Protokoll der Sitzung vom 01.02.2000

Herr Huber, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Energiepolitik, Verkehrspolitik, Steuerpolitik – überall Fehlan

zeige, was eine nachhaltige Politik betreffen könnte. Sie sagen beispielsweise, wir brauchen die Atomenergie zur Sicherung der Energieversorgung. Das ist blanker Unsinn und hat mit Nachhaltigkeit nicht das Geringste zu tun. Die Staatsregierung zieht sich damit aus der Verantwortung, dass Sie behaupten, das Einsparziel bei CO2 von 25% wäre bereits erreicht, da der CO2-Ausstoss in Bayern um ein Drittel unter dem Durchschnittswert der Bundesländer liegt. Das heißt, Leute für dumm zu verkaufen. Jedes Land hat die Pflicht, den CO2-Ausstoß bezogen auf das Jahr 1990 zu reduzieren und seinen Beitrag zum nationalen Ziel zu leisten. Dazu ist heute nichts zu hören gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In den letzten 10 Jahren sind die CO2-Emissionen im Bereich des Verkehrs um 10% gestiegen; der Primärenergieverbrauch ist in den letzten 15 Jahren um 17% angestiegen. Ist das nachhaltige Energiepolitik? – Das ist Fehlanzeige und politische Dummheit.

Was tun Sie denn für die Nachhaltigkeit in anderen Bereichen? Ist es glaubwürdig, wenn ein Wirtschaftsminister weitere Autobahnen, Bundesfernstraßen und dergleichen fordert? Das wird die Emissionen erhöhen, die Böden versiegeln und die Artenvielfalt massiv beeinträchtigen. Das ist es nicht, was wir fordern. Wir fordern endlich eine klare Politik gegen die Klimaveränderungen, gegen Hochwasser in Bayern, gegen Stürme, gegen Lawinen und Muren, die durch den Klimawandel verstärkt auftreten werden. Hier ist nachhaltiges Handeln der Bayerischen Staatsregierung gefordert. Aber was haben wir heute gehört? – Absolute Fehlanzeige.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf einen Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN hin haben wir Ende Oktober 1999 einstimmig einen Bericht eingefordert. Es sollte endlich dargelegt werden, was Bayern zur Rettung des Klimas tun wird. Bis heute gibt es keine Meldung darüber, was Bayern zum Klimaschutz tun wird. Gehört haben wir nur etwas zum Ausbau der Autobahnen. Der Klimabericht, der vor etwa 14 Tagen vorgestellt wurde, liegt den Fraktionen immer noch nicht vor. Ist das die Grundlage für eine transparente ökologische Politik? – Ich meine, nein. Ich kann davon nichts erkennen.

Sie sagen immer wieder, unsere Antwort auf diese drängenden Fragen fehle. Ich nenne Ihnen eine europäische Antwort. Die EU-Kommission hat von fünf Forschungsinstituten aus vier europäischen Ländern ein Energiewendeszenario erstellen lassen. In diesem Konzept ist die Atomenergie bis zum Jahr 2010 ausgelaufen; es gibt sie nicht mehr. Der Primärenergieverbrauch wird bis zum Jahr 2050 um über 50% reduziert. Die restliche benötigte Energie besteht zu 95% aus erneuerbaren Energien. Das sind Szenarien, für die sich ein politischer Einsatz lohnt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir dieses Szenario zugrunde legen, können wir sagen, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist auf dem richtigen Weg und handelt endlich zielorien

