Protokoll der Sitzung vom 08.07.2003

Übrigens zum Thema Statistik: Herr Huber, ich habe mich mit dem Präsidenten des Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung intensiv über diese Fragen unterhalten. Er hat mir ein Beispiel erzählt, das ihn erschüttert hat. Er wollte die Handwerksstatistik etwas vereinfachen. Das hat ihm aber den großen Protest der Handwerkskammer eingebracht. – Kollege Traublinger verlässt gerade den Raum. – Die Handwerkskammer hat das nicht zugelassen. Die Handwerksstatistik „light“ war unzulässig, deshalb musste sie umfangreicher gemacht werden.

Auch hier etwas Rechtstatsachenforschung: 3% aller Unternehmungen sind von der Statistik überhaupt belastet. Ich finde, es ist unfair, wenn man diese Statistikfragen so aufbläht. Natürlich lässt sich da etwas machen und verbessern, natürlich geht da etwas mit Schnittstellen. Aber jetzt einen großen Popanz aufzubauen, die Rettung der Wirtschaft erfolgt über das Vermeiden von Statistiken – – Da bin ich gespannt.

Warum klappt es in Bayern nicht? – Ich sage es noch einmal: Das ist historisch gewachsener Zentralismus. Da hat sich seit Montgelas nicht viel verändert: Bayerns Ministerien müssen alles im Griff haben, die draußen bei den Ämtern wissen sowieso nicht, wie es geht, also wird es von München aus gemacht.

Bayerns Regierungspartei will ihre Macht sichern – das ist ganz klar –, deshalb führt sie die Kommunen am goldenen Zügel. Damit behält man die Aufsicht darüber, was in den Kommunen geschieht und was nicht.

Wir sind darüber hinaus ein Gefälligkeitsstaat. Unsere Regierung – wir im Landtag vielleicht auch – möchten möglichst viele Wohltaten vor Ort vollbringen. Das hilft der Selbstdarstellung, das bringt auch Chancen für Staatssekretäre, zum Spatenstich oder einer Einwei

hung eine Rede zu halten. Damit stellt man sich draußen gut dar. Zum Gefälligkeitsstaat gehören etwa 400 Förderprogramme in Bayern, die für sich genommen eine riesige Bürokratie-Erzeugungsmaschine sind. Ich bin hier völlig der Meinung von Herrn Henzler und der Kommission, dass diese mit dem Ziel überprüft werden müssen, auf eine Handvoll Programme zusammengestrichen zu werden. Das scheint mir durchaus möglich, wenn man sie breit genug fasst. Wir haben zu jedem Programm eigene Antragsformulare und eigene Grundlagen, auf deren Basis geprüft wird. Wir haben zu jedem Programm Ausführungsbestimmungen. Wir haben zu jedem Programm Vorüberprüfungen, Überprüfungen während des Baues und hinterher den Verwendungsnachweis. Das muss man anpacken. Staatsminister Huber hat es in seiner Rede leicht angedeutet. Ich bin gespannt, was uns zu diesem Thema einfällt.

Über Jahrzehnte hinweg ist in Bayern leider eine „Misstrauensunkultur“ gewachsen.

Deshalb ist unsere zentrale Botschaft: Nur dann, wenn wir bereit sind, den Bürgerinnen und Bürgern, den Gemeinden und Landkreisen, den Vereinen und Verbänden mehr zuzutrauen und mehr zu vertrauen, können wir die Verhältnisse ändern. Was dieser Staat braucht, ist eine neue Vertrauenskultur. Das ist die zentrale Botschaft.

(Beifall bei der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein paar Bemerkungen zu den Vorschlägen meiner Kommission machen. Wir waren der Überzeugung, Treppen kehrt man von oben. Deswegen muss der Rückzug des Staates oben beginnen.

