Protokoll der Sitzung vom 17.02.2000

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Ich möchte hier zwei Zitate von Theo Sommer, dem Mitherausgeber der „Zeit“ erwähnen. Sommer stimmt wirklich nur in den seltensten Fällen mit den Positionen der

CSU überein. Er ist bestimmt kein Parteigänger der CSU. Ich will ihn überhaupt keiner Partei zuordnen, aber er ist nun einmal eine gewisse Autorität in Deutschland, egal ob man seine Meinung teilt oder nicht. Theo Sommer schreibt in der „Zeit“ vom 10. Februar: „Da wird ein Land gelyncht nach dem Prinzip: Vollstreckung auf Verdacht, Beweise werden sich schon finden.“

(Wahnschaffe (SPD): „Gelyncht“ ist schon ein schlimmes Wort!)

Ich wiederhole noch einmal meine Vorwürfe: Dem Boykott gegen Österreich fehlt jede rechtliche Grundlage. Das Verfahren erfüllt nicht einmal die Minimalforderungen rechtsstaatlicher Grundsätze, weil der Betroffene ohne jegliche Anhörung vorverurteilt worden ist. In eklatanter Weise wird das Selbstbestimmungsrecht eines souveränen Mitgliedstaates der Europäischen Union verletzt. Theo Sommer hat dies mit einer außerordentlich wuchtigen Formulierung auf den Punkt gebracht – er schreibt:

Soll so ein europäisches Wertebwusstsein entstehen? Eher wächst nun wohl die Furcht, dass in Europa künftig eine Art umgekehrter BreschnewDoktrin gelten soll.

Der Mitherausgeber der „Zeit“ formuliert damit in zugespitzter Form die Befürchtungen insbesondere der jungen Demokratien im Osten. Den Polen, den Tschechen, den Slowaken, den Rumänen und den Ungarn ist die Beschränkung der Souveränität in den Jahren und Jahrzehnten vor 1989 noch in sehr schmerzlicher Erinnerung. Wenn ihnen heute in abgeänderter Form deutlich gemacht wird, dass sie bestimmte Entscheidungen nicht treffen dürften, kann ich nur sagen, dass das gemeinsame Europa mit der Souveränität gerade der kleineren Staaten sehr sensibel umgehen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Ganz anders wäre es gewesen, wenn das, was in Österreich passiert ist, in Frankreich, in Italien oder in Großbritannien passiert wäre, also in einem Land mit 60 Millionen oder noch mehr Einwohnern. Alois Glück hat bereits an 1994 erinnert, als Berlusconi mit den Neofaschisten und vor allem mit Herrn Fini eine Koalition eingegangen ist. Wo ist denn da, bei einem großen Land, der Protest geblieben? Die Neofaschisten haben in Italien eine lange Tradition, auch wenn sie in bestimmten Bereichen verbal mit dem Duce gebrochen haben. Der Kern dieser Partei ist aber erhalten geblieben. Mit den Neofaschisten ist eine Koalition eingegangen worden, und keine Reaktion der Europäischen Union gab es damals. Gegen ein kleines Land wird etwas unternommen.

(Schläger (SPD): Und wer war damals an der Regierung?!)

Meine Damen, meine Herren, eine letzte Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang machen möchte. Sie tun mit Ihren Vorwürfen Bundeskanzler Schüssel Unrecht, der wie kein anderer leidenschaftlich dafür eingetreten ist, dass Österreich in die Europäische Union aufgenommen wurde.

Im Gegensatz zu Deutschland müssen in Österreich Entscheidungen im Zusammenhang mit Europa dem Volk vorgelegt werden.

Wie Sie alle selber wissen, stand die Volksabstimmung in Österreich, obwohl die SPÖ und die ÖVP mehrheitlich dafür waren, lange Zeit auf der Kippe. Herr Schüssel hat sich als damaliger Wirtschaftsminister und anschließender Vorsitzender der ÖVP außerordentlich hinausgelehnt. Sein demokratisches, europäisches Bewusstsein hat er als Außenminister dieses Landes nun wirklich unter Beweis gestellt. Ich sage Ihnen auch, Sie tun gerade diesen Kräften einen enormen Tort an, wenn Sie ausgewiesen europabewusste Politiker wie Schüssel in dieser Weise diskreditieren. Dort gibt es natürlich auch einen Kern von massiven Antieuropäern.

(Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist doch Unsinn. Sie sind gar nicht mehr in der Lage, differenziert über dieses Thema zu denken. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CSU)

Ich hätte dies nicht gebracht, aber Sie reizen mich dazu. Es ist doch geradezu absoluter Irrsinn. Der jetzt abgetretene Vorsitzende der SPÖ und frühere Bundeskanzler Klima hat doch bei Herrn Haider um eine entsprechende Tolerierung gebuhlt.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Es waren die Angebote bei einer entsprechender Tolerierung. Fragen Sie doch einmal bei Präsident Klestil nach, der sich auch in diese Debatte eingeschaltet hat.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Renate Schmidt (SPD))

Ich halte es für unverantwortlich, diese Frage und diesen Tatbestand zu übergehen, dass die SPÖ bereit gewesen ist, eine Minderheitenregierung unter der FPÖ und von Herrn Haider zu tolerieren. Darüber sind Gespräche geführt worden. Ich habe keinerlei Reaktion auf europäischer Ebene gespürt. Niemand von Ihnen hat hier Kritik geübt.

(Beifall bei der CSU)

Deswegen bleiben wir dabei: Dies ist eine verhängnisvolle Entscheidung der europäischen Ebene und der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ich sage Ihnen voraus, dass diese Haltung der europäischen Ebene nicht durchgehalten werden wird. Herr Kollege Glück hat bereits darauf hingewiesen, dass in Dänemark diese Position schon sehr brüchig ist und dass es im Europaausschuss des dänischen Parlaments große Auseinandersetzungen gegeben hat. Ich sage Ihnen voraus, dass genau diese Frage die Engländer von Europa weiter weg treibt, weil es die Engländer, die sowieso ein eigenes Bewusstsein haben, niemals akzeptieren, dass in ihre Willensbildung in Großbritannien von Seiten Frankreichs, Deutschlands und Italiens eingegriffen wird. Wer

dies akzeptiert, vertreibt andere Länder aus diesem Europa, und das können wir nicht wollen.

(Beifall bei der CSU)

Ich kann nur hoffen, dass diese eigenartige Isolation eines kleinen, aber für Europa bedeutenden Landes möglichst bald aufhört.

Wien ist Kernbestand Europas. Wien ist auch Teil der europäischen Geschichte, Teil des Ringens um Demokratie und um ein freiheitliches Europa. Wien hat es nicht verdient, dass Berlin in dieser Weise mit ihm umgeht. Berlin sollte sich aufgrund seiner Geografie dreimal überlegen, wie es mit Wien und mit den Österreichern umgeht. Wir in Bayern werden diese Position der jetzigen Bundesregierung niemals akzeptieren und im Rahmen unserer Zuständigkeiten alles tun, die guten Beziehungen zu den Ländern und zu Österreich als Nachbarn zu halten. Daran lassen wir uns von der Bundesregierung in keiner Weise hindern. Das ist das Selbstbewusstsein unseres Landes.

(Anhaltender Beifall der CSU)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident Dr. Stoiber hat 26 Minuten gesprochen. Dies bedeutet, dass jede Fraktion das Recht hat, noch einen Redner zu benennen. Als nächstem Redner erteile ich Herrn Maget das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben für diese Diskussion, die für unser Land und unsere Politik von Bedeutung ist, die Form der Aktuellen Stunde gewählt. Dieses bedeutet, dass man auf eine differenzierte Argumentation von Ministerpräsident Dr. Stoiber die Chance bekommt, in fünf Minuten zu antworten. Dies ist eine gewünschte Form der politischen Auseinandersetzung. Ich weise darauf hin, dass wir diese Diskussion bereits am 1. Februar in diesem Hause durch uns begonnen haben. Ich habe von dieser Stelle aus über Sanktionen und ihre Bedeutung, über ihren Sinn und Unsinn gesprochen. Leider haben Sie sich an dieser Diskussion, als Zeit gewesen wäre, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, nicht beteiligt, wie Sie dem Protokoll entnehmen können. Deswegen konzentriere ich mich in den verbleibenden viereinhalb Minuten auf die wichtigen Punkte. Zur Gemeinsamkeit Europas gehört, dass man eine gemeinsame Wertevorstellung hat.

