Protokoll der Sitzung vom 17.02.2000

(Beifall bei der CSU)

Das Thema ist auch nicht mit einer einzigen Debatte im Bundestag und auch nicht mit einer einzigen Debatte, in welchem Rahmen auch immer, im Bayerischen Landtag erledigt.

Meines Erachtens besteht für uns gerade als unmittelbare Nachbarn zu Österreich die noch viel größere Notwendigkeit, auch über die Entscheidung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Regierungen der Europäischen Union zu diskutieren. Das erwarten die Menschen in Bayern. Über 80% sind nämlich gegen die Haltung der Bundesregierung.

(Beifall bei der CSU)

Erlauben Sie mir auch eine Anmerkung zu den Vorwürfen, die dieses Haus immer wieder und seit Jahren, jetzt vielleicht etwas schwächer, durchziehen: Die Bayerische Staatsregierung, die CSU hätte eine besonders europakritische oder gar europafeindliche Haltung. Das ist mit Verlaub eine völlige Fehleinschätzung. Ich glaube, dass sich keine Partei, das vermisse ich auch bei Ihnen, so ernsthaft mit der Entwicklung Europas, den Zuständigkeiten und den Strukturen auseinander setzt. Nicht alles, was in Europa ein Problem ist, kann und soll durch Europa geklärt werden. Die Zuständigkeiten müssen abgegrenzt werden.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Da sind wir uns einig!)

Bislang haben wir kaum Unterstützung.

(Beifall bei der CSU)

Die Bundesregierung versagt bei der notwendigen Abgrenzung der Zuständigkeiten völlig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung will in der kommenden Regierungskonferenz in Nizza nur über die so genannten Left-overs, also über die Überbleibsel sprechen. Wir haben einen guten Anteil daran, dass es heute die einheitliche Meinung aller Ministerpräsidenten in Deutschland ist, wonach künftig die Kompetenzabgrenzung zwischen Mitgliedstaaten, Europäischer Union und den Regionen klarer gezogen werden muss. Dies ist aber auf unseren Einfluss zurückzuführen. Sie haben unsere Forderungen nach Kompetenzabgrenzung lange als europafeindlich diskriminiert.

(Beifall bei der CSU)

Da haben Sie sich selbst einen Tort angetan; denn wir brauchen Klarheit über die Zuständigkeiten.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Renate Schmidt (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auf Folgendes aufmerksam machen, was auch interessant ist. Solange der Bundeskanzler Ministerpräsident war, war er mit mir einer Meinung, dass wir schon im Interesse der Länder in Deutschland eine Kompetenzabgrenzung erreichen müssten. Heute als Bundeskanzler weigert er sich, diese Fragen neben den Left-overs auf die Tagesordnung zu setzen mit dem Hinweis, das könne letzten Endes nicht durchgesetzt werden, es gehe jetzt um andere Fragen, wie zum Beispiel: Mehrheitsentscheidungen in der Kommission, wie sollen Mehrheitsentscheidungen gerechnet werden, wie groß soll die Kommission sein.

Dies sind alles wichtige Fragen, aber diese Fragen sind nicht allein entscheidend für die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Es muss eine Kompetenzabgrenzung geben; man muss sich klar werden: Was ist die Aufgabe auf der europäischen Ebene, was ist die Aufgabe der Mitgliedstaaten und was ist die Aufgabe der Länder in Deutschland, der Regionen und der Kommunen. Andernfalls schädigen Sie die Demokratie, meine sehr verehrten Damen und Herren, da die Menschen Entscheidungen akzeptieren müssen, die sie in keiner Weise in irgendeiner Form beeinflussen können.

Die gesamte Dramatik sehen Sie alleine an der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes. Dabei geht es um die Frage, ob eine Verfassungsbestimmung Deutschlands, der Artikel 12 a des Grundgesetzes, im Prinzip allein durch eine Richtlinie, die im Jahre 1990 oder 1991 beschlossen worden ist und die die Gleichheit von Mann und Frau im Bereich des Arbeitslebens zum Inhalt hat, ausgehebelt werden kann, ohne eine Änderung durch die Parlamente vorzunehmen. Die Gleichheit von Mann und Frau im Bereich des Arbeitslebens ist eine Selbstverständlichkeit. Die Verfassungsbestimmung, dass Frauen nicht generell Zugang zur Bundeswehr haben sollen, ist nur aus der geschichtlichen Entwicklung zu verstehen. Dies ist eine zutiefst nationale, aus unserer Geschichte zu beurteilende Frage, und diese muss auch weiterhin in unserer Kompetenz liegen.