tiert. Ich nenne die Ökosteuer, das Stromeinspeisungsgesetz mit dem zu erwartenden Investitionsboom – jetzt schon können sich viele Handwerker nicht vor Aufträgen retten –, die Quote für Kraft-Wärme-Koppelung und das 100000-Dächer-Programm für Solaranlagen. Dazu kommt das 200-Millionen-DM-Programm zur Förderung der Markteinführung erneuerbarer Energien. Davon ist zirka ein Drittel für die Landwirtschaft zum Betrieb von Biogas- und Biomasseanlagen vorgesehen. Das gibt der Landwirtschaft Zukunftsperspektiven. Das ist es, was verantwortungsvolle Politik ausmacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wird eine Energiesparverordnung und ein Programm zur Minderung von CO2 geben. Die Bundesregierung wird bis zum Sommer ein Klimaschutzprogramm vorlegen, das auf vier Säulen fußen wird. Erste Säule: ökologische Modernisierung, zweite Säule: Ressourceneffizienz und Energieeffizienz, drittens: Hightech zur Nutzung erneuerbarer Energien und viertens eine Mobilitätsoffensive, die auf Nachhaltigkeit beruht. Und dieses nachhaltige Klimaschutzprogramm fordern wir auch hier im Landtag Stück für Stück ein.

Sie sagen, Hightech sei Klimaschutz. Ich sage, eine nachhaltige Entwicklung setzt einen intelligenten Einsatz moderner Technologien voraus. Es genügt nicht, wenn die Mitglieder der Staatsregierung wie Teletubbies durch den Freistaat laufen und Technologieparks eröffnen. Das hat weiss Gott nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Wir setzen auf Green-Tech.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur wirtschaftlichen Prosperität der nachhaltigen Politik möchte ich auf die EU verweisen: Allein bei einer Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energien von 6% auf 12% bis zum Jahr 2010 können wir von 500000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in Europa ausgehen. Nach Meldungen der Fachverbände und Institute kommen wir bis zum Jahr 2020 auf zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze, wobei der Export – in den verschiedenen Sparten – einbezogen ist. Bis zum Jahr 2020 würden damit in Deutschland zirka 500000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Dies sind Perspektiven, die unsere Zukunft sichern und die Lebensgrundlagen schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Inzwischen liegen ebenfalls genügend Berechnungen vor, wie durch eine ökologische Modernisierung bei CO2-Minderung nachhaltig dauerhafte Arbeitsplätze aufgebaut werden könnten.

Zweitens. In der Sozial- und in der Finanz- und Haushaltspolitik proklamiert die CSU ebenfalls Nachhaltigkeit. Ich muss sagen, das von der CSU vorgelegte Steuerkonzept, wonach bis zum Jahr 2003 eine Entlastung um 50 Milliarden DM erreicht werden soll, ist eine reine Luftnummer, die auf dem Prinzip Hoffnung basiert. Wie wollen Sie den Haushalt nachhaltig konsolidieren? Wie wollen Sie die Lebensgrundlagen und die sozialen Sicherheiten für die nachwachsenden Generationen sichern, wenn Sie weiter auf diese Luftnummern setzen?

Das Konzept der rot-grünen Bundesregierung sieht eine Entlastung von 73 Milliarden DM bis zum Jahr 2005 vor. Gleichzeitig wird der Haushalt konsolidiert. Von diesen 73 Milliarden DM werden 54,3 Milliarden DM für die Entlastung der privaten Haushalte zur Verfügung gestellt. Der Mittelstand wird mit über 17 Milliarden DM entlastet. Bereits jetzt können jede und jeder auf dem Gehaltszettel die steuerliche Entlastung, die Senkung des Rentenbeitrags ablesen. Im Jahr 2002 wird ein Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern, der 60000 DM brutto verdient, um etwa 3000 DM entlastet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Jahr wird pro Kind ein zusätzliches Kindergeld in Höhe von 600 DM gewährt. Das ist doch etwas. Dies ist eine soziale Errungenschaft, die wirklich die Lebensgrundlagen für Familien mit kleinen und mittleren Einkommen stärkt.