(Beifall bei der SPD)

Die aufgeblähte Spitze führt zu unnötiger Bürokratie. Deswegen muss man die Staatsregierung auf ihre Größe hin überprüfen. Hier kann man Geschäftsbereiche zusammenlegen und besser organisieren. Man braucht sich nur zu überlegen, dass allein das Wirtschaftsministerium zehn Grundsatzabteilungen zu allen Feldern der Politik, die man sich vorstellen kann, hat. Ich möchte darum bitten, dass man sich das einmal näher ansieht. Die Staatskanzlei hat die gleichen Grundsatzabteilungen noch einmal, und der Innenminister hat seine Grundsatzabteilungen für Fragen, die ihn eigentlich nichts angehen. Ich frage mich, ob man daran nichts ändern kann.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind mutig genug, Ihnen vorzuschlagen, das Kultusministerium in seiner ursprünglichen Form wieder herzustellen, was bedeutet, die beiden Geschäftsbereiche wieder zusammenzulegen. Wir sind der Meinung, dass man das Wirtschaftsministerium zu einem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur umgestalten und damit die Landesplanung dem Wirtschaftsministerium zuschlagen sollte. Wir sind auch der Auffassung, dass man ein „grünes“ Ministerium mit den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft, Forsten und Verbraucherschutz bilden

sollte. Außerdem sind wir der Meinung, dass man die Bundes- und Europaangelegenheiten im Justizministerium mit erledigen kann. Wer es dann macht, Herr Kollege Bocklet, darüber dürfen andere entscheiden.

(Heiterkeit bei der SPD – Hofmann (CSU): Das liegt auf der Hand!)

Das darfst du sagen, Walter. Ich darf das nicht sagen.

Die Umgestaltung führt jedenfalls dazu, dass wir von 18 möglichen Positionen in der Staatsregierung auf 12 zurückgehen. Wenn man ein Drittel einspart, dann ist das doch eine ordentliche Leistung.

Wir müssen auch die Ministerien neu strukturieren. Hier hilft leider nur die Brechstange. Wir sagen, die Staatskanzlei muss auf die Kernaufgaben zurückgeführt werden und die Ministerien benötigen einen massiven Abbau der Führungspositionen. Eine ernsthafte Aufgabenkritik setzt immer dann ein, wenn die Stellen führender Beamter wegfallen; denn dann muss geprüft werden, was man künftig tut.

(Beifall bei der SPD)

Wir stehen jetzt vor der Situation, dass im Rahmen der viel zitierten Stelleneinsparungen alle Putzfrauen wegrationalisiert und alle Arbeiterstellen eingezogen worden sind. Die Tätigkeiten erledigen jetzt Fremdfirmen, deren Beschäftigte nicht im Stellenplan auffallen, sondern über Sachkosten finanziert werden. Aus diesem Grund hat man den Stellenabbau geschafft. Aber in den Führungspositionen der Ministerien sind die Stellen nicht weniger, sondern mehr geworden. Der Oberste Rechnungshof hat dies 2001 beanstandet. Von 1993 bis 2001 ist die Zahl der Stellen von A 16 bis B 9 – also Leitender Regierungsdirektor bzw. Ministerialrat bis Ministerialdirektor – von 766 auf 797 gestiegen, und zwar trotz des Abbaus, über den sich Herr Huber vorhin so gefreut hat. Das sind aber die Stellen, die Bürokratie erzeugen, weil das die Leute sind, die sich das ausdenken, was unten vollzogen werden muss.

Es gibt aber auch ein gutes Beispiel: Das Landtagsamt hat nach dem Motto „Aus drei mach zwei“ von drei Abteilungen eine eingezogen und von 15 Referaten fünf. Das ist machbar. Wir haben künftig zwei Abteilungen und zehn Referate. Ich empfehle allen Ministerien die gleiche Vorgehensweise.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen Reformen für die Kommunen. Die 71 Landkreise, die 25 kreisfreien Städte und die 2031 kreisangehörigen bayerischen Gemeinden gehören mit ihren vielen kommunalen Einrichtungen bis hin zu den Stadtwerken zu den wichtigsten Investoren für die bayerische Wirtschaft. Sie entscheiden darüber, wer Aufträge bekommt und wer nicht, aber sie werden mit einer Flut von Vorschriften überhäuft, müssen unnötig komplizierte Verwaltungsverfahren durchführen und leiden unter statistischen Anfragen und überdetaillierten Regelungen bei der Finanzierung kommunaler Vorhaben. Das bindet

Personal und verzögert Investitionen. Auch das ist ein Aspekt, um den man sich kümmern muss.

