Protokoll der Sitzung vom 01.02.2000

Wie nachhaltig CDU, CSU und FDP die Familien in Deutschland benachteiligt haben, ist ihnen durch ein vernichtendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts ins Stammbuch geschrieben worden.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb war es wichtig, dass Kinderfreibeträge und Kindergeld durch die neue Bundesregierung endlich angehoben wurden.

(Ach (CSU): Um 20 DM!)

Richtig ist es auch, den Schwerpunkt bei der steuerlichen Entlastung bei Familien und Durchschnittseinkommen zu setzen.

Im bayerischen Sozialbericht steht der Satz: „Kinderreichtum ist ein Armutsrisiko.“ Dieser Satz muss bei allen politisch Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen lassen. Aber nicht nur das: Er muss auch zu konkretem politischem Handeln führen. Wir wollen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch für Frauen endlich Wirklichkeit wird, zum Beispiel durch die Schaffung ausreichender Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht nur für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, sondern auch für jüngere und ältere Kinder. Auf diesem Gebiet ist Bayern in mancherlei Hinsicht Schlusslicht unter allen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland.

Ich weiß noch aus meiner Zeit als Vorsitzender des sozialpolitischen Ausschusses – das liegt noch nicht so lange zurück –, wie sehr sich die CSU gegen Ausweitungen des Angebots für Kleinkinder gesperrt hat. Krippen und Horte waren für sie Teufelszeug. Schulsozialarbeit oder Nachmittagsbetreuung waren böhmische Dörfer. Deshalb haben wir auf diesen Gebieten auch einen solch dramatischen Rückstand.

Wenn heute die Tochter von Edmund Stoiber ihren Vater fragt: „Papa, warum bekomme ich keinen Krippenplatz?“, –

(Ach (CSU): Weil das Kind noch zu klein ist!)

dann ist die Antwort darauf: „Weil einer Mehrheit der CSU die Forderung nach Gleichstellung der Frau unsympathisch und zuwider war und immer noch ist.“

(Beifall bei der SPD – Dr. Bernhard (CSU): Das ist eine Frechheit!)

Familienpolitik kann man aber nicht mit Ideologien, sondern nur unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Realitäten und konkreter sozialer Bedürfnisse machen. Deshalb sind Vereinbarkeit von Beruf und Familie, familienfreundliche Arbeitszeiten, ausreichende Kinderbetreuung und materielle Sicherung der Familien von entscheidender Bedeutung für die Zukunft.

Sie haben ein Landeserziehungsgeld eingerichtet, das wir begrüßen und bejahen.

(Dr. Bernhard (CSU): Na also!)

Es gibt aber eine Ausnahme, Herr Kollege Dr. Bernhard. Die Freunde meines dreizehnjährigen Sohnes heißen Adem, Murat, Ismail, Milosˇ, Darius und Orhan. Das sind die Freunde meines Sohnes. Die Eltern dieser Buben sind fleißige und anständige Münchener Bürgerinnen und Bürger, die alle Steuern und Sozialabgaben bezahlen und arbeiten. Warum diese nicht in den Genuss von Landeserziehungsgeld kommen, nur weil sie einen ausländischen Pass haben, werde ich nie verstehen, und das kann man auch nicht akzeptieren, weil es diskriminierend ist.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen eine bessere Integration unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Mir wird übel, wenn ich höre, wenn Ministerpräsident Stoiber vor der Durchrassung und Durchmischung unseres Volkes warnt. Welch verräterische Formulierung.

Nachhaltige Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedient keine ausländerfeindlichen Stimmungen, sondern bemüht sich um die Integration von Ausländerinnen und Ausländern. Wir erleben heute schon eine Europäisierung, sogar eine Internationalisierung unseres Lebens. Die europäische Zukunft wird eine multikulturelle sein. Unsere Kinder werden einen neuen Status bekommen, nämlich den des europäischen Bürgers. In kultureller Vielfalt liegt unsere Zukunftschance. Der innere Frieden und der soziale Zusammenhalt in unserem Freistaat hängen davon ab, dass uns Integration besser gelingt.

