Protokoll der Sitzung vom 17.02.2000

Deshalb müssen sich die Frau Staatsministerin, die heute nicht hier ist, und ihr Staatssekretär den Vorwurf gefallen lassen: Sie messen in dieser Frage mit zweierlei Maß.

(Beifall bei der SPD)

Was steht in diesen Publikationen? Es wird den Eltern mit der Formulierung „verlorene Zeit“ Angst vor der Aufbaustufe gemacht. Es findet sich das Geschwätz von „gesamtschulartigen Strukturen“. Es wird behauptet, die Lernfortschritte der leistungsstärkeren wie auch der leistungsschwächeren Kinder blieben deutlich hinter denen der gegliederten Schulen zurück.

(Glück (CSU): Es ist auch so!)

Es werden mit dem Begriff „zerstückelte Schullaufbahn“ Ängste erzeugt, ebenso mit der Behauptung einer unzulänglichen Vorbereitung der Kinder auf den Übertritt nach der sechsten Klasse. Dabei ist gerade dieses Hinführen an die Lernweisen und Anforderungsniveaus mit zwei Jahren mehr Zeit als nach der vierten Klasse ein Charakteristikum der Aufbaustufe. Statt dies endlich zur Kenntnis zu nehmen, missbraucht die Frau Kultusministerin ihr Amt, ihr Informationsrecht und die Schulen mit diesen wissentlich einseitigen und verzerrenden Darstellungen. Man scheut nicht einmal davor zurück, den Eltern einzureden, dass die Aufbaustufe sogar die Schließung von einzügigen Hauptschulen nach sich ziehe. Sie wissen genau so gut wie ich, dass das Gegenteil der Fall ist. Gerade die Aufbaustufe stabilisiert die wohnortnahen Schulen auf dem Land.

Ich kann Ihnen aber gern einen Ort nennen, wo es schon zum Sterben einer einzügigen Hauptschule gekommen ist. Das ist in der so genannten Versuchslandschaft im Raum Bamberg der Fall gewesen. Die Versuchslandschaft wurde auf Wunsch der dortigen CSU-Vertreter eingerichtet. Dort gibt es die Teilhauptschule Kemmern nicht mehr. Vor einigen Jahren wurde die Schule mit drei Millionen DM saniert und erweitert. Nun ist durch die sechsstufige Realschule inzwischen das Aus für diese Realschule in Kemmern gekommen. Ich habe als Schulrat selbst noch erlebt, mit welchem Stolz die Gemeinde ihre Schule erweitert, eingeweiht und bezogen hat. Jetzt müssen die Kinder dieser Gemeinde zur fünften und

sechsten Klasse nach Breitengüßbach fahren. Das ist die Wahrheit über die Schließung einzügiger Hauptschulen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Wahrheit passt aber nicht in Ihr Konzept, und deshalb wird versucht, bei den Eltern und Lehrkräften mit der Behauptung Ängste zu erzeugen, durch die Aufbaustufe würde den Schülern die ihnen gemäße Schulart vorenthalten. Es gibt die Formulierung, die Aufbaustufe bevormunde Eltern. Es wird kritisiert, dass in der Aufbaustufe der Unterricht nach Leistung differenziert werde. Das ist aber doch keine Bevormundung der Eltern. Es wird kritisch gesagt, die Schule stelle die Leistung fest. Wer soll denn sonst die Leistung in der Schule feststellen? Ist das im Konzept der Staatsregierung etwa anders? Wird nach diesem Konzept die Leistung nicht mehr von der Schule festgestellt?

Wenn wir von Elternrecht sprechen dann meinen wir das Recht der Eltern, nach sorgfältiger Beratung durch die Schule, selbst über den weiteren Schulweg ihres Kindes entscheiden zu dürfen. Hat die Staatsregierung etwa die Vorstellung, dass die Eltern, denen sie jetzt schon viel zu viel zumutet, auch noch das Korrigieren und die Leistungsfeststellung übernehmen sollen?

Ich komme nun zu einer Bewertung. Die beiden Hefte strotzen vor Unwahrheiten, Verdrehungen und Unterstellungen. Vor allem aber – und das ist mein größter Vorwurf – kommen diese Publikationen im Tarngewand des offiziell Amtlichen daher und erzeugen bei den Eltern Angst. Herausgeber ist in beiden Fällen das Kultusministerium. Mit Kultur haben diese beiden Pamphlete nichts mehr zu tun, schon gar nicht mit einer Kultur des Umgangs, Herr Staatssekretär, die Sie vorhin angemahnt haben. Diese hätte ich mir gewünscht.