Ihre Kampagne gegen die Ökosteuer ist hingegen nicht mehr nachvollziehbar. Gerade an dem soeben angeführten Fall wird deutlich, dass durch die Ökosteuer die Kosten auf Arbeit um 360 DM reduziert werden können. Ihre Kampagne gegen die Ökosteuer geht nachhaltig in die verkehrte Richtung. Zukunftsverantwortung erfordert ein Umdenken, einen Paradigmenwechsel im Steuersystem. Sie stellen sich hierher und wollen Ihre Hände in Unschuld waschen.

Unter Kohl wurde die Mineralölsteuer um 49 Pfennig und damit um 100% erhöht. Unter Ihrer Regierungsverantwortung. Und unter Beteiligung der FDP wurde die Mineralölsteuer sogar um über 60 Pfennig erhöht. Jetzt will die FDP Bürger ohne die Mineralölsteuer tanken lassen. Ich kann nur sagen, lächerlicher geht es nicht mehr. Ihre Erhöhungen der Mineralölsteuer, meine Damen und Herren der CSU, versickerten im allgemeinen Haushalt, zusätzlich wurde die Mehrwertsteuer erhöht. Wir von Rot-Grün geben die Ökosteuer über die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge an die Bürger zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Kampagne ist eine absolute Dummheit. Sie alle wissen ganz genau, dass wir diesen Wechsel im Steuersystem für die Zukunft und zur sozialen Sicherung brauchen.

Sie haben gesagt, der öffentliche Haushalt Bayerns solle vorbildlich saniert und die Kreditaufnahme gegen Null gebracht werden.

Ich kann diese Aussage nicht mit der von Ihnen vorgeschlagenen 50-Milliarden-DM-Entlastung auf Bundesebene zusammenbringen. Sie fordern, dass die Regierung höchste Risiken eingeht und auf Luftnummern nach dem Prinzip Hoffnung setzt.

Und gleichzeitig stellen Sie sich hin, heben Ihr Jackett und sagen: Wir werden in den nächsten Jahren keine Kreditaufnahme tätigen. Sie arbeiten an einer Formulierung zur Verbesserung der Bayerischen Verfassung. Diese Formulierung ist hinfällig und überflüssig. In Artikel 82 Bayerische Verfassung steht:

Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf beschafft werden.

Ich frage mich, wo angesichts der über 8 Milliarden DM aus den Privatisierungerlösen, die investiert werden, dieser außerordentliche Bedarf zur Kreditaufnahme besteht. Ich kann ihn nicht erkennen. Insofern können wir diesen Vorschlag abhaken. Wir werden darauf achten, dass Sie demnächst die Bayerische Verfassung einhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die GRÜNEN stehen für eine kompetente Haushalts– und Finanzpolitik. Das haben sie im Bayerischen Landtag bewiesen. Das beweisen sie auch in der Bundesregierung. Ich möchte fast sagen: Die GRÜNEN sind der Fels, an dem sich ein Finanzminister Eichel anlehnen kann, wenn die etatistischen Bedürfnisse der SPD wieder einmal übermächtig zu werden drohen.

Zur Frage der Nachhaltigkeit in der Sozialpolitik, beim Generationenvertrag, der Rentenfrage, gibt es zwischen uns durchaus Gemeinsamkeiten. Langfristig müssen wir auf ein Drei-Säulen-Modell unter Berücksichtigung der demografischen Komponente setzen, auf eine beitragsbezogene Versicherungspflicht, einen branchenbezogenen Kapitalstock sowie auf die private Vorsorge. Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir gleichzeitig die Einkommen so entlasten, dass eine private Vorsorge möglich ist.