Dazu gehört übrigens auch ein Bildungswesen, das unsere Kinder stärker fördert. Nachhaltigkeit bei Bildung heißt, dass wir Wissen auf Vorrat produzieren und die Menschen auf lebenslanges Lernen einstellen. Bildung ist der Schlüssel für individuelle Lebenschancen und der Motor für gesellschaftliche Entwicklungen. Wenn man unter diesem Aspekt die Politik des bayerischen Kultusministeriums betrachtet, dann kommen einem die Tränen. Auslese steht hier statt Förderung. Schülerströme sollen technokratisch gelenkt werden. Mit der Einführung der R 6 werden alle Ressourcen für eine äußere und

noch dazu verfehlte Strukturänderung verbraucht, statt über Qualität der Bildung, des Unterrichts und der Unterrichtsinhalte zu reden.

(Beifall bei der SPD)

Glauben Sie in diesem Fall ruhig einmal dem Vorsitzenden des kulturpolitischen Arbeitskreises der CSU, Heinz Durner, der wörtlich sagt: „Die Einführung der sechsjährigen Realschule wirft die CSU schul- und bildungspolitisch zehn Jahre zurück.“ Deswegen ist ein Volksbegehren notwendig, und deswegen unterstützen wir dieses auch und werden es zum Erfolg bringen.

(Beifall bei der SPD)

Bayern hat den niedrigsten Anteil an Studienberechtigten aller deutschen Bundesländer. 8% eines jeden Schülerjahrgangs erreichen überhaupt keinen Schulabschluss. Regional verteilen sich die Bildungschancen höchst ungerecht. Während im Landkreis München nur 24% der Siebtklässler eine Hauptschule besuchen, sind es in Hof 58,8%. Meinen Sie wirklich, dass die Kinder in Nordbayern dümmer als die Kinder in Oberbayern sind, oder handelt es sich hier um eine verfehlte Schul- und Bildungspolitik im Freistaat?

Dass Herr Huber die wachsende Bedeutung des Internets richtig beschreibt, ist das eine. Das andere aber wäre es, die erforderlichen Konsequenzen daraus zu ziehen.

(Beifall des Abgeordneten Wahnschaffe)

Eine Konsequenz wäre es, alle Schulen mit einem Internetanschluss auszustatten. Die Landeshauptstadt München gibt hierfür aus eigenen Mitteln 200 Millionen DM aus, und das nur für München. Der Freistaat Bayern gibt nur 60 Millionen DM für das ganze Land aus. Wo sollen denn die qualifizierten Arbeitskräfte herkommen, die wir in Bayern brauchen werden, wenn die Hightech-Offensive Wirklichkeit werden sollte? Wollen Sie in einigen Jahren wieder Arbeitskräfte importieren?

Im Übrigen könnte die Hightech-Offensive ein echtes Projekt der Nachhaltigkeit in Bayern werden. Die Mittel stammen aus dem Verkauf bayerischen Vermögens. Deswegen müssen wir damit verantwortungsbewusst umgehen.

Schmunzeln musste ich allerdings über die nachdenklichen Worte zum inflationären Gebrauch englischer Begriffe. Deshalb möchte ich ein paar Headlines der Hightech-Offensive nennen: Seed-Capital-Fonds, Campus-Zentrum, Task-Force-Marketing, Clearing-Stelle, Life-Science. Man will nun einmal etwas auf der Welt gelten und nicht nur bayerisch reden, was übrigens keine Schande wäre, Herr Huber.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns wirklich gemeinsam bei der Verwendung der Privatisierungserlöse dafür sorgen, dass nicht so viele Sylvesterkracher und Leuchtraketen dabei sind, die zwar ein von allen bewundertes Feuerwerk auslösen,

dann aber wirkungslos verglühen, ohne dass Bayern tragfähig modernisiert würde. Wir wollen ein Bayern im Herzen Europas, in dem Familien- und Bildungspolitik großgeschrieben werden, ein Bayern, das wirtschaftlich erfolgreich und um sozialen Ausgleich bemüht ist, ein Bayern, in dem die Menschen friedlich zusammenleben und gemeinsam und nachhaltig am Bau des europäischen Hauses arbeiten, ein Bayern, das im Sinne eines kooperativen Föderalismus die Stärken unseres Landes nutzt und sich gleichzeitig auch anderen, schwächeren Regionen in Deutschland und Europa verpflichtet fühlt. Dafür werden auch wir gern einen konstruktiven Betrag leisten.

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Paulig das Wort.

Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) : Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Präsident! Herr Minister Huber, ich bin der Überzeugung, dass es zu den Sachaufgaben der Politik gehört, Glaubwürdigkeit in der Politik herzustellen, Rechtsstaatlichkeit zu sichern und Vertrauen in eine lebendige Demokratie zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund kann ich nicht nachvollziehen, dass Sie heute kein Wort zu dem Spendenskandal gesagt haben, der Ihre Schwesterpartei CDU erschüttert, der aber auch hier die Politik im ganzen Land bewegt und betrifft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Tagaus tagein gibt es Sondersendungen in den Medien, und die Drahtzieher dieses Skandals sind in der CSU beheimatet. Das nenne ich nachhaltiges Wegtauchen. – Ich meine, es ist nicht relevant, ob die Mitgliedschaft des Karlheinz Schreiber eine ruhende oder eine aktive ist. Es gehört zu den Sachaufgaben der Politik, sich über die Rolle der Parteien und der Demokratie in unserem Land auszutauschen und sie zu stärken. Ich kann nicht nachvollziehen, wie eine Bundesregierung, die angetreten ist, für eine geistige und moralische Erneuerung Deutschlands zu streiten, über Jahrzehnte auf Lug und Trug bauen konnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Artikel 21 des Grundgesetzes legt fest: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Im Gesetz heißt es weiter: „Sie müssen über die Herkunft und die Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.“ Wie ist diese Forderung des Grundgesetzes mit dem, was wir derzeit in der Bundesrepublik erleben, vereinbar? Das Grundgesetz, Forderungen der Untersuchungsausschüsse und die Novellen des Parteiengesetzes werden und wurden missachtet. Und Sie tauchen nachhaltig weg.

Es ist unvorstellbar, wie hier Gelder ins Ausland transferiert wurden, schwarze Koffer und Konten geöffnet und eröffnet wurden und durch Provisionen politische Geschäfte geschmiert wurden. Es ist ebenso unvorstell

bar, dass dieser Karlheinz Schreiber immer noch Mitglied der CSU ist. Unvorstellbar ist auch, dass Wahlkampfgelder an die CSU geflossen sind, und zwar in den relevanten Jahren in dem Wahlkreis einer künftigen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, die damals, als 1992 die erste Spendentranche floss, noch als Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit tätig war. Ich frage Sie: Wie ist das mit der politischen Glaubwürdigkeit der CSU vereinbar?

Das wird alles so genommen, als wäre es die normalste, die ehrenwerteste Sache der Welt. Ein Generalsekretär billigt dieses Verhalten, und er ist erstaunt, wenn sich die Öffentlichkeit damit nicht zufrieden gibt. Fast hat man den Eindruck, als wäre es hier wie in Italien, wo die Ehrenmänner nachmittags mit ihren Bräuten auf der Vespa auf der Via Appia zum Cappuccino vorfahren. So gehen Sie mit diesen Ehrenmännern, die die Republik erschüttern, um.

Vor diesem Hintergrund ist es fast nicht mehr erstaunlich, dass sich der bayerische Wirtschaftsminister auf Drängen Schreibers beim damaligen österreichischen Wirtschaftsminister Schüssel dafür einsetzte, dass der französische Waffenmulti Thomson endlich zu seinem Geschäft kommt. Und er kam es dann auch binnen 14 Tagen. Daran sehen wir, wie gut die bayerisch-österreichische Kooperation funktioniert, bis hin zum jüngsten Vorstoß von Stoiber, der letztendlich Haider in eine Koalition katapultieren wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abwarten, wegtauchen, untertauchen – das sehen Sie wohl als glaubwürdige, nachhaltige Politik für Bayern an.

Erstens. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist primär durch die Weltklimakonferenz von Rio 1992 auf die politische Tagesordnung gekommen. Ökologische Nachhaltigkeit bedeutet, in Stoffkreisläufen vernetztes Denken zu praktizieren. Es bedeutet, dass man dem System der Erde nicht mehr Rohstoffe entnimmt, als man ihm in der Form von Abfallstoffen, Produktionsaltstoffen und Emissionen zuführen kann. Genau in diesem Punkt handeln Sie gegen alle ökologischen Notwendigkeiten der Nachhaltigkeit. Sie betreiben den Raubbau an der Erde, als hätten wir einen x-beliebigen Planeten als Ersatz im Hintergrund. Damit brauchen Sie die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht darum, irgendwann mittels Gentechnik den UV-resistenten Menschen oder die wärme- und UV-resistenten Pflanzen für unsere Ernährung zu züchten. Das ist falsch verstandene Nachhaltigkeit. Es geht darum, das ökologische Gleichgewicht unseres labilen Planeten zu bewahren und zu schützen. Das wäre christliche Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)