(Beifall bei der SPD)

Mit diesen geistigen Ergüssen ist das bayerische Kultusministerium auf einem Tiefstand angekommen. Damit haben Sie nur eine Regung in mir herausgefordert, die ich Ihnen nicht verheimlichen will: Ich habe Mitleid mit Ihnen.

(Beifall bei der SPD – Unruhe)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Spaenle. Ich möchte ein bisschen an Ihre Disziplin appellieren, meine Damen und Herren, und Sie bitten, etwas mehr Ruhe zu halten. Das gilt für das gesamte Haus.

Bitte, Herr Kollege Spaenle.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon oft Auftritte im cabaret-reifen Status erlebt.

(Irlinger (SPD): Kabarett! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie haben das erste tausendäugige Krokodil erfunden. Sie weinen heute Krokodilstränen der christlichen Unschuld, gerieren sich als die schulpolitische Jungfrau, aber im Land draußen holzen die Kollegen der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass man meint, an den bayerischen Schulen gäbe es einen neuen Windbruch.

Der BLLV und die Kollegen aus der Landtagsfraktion ziehen seit Monaten ungeniert landauf landab, besuchen Einrichtungen, egal ob es sich um Kindergärten, Schulen oder Altersheime handelt, und – ich formuliere vorsichtig – desinformieren ganz gezielt zu jeder Gelegenheit, bei jedem Kinder- oder Schulfest über die Nachteile der Bildungsreform.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Sogar in Altersheimen!)

Sich hinzustellen und die Chuzpe zu haben, – das ist hebräisch, vorher habe ich ein englisches Wort benutzt – der Staatsregierung zu unterstellen, sie würde Fehler, die an allen Schulen auftreten können, nicht konsequent verfolgen und ahnden – ich verweise auf die ausführlichen Darlegungen im Bildungsauschuss in den vergangenen Wochen –, spricht dafür, dass Sie ein „gescheites Muffensausen“ haben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Wahnschaffe?

Nein, ich will Ihnen meine Ausführungen zur Gänze zu Teil werden lassen.

Wenn man sieht, wie wieder einmal Reden und Handeln auseinanderklaffen, dann muss man dorthin schauen, wo Rot-Grün regiert. Das ist die Landeshauptstadt München. Herr Staatssekretär Freller hat das Beispiel dankenswerter Weise schon genannt. Die Landeshauptstadt München ist der größte kommunale Schulträger in Bayern. Sie ist deshalb nicht nur Sachaufwandsträger, sondern für die größte Zahl der Münchner Realschulen und eine Reihe anderer Schulen verantwortlich. Der Schulträger Landeshauptstadt München hat sich als einzige Kommune in Bayern dem Volksbegehren als Unterstützer angeschlossen, was in allen Publikationen ausgewiesen ist.

Alleine das ist ein sehr eigenartiges Amtsverständnis, wie es zwischen den Aufgaben eines Schulträgers und einer politischen Meinungsbildung in einer Kommunen differenziert werden sollte.

Interessant wird es aber erst, wenn man die Öffentlichkeitsarbeit der Landeshauptstadt München mit diesem Verhalten vergleicht. Die Landeshauptstadt München, die als Schulträger der städtischen Realschulen auf die ordentliche Durchführung der schulpolitischen Entscheidungen setzen sollte,

(Maget (SPD): Der Freistaat ist doch auch Schulträger!)

tut nichts anderes, als in ihren öffentlichen Publikationen eine einseitige – das ist untertrieben –, eine einförmige, nur auf die entsprechenden Ziele und Vorstellungen des Schulvolksbegehrens ausgerichtete Information in allen offiziellen Informationsmöglichkeiten der Landeshauptstadt zu verbreiten.

(Frau Radermacher (SPD): Lassen die das über die Kinder verteilen?)

Würden Sie eine entsprechende Handlung der Staatsregierung auch nur annähernd in einem Punkt aufweisen können,

(Zuruf der Frau Abgeordneten Münzel (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

würde ich Ihnen das Recht zusprechen, eine solche Trauerveranstaltung, wie Sie sie hier zu inszenieren versucht haben, durchzuführen. Angesichts dieses eindeutigen Beispiels sind alle heutigen Ausführungen im Zusammenhang mit dem Volksbegehren eindeutig als Schaumschlägerei zu qualifizieren.

(Beifall bei der CSU)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Dr. Hahnzog das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Heckel (CSU): Bis jetzt passt alles!)

Herr Freller, im Schulsprachgebrauch kann nur gesagt werden: Thema verfehlt.

