-Lernen wichtig ist. Dadurch werden Vorurteile abgebaut, ja, sie entstehen überhaupt nicht. Dadurch werden außerdem Barrieren in den Köpfen abgebaut. Kinder mit und ohne Behinderung können unendlich viel voneinander lernen. Ich halte es für falsch, im Gesetzentwurf der Staatsregierung quasi bei der Frühförderung aufzuhören und bei der Änderung im Hochschulgesetz wieder zu beginnen und elementare Bereiche wie Kindergärten und Schulen einfach auszulassen. Sie sollten nicht den Kopf in den Sand stecken und auf Einzelgesetze verweisen.
Das Gesetz und die gesamte Bevölkerung können nur gewinnen, wenn wir diese Kernsätze hineinschreiben. Eine weitere Differenz zwischen uns besteht bezüglich des Landesbehindertenrates. Für uns ist der Landesbehindertenrat eine Stärkung der Selbsthilfe. Diese Stärkung haben wir in unserem Änderungsantrag eingefordert. Die CSU-Fraktion hat einen Änderungsantrag eingebracht, da der Landesbehindertenrat im Gesetzentwurf der Staatsregierung überhaupt nicht vorkam. Sie trauen wieder einmal der Eigenverantwortung und der echten Teilhabe nicht. Nach unserer Auffassung soll der Landesbehindertenrat alle beraten und unabhängig sein. Im Änderungsantrag der CSU-Fraktion wird der Landesbehindertenrat demgegenüber wieder gegängelt und bevormundet, da die Staatsministerin oder der Staatsminister für Soziales den Vorsitz haben wird. Wir wollen außerdem, dass der oder die Behindertenbeauftragte wie der Datenschutzbeauftragte künftig beim Landtag angesiedelt ist.
Er oder sie soll auch vom Landtag gewählt werden. Das ist unser Verständnis von Teilhabe und mehr Selbstbestimmung. Wir halten es nicht für sinnvoll und wollen dieses künftig ausschließen, dass ein Staatssekretär gleichzeitig Behindertenbeauftragter ist, wie das beim Vorgänger von Frau Stein der Fall war. Das kann nicht sein. Hier gibt es Zielkonflikte.
Nun zur Berichtspflicht gegenüber dem Gesetzgeber: Wir als Landtag sind der Gesetzgeber. Wenn wir ein komplett neues Gesetz verabschieden, ist es unsere Aufgabe, eine Kontrollfunktion auszuüben. Wir müssen feststellen, wo es knirscht, wo korrigiert werden muss und was sehr gut funktioniert. Sie haben das abgelehnt, was ich sehr bedauere. Sie haben auch unseren Gesetzentwurf und unsere Änderungsanträge abgelehnt. Dadurch haben Sie die Chance vergeben, ein echtes Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung zu schaffen.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Staatsregierung zu, weil wir darin einen Schritt in die richtige Richtung sehen. Er ist ein erster Schritt für den Vollzug des Para
digmenwechsels für Menschen mit Behinderung in Bayern. In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei allen bedanken, die an diesem Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt haben, die sich engagiert haben und die sich – wie erfolgreich auch immer – innerhalb und außerhalb des Parlaments eingebracht haben. Ich nenne die Verbände, die Behindertenbeauftragte Frau Stein, die Vertreter der LAGH, die Selbsthilfe sowie die Bediensteten der Ministerien, die uns fachlich unterstützt haben.
Wir verabschieden heute ein Gleichstellungsgesetz im Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung. Dies kann nicht der Schlusspunkt sein; denn nach dem Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung geht es weiter. Wir sehen dieses Gesetz als Etappenziel. Ich habe ausgeführt, wo die Mängel sind und was wir noch erreichen und verbessern müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem 21. September wird es einen neuen Landtag mit neuen Aufgaben geben. Eine der neuen Aufgaben für die SPD-Fraktion wird sein, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung Wirklichkeit werden zu lassen. Wir müssen die nötigen Verbesserungen fordern, damit eine echte Teilnahme und eine echte Selbstbestimmung erreicht werden kann. Für uns ist dies eine wichtige Aufgabe. Vorrangigstes Ziel ist aber, den Kernsatz für einen gemeinsamen Kindergarten- und einen gemeinsamen Schulbesuch endlich im Gleichstellungsgesetz festzuschreiben.
Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Staatsregierung trotz der Bedenken, die ich ausgeführt habe, zu. Wir erwarten aber, dass dieses Gesetz in der neuen Legislaturperiode weiterentwickelt wird; denn es ist dringend notwendig, eine echte Gleichstellung und Selbstbestimmung zu erreichen.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Unterländer.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bayerische Staatsregierung das Vorgehen der Kassenärztlichen Vereinigung Oberfranken, der Diabetikerambulanz an der Frankenwaldklinik in Kronach die Ermächtigung zur Mitbehandlung von Diabetes-mellitusPatienten zu entziehen, und was gedenkt die Bayerische Staatsregierung gegen dieses für die Betroffenen nicht nachvollziehbare Verhalten zu unternehmen, damit die Diabetikerambulanz zur Versorgung der Patientinnen und Patienten wieder zugelassen wird?
Herr Staatssekretär, die Diabetikerambulanz an der Frankenwaldklinik ist die einzige an einer Klinik in ganz Oberfranken und wirkt damit weit über den Landkreis Kronach hinaus. Sie versorgt Patienten aus ganz Oberfranken und ist federführend in der Behandlung und Betreuung der Patienten.
Dazu habe ich die Frage: Teilt die Staatsregierung meine Auffassung, dass sich die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung in Oberfranken an den Bedürfnissen der Patienten und nicht lediglich an den Bedürfnissen der Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung in Oberfranken orientieren sollte?
Noch eine Zusatzfrage. Die Rechtslage ist die eine Sache. Aber ich denke, die Verpflichtung zu einer ordentlichen und vertrauensvollen Patientenversorgung ist die andere Sache.
In der Diskussion zur Gesundheitsreform wird auch der Standpunkt vertreten, dass man ambulante und stationäre Versorgung besser miteinander verzahnen sollte. Das ist ein wichtiges Thema. Dazu frage ich, ob Sie meine Auffassung teilen können, dass diese Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung bisher hervorragend funktioniert hat. Und teilen Sie die Befürchtung des Diabetikerbundes Oberfranken, der aufgrund seiner Funktion in der Sache sicherlich sehr gut Bescheid weiß, dass sich die Versorgung der Patienten in Oberfranken erheblich verschlechtern wird? Dieser Auffassung des Diabetikerbundes kann auch ich mich anschließen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Einige Aussagen von Kollegen der CSU machen schon nachdenklich. Herr Sibler, Sie haben sich nicht informiert; denn Ihre Aussagen zur Bundesanstalt und zum Zivildienst sind nicht auf der Höhe der Zeit. Noch mehr Sorgen macht mir Herr Kollege Dinglreiter mit seiner Aussage, erstmals in Bayern mache ihm der Lehrstellen- und Ausbildungsmarkt Sorgen. Mir macht der Lehrstellen- und Ausbildungsmarkt schon viele Jahre Sorgen; denn ich habe nicht die einseitige, nur die Münchner und die oberbayerische Wahrnehmung. Diese vielseitige Wahrnehmung sollten Sie aus Ihrer anderen Funktion heraus eigentlich auch haben. Dieses Nichtausbilden ist auch ein Vorenthalten von gleichwertigen Lebensbedingungen in ganz Bayern. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
In Oberfranken stehen 100 jungen Leuten, die einen Ausbildungsplatz suchen, nur 64 Angebote gegenüber; dabei sieht es regional nochmal unterschiedlich aus. Insofern haben wir bei den Arbeitsämtern Coburg und Hof ein Verhältnis von 1 : 2. Dazu kommen die Altfälle von den vergangenen Jahren, die immer noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.