(Beifall bei der SPD)

Man muss sich aber zu den gemeinsamen Grundwerten nicht nur bekennen, sondern sie auch verteidigen.

(Zuruf von der CSU)

Dieses lehrt zum Beispiel die deutsche Geschichte. Ein Vergleich Haiders mit Hitler ist unangebracht. Herr Schüssel ist auch nicht Herr Papen, aber ein Kanzler namens Haider in Österreich wäre eine Katastrophe für Europa; darüber sind wir uns doch hoffentlich einig. Das entscheidende Problem an dieser Diskussion ist, dass

Haider bereits der heimliche Kanzler ist, und das mit Ihrem Zutun.

(Beifall bei der SPD)

Sagen Sie doch nicht, die von den europäischen Mitgliedstaaten beschlossenen Maßnahmen seien eine Verschwörung der sozialistischen Internationale. Seit wann gehören die Herren Aznar und Chirac zu dieser Vereinigung? Es ist ein gemeinsames Vorgehen der europäischen Staaten gegenüber einer Regierung – die unser höchstes Misstrauen verdient – nicht gegenüber einem Land, wie Sie hier wieder betont haben, und schon gar nicht gegenüber einem Volk, sondern gegenüber einer Regierung.

(Hofmann (CSU): Die Österreicher verstehen es aber so!)

Ich hätte mir wenigstens ein einziges Wort des Misstrauens oder der Einschätzung in der Problematik dieser neuen Koalitionsregierung in Österreich durch Sie, Herr Ministerpräsident, gewünscht. Was haben wir von einer Regierung zu halten, der der eigene konservative Staatspräsident Klestil eine Erklärung über Selbstverständlichkeiten zu Menschenrechten abverlangen muss, weil er ihr selber nicht traut. Der konservative österreichische Präsident traut der eigenen Regierung nicht über den Weg und verlangt ihr eine Unterschrift ab, dass sie die Menschenrechte einhalten und zu den EU-Verträgen stehen werden.

(Beifall bei der SPD)

Was haben wir von einer solchen Regierung zu halten? Ich finde, es wäre die Aufgabe des bayerischen Ministerpräsidenten gewesen, in der Zeit, in der es in Österreich eine schwierige Regierungsbildung gab, an seinen Freund Schüssel ein deutliches Wort zu richten und zu übermitteln, dass keine Regierungsbeteiligung der FPÖ gewünscht wird.

Das wäre Ihre Aufgabe gewesen, Herr Stoiber. Sie haben aber das Gegenteil getan. Sie haben die Regierungsbeteiligung der FPÖ herbeigewünscht, Sie haben zugeraten und damit dieser für Europa verhängnisvollen Koalition den Weg geebnet, statt Druck auf Schüssel auszuüben. Damit stehen Sie in der Tradition Ihrer Partei.

(Beifall bei der SPD)

1990/91 haben Sie Herrn Haider als Hoffnungsträger bezeichnet. Herr Streibl hat gesagt, Haider würde gut in die CSU passen – oder war es Herr Gauweiler, der dies gesagt hat? Auf jeden Fall stand es im „Münchner Merkur“.

Die Münchener CSU hat Ihren jüngsten Kurswechsel nicht rechtzeitig mitbekommen und vorgeschlagen, Herrn Haider nach München zu einer politischen Diskussion einzuladen. Herr Goppel verbreitet die These, dass der Vorschlag von Herrn Stoiber, eine Beteiligung der FPÖ an der Regierung in Österreich zu unterstützen,

aufgrund eines Anrufs der ÖVP aus Österreich zu Stande gekommen sei.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Goppel (CSU))

Warum machen Sie sich denn zum Befehlsempfänger oder Briefträger von Herrn Schüssel, der als Diplomat hätte wissen müssen, was er über sein – –

(Dr. Goppel (CSU): Ein übler Verleumder sind Sie!)

– Herr Kollege, solche Worte gibt es hier im Landtag nicht. Ich rüge Sie dafür.

(Beifall bei der SPD)