Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

(Beifall bei der SPD)

Wer war es denn, der Ihnen Jahr für Jahr aufgezeigt hat, was in der bayerischen Bildungspolitik falsch läuft? Wer hat Ihnen gesagt, wo es notwendig ist, etwas zu tun? Sie haben unsere Initiativen immer abgelehnt. Wir aber haben viele Konzepte vorgelegt.

(Knauer (CSU): Was haben Sie bewirkt?)

Die Kunst der Politik wäre es doch gerade, rechtzeitig, glaubwürdig und vorausschauend das zu tun, was im Interesse derer, die an den Schulen sind, notwendig ist. Wir werden Ihnen heute noch einmal nachweisen, wie sehr Sie diesen Notwendigkeiten hinterherlaufen. Über die eigentlichen, die drängenden Probleme draußen an den Schulen, haben Sie, Herr Knauer, aber gar nichts gesagt.

(Knauer (CSU): Ich habe zum Erziehungs- und Unterrichtsgesetz gesprochen!)

Noch ein Wort zu unserer angeblichen Verweigerung. Wir haben die „Nicht-Mitberatung“ in den Ausschüssen deutlich begründet. Wir sehen es als in hohem Maße demokratisch an, wenn das Volk sagt: „Wir werden selbst über die Schulpolitik entscheiden.“ Wir haben Ihnen deshalb angeboten, die Diskussion im Landtag auszusetzen, solange das Volksbegehren lief. Das ist die Begründung, sie ist ehrenhaft und entspricht einer hohen demokratischen Tugend.

Nun noch etwas zu Ihren recht kurzen Ausführungen. Es sind doch Krokodilstränen, wenn Sie heute Frau Münzel und ihre Arbeit herausheben.

(Knauer (CSU): Sie arbeitet wirklich!)

Wenn Sie ihre Arbeit wirklich ernst nehmen würden, dann würden Sie den Inhalten des Gesetzentwurfs der Fraktion von Frau Münzel zustimmen; dann würden Sie Ja sagen zu dem, was in der Opposition passiert.

(Beifall bei der SPD)

Sie würden sie dann nicht so klein kariert und von oben herab loben, weil Sie glauben, dass Ihnen sowieso nichts passiert.

Unsere grundlegende Kritik an Ihrer Schulpolitik, über die wir heute abschließend beraten, bleibt bestehen. Wir kritisieren Ihre Schulpolitik, was Sie machen und Ihr Umkrempeln des Schulsystems. Wir haben das immer wieder deutlich gemacht. Seit 1992 arbeiten Sie an diesem Strukturveränderungsprozess. Dabei haben Sie sich nur auf eine Veränderung der Schulorganisation konzentriert. Das ist schulpolitisch falsch, unsinnig und finanziell unverantwortlich. Wir werden das noch verdeutlichen. Es ist ein Fehler, wenn Sie jetzt den Schwerpunkt auf die Schulorganisation legen. Alle die etwas von Schulpolitik verstehen, sagen, dass die Schulsystemdiskussion out ist. Meine Damen und Herren, die Inhalte, die innere Schulentwicklung, das sind die Themen, die wir diskutieren müssen.

(Beifall bei der SPD)

Man müsste sich vielmehr darum kümmern, wo der Schuh drückt und der drückt draußen an den Schulen, bei den Lehrerinnen und Lehrern, bei den Schülerinnen und Schülern.

Sie holen heute Ihre Ernte heim, so wie Sie diese auch verstehen. Sie haben sich auch entsprechend hier hingestellt. Ich werde aber noch deutlicher ausführen, dass bisher keines der drängenden schulpolitischen Probleme gelöst ist.

(Beifall bei der SPD)

Es ist keines der Probleme gelöst, vor denen die Lehrerinnen und Lehrer stehen, in die die Schülerinnen und Schüler eingezwängt sind.

Auch zu den jetzt im Erziehungs- und Unterrichtsgesetz verpflichtend formulierten Neuigkeiten und Veränderungen des Schulsystems bleiben unsere Fragen die gleichen wie bei der Ersten Lesung. Sie bleiben kritisch und bohrend. In diesem einen Jahr, in dem Sie weiter gegangen sind, ohne dass die Gesetzesgrundlage vorhanden war, hat sich unsere Skepsis bestätigt und verstärkt.

Die Grundfrage bleibt: Warum setzen Sie so stark auf die stringente Lenkung der Schülerströme, auf frühe Auslese und frühe Entscheidung in der Wahl der Schullaufbahn?

(Knauer (CSU): Sie erzählen lauter Märchen!)

Das ist die entscheidende Frage. Sie tun das, obwohl Sie wissen, dass dadurch Talente vergeudet werden, dass durch die frühe Entscheidung Menschen draußen vor der Tür bleiben und nicht in die ihrer Begabung entsprechende Schullaufbahn hineinkommen können, und obwohl Sie wissen, dass Sie durch Ihre Lenkung der Schülerströme – weg vom Gymnasium, auch nicht zu viele auf die Realschule – gegen die Zeichen der Zeit arbeiten. Die OECD hat Ihnen doch vorgerechnet, dass Deutschland insgesamt – und dabei ist Bayern vorne dran – viel zu wenige hohe und mittlere Schulqualifikationen vorweisen kann.