Herr Kobler, Sie zeigen ständig mit dem Finger auf den Bund, aber Ausbildungsplätze schafft immer noch die Wirtschaft.
Wo ist die Ausbildungsbereitschaft des Freistaates Bayern in seiner Verantwortung?
Der Kabinettsbesuch in Oberfranken war über die Maßen enttäuschend. Das ganze Kabinett, auch der zuständige Herr Staatssekretär Schmid waren nicht beim Arbeitsamt Coburg, um sich zu informieren. So viel zu dem, was an ernst zu nehmender Bereitschaft da ist, sich mit der Situation in den Regionen auseinander zu setzen.
Die 13 Starthilfen sind wieder einmal der alte Wein in neuen Schläuchen. Es werden – zeitlich befristet – drei Klassen für Berufsfachschulen angekündigt. Aber auf Nachfragen, was, wo und wie dies geschehen solle, bekommt man keine Antwort. Dieses kann es wohl nicht sein. Für die neuen Chancen werden 900000 e zur Verfügung gestellt. Da sagt man in der Kirche immer, wenn der Klingelbeutel herumgeht: Es ist für wo am nötigsten. Diese 900000 e sind wirklich für wo am nötigsten, weil diese Mittel nicht reichen.
Statt Mobilitätshilfen zu geben, die nur der zweitbeste Weg sein können, wäre es wirklich notwendig, hier Strukturhilfen für kleine und mittlere Industriebetriebe und für das Handwerk zu leisten zum Gestalten des
Strukturwandels in Regionen wie Oberfranken und die Oberpfalz. Es kann nicht sein, dass 60% der Privatisierungserlöse nach Oberbayern und dass 37% der Technologieförderung in den Süden fließen. Dies verschärft die Situation.
Herr Dinglreiter, Sie brauchen nicht abzuwinken; das ist falsche Regionalpolitik. Damit verschlechtern Sie die Lebenschancen von jungen Leuten und auch die Möglichkeiten für eine Ausbildung und Qualifikation.
Wer von Verdrängungswettbewerb durch Jugendliche aus den neuen Bundesländern spricht, muss sehen, dass von den 4000 jungen Leuten, die aus den neuen Bundesländern nach Bayern kommen, allein 2000 im Münchner Raum landen, und das kann es auch nicht sein, denn dadurch wird die Situation verschärft.
Was kann man in Bayern tun? – Man darf die Ausbildung nicht isoliert sehen, sondern muss das ganze Umfeld – auch die Landesentwicklung, die Struktur- und die Regionalpolitik – einbeziehen. Da liegen die Versäumnisse. Zeigen Sie bitte nicht mit dem Finger nach Berlin, sondern schauen Sie sich die Situation im eigenen Lande an; denn Regional- und Landesentwicklungspolitik sind Landessache. Die Fachhochschule in Coburg zum Beispiel kämpft für Studiengänge für Mechatronik und für Physiotherapie, bekommt sie aber nicht. Das wäre eine Stärkung der Region, eine mögliche Förderung für Existenzgründung und somit eine Möglichkeit, für junge Leute Ausbildungschancen zu schaffen. Auf diesem Gebiet gäbe es eine ganze Menge von Möglichkeiten.
Eine Fehlentscheidung war – da haben Sie Lebenschancen und die Schaffung von Ausbildungsplätzen für junge Leute versäumt – Ihre Klage gegen das bundeseinheitliche Altenpflegegesetz. Auch da haben Sie blockiert, verunsichert und jungen Leuten in diesem Jahr die Chance für eine Ausbildung genommen.
Sie sollten da ansetzen, wo es richtig und notwendig ist. Sie sollten uns und die Initiativen des Bundes mit Maßnahmen auf landespolitischer Ebene unterstützen. Da anzusetzen, wäre notwendig und der richtige Weg. Sie sollten bei den Kammern und bei der Wirtschaft Ihren Einfluss geltend machen, damit Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden.
Herr Staatsminister, wann ist mit dem Baubeginn des Radweges an der Staatsstraße 2209 zwischen den Gemeinden Tettau und Steinbach/
Wald zu rechnen, sind dafür Finanzmittel für 2003 eingestellt, wenn ja in welcher Höhe, wenn nein, warum nicht?
Herr Staatsminister, Sie stimmen mir doch zu – das haben Sie in der Beantwortung meiner Frage auch schon ein bisschen deutlich gemacht – dass es in Anbetracht der Tatsache, dass die Diskussion um diesen Radweg nun seit fast 15 Jahren läuft, endlich an der Zeit ist, dieses Vorhaben umzusetzen?
Zur Stärkung des Rennsteig-Tourismus – die Grenzöffnung liegt inzwischen auch schon zwölf Jahre zurück – wäre die Realisierung dieses Radwegs unbedingt notwendig. Da stimmen Sie mir doch sicher zu? Sehen Sie eine Möglichkeit, den Radweg zeitnah fertig zu stellen, wenn heuer damit begonnen wird?
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, spät kommt ihr, möchte man wieder sagen, aber leider geht sie jetzt, die Frau Ministerin. Spät kommt ihr, doch ihr kommt endlich mit dem Gesetzentwurf. Wir als SPD-Fraktion haben im Juli 2001 unseren Gesetzentwurf eingebracht und schon nach mehr als eineinhalb Jahren legen Sie Ihren Gesetzentwurf vor. Diese doch nun bessere Einsicht haben Sie, haben wir den Verbänden zu verdanken.
Hier möchte ich die Verbände und explizit die LAGH nennen und Frau Ina Stein als Behindertenbeauftragte der Staatsregierung, die mit ihrem ständigen Bohren der üblichen dicken Bretter dafür gesorgt haben, dass wir hier ein Stückchen weiterkommen. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
Der Gesetzentwurf der Staatsregierung liegt vor. Gut, sage ich, dass Sie Ihre Ablehnung endlich abgelegt haben. Gut sage ich auch, weil ich vieles in dem Gesetzentwurf wiederfinde, was in unserem Gesetzentwurf steht, zum Beispiel die Barrierefreiheit, die Sicherung der Teilhabe, die Gebärdensprache, die Anerkennung der Selbsthilfeorganisationen, das Verbandsklagerecht, die Änderung verschiedener Einzelgesetze, Herr Staatssekretär: der Bauordnung, Hochschule, ÖPNV, Denkmalschutz usw. und so fort. Also, der Grundkonsens ist vorhanden und bezüglich der Notwendigkeit eines Landesgesetzes sind wir uns auch einig.
Ich will Ihnen aber sagen, weshalb wir mit diesem Gesetzentwurf nicht zufrieden sind und auch nicht zufrieden sein können. Es unterscheidet uns nämlich einiges Grundsätzliches. Wenn wir wirklich Gleichstellungspolitik machen wollen, wenn wir wirklich diesen Paradigmenwechsel in Bayern vollziehen wollen, den die Frau Ministerin angesprochen hat, weg von der Fürsorge hin zum selbstbestimmten Leben, wie es eben die rot-grüne Bundesregierung gezeigt und vorgemacht hat,
dann fehlen in Ihrem Gesetz leider ganz wichtige Punkte für diese eine Million Menschen mit Behinderung – – Es sind ja nicht nur die, die von diesem Gesetz betroffen sind, das möchte ich ausdrücklich sagen. Es gehört die Familie dazu, es gehören die Freunde dazu, es gehören die Selbsthilfeorganisationen dazu, es gehört das ganze Umfeld dazu. Das ist wesentlich mehr als eine Million nach unserer Auffassung. Da fehlen eben wichtige Punkte. Ich will drei nennen, die uns dann in der Diskussion im Ausschuss beschäftigen werden.