Nachdem ich gerade gehört habe, dass Herrn Staatsminister Huber dieses auch gerade schwant, frage ich mich, wieso die Bayerische Staatsregierung, die von einer Partei getragen wird, die seit 40 Jahren allein regiert, gerade jetzt darauf kommt, dass man hier etwas tun kann und muss. Herr Huber, ich gratuliere.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein zentraler Punkt ist die Reduzierung der Zahl der Fördertöpfe. Das haben wir mit der Henzler-Kommission gemeinsam, auch wenn es dort nicht für die Kommunen gedacht war. Wir wollen das ganze System der Verwendungsnachweise radikal vereinfachen und die Investitionsförderung komplett umstellen. Das wird eine Weile dauern, aber es kann realisiert werden. Vor allem aber müssen wir von der Misstrauenskultur wegkommen. Ich gehe davon aus, dass die Bürgermeister, die Oberbürgermeister, die Landräte und die Bezirkstagspräsidenten ordentliche Leute sind, die über eine ordentliche Verwaltung verfügen und ihre Aufgaben richtig erledigen. Was soll die permanente Nachschnüffelei, ob vielleicht 0,17 e falsch verbucht worden sind oder nicht?

(Beifall bei der SPD)

Diese Sache müssen wir angehen; dann kommen wir zu Verbesserungen.

Ganz aus dem Blickfeld verloren haben wir in Bayern die Sozialwirtschaft. Ich weiß von einigen Trägern der Diakonie, dass sie sich an der Umfrage der Henzler-Kommission beteiligen wollten und abgewiesen worden sind. Man muss sich überlegen, dass wir 407 Krankenhäuser, 329 Reha- und Vorsorgeeinrichtungen und 1398 Pflegeheime haben, in denen Zigtausende von Menschen beschäftigt sind, die unter einer unvorstellbaren Bürokratie leiden. Vorhin ist kritisiert worden, dass es in den Betrieben zu viele Kontrollen gibt. In der Sozialwirtschaft gibt es dieses überbordende Kontrollieren in jedem Fall. Es gibt über 30 Institutionen, die den sozialen Einrichtungen nachstellen. Das muss sich ändern. Die One-StopAgency lässt sich einführen, wenn man bereit ist, Behördenstrukturen zu verändern und Vollzugsaufgaben zu konzentrieren.

Auch an den Schulen haben wir einen katastrophalen Bürokratismus vorgefunden. Ich könnte jetzt eine halbe Stunde allein darüber reden, wie fürchterlich die Verhältnisse hier sind. „Management by Chaos“ – das ist noch eine sanfte Umschreibung des Zustandes dort.

(Zuruf des Abgeordneten Meyer (CSU) – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bloß weil Sie kein Englisch verstehen!)

1997 gab es ein Gutachten von Roland Berger, der der Schulverwaltung dringend nahegelegt hat, sich zu reformieren. Nichts, aber auch gar nichts, ist umgesetzt worden. Man hat das Gutachten schlicht ignoriert und weitergemacht wie bisher. Die Schulen stöhnen unter einem

unkontrollierten Ministerium, das jedes Rektorat jeden Tag mit diversen E-Mails mit etlichen Anhängen bombardiert. Rektoren sind kaum noch in der Lage, ihre täglichen Aufgaben zu erfüllen, weil sie unentwegt prüfen müssen, ob etwas in der Post liegt, um das sie sich kümmern müssen. Das Verrückteste ist, dass man sich die Ministerialschreiben inzwischen per E-Mail abholen muss. Man muss sich mit der Schulkennnummer anmelden, damit in München kontrolliert werden kann, ob das Ministerialschreiben wirklich zur Kenntnis genommen wurde. Dann kann man sagen, ätsch, du hast einen Fehler gemacht. Auf diesem Gebiet werden wir einiges tun müssen; hier brauchen wir eine Art Kulturrevolution.

Das gilt im Übrigen auch für unsere Hochschulen. Wir reden ständig davon, dass sich unsere Hochschulen dem internationalen Wettbewerb stellen müssen. Das bedeutet aber auch, dass sie mehr Freiheit und Eigenverantwortung brauchen und weniger Einmischung der Ministerialbürokratie. Dann aber, Herr Wissenschaftsminister, wäre es schön, wenn die Hochschulen in der Lage wären, ihre Professoren selbst zu berufen.

Warum muss sich das das Ministerium vorbehalten? Warum dürfen solche Entscheidungen nicht von den Hochschulen getroffen werden? Nicht einmal über die Verlängerung für einen Professor, ich glaube das sind etwa drei Jahre, darf die Hochschule selbst entscheiden. Auch das muss das Ministerium entscheiden. Ich denke, hier gäbe es einiges zu tun.