(Zuruf des Abgeordneten Knauer (CSU))

Deswegen ist doch die Debatte über die fehlenden Informatikfachkräfte entstanden. Sie müssten sich bei der Initiative für die „Green Card“ voll hinter Schröder stellen, weil Sie es in der Tat versäumt haben, durch eine normale Abiturientenquote für den Nachwuchs in diesem Bereich zu sorgen.

(Knauer (CSU): Wer hat denn die Hochschulplätze geschaffen? Das waren doch wir und nicht Sie! Das war wieder ein Eigentor! – Klinger (CSU): Irlinger versteht nichts!)

Nein, überhaupt nicht. Die Frage nach der Chancengleichheit ist für uns ebenfalls sehr wichtig. Für uns ist unannehmbar, dass nach der vierten Klasse die individuelle Schulkarriere praktisch endgültig festgelegt sein soll. Diese sehr frühe Selektion benachteiligt sehr viele Kinder, zum Beispiel die langsameren und zunächst sprach

lich ungewandteren. Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht hinnehmen.

Da die Sozialkompetenz eine Schlüsselqualifikation der Zukunft ist – das wird uns immer wieder bestätigt –, fragen wir Sie, warum Sie Schule jetzt so gestalten, dass sehr früh sozial selektiert wird, dass das Übungsfeld des Miteinander so früh, nämlich schon in der dritten und vierten Klasse, verlassen wird. Wir halten das für die Ausbildung der Sozialkompetenz als Schlüsselqualifikation der Zukunft für völlig kontraproduktiv.

(Knauer (CSU): Irlinger hat nichts gelernt!)

Die Reform der Realschule – R 6 – ist pädagogisch unsinnig und schulpolitisch völlig unverantwortlich. Sie haben eine weitere Reform mit der Differenzierung der Hauptschule beschrieben, zunächst durch die M-Schulen. Wir beobachten diesen Weg sehr kritisch, weil das ein für Sie sehr typisches Verfahren ist, nämlich solche Schulen zentral an großen Orten, in großen Schulzentren zu installieren.

(Willi Müller (CSU): Absolut falsch!)

Mit dieser Konzeption nehmen Sie den kleineren Schulen Schüler weg und schaffen wieder zunehmend Schulbustourismus, was es für die Kommunen teurer macht, wodurch mehr Kinder in Bussen sitzen müssen und was pädagogisch nichts bringt.

(Widerspruch des Abgeordneten Willi Müller (CSU))

Wir halten also auch an der M-Reform Kritik für angebracht.

Nun zum Modell der Praxisklassen, das auch neu ist. Durch die bisherigen Ergebnisse sehen wir uns in der Meinung bestätigt, dass das letztlich eine Mogelpackung ist, weil Sie zum einen viel zu spät auf die Probleme und die Entwicklung dieser Schülerinnen und Schüler reagieren und ihnen zum anderen nicht die Ressourcen zur Verfügung stellen, die diese bräuchten. Wenn irgendwo 100000 DM zur Verfügung gestellt werden, beseitigt das die Probleme dieser Schülerinnen und Schüler nicht. Sie stellen diesen Klassen keine Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter zur Seite, damit sie wirklich pädagogisch sinnvoll arbeiten können.

(Zuruf des Abgeordneten Knauer (CSU))

Das ist schlicht und einfach ein Alibimodell, das wenig bringen wird. Der Ansatz, über das praktische Lernen an ein bestimmtes Schülerklientel heranzukommen, müsste für alle Hauptschülerinnen und Hauptschüler gelten. Sie kommen mit dem Praxisangebot erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Solche Maßnahmen müssen dann einsetzen, wenn unter den Schülerinnen und Schülern etwas beginnt. Was geschieht eigentlich mit den 90% der Hauptschülerinnen und Hauptschüler, die übrig bleiben, die weder in die M-Klassen noch in die Praxisklassen hineinkommen, wofür Sie jetzt wenigstens einige, wenn auch nicht viele Ressourcen zur Verfügung stellen? Was geschieht mit den Hauptschülerinnen und Hauptschülern, die in den konventionellen Klassen

zurückbleiben? Warum werden diese Klassen nicht gestärkt? Vielleicht ist zu befürchten, dass diese Klassen, diese Schüler geschwächt werden, dass die Qualität sinkt und der Quali von der Wirtschaft weniger akzeptiert wird, dass also eine Entwertung des Quali oder Quabi geschieht. Sie müssten endlich auch an diesen Teil der Schülerinnen und Schüler – den Hauptteil! – denken.

Was wird aus der wohnortnahen Schule?