Das Erste ist das Kindergartengesetz und das Erziehungs- und Unterrichtsgesetz. Hier fehlt in einem Gleichstellungsgesetz, das den Wert eines Gleichstellungsgesetzes haben soll, die Kernaussage,
dass Kinder mit und ohne Behinderung, mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam unterrichtet und gemeinsam erzogen werden, gemeinsam leben und gemeinsam lernen.
Da kann man doch dazusagen, Näheres regelt das EUG. Das ist doch kein Problem. Warum trauen Sie sich denn nicht?
Der zweite Punkt ist der Landesbehindertenrat, vor dem Sie sich in dem Gesetzentwurf etwas drücken. Die Anhörung im Ausschuss hat gezeigt, wie wichtig dieser Landesbehindertenrat für die Selbsthilfe ist und dass wir also dringend eine solche Institution brauchen. Wir sollten ihn auch in dem Gesetzentwurf verankern. Wie sich der Landesbehindertenrat zusammensetzt, das kann eigenverantwortlich die Selbsthilfe machen. Das ist dann selbstbestimmtes Leben.
Der dritte Punkt betrifft uns als Parlament, als Gesetzgeber. Das ist die Berichtspflicht gegenüber dem Landtag. Denn wir, die wir dieses Gesetz machen und verabschieden, müssen doch wissen, was an einem solchen Gesetzeswerk, das Neuland betritt, gut ist, was nicht so gut ist und wo Änderungen notwendig sind. Deshalb ist es wichtig, dass in einem solchen Gesetz auch eine Berichtspflicht gegenüber dem Landtag verankert ist.
Ich hoffe sehr, dass wir im Rahmen der Diskussion in den Ausschüssen so weit kommen, dass Sie in diesen drei Punkten nicht beratungsresistent sind und dass Sie sich da etwas bewegen,
dass wir uns dann konsequent damit beschäftigen können, wie wir eine wirkliche Gleichstellung umsetzen wol
len, damit eben die Barrieren abgebaut werden, sichtbare wie unsichtbare in den Köpfen. Das sollte unser gemeinsames Anliegen sein. Aber dazu gehören auch diese drei Punkte, die ich genannt habe. Danke schön.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Unterländer.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Ficklers Rede war wieder mal ein Highlight: erst mit Polemik angefangen und dann wenig Aussage bis zum Schluss. Zur Frau Stewens lassen Sie mich nur eines sagen: Frau Staatsministerin, durch ständiges Wiederholen von falschen Zahlen werden diese nicht richtig; das gilt zu dem, was Sie zur Kinderbetreuung sagen.
Wir wollen – der nächste Kernsatz – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn viele Frauen haben keine Wahl. Eine Wahlfreiheit nützt ihnen nichts, wenn sie
alleinerziehend sind. Das hat nichts mit Ideologie, sondern mit Lebenschancen und Lebensformen zu tun. Wir haben vielfältige Lebensformen und unterschiedliche Lebenschancen, gerade bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn wir an Frauen mit Behinderung oder Frauen, die behinderte Kinder haben, denken, müssen wir erkennen: Offiziell haben Frauen mit Behinderung auch die Chancengleichheit und trotzdem erscheinen behinderte Frauen und Mädchen weit weniger im öffentlichen Leben als Männer. Frauen und Mädchen mit körperlicher, geistiger und seelischer Behinderung entsprechen etwa 5% der Bevölkerung.
Aber was passiert? Obwohl auch diese Frauen bei der schulischen Ausbildung schnellere und bessere Abschlüsse haben als vergleichbare Männer, sind Frauen auf dem Ausbildungsmarkt und auf dem Arbeitsmarkt in einer schlechteren Position. Auch sind Frauen mit Behinderung weniger beschäftigt. Der kürzlich erschienene Bericht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Dienst zeigt das auf. Da muss man sich fragen: Warum ist das so und was zählt hier? Man will es nicht glauben: Es entspricht nach wie vor dem alten Klischee und Rollenverständnis, dass Frauen im Berufsleben repräsentieren müssen und gut aussehen sollten. Diesem Klischee können natürlich Frauen und Mädchen mit Behinderung – vor allen Dingen aus Sicht von nicht-behinderten Menschen – nicht entsprechen. Gutes Aussehen ist ein Kriterium, das dann eben nicht erfüllt werden kann. Bei der Qualifikation ist es leider auch so, dass Frauen mit Behinderung weniger zugetraut wird als Männern mit Behinderung.
Der zweite Punkt ist eine geschlechterspezifische Rollenverteilung bei der Berufsauswahl. Dies ist nach wie vor deutlich und wird zum Beispiel durch die Angebote in den Berufsbildungswerken verfestigt. Von neun Berufsbildungswerken in Bayern mit Berufsangeboten für Mädchen und für Jungen haben acht anteilsmäßig mehr Männer als junge Frauen. Das Spektrum, das bei den beruflichen Angeboten in diesem Bereich vorhanden ist, umfasst wesentlich mehr männliche als weibliche Berufe. Es gibt zwanzig verschiedene Angebote, aber Frauen können nur unter sechs verschiedenen wählen; aus dem kaufmännischen und dem Haushalts-Sektor. Sie wählen aus diesen Feldern, weil sie selten motiviert werden, vom Pfad der Tugend – hauswirtschaftliche und kaufmännische Berufe – abzuweichen.
Ein drittes und ganz besonders wichtiges Kriterium: die Wohnortnähe der beruflichen Rehabilitation. Sie ist einfach nicht vorhanden. Obwohl sie im SGB IX verankert ist, haben wir drei öffentlich geförderte Berufsförderwerke, nämlich in Würzburg, Nürnberg und München. Die Wohnortnähe ist somit nicht gegeben. Die Frauen nehmen die Trennung von der Familie nicht an und verzichten dann lieber auf eine Reha-Maßnahme. Das muss doch nicht sein.
Die Umsetzung des SGB IX in diesem Punkt ist ganz, ganz wichtig.
Frauen mit Behinderung oder Frauen mit behinderten Kindern haben noch eine zusätzliche Erschwernis, Familie und Beruf zu vereinbaren. Schule, Spielplätze, Krabbelgruppen, Kindergärten, Horte oder öffentliche Gebäude sind oft nicht barrierefrei zugänglich. Sie können also, wenn Sie ihre Elternaufgabe ernst nehmen, ihre Aufgabe nicht wahrnehmen, weil Barrieren bestehen. Das kann eine Stufe sein, das kann ein fehlender Lift sein, das sind fehlende optische oder akustische Signale, das ist eine zu enge Tür, das sind Treppen oder was auch immer; manchmal Kleinigkeiten, aber Dinge, die behinderte berufstätige Mütter bewältigen müssen. Es ist unsere Aufgabe – eine Daueraufgabe –, Frauen und Mädchen mit Behinderung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.
Daran müssen wir arbeiten, und zwar nicht nur im Jahr 2003, dem europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung. Daran müssen wir weit darüber hinaus arbeiten.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatsministerin Stewens, Sie haben heute eine Haushaltsrede gehalten, die deutlich macht, dass dies ein Haushalt der Versäumnisse ist, und zwar ein Haushalt der Versäumnisse der vergangenen Jahre.
Man muss sich nur einmal die Situation der Forensik und der Kindertagesstätten anschauen. Besonders interessant war, dass sich Frau Staatsministerin Stewens in ihrer Rede als Erfinderin der Konnexität ausgegeben hat. Dabei ist es offensichtlich dem Gedächtnisverlust anheim gefallen, dass die SPD im Laufe der vergangenen Jahre vier Initiativen zur Konnexität und zum Konnexitätsprinzip gestartet hat, die allesamt in diesem Hause abgelehnt worden sind. Heute liegt uns ein Phantomhaushalt vor; denn wo wollen Sie einsparen, wenn Sie 500 Millionen Euro weniger haben? Dazu haben Sie nichts gesagt. Wer oder was muss mit Kürzungen rechnen?