(Beifall bei der CSU und der Frau Abgeordneten Renate Schmidt (SPD))

Kein Mensch hat sich aber darüber aufgeregt. Meine Damen und Herren, es mag sein, dass Sie hier Beifall klatschen. Ich habe aber keine einzige Stellungnahme von Seiten der Bundesregierung, des Bundeskanzlers gehört, dass dies ein Übergriff ist, der so nicht weiter hingenommen werden kann,

(Beifall bei der CSU)

da sonst letzten Endes auch die europäische Integration Schaden leidet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind jetzt mitten in der Diskussion. Herr Scherf ist gegenwärtig Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Er hatte vor einigen Tagen sein Damaskus-Erlebnis, als er mit

Herrn Stolpe, Herrn Hoeppner und auch Herrn Müller aus dem Saarland bei Herrn Monti war. Letzten Endes wurde ihnen bedeutet, dass sie in der Frage der Landesbanken und der Sparkassen überhaupt nichts zu sagen hätten. Dies hat Herrn Scherf dazu veranlasst, im Bundesrat eine für mich beachtenswerte Rede zu halten, in der er zum Ausdruck gebracht hat, dass er künftig der Osterweiterung nicht zustimmen werde, wenn jetzt nicht die Kompetenzabgrenzung erfolge. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind Entwicklungen, die in Deutschland gerade von diesem Hause aus eingeleitet worden sind. Ich bedanke mich ganz besonders bei der CSU-Fraktion. Wir als eine der wenigen haben diese Frage in den letzten Jahren in der öffentlichen Diskussion sehr stark problematisiert.

(Beifall bei der CSU)

Europa steht am Scheideweg. Wir haben einen beispiellosen Vorgang in der Geschichte Europas zu bewerten. Unter maßgeblicher Mitwirkung der Bundesregierung haben 14 europäische Regierungen versucht, nach einer demokratischen Wahl auf die Regierungsbildung in einem Mitgliedsland der Europäischen Union massiv einzuwirken. Und nicht genug damit: Sie drohen mit Sanktionen; sie beginnen diese zu vollziehen, weil sich Österreich dem Druck nicht beugt.

Ich begrüße es, dass in der Zwischenzeit – Kollege Glück hat einige Stimmen zitiert; das hatte man auch gestern in der Bundestagsdebatte gespürt – ein Stück Nachdenklichkeit auch bei vielen eingezogen ist, die das Vorgehen der Europäischen Union ursprünglich kritiklos akzeptiert haben. Ich respektiere auch, dass sich in der Zwischenzeit der Vizepräsident des Europaparlaments, Ihr Kollege Gerhard Schmid, von dieser Isolation Österreichs distanziert und sie in der SPD-Presseerklärung vom 1. Februar als absolut überzogen bezeichnet. Wir stimmen mit dieser Beurteilung völlig überein.

Ich möchte das unterstreichen, was Kollege Glück gerade gesagt hat: Bisher ging es nur um das Eingreifen in Regierungshandeln. Im Falle Österreichs hat der Ministerrat zwar nicht formell, aber im Prinzip materiell gehandelt; denn alle 14 Länder außer Österreich haben sich unter Federführung der Franzosen und im besonderen Maße der Deutschen abgestimmt, so vorzugehen. Dabei ging es nicht mehr um Regierungshandeln, dass also von Seiten der europäischen Ebene irgendein Handeln einer Regierung kritisiert wird, das nicht mit den europäischen Verträgen in Übereinstimmung zu bringen wäre. Das erste Mal – deswegen ist es so wichtig – ist nicht auf ein Regierungshandeln, sondern auf den demokratischen Willensbildungsprozess in einem Land von Seiten der europäischen Regierungen mit Sanktionen massiv Einfluss genommen worden. Herr Prodi sagt auch: Dies sei ein Präzedenzfall; künftig würden im Prinzip viele andere Fälle genauso gehandhabt werden. Da muss man fragen: Kann man Europa eine solche Kompetenz zumessen, in die Souveränität und damit in die demokratische Willensbildung eines Landes einzugreifen?

(Beifall bei der CSU)

Damit gefährdet man den demokratischen Prozess in Europa. Darum geht es.

(Beifall bei der CSU)

Dem begegnet der Bundeskanzler – auch Sie haben das heute getan – in seinem gestrigen Interview in der „Zeit“, das in der heutigen Ausgabe veröffentlicht wird, indem er versucht, die Kritik am Verhalten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union respektive der Regierungen, im besonderen Maße die Kritik am Verhalten der Bundesregierung damit zu beantworten, dass er die Kritiker des Verhaltens der Bundesregierung mit Haider gleichsetzt.