Der Gipfel an unglaublicher Bürokratie aber ist der Umstand, dass unsere bayerischen Hochschulen kein eigenes Bankkonto führen dürfen. Warum braucht eine Hochschule ein Bankkonto? – Das braucht die Hochschule zum Beispiel, damit die Kliniken der Universitäten Zahlungen entgegennehmen können. Das geht aber nicht, das wird zentral in Landshut gemacht. Das ist Bürokratie, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen kann.

(Beifall bei der SPD)

Dieses eigenwillige Verfahren erschwert sogar die Anwendung von SAP-Programmen in der Datenverarbeitung der Kliniken. Unsere Hochschulen haben jetzt das Recht, eigene Kraftfahrzeuge anzuschaffen. Bravo. Das ist sicher Deregulierung. Wenn sie aber ein Fahrzeug leasen wollen, muss das Ministerium gefragt werden. Leasing muss das Ministerium genehmigen. Ich wundere mich nur noch.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): So ein Schwachsinn!)

Ich komme jetzt zu einigen anderen Überlegungen hinsichtlich der Behördenstruktur. Baden-Württemberg will da einiges machen. Wenn wir nachziehen wollen, oder das Gleiche tun wollen, wären wir gut beraten. In BadenWürttemberg streitet man darüber, ob man Verwaltungsregionen machen soll oder Landkreise. Ich halte es für überflüssig, sich auf so einen Streit noch einmal einzulassen, denn diese Frage ist 1972 mit der Gebietsreform erledigt worden. Wir haben Landkreise und Regierungen, die sollen das machen. Alles Sonderbehörden hin

gegen werden in Frage gestellt. So halte ich das für richtig.

Jetzt komme ich zum Kapitel Subventionsabbau. Das wäre eine schöne Geschichte. Sie müssen sich einmal vorstellen, dass die bayerischen Subventionen gerade einmal zu 40% investitionswirksam sind. 60% der bayerischen Investitionen gehen in den so genannten Overhead. Da werden Institutionen gepäppelt, da werden Filmpreise und weiß der Kuckuck was verliehen, das ist Kokolores. Wenn aber nur noch 40% der Subventionen investiv sind, dann meine ich, es wäre höchste Zeit, etwas zu tun. Im Subventionsbericht allerdings steht mit entwaffnender Ehrlichkeit, warum das nicht geht. „Das wäre“ – so steht da zu lesen – „immer ein Eingriff in die Stellung eines Begünstigten“.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Das geht aber nicht, denn wir haben ja Wahlen. Wenn wir keine Wahlen haben, dann ist irgendetwas anderes. In jedem Fall dürfen wir Subventionen nicht angreifen, das ist ganz schwierig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Systematischer Vorschriftenabbau. Ich kann nur sagen: Bravo. Das Amtsblatt der Vereinigten Kultusministerien – beim Amtsblatt sind die Ministerien nicht geteilt – umfasst von Januar bis Mai 2003 ungefähr 1700 Seiten. 1700 Seiten! Wir haben einen Teil I, einen Teil II und eine Beilage. Das zusammengenommen umfasst 1700 Seiten. Auch die bayerische Finanzverwaltung bringt es allein in diesem Jahr auf 300 Seiten. Dabei war da die Stoiber-Äußerung „Keine unnötigen Vorschriften mehr“ schon gefallen. Aber wir bekommen laufend neue Vorschriften serviert. Wir meinen, da muss man etwas verändern.

Wir wollen eine Sunset-Legislation bei den Gesetzen. – Jetzt bin ich auch schon bei diesem Fachchinesisch. – Wir wollen also eine Gesetzgebung mit Verfallsdatum. Das führt zu einer ständigen Neuüberprüfung. Wir brauchen eine vorausschauende Gesetzgebung. Wir müssen uns als Gesetzgeber abgewöhnen, einfach Verordnungsermächtigungen zu geben.

(Hoderlein (SPD): Das ist ganz entscheidend!)

Anderenfalls kommen Ergebnisse heraus, die keiner will. Wir werden dann vor Ort mit der Frage konfrontiert: Wie kommt ihr dazu, so etwas zu machen? Dann sagen die Vertreter der Ministerien: Das steht in der Verordnung sowieso und in der Verwaltungsvorschrift sowieso. Als Gesetzgeber müssen wir also wesentlich vorsichtiger sein. Ich rate dazu, keine Ermächtigungsnormen mehr zu geben oder dies nur noch im Ausnahmefall zu tun. Der Ausnahmefall aber muss heißen: „Die Verordnung wird mit... vorgelegt“. Nur so sieht man, was da zustande kommt.