Sprechen wir heute überhaupt über das, was morgen noch gültig ist? Frau Ministerin, ich dachte eigentlich, dass Ihre Verspätung heute Morgen darauf zurückzuführen sei, dass Sie Ihre Rede umschreiben müssen. Anscheinend war dies nicht der Grund.
Sie haben bei den Kosten für die Grundsicherung hellseherische Fähigkeiten bewiesen. Keiner kann in verlässlichen Zahlen sagen, welche Kosten anfallen werden. Für uns war interessant, dass Sie für das Zuwanderungsge
setz Mittel im Haushalt eingeplant haben. Offensichtlich gehen Sie von der Verfassungsmäßigkeit des Zuwanderungsgesetzes aus. Anders kann ich das nicht interpretieren. Ihre Ausflüge in die Bundespolitik waren nicht besonders erfolgreich.
Dazu muss man sich nur Ihre merkwürdige Rechtsauffassung hinsichtlich der Kostenübernahme durch die Krankenkassen für die Frühförderung oder das letzte Urteil zur Pflegeausbildung ansehen, auch wenn dieses Urteil von Ihrer Kollegin Hohlmeier ausging.
Damit verunsichern Sie vor allem die betroffenen Menschen. Sie verunsichern darüber hinaus die Träger und die Verbände. Gerade bei der Pflegeausbildung entsteht dadurch das Problem, dass Sie die Qualität und damit den Zugang von jungen Leuten in diesen Berufszweig verhindern. Sie sollten sich mehr um landespolitische Aufgaben kümmern. In der Zeit des Bundestagswahlkampfes hatte ich manchmal den Eindruck, dass das Sozialministerium eine Außenstelle der Staatskanzlei war, und das nicht einmal besonders erfolgreich.
Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Haushalt der Versäumnisse der vergangenen Jahre. Trotz der angestrengten Finanzsituation haben wir bei Kindern, Jugendlichen und Familien einen gewaltigen Nachholbedarf. Auf dieses Thema wird mein Kollege Heiko Schultz noch näher eingehen. Sehen wir uns einmal die Situation der Selbsthilfe an: Wir haben über 11000 Selbsthilfegruppen und Insolvenzberatungsstellen. Diese Stellen bleiben im Regen stehen. Wir haben ferner bei den Arbeits– und Sozialgerichten zu wenig Richterstellen. In der Forensik herrscht eine katastrophale Überbelegung. Sie haben diesen Punkt Gott sei Dank in den Haushalt aufgenommen. Die Anlagen müssen unbedingt saniert werden. Die Sicherheitsstandards sind unzureichend. Dieses Problem prangert Herr Kollege Wahnschaffe seit Jahren an. Sie haben jetzt endlich Mittel dafür eingestellt. Nach wie vor fehlt aber ein schlüssiges Gesamtkonzept.
Ich komme damit zum Landesplan für psychisch kranke und für psychisch behinderte Menschen. Ich bitte darum, künftig auch bei den Haushaltsberatungen nicht von „Behinderten“ zu sprechen, sondern von behinderten Menschen. Es geht um Menschen; dies sollte ein durchgängiges Prinzip werden.
Beim Landesplan für psychisch kranke und für psychisch behinderte Menschen wurde gekürzt, obwohl die Anzahl der Erkrankungen steigt. Bei der Pflege und bei der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung sowie beim regionalen Arbeits– und Ausbildungsmarkt ist die Situation ähnlich. Über die Ausbildungssituation haben
Sie hier und heute keine einziges Wort verloren. Ich halte das für bedauerlich, weil es in Nordbayern junge Menschen gibt, die verzweifelt einen Ausbildungsplatz suchen.
Lassen Sie mich zwei Schwerpunkte herausgreifen, nämlich den Arbeits– und Ausbildungsmarkt und die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. In Bayern haben wir im Vergleich mit den anderen Bundesländern den zweithöchsten Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Die Arbeitslosenquote in Hof ist dreimal so hoch wie in Donauwörth.
Am Ausbildungsmarkt sieht die Situation ähnlich aus.
Auf 100 Bewerber und Bewerberinnen entfällt in Oberbayern ein Angebot von 156 Ausbildungsstellen, in Oberfranken von 77 Ausbildungsstellen. Gleichzeitig steigt der Anteil der Jugendlichen, die die Schule oder die Berufsschule ohne jeden Abschluss verlassen. Bayern liegt dabei mit 8,6% um 2% über dem Bundesdurchschnitt. Der Anteil der Jugendlichen unter 25 Jahren an der Arbeitslosigkeit hat im letzten Jahr zugenommen. 23% mehr als im Vorjahr sind in Bayern ohne Arbeit.
Ohne das Jump-Programm der Bundesregierung, Herr Kollege Kobler, würde es noch schlimmer aussehen.
Die Initiativen, die Sie dagegen ergreifen – Herr Kollege Kobler, Sie kommen später dran –, lauten: Die Komplementärmittel zum europäischen Sozialfonds werden um eine halbe Million e gekürzt; die Mittel zur Berufsfindung Jugendlicher im Sozialbereich werden um ein Drittel gekürzt; die Mittel für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Eingliederung älterer Arbeitsloser, für strukturpolitische Maßnahmen und zur Anschubfinanzierung werden gekürzt; die Mittel, die zur Beseitigung des NordSüd-Gefälles gedacht sind, und die Mittel zur Verringerung der Zahl von Ausbildungsabbrechern werden auch gekürzt.
Wir haben das Landesentwicklungsprogramm beraten. Eines seiner Ziele ist die Schaffung gleicher Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen bayerischen Landesteilen. Gerade da, wo man ansetzen müsste, kürzen Sie die Mittel. Das war eine kontraproduktive Entscheidung. Wir haben ja noch die Aussage von Frau Ministerin im Ohr: Sollen doch die jungen Leute so flexibel sein wie im Urlaub und nach Oberbayern gehen. – Das ist nicht die Lösung des Problems, sondern schafft neue Probleme.
Das schafft strukturpolitische und landesplanerische Probleme. Sie sollten sich überlegen, ob Ihre Schwerpunktsetzung vielleicht danebenliegt.
Um das, was Versäumnisse sind, als etwas Positives darzustellen, sind 5 Millionen DM mehr im Haushalt der Staatskanzlei für Öffentlichkeitsarbeit im Wahljahr eingestellt. – Angesichts der stark steigenden Arbeitslosen
zahlen in Bayern ist es wirklich kontraproduktiv, hier die Komplementärmittel zu kürzen.
Ich komme nun auf die Hofberichterstattung aus dem Sozialministerium vom 07. 11. zu sprechen: Bayern hat die niedrigste Schwerbehindertenarbeitslosigkeit seit zehn Jahren. Ich sage: Gott sei Dank!
Die Staatsregierung hat dazu aber nichts beigetragen.
Dieses positive Ergebnis wurde durch das Beschäftigungsprogramm der Bundesregierung erreicht. Der Freistaat ist mit einer Quote von 3,9% anstatt 5% bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten immer noch Schlusslicht.
Bayern liegt damit am Ende aller alten Bundesländer bei der Beschäftigtenquote. Das kostet Jahr für Jahr 7 Millionen e Ausgleichsabgabe.
Nun zu Ihrer Politik für Menschen mit Behinderung: Zuerst lehnen Sie unseren Gesetzentwurf ab, dann verweisen Sie auf den Bund, dann kündigen Sie einen eigenen Gesetzentwurf noch für diese Legislaturperiode an, aber im Haushalt sind keine Mittel für dessen Umsetzung enthalten.