Es geht mir hier nicht um eine innerösterreichische Diskussion. Eine solche lasse ich nicht zu, jedenfalls nicht in dieser Debatte.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Die wird aber stattfinden!)

Sie können eine solche führen. Die innenpolitische Diskussion in Österreich ist die eine Seite, die Bedeutung für Europa die andere.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich lasse mir schon etwas eingehen, aber Sie zwingen mich auch, mit Herrn Holter zusammenzuarbeiten, einem ausgewiesenen SED-Funktionär, der nun leider einmal stellvertretender Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern ist; und deshalb haben Sie überhaupt kein Recht, mir irgendwelche Vorwürfe zu machen.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte hier Missverständnisse vermeiden. Für mich und für die gesamte Bayerische Staatsregierung steht fest, dass sich Herr Haider mit völlig unakzeptablen Äußerungen – Sie haben eben einige wenige zitiert – absolut disqualifiziert hat. Das wiederhole ich hier ausdrücklich; ich habe dies auch schon mehrfach gesagt, sowohl beim Empfang des Bundespräsidenten der Republik Österreich als auch in vielen anderen Stellungnahmen und auch gestern im Deutschen Bundestag. Für Haiders Entgleisungen gibt es keine Entschuldigung.

Ich möchte auch hier noch einmal deutlich sagen, dass ich in meine Kritik an den Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Staat Israel ausdrücklich nicht einbeziehe. Ich habe großes Verständnis dafür, dass sich Opfer des Nationalsozialismus von den Äußerungen des Landeshauptmanns von Kärnten getroffen fühlen. Die Sorgen und die Gefühle der Menschen, die ganz besonders unter dem Nationalsozialismus gelitten haben und die Sorgen und Gefühle der Menschen in Israel müssen wir sehr ernst nehmen. Das ist eine Sondersituation, auf die ich hier noch einmal hinweisen möchte.

Eine andere Frage ist es aber, ob sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union so verhalten dürfen. Wir haben in Österreich eine schwierige Situation. Es gibt dort eine rechtsradikale Partei, die nicht nur 3, 4 oder 5% – in Demokratien ist so etwas nun einmal leider hinzunehmen –, sondern in der Zwischenzeit über 27% der

Stimmen hat. Wenn man die Partei wirklich bekämpfen will, muss man sich fragen, warum sie so viel Prozent erreicht hat. Diese Frage beantworten Sie aber nicht.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Dann müssen Sie aber auch nicht zur Koalition raten!)

Was würden Sie denn machen, wenn diese Partei bei der nächsten Wahl nicht nur 27%, sondern 35% oder – Gott möge es verhüten – noch mehr bekommt? Es ist Aufgabe aller, darüber nachzudenken, wie man diese Situation bereinigen kann. Wir können sie aber nicht dadurch bereinigen, dass wir ein ganzes Land und damit auch 70% der Bürgerinnen und Bürger, die nichts mit der FPÖ zu tun haben, in den Senkel stellen.

(Beifall bei der CSU – Frau Renate Schmidt (SPD): Das macht doch niemand!)

Es ist geradezu lächerlich, wenn man den Leuten nicht mehr die Hand gibt oder wenn man zu spät kommt, damit es kein gemeinsames Bild mehr gibt.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Stimmt doch gar nicht!)

Meine Damen und Herren, was ist denn das für ein lächerliches Europa?

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Seien Sie mir nicht böse. Wenn sich die Bundesregierung – der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister – als moralische Großmacht geriert und aufspielt, muss ich mich auch fragen, wo denn die Stellungnahme der Bundesregierung im Europarat gegen das Mitglied Russland im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien bleibt. Keine Stellungnahme ist erfolgt, nichts wird gemacht.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Meine Damen, meine Herren, mich ärgert diese enorme Heuchelei.

(Beifall bei der CSU)

Ein Land, das die Deutschen besser als alle anderen kennen, stellt man in ein diplomatisches Abseits. Die Menschen in Kufstein, in Innsbruck, in Salzburg oder in Wien verstehen dieses Verhalten nicht mehr, denn Österreich ist ein Land inmitten Europas, und es hat eine lange demokratische Tradition. Die Leute in Kufstein und in Salzburg verstehen nicht mehr, dass Herr Prodi einerseits maßvolle Sanktionen gegen Österreich ergreift, andererseits aber Herrn Gaddafi einlädt und ihm die Hand geben möchte. Das verstehen die Menschen in Österreich nicht mehr. Das passt doch auch nicht zusammen.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)