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht um die Frage, ob Sie „Schule aktuell“ produzieren und vertreiben können. Das Entscheidende ist, ob die Publikation in den Schulen über das staatliche Personal verteilt wird.

(Frau Radermacher (SPD): Und über die Kinder!)

Ich wünsche Ihnen viel Spaß, wenn Sie sich mit den Worten, mit denen Sie uns bedacht haben, in Ihrem Heimatort Schwabach an die Straßenecke stellen und „Schule aktuell“ verteilen. Das sei Ihnen unbenommen. Wenn die „Schule aktuell“ aber an die Schulen kommt und – wie wir heute lesen konnten – den Schulleitungen mit einer schriftlichen Weisung gedroht wird, sollten sie diese nicht weiterverteilen, kommen wir an den Kern der Geschichte. Das war die Geschäftslage für den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport. Er sagte, dass keine einseitigen Darstellungen stattfinden sollen. Die tollste Interpretation hat Herr Knauer gebracht. Er meinte, dass bei dem Beschluss nur Verbände gemeint waren, nicht aber die Staatsregierung. Als ob die Staatsregierung – von Gottes Gnaden – keine einseitigen Äußerungen von sich geben könnte; habe man dies nicht beschlossen. So etwas darf nicht wahr sein.

Nun komme ich zur Aussage von Herrn Dr. Spaenle.

(Wahnschaffe (SPD): Hat der etwas gesagt?)

Anlässlich früherer Volksbegehren – etwa beim „Besseren Müllkonzept“ – gab es organisierte Aktionen von Gemeinden und Landkreisen. Der Landrat lud sämtliche Bürgermeister zu einer Dienstbesprechung in das Landratsamt. Dann wurden die Vor- und Nachteile des Volksbegehrens festgestellt und die Runde kam zu der Auffassung, man wolle nicht, dass sich das Volksbegehren durchsetze. Der Zufall wollte es, dass aus der sonst internen Besprechung etwas für die Presse wurde. Der Verfassungsgerichtshof hat die Äußerung der Kommunen, als einer betroffenen Ebene, als möglich angesehen. Hier gilt es anders. Deshalb habe ich den Entscheidungsband des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs hier. Es gelte nicht wie bei Wahlen das Neutralitätsgebot, aber es gelte das Objektivitätsgebot. Das wird beim jetzigen Volksbegehren begrenzt.

Zeigen Sie mir doch, wo in der Publikation in München das Objektivitätsgebot verletzt worden sein soll. Die Darstellung ist fast langweilig. Die Stadt hat nicht sehr emotional argumentiert. Man könnte das unter publizistischen Gesichtspunkten sehr viel besser machen. Der Verfassungsgerichtshof sagt, es sei unzulässig, wenn die Regierung gleichsam neben den beteiligten Gruppen wie einer von ihnen in den Abstimmungskampf eingreife. Hier liegt die Grenze. Herr Knauer, Sie haben begründet, dass die Staatsregierung das dürfe, weil die Initiatoren des Volksbegehrens dies auch machten. Sie haben die Grenzziehung verkannt. Die Staatsregierung kann informieren. Sie kann sich aber nicht wie ein Antragsgegner des Volksbegehrens gebärden.

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Entscheidung wird sehr konkret ausgeführt, was geht und was nicht geht. Es geht eben nicht, dass sich eine Aneinanderreihung von plakativen Äußerungen ergibt. Es wurde schon etliches zitiert, was im „Schule aktuell“ steht. Man muss sich nur die Überschriften – für einen Leser das Entscheidende – Revue passieren lassen. Das sind nichts anderes als plakative Anordnungen. Ich gebe Ihnen zu, Herr Knauer, dass das Beurteilungssache ist. Deshalb haben wir nicht beim Verfassungsgerichtshof geklagt und haben ihn nicht mit einstweiligen Anordnungen belästigt. Ihre Ansicht ist aber von Grund auf falsch, weil Sie meinen, Sie könnten genauso agieren wie die Betreiber des Volksbegehrens.

Da es sich um einen Grenzfall handelt, sollte sich das Parlament einig werden. Der Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport hat das gemacht. Das war die Grenzziehung. Es ist sonnenklar, dass die Einseitigkeit nicht gegeben ist. Sie sollten sich nicht der politischen Auseinandersetzung und dem Parlamentswillen entziehen, indem Sie Verfassungsgerichtshofentscheidungen interpretieren. Ich weiß, dass das für Sie als Nichtjuristen schwierig ist. Ich habe es etwas leichter, weil ich damals Prozessbeteiligter war.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Eykmann (CSU))