Das dreijährige Sonderprogramm zur Förderung von Investitionen zur Schaffung von Heimplätzen läuft aus; ab 2004 gibt es keine Mittel mehr. Sie sollten einmal mit Ihrer Vorgängerin im Amt, der Vorsitzenden der Lebenshilfe in Bayern, Frau Kollegin Stamm, darüber reden, was sie davon hält. Bedarf für diese Mittel ist da; denn wir haben nach wie vor einen Mangel an Plätzen für ältere und alte behinderte Menschen, die von ihrer Familie nicht mehr versorgt werden können und einen Platz zum Leben in Würde brauchen. 8% der Bevölkerung in Bayern sind schwerbehindert, davon die wenigsten von Geburt an. Die Zahl der Menschen mit Schwerstbehinderung steigt wie auch die Zahl von behinderten Menschen, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden und einen Wohnheimplatz brauchen, ohne pflegebedürftig zu sein. Hier besteht eindeutig ein Handlungsbedarf.
Wir wollen zumindest Mittel in Höhe der Hälfte der zu zahlenden Ausgleichsabgabe in den Haushalt einstellen, damit die nach dem Gesetz notwendigen Maßnahmen ergriffen werden können, damit Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen können. Die Aktion „Na und?“ im europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung ist zweifellos sehr gut und dazu angetan, überhaupt ein Problembewusstsein dafür zu schaffen. Das ist aber zu wenig, wenn man ernsthaft eine Gleichstellung behinderter Menschen erreichen will, und ich nehme an, dass Sie das genauso ernsthaft wie wir wollen. Dazu würde auch die Unterstützung der Kontaktstellen für die über 11000 Selbsthilfegruppen gehören.
Sie und wir waren in Würzburg und haben dort gehört, welch hervorragende Arbeit diese Selbsthilfegruppen leisten und welche Mittel sie brauchen: gerade einmal 20000 e für die notwendigsten Aktivitäten. Das haben Sie abgelehnt.
Gleiches gilt für die freiwilligen Zentren, wo wertvolle ehrenamtliche Arbeit unterstützt wird. Der Freistaat Bayern gibt gerade einmal 7 Cent pro Kopf der Bevölkerung für die Förderung von Selbsthilfegruppen aus. Damit ist Bayern wiederum ein negativer Spitzenreiter im Vergleich mit den anderen Bundesländern.
So viel zum Thema Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements: sonntags loben, werktags ablehnen.
Sie haben in Ihrer Rede gesagt: „Nur wer Eigenverantwortung und Selbsthilfekräfte der Menschen stärkt, kann unseren Sozialstaat finanzierbar machen.“ Das stimmt, wie wahr! Warum lassen Sie dann aber gerade jene, die Sie loben, im Regen stehen? Die gleiche Frage ist auch zu stellen im Hinblick auf den ewig niedrigen Globalzuschuss für die Wohlfahrtsverbände, für die Ausstattung von Arbeits- und Sozialgerichten. Es gibt eine große Anzahl von Sozialgerichtsprozessen. Die Sozialgerichte sind hoffnungslos unterbesetzt. Sie haben auf meine Anfrage geantwortet, dass 46½ Richterstellen fehlen. Es darf doch nicht sein, dass Menschen zwei oder drei Jahre auf eine Entscheidung warten müssen oder dass sich das Problem vielleicht von selbst erledigt, weil die Kläger den Prozessausgang nicht mehr erleben.
Kümmern Sie sich um Ihre Aufgaben hier in Bayern; da gibt es genug zu tun.
Hören Sie endlich mit Ihrer Fundamentalopposition gegen den Bund auf. Ihre Opposition hat in den allerseltensten Fällen sachliche Gründe, sondern in den meisten Fällen rein politische Gründe, und das zum Schaden der Bevölkerung.
Herr Staatssekretär, wie viele integrative Gruppen in Kindergärten und wie viele Integrationsklassen sind im Schuljahr 2002/2003 in Bayern eingerichtet worden und wo?
Vielen Dank für das zugesagte Zahlenmaterial. Ich habe trotzdem noch eine Nachfrage. Nachdem die Kooperationsklassen und auch die integrativen Gruppen in den Kindergärten sehr häufig oder fast ausschließlich auf Initiative der Eltern zustande kommen, ist meine Frage: Wie unterstützt und fördert die Staatsregierung diese Initiativen, damit sie auch zum Tragen kommen. Dorthin ist es nämlich sehr häufig ein sehr, sehr langer Weg.
Meinen Sie, dass die jetzt in den neuen Förderrichtlinien vorgesehenen finanziellen Mittel ausreichen?
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Das war ein typisches Beispiel für Frau Dr. Ficklers Märchenstunde.
Ihre ganzen Zahlenspielereien und Ihr Beugen von dem, was richtig ist, hat Ihnen nichts genutzt: Die jungen Frauen wählen Sie nicht.
Eines der wichtigsten Felder – das geht weit über die klassische Sozialpolitik hinaus – ist die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft. Das ist für uns einer der Schwerpunkte für eine zukunftsorientierte und für eine moderne Politik. Die SPD-geführte Bundesregierung hat gehandelt und den Paradigmenwechsel vollzogen: weg von der Fürsorge hin zum selbstbestimmten Leben.
Das wird deutlich im SGB IX, im Gleichstellungsgesetz und im Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen. Sie müssen sich fragen lassen, was Sie zu dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe beigetragen und geleistet haben. Es geht um Millionen von Menschen. Es geht um Menschen mit Behinderung und deren Angehörige, ihre Familie, ihre Freunde und ihr Umfeld. Außer den neun Zeilen, die im Regierungsprogramm der Union – das jetzt nicht umgesetzt wird –
zu lesen waren, war darüber nichts zu finden.
Die geringe Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen in Bayern ist ein Trauerspiel. Mit 3,9% steht der Freistaat auf dem letzten Platz unter den alten Bundesländern. Beim SGB IX haben Sie bei der Frühförderung bundesweit eine einzigartige, abenteuerliche Interpretation der Finanzierung mit der Folge geleistet, dass Unsicherheit verbreitet worden ist und dass von Ihrer Seite zurückgerudert werden musste. Im Bundesrat haben Sie dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gleichstellungsgesetz bis zum Schluss Steine in den Weg gelegt. Ihre Oppositionsleistungen haben in diesem Fall Schaden für die betroffenen Menschen verursacht.
In Bayern besteht ein Handlungsbedarf. Es geht um die Zukunft bayerischer Politik und um die Zukunft für Menschen in Bayern. Wir haben in Bayern in Sachen der Gleichstellungsgesetzgebung Handlungsbedarf. Wir haben den Gesetzentwurf bereits im letzten Jahr vorgelegt.
Der Ministerpräsident hat in einer seiner zahlreichen Regierungserklärungen vor der Wahl nachgezogen. Wie sieht Ihr Gesetzentwurf denn aus? – Menschen mit Behinderungen wirklich gleichzustellen, gelingt Ihnen mit ihrem Entwurf nicht. Er ist nämlich halbherzig, und Sie lassen den wichtigsten Teil – dort, wo am meisten passiert –, nämlich die Kindergärten, die Kindertageseinrichtungen und die Schulen außen vor. Sie hören bei der Frühförderung auf und machen beim Hochschulgesetz weiter. Sie verweisen auf die entsprechenden Fachgesetze. Aber das Fachgesetz Baurecht haben Sie „detailverliebt“ in das Gleichstellungsgesetz geschrieben.