Eine nachhaltige Solidarität in der Gesellschaft bedeutet auch, dass wir eine liberale Rechtspolitik umsetzen müssen. Die Hürden, die in Bayern gegenwärtig beim Staatsbürgerschaftsrecht aufgebaut werden und die Inhumanität, die Sie beim Umgang mit Altfällen zeigen, müssen einem die Schamröte ins Gesicht treiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Da werden Kinderflüchtlinge zurückgewiesen und Familien auseinander gerissen, obwohl sie absolut integriert und anerkannt waren und keine Mark vom Sozialsystem abgeknabbert haben. Das ist die christliche Wert– und Leitvorstellung, die Sie bei anderen Kulturen einfordern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben immer noch nicht begriffen, dass eine nachhaltige Entwicklung bedeutet, dass die so genannten weichen Standortfaktoren verbessert werden müssen. Wer heute nicht in die Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger investiert und aus durchsichtigen politischen Gründen Vorurteile schürt, nimmt soziale Spannungen in Kauf, die in der Zukunft hohe Kosten verursachen werden. Auf unserer Klausurtagung wurde uns in Gesprächen mit Fachleuten eindringlich vor Augen geführt, dass dieser Reichtum an Menschen aus verschiedenen Kulturen, die in Bayern leben, ein Standortvorteil für die bayerische Wirtschaft und insbesondere für den Mittelstand ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Menschen bringen interkulturelle Kompetenz ein. Sie können nicht nur Sprachen und sind damit in der Lage, an der Ladentheke spezifisch zu bedienen. Sie wissen auch um die Bedürfnisse von Exportmärkten. Sie wissen, wie in anderen Ländern Verkaufsverhandlungen geführt werden und wie dort eine Unternehmensführung arbeitet. Von dieser Kompetenz kann der Mittelstand profitieren. Er kann jedoch nur davon profitieren, wenn in diesem Freistaat die Rechte dieser Menschen anerkannt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Begriffe „Freistaat Bayern“ und „Liberalitas Bavariae“ bedeuten nicht nur Freiheit für Unternehmen, Investoren und Kapital. Diese CSU-Politik ist ein Standortrisiko für Bayern. Die Liberalitas Bavariae darf nicht zum Wirtschaftsliberalismus im Lodenmantel verkommen. Sie bedeutet vielmehr Anerkennung der kulturellen Vielfalt und der kulturellen Kompetenz. Sie bedeutet Toleranz. Wichtig ist, dass wir aktiv miteinander von diesem Reichtum profitieren. Herr Glück ist leider noch nicht da. Ich möchte ihm aber etwas sagen: Die Beschwörung der abendländischen Leitkultur nach den Wertvorstellungen der CSU wird gegen die wachsende kulturelle Vielfalt, die unser Reichtum ist, so viel helfen wie Knoblauch gegen Vampire.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur noch zwei Sätze: Wir setzen auf das Volksbegehren für eine bessere Bildung.

Denn das garantiert Bildungsvielfalt und individuelle Bildungswege zur Stärkung der bayerischen Schülerinnen und Schüler.

Wenn Sie im internationalen Bildungsbereich die interne Evaluierung der Hochschulen einfordern, sagen wir: Angesichts der Globalisierung von Wissenschaft und Forschung ist es höchste Zeit, eine international übergreifende Wissenschaftsevaluierung vorzunehmen, die sich an Nachhaltigkeit orientiert und das Problemlösungspotenzial für die Zukunft von Wissenschaft und Forschung bewertet. Das wäre eine notwendige Aufgabe. Leider höre ich von der CSU darüber gar nichts.

Wir stehen für ein Bayern, das weltoffen ist, das kulturellen und wirtschaftlichen Reichtum kennt, auf natürlichen Reichtum und verantwortliche Solidarität in der Gesellschaft setzt. Nachhaltigkeit hat nichts mit Hinterhältigkeit zu tun, Herr Staatsminister Huber. Wir stehen für ein Bayern, das ökologisch und sozial ist. Wir setzen auf Politik, die transparent, global und verantwortlich ist. Wir leben diese bayerische Politik und setzen sie mit all der Lebensfreude um, die Grüne haben und die diese Erde uns Menschen gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abgeordneten Prof. Dr. Stockinger (CSU))

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Herrmann.