(Knauer (CSU): Keine Regionalschule!)

Bei den Anmeldungen der Schüler im April und Mai wird sich zeigen, dass einzelne Teilhauptschulen gefährdet sind und dass einzelne Klassen nicht mehr gebildet werden können. Wir werden genau verfolgen, ob die flächendeckende wohnortnahe Schule erhalten bleiben wird.

Was spricht eigentlich dagegen – dazu haben Sie nichts gesagt, obwohl wir darüber diskutiert haben –, die Eltern stärker in den Schulentwicklungsprozess einzubinden? Sie scheuen es wie der Teufel das Weihwasser, den Eltern endlich die Konzepte und die Rechte zu geben, die ihnen zustehen. Wir meinen, dass wir die Eltern hier brauchen.

Sie haben im vergangenen Jahr Gräben aufgerissen und für starre Fronten gesorgt. Sie haben den Schulkampf erfunden und nicht auf ein schulartübergreifendes Bündnis für eine bessere Bildung gesetzt. Ich halte es für scheinheilig, jetzt den Dialog anzubieten. Das hätte viel, viel früher passieren müssen, damit die fundamentale Diskussion, was unsere Schulen wirklich nötig haben, rechtzeitig hätte entstehen können.

Eine unserer wichtigsten Fragen lautet: Warum wird eine halbe Milliarde DM verbraucht – das ist die offizielle Zahl –, die eigentlich für bessere Unterrichtsqualität, für eine bessere Schule eingesetzt werden müsste? In Ihren Änderungsgesetzen sprechen Sie im Grunde genommen nur von Struktur – das habe ich Ihnen schon vorgeworfen –, von R 6 und M. Wann sprechen Sie endlich einmal von Kindern, vom Recht der Kinder darauf, Kind zu sein und sich in der Schule, gerade in der Grundschule entwickeln zu können?

(Knauer (CSU): Weil Sie nicht zuhören. Das ist Ihr Problem, Herr Irlinger! Ich habe das gesagt!)

Die Ministerin, die jetzt wohl andere Verpflichtungen hat und nicht anwesend ist, und der Staatssekretär kennen die Kritik. Deshalb haben Sie rhetorisch immer so getan, als seien das Wesentliche nicht die R 6, die strukturellen Änderungen, sondern die innere Schulreform. So konnte man dann immer wieder Sätze hören oder, wie zum Beispiel gestern, in den Zeitungen lesen: Frau Hohlmeier hat geäußert, Schulen sollen sich von innen heraus reformieren. Wir brauchen eine neue Kultur des Lernens und Lehrens. Das Wissen soll nicht mehr eingepaukt, sondern von Schülern und Lehrern gleichberechtigt erarbeitet werden. Die innere Schulentwicklung in der Einzelschule sollte möglichst selbst von unten her vorangetrieben werden. Es sollte nicht mehr Frontalunterricht

vorherrschen, sondern selbstständige Arbeit im Team. Schulen brauchen mehr Gestaltungsfreiheit, und Eltern und Schüler sollen mitreden dürfen. Interne und externe Begutachtungen und regelmäßiges Evaluieren sollen die Regel werden. Die Eigeninitiative für Schulprofile vor Ort soll gestärkt werden.

So las man gestern von Frau Hohlmeier. Wenn man nicht wüsste, wer das gesagt hat, müsste man meinen, die Opposition im Bayerischen Landtag hat wieder einmal etwas veröffentlicht, hat ihre Forderungen beschrieben, die sie immer schon erhoben hat. Man darf aber nicht vergessen: Dies hat jemand gesagt, der stellvertretend seit vierzig Jahren die Schulpolitik in Bayern gestaltet, der jetzt deutlich macht, wo es überall fehlt und so tut, als ob es jetzt, heute auf den Tisch gekommen ist.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Stück Für-Dumm-Verkaufen, weil wir Ihnen nachweisen können, dass wir diese Themen seit 10 Jahren auf den Tisch legen – ich bin jetzt 10 Jahre als Schulpolitiker im Landtag. Sie sagen immer: Das ist nicht notwendig, oder es ist schon längst verwirklicht. Jetzt plötzlich wird dies als große Wichtigkeit herausgestellt. Ich sage Ihnen: Durch Ankündigungsreden, durch schulpolitische Rhetorik der Ministerin wird keine Unterrichtsstunde besser,

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN)

keine einzelne Schule selbstständiger, die Schulverwaltung nicht unbürokratischer und die Erziehungsressourcen nicht besser – im Gegenteil: Die Lage droht schlimmer zu werden, weil die Lehrer, auf die es bei der Schulreform doch ankommt, im Moment resignieren, da auf sie ständig eine Fülle von Erwartungen abgeladen wird, aber ihre eigenen Ressourcen, mit denen diese vor Ort in der Schule umgesetzt werden sollen, überhaupt nicht besser werden. Das ist die große Krisis vor Ort, wo Ihre Reformen keinen Boden bekommen.