Das meiste im Leben eines Menschen passiert im Kindergarten- und Schulalter. Dort werden die Grundlagen gelegt. Dort wird Verständnis für Toleranz geweckt. Dort wird Verständnis für ein Miteinander, für eine gegenseitiges Wertschätzen und Bildung in aller Form geweckt. Trotzdem sagen Sie: „Nein, da machen wir nicht mit.“
Kolleginnen und Kollegen, hier haben Sie Handlungsbedarf. Sie stehen nur halbherzig dahinter; denn die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung verändert die Gesellschaft. Das muss man aber wollen. Sie wollen es nicht, das zeigt der Gesetzentwurf. Wir wollen es aber.
Die ganzen Sonntagsreden zum ehrenamtlichen Engagement nützen nichts, und es nützen auch Aufsätze und Bücher über bürgerschaftliches Ehrenengagement nichts, die zum Beispiel Herr Glück veröffentlicht. Das alles ist nur Theorie.
Kolleginnen und Kollegen, es kann nicht sein, dass Eltern und Erzieherinnen, dass Lehrerinnen Jahr um Jahr dafür kämpfen müssen, damit Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam den Unterricht besuchen können. Das kann es nicht sein. Das ist Diskriminierung.
Sie sind nicht bereit, dies zu ändern. Ihr Gesetzentwurf ist halbherzig. Er stellt keine Zukunft für die bayerische Politik dar.
Herr Staatssekretär, ist der Staatsregierung bekannt, dass aufgrund der neuen Förderrichtlinien für Kinderkrippen von Kommunen Überlegungen angestellt werden, eigene Kinderkrippen zu eröffnen und die bestehenden nicht mehr finanziell zu unterstützen, und dass das für die nicht unter die Förderung fallenden Kinderkrippen das Aus bedeuten wird, und ist die Staatsregierung unter diesem Gesichtspunkt bereit, bestehende Kinderkrippen bei der Förderung gleichberechtigt zu behandeln?
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatssekretär.
Drei Vorgaben – wenn ich knapp formulieren darf – sind in diesem Zusammenhang zu beachten: Erstens der Subsidiaritätsgrundsatz, der auch ausdrücklich in den Kinderkrippenrichtlinien im Vorspann formuliert ist. Kommunen können nur dann selbst die Trägerschaft einer Krippe übernehmen, wenn sich kein geeigneter freier Träger hierzu bereit erklärt. Das heißt, die Gemeinde kann nicht sagen: Ich will eine eigene Krippe in eigener Trägerschaft eröffnen, wenn ein freier Träger bereits eine solche Einrichtung hat.
Zweitens. Kommunen haben bei der Gewährung freiwilliger Leistungen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten, können also nicht grundlos bestehenden Einrichtungen keine Mittel und neuen Krippen die volle Förderung zukommen lassen.
Drittens. Die Krippenrichtlinie selbst enthält in Nummer 7 Ziffer 3 Regelungen zur Vorbeugung gegen Missbrauch. Ich darf Ihnen diese Ziffer kurz zitieren, damit Sie wissen, um was es geht. Da heißt es: „Die Wiederaufnahme des Betriebs einer Kinderkrippe gilt als Neueinrichtung, wenn der Betrieb länger als 18 Monate unterbrochen war.“ Damit soll sichergestellt werden, dass es nicht zu einem Missbrauch kommt. Ich halte dies auch für richtig und notwendig.
Die Bayerische Staatsregierung hält an der Differenzierung zwischen Neu- und Alteinrichtungen fest. Hintergrund ist das Bestreben der Staatsregierung, den Ausbau des Krippenbetreuungsangebotes zu forcieren. Deswegen werden die zur Verfügung stehenden staatlichen Gelder schwerpunktmäßig gebündelt in neu geschaffene Betreuungsplätze investiert.
Herr Staatssekretär, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir die Richtlinien zur Verfügung stellen könnten. Mir liegt ein Schreiben einer Gemeinde der Stadt Rödental bei Coburg vor, die dies ankündigt und sich dann aus der finanziellen Unterstützung der bestehenden Kinderkrippe in der Nachbarstadt zurückziehen wird. Sie müssen mir doch zustimmen, dass dies eine Bestrafung derjenigen ist, die bisher tätig waren und sich finanziell und personell unter wesentlich schwierigeren Bedingungen sehr engagiert haben, weil bisher keine Förderung bestand: nämlich die Träger, zum Teil die Kommunen und das Personal.
Ich halte die Maßgabe in den Richtlinien für richtig, um sicherzustellen, dass der vollständige Ausstieg bzw. Umstieg verhindert wird, wenn jemand meint, er kann eine Alteinrichtung schließen und eine neue aufmachen in der Hoffnung, dass er dann die volle Förderung erhält.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Weitere Zusatzfrage: Frau Kollegin Werner-Muggendorfer.
Herr Staatssekretär, Sie haben Recht: Das war nicht die Veranstaltung in Bayreuth, sondern die Veranstaltung der bayerischen Bezirke in Hof. Trotzdem stehen die genannten 8% im Raum. Das hätten wir gerne geklärt.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Stewens ist leider nicht da, – –
Ja, das ist in Ordnung, das ist kein Vorwurf.
Ich muss etwas dazu sagen. Die SPD-Fraktion befasst sich seit Jahren hier im Landtag seriös, sachlich und sehr intensiv mit diesem ganzen Bereich.
Den Ausdruck „flache Diskussion“ finde ich hier reichlich deplaziert.
Bei den Redebeiträgen mancher Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion hatte ich den Eindruck, dass der Sozialbericht von ihnen nicht vollständig gelesen worden ist. Herr Kobler, man darf nicht nur die weißen Seiten der Staatsregierung lesen, man muss sich intensiv mit dem Analyseband beschäftigen.
Da steht nämlich alles drin. Wir müssen keine Ursachenforschung mehr betreiben. Das hat die Armutskonferenz der Wohlfahrtsverbände gezeigt.
Ein Drittel der Sozialhilfeempfänger in Bayern sind Kinder unter 18 Jahren. Das ist für ein nicht gerade armes Land wie Bayern eine ganze Menge. Arm zu sein heißt nicht nur, wenig Geld zu haben. Es ist nicht nur eine Geldfrage, arm zu sein. Durch Armut sind viele Lebenssituationen beeinträchtigt. Das bedeutet, dass der Zugang zu Lebenschancen schlechter ist. Das ist ein Negativkreislauf, ein Drehtüreffekt. Die Armutskonferenz hat gezeigt, Armut wird vererbt, sie pflanzt sich fort. Dagegen müssen wir angehen.
Die Verknüpfung von Bildungs- und Sozialpolitik ist besonders wichtig. Schauen wir uns einmal die Wirklichkeit in den Regionen an. Wir haben ein regionales Gefälle in Bayern. Die Schere klafft beim Einkommen zwischen Süd- und Nordbayern auseinander. Die Schere klafft bei den Bildungsabschlüssen auseinander. 10% der jungen Leute bei uns verlassen die Schule ohne einen Abschluss, ganz egal welche Schulart. 18% der Berufsschülerinnen und Berufsschüler bei uns verlassen die Berufsschule ohne Abschluss. Das zu bekämpfen, ist der Weg, um aus der Armutsfalle herauszukommen.
Die Abiturquoten sind in Oberbayern deutlich höher als in Oberfranken. Man muss die Ursachen für dieses Gefälle bekämpfen. Das liegt nicht daran, dass die oberbayerischen Kinder klüger als die oberfränkischen oder niederbayerischen sind. Es ist der Zugang zu Bildung, der durch Rahmenbedingungen geschaffen werden muss.
Wir haben Differenzen zwischen Oberbayern und Oberfranken bei der Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze. Die Ursache dafür liegt in der Landesentwicklungspolitik, in der Strukturpolitik. Der Ausspruch von Frau Stewens, junge Leute sollten etwas flexibler sein, ist wenig hilfreich. Wir müssen die Ursachen bekämpfen.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Das Familiengeld ist keine Alternative. Sie werden aber nicht in Verlegenheit kommen, das umzusetzen.
Darum braucht sich die Frau Staatsministerin keine Gedanken zu machen. Sie muss nicht erklären, warum Ministerpräsident Stoiber noch im Februar gesagt hat, es gibt kein Familiengeld, es ist nicht finanzierbar. Das Familiengeld ist eine Falle für die Frauen, die wieder zu
Armut führt. Mit der Gewährung von Familiengeld werden noch keine Betreuungseinrichtungen geschaffen.
Schauen wir uns die regionalen Unterschiede bei den Sozialhilfebeziehern in Bayern an: Dort, wo die Zahl der Bezieher von Niedrigeinkommen am höchsten ist, haben wir die geringste Dichte bei den Sozialhilfebeziehern. Wir haben ein Stadt-Land-Gefälle. Wir haben dort aber auch eine verdeckte Armut.
Ich zitiere aus einer Untersuchung der Caritas zur Armut: „In Bayern haben wir die wenigsten Sozialhilfebezieher.“ Das sagt die Caritas, Herr Kobler, die ist unverdächtig. Die Caritas hat in einer Untersuchung festgestellt, dass im Vergleich mit den anderen Bundesländern in Bayern weniger Menschen Sozialhilfe beantragen, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Das heißt, hier ist eine verdeckte Armut vorhanden. Dagegen müssen wir angehen.
Nein, lesen Sie es doch. Ich gebe Ihnen gern den Artikel über die Untersuchung der Caritas.
Zur Prävention dürfen wir das nicht nur aus sozialpolitischer Sicht betrachten, sondern wir müssen durch alle Politikfelder gehen und das im Rahmen der Landesentwicklung und der Bildungspolitik anschauen.
Wir könnten schon weiter sein, wenn Sie im Jahr 1999 unserem Dringlichkeitsantrag, der sich mit dem Sozialbericht befasst hat, zugestimmt hätten. Dann wären wir heute schon zwei Jahre weiter, und es wäre etwas für die Menschen hier im Lande und gerade für die Kinder getan worden.
Herr Staatssekretär, worin begründet sich der Meinungsumschwung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und der Fakultät für Sportwissenschaft der TU München, nun doch den gehörlosen Leistungssportler Christoph B. zum Eignungstest zuzulassen, nachdem zuerst mit der Begründung, „das Erreichen des Ausbildungsziels sei von vornherein ausgeschlossen“, die Aufnahme abgelehnt wurde, und wie gedenkt die Staatsregierung, ein solches Vorgehen, das m. E. eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung darstellt, künftig zu verhindern, und welchen Stellenwert räumt das Staatsministerium der Integration und Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ein?
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass dieses Kämpfen um eine Selbstverständlichkeit – jetzt kommt dankenswerterweise die Abänderung der Verordnung –, ein Studium beginnen zu können, dem Betroffenen hätte erspart werden können, wenn vorher Lösungsmöglichkeiten gesucht worden wären und vorher vor allem mit dem Betroffenen gesprochen worden wäre?
Frau Staatssekretärin, hat der Landesgesundheitsrat Verhaltensregeln bezüglich seiner Mitglieder, wenn ja welche, und inwieweit hält die Bayerische Staatsregierung die Ausübung des Berufes „Konsultant im Gesundheitsmanagement“ für vereinbar mit dem Vorsitz im Landesgesundheitsrat, der als Fachgremium unter anderem auch für die Staatsregierung beratend tätig ist?
Frau Staatssekretärin Görlitz (Verbraucherschutzmi- nisterium): Herr Präsident, liebe Frau Kollegin Steiger! Verhaltensregeln für die Mitglieder des Landesgesundheitsrates existieren nicht. In der Geschäftsordnung ist lediglich festgelegt, dass die Mitgliedschaft ehrenamtlich und persönlich ist und eine Vertretung nicht stattfindet.
Der Landesgesundheitsrat setzt sich aus 30 auf dem Gebiet des Gesundheitswesens erfahrenen Personen zusammen. 15 Mitglieder werden von den Fraktionen der im Landtag vertretenen Parteien nominiert und 15 weitere Mitglieder von verschiedenen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens tätigen Körperschaften und Verbänden vorgeschlagen und vom Landtag bestätigt.
Vor diesem Hintergrund sieht die Staatsregierung aufgrund der Berufstätigkeit des Vorsitzenden keine negativen Auswirkungen auf die Arbeit des Landesgesundheitsrates.
Frau Staatssekretärin, nachdem die Berufsbezeichnung „Konsultant im Gesundheitsmanagement“ nicht einschränkend formuliert worden ist,
frage ich: Hält die Staatsregierung meine Befürchtung, dass durch solche Konstellationen unter Umständen die Objektivität des Landesgesundheitsrates angezweifelt und auch Lobbyismus vermutet werden könnte, für gänzlich abwegig?
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie eine hochvergütete Beratertätigkeit mit dem Vorsitz des Landesgesundheitsrates für vereinbar halten, der die Staatsregierung in gesundheitspolitisch relevanten Fragen berät?
Frau Staatssekretärin Görlitz (Verbraucherschutzmi- nisterium): Ich sehe nicht, dass das im Widerspruch steht.
Das kann ich so nicht bestätigen.
Wir haben die Themen, die der Landesgesundheitsrat in der 14. Legislaturperiode behandelt hat, Revue passieren lassen. Es haben 14 Sitzungen stattgefunden, in denen stets die Beratung aktueller Fachthemen im Vordergrund stand. Fragen aus dem Gesundheitsmanagement oder der Krankenhausplanung standen bisher nicht auf der Tagesordnung.
Ich möchte die Begründung und die Aussprache in einem machen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Menschen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt werden. Der Staat setzt sich für gleichwertige Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung ein.“ So heißt es in Artikel 118 a der Bayerischen Verfassung. Das heißt für uns als SPDFraktion: Dieser Artikel muss umgesetzt werden, dieser Artikel muss in die Gesetzgebung hinein und muss mit Leben erfüllt werden.
Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat bereits gehandelt und einen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik vollzogen. Es gibt das Gesetz zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt vom Oktober vergangenen Jahres, es gibt das SGB IX, das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist, und ein Gleichstellungsgesetz auf Bundesebene ist auf dem Weg und wird zum Januar nächsten Jahres in Kraft treten. Dazu brauchen wir auf bayerischer Ebene ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung.
Im Gegensatz zu Frau Sozialministerin Stewens, die noch abwarten möchte, bringen wir heute einen Gesetzentwurf ein. Für uns ist klar, dass wir auf bayerischer Ebene dringenden Handlungsbedarf haben und aufgrund der Gesetzgebungskompetenz auf Landesebene auch handeln müssen.
Kolleginnen und Kollegen, acht Prozent der bayerischen Bevölkerung sind schwerbehindert, das heißt, jeder und jede zwölfte in Bayern. Darum herum sind Lebenspartner, Eltern, Kinder, die Familie, Freunde, Menschen, die sie unterstützen, die mit ihnen leben und mit ihnen arbeiten. Ziel dieses Gesetzes ist es, dass Menschen mit Behinderung nicht von Fürsorge abhängig sind, sondern selbstbestimmt leben können. Das ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, und es ist eine Aufgabe, die wir auch in Bayern zu leisten haben, denn der Freistaat Bay
ern erfüllt seine Pflicht zur Beschäftigung von Schwerbehinderten bei weitem nicht. Er ist Schlusslicht aller alten Bundesländer und mittlerweile sogar von zwei neuen Bundesländern überholt worden.
Für Bayern ist das kein Ruhmesblatt. Die Integration von Kindern mit Behinderungen in Kindergärten und Regelschulen ist die Ausnahme und eben nicht die Regel. Die Barriere- und Kommunikationsfreiheit ist in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens schlichtweg nicht gegeben. Es gibt eine verdeckte und eine offene Diskriminierung. Auch in den Köpfen gibt es Barrieren, die dringend abgebaut werden müssen.
Kolleginnen und Kollegen, ein Beispiel dafür gibt der Bericht der Staatsregierung zur Beschäftigung von Schwerbehinderten im öffentlichen Dienst, aus dem ich gerne zitieren möchte. Hier steht: Selbst unter eingeschränkter Beachtung des Leistungsprinzips ist hier eine Neueinstellung von schwerbehindertem Lehrpersonal in einem zur Erreichung der gesetzlichen Pflichtquote notwendigen Umfang nicht möglich. Im Ergebnis wird derzeit nahezu jeder schwerbehinderte Lehrerbewerber eingestellt. Weiter gehende Einschränkungen des Leistungsprinzips wären im Hinblick auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule nicht mehr hinnehmbar.
Das ist eine Diskriminierung, Kolleginnen und Kollegen;
das können wir so nicht hinnehmen. Hier ist eine Barriere im Kopf; hier ist eine Barriere im Denken, die sagt: behindert ist gleich leistungsgemindert. Diese Barriere muss fallen. Dazu trägt dieser Gesetzentwurf bei.
Was wollen wir mit diesem Gleichstellungsgesetz? Wir wollen einen weiteren Schritt in die Richtung selbstbestimmtes Leben, weg von der Fürsorge, weg von der wohlfahrtsstaatlichen Hilfe, weg von der noch vorhandenen Ausgrenzung und hin zu einem selbstbestimmten Leben, zur selbstbestimmten Inanspruchnahme von Bürgerrechten. Wir wollen hin zur Teilhabe am gesamten gesellschaftlichen Leben.
Kolleginnen und Kollegen, was sind die Schwerpunkte unseres Gesetzentwurfs? Ich möchte das lediglich stichpunktartig anreißen; die ausführliche Diskussion findet dann im Herbst in den einschlägigen Fachausschüssen statt. Wir wollen eine Beweislastumkehr, sodass künftig die Gegenseite beweisen muss, dass keine Diskriminierung und Benachteiligung vorliegt, wenn Fakten glaubhaft gemacht werden, dass eine Diskriminierung wegen der Behinderung zu vermuten ist. Wir wollen das Verbandsklagerecht. Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mit dem Verbandsklagerecht tun Sie sich schwer, aber damit wird eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen, gegen Verstöße gegen verankerte Vorschriften vorzugehen. Wir wollen eine Stärkung der
Selbsthilfe. Sie ist dringend notwendig, weil wir auf die hohe Fachkompetenz der Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen und deren Interessenvertretungen nicht verzichten können. In der Loge sitzt Herr Kirchner von der LAGH, die Eckpunkte zum Gleichstellungsgesetz entwickelt hat. Diese Fachkompetenz haben wir angenommen. Diese Fachkompetenz sollte das gesamte Hohe Haus annehmen.
Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Barriere- und Kommunikationsfreiheit, weil damit Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen ermöglicht werden kann, am gesamten gesellschaftlichen Leben teilzunehmen; denn es gibt nicht nur Barrieren für Mobilitätseingeschränkte, sondern auch Barrieren bei der Kommunikation für Gehörlose, für Sehbehinderte. Auch die unterschiedlichen Barrieren bei der Kommunikation müssen fallen.
Wir brauchen eine Stärkung der einschlägigen Interessenvertretungen. Wir brauchen eine Stärkung auch der Stellen der Behindertenbeauftragten. Frau Stein leistet eine hervorragende Arbeit, aber wir wollen, dass künftig die Behindertenbeauftragte oder der Behindertenbeauftragte wie der Datenschutzbeauftragte am Landtag angesiedelt ist und damit die Unabhängigkeit von der Staatsregierung dargestellt wird.
Dazu bedarf es auch Änderungen in den einzelnen Gesetzen, die wir auf Länderebene haben. Wir brauchen eine Änderung in der Gemeinde-, Landkreis- und Bezirksordnung, damit im kommunalen Bereich, dort, wo die häufigsten Fälle auftreten, bei Planungen und Vorhaben die Interessen von Menschen mit Behinderungen stärker berücksichtigt werden und damit sie von Anfang an beteiligt werden; denn wenn man die Betroffenen von Anfang an einbezieht und es gleich richtig macht, erspart man sich am Ende eine ganze Menge an Kosten, und es ermöglicht den Betroffenen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Wir brauchen eine Änderung im Kindergartengesetz, damit Kinder mit und ohne Behinderung mit einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gemeinsam erzogen und gefördert werden. Wir brauchen eine Änderung im Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, damit Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam erzogen und unterrichtet werden. Wir wollen aber eine Wahlmöglichkeit – das ist ein wichtiger Punkt –: Die Eltern sollen wählen können. Das ist bis jetzt nicht gegeben.
Es ist diskriminierend und unwürdig, wenn Eltern jahrelang um die Integration ihrer Kinder kämpfen müssen und dafür sehr viel Energie aufbringen müssen.
Es ist wichtig und notwendig, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen und auch gemeinsam voneinander lernen. Von Anfang an muss in die Köpfe hinein, dass Kinder ohne Behinderung von Kindern mit Behinderung eine Menge lernen können – umgekehrt natürlich auch.
Wir brauchen auch eine Änderung im Hochschulgesetz; denn zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch der Zugang zu Ausbildung und Studium, zu Forschung und Lehre. Wir brauchen einen barrierefreien Zugang zu den Studienangeboten und zu den Lehrprogrammen der Hochschulen.
Mobilität ist das A und O der Integration. Das ÖPNV-Gesetz, in dem ja schon Ansätze vorhanden sind, muss weiter verbessert werden; denn die Schaffung von geeigneten Verkehrsbedingungen ist eine Grundvoraussetzung für Integration und selbstbestimmtes Leben. Hier liegt noch vieles im Argen. Letztendlich nutzt das allen, nicht nur mobilitätseingeschränkten Menschen, sondern auch Eltern mit einem Kinderwagen und älteren Menschen. Wir sind eine Gesellschaft, die immer älter werden und auch in ihrer gewohnten Lebensumgebung bleiben möchte.
Ein weiterer Punkt ist die Bauordnung. Das ist ein leidiges Thema. Es nützt uns nichts, dass wir zwar sehr viele DIN-Vorschriften haben, die einschlägigen DIN-Vorschriften aber nur eine Empfehlung sind und keine Verbindlichkeit haben. Wir wollen, dass die DIN-Vorschriften eine verbindliche Mindestvoraussetzung darstellen und dass auch in der Architektenausbildung entsprechend gewirkt wird.
Ein Gleichstellungsgesetz würde die Welt verändern, sagt Frau Stein. Das ist richtig. Ein Gleichstellungsgesetz kann nicht alles lösen, aber vieles verändern. Wir sollten uns ernsthaft damit auseinander setzen.
Eine letzte Anmerkung, nachdem jetzt ganz kurzfristig zwei Dringlichkeitsanträge zu unserem Gesetzentwurf eingebracht worden sind: Ich bin sehr froh darüber, dass auch die GRÜNEN aktiv geworden sind und nach einem Gleichstellungsgesetz rufen. Ich wundere mich über den Dringlichkeitsantrag der CSU zu einer Entschließung zur Weiterentwicklung der Behindertenpolitik; denn einerseits beschwert sich der Herr Fraktionsvorsitzende Glück, dass der Landtag immer weiter an Bedeutung abnimmt, während Sie jetzt andererseits mit einem Entschließungsantrag kommen und plötzlich die Dringlichkeit feststellen.