Protokoll der Sitzung vom 12.07.2000

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Staatssekretär Schmid.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst vier Forderungen formulieren, die wir in diesem Hohen Hause und darüber hinaus gemeinsam unterschreiben sollten:

Erstens. Unangemeldete Kontrollen der Heimaufsicht und des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung sind unverzichtbar.

Zweitens. Wir brauchen mehr Personal in den Heimen. Deshalb ist der Personalschlüssel auf eine Fachkraft je 2,2 Heimbewohner zu verbessern.

Drittens. Wir müssen den Begriff der Pflegebedürftigkeit erweitern, damit die Situation der Demenz-Kranken wirklich verbessert wird.

Viertens. Die gesetzliche Krankenversicherung muss die Kosten der Behandlungspflege in den Pflegeheimen übernehmen, damit die Pflegeversicherung mehr Geld in den Heimen für Personal ausgeben kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dies sind gemeinsame Forderungen aller Fraktionen des Bayerischen Landtags. Wir sollten versuchen, diese Forderungen gemeinsam zu verwirklichen. Es stellt sich die Frage, ob diese Forderungen in den heute in der Diskussion stehenden Gesetzentwürfen der Bundesgesundheitsministerin enthalten sind oder nicht. Der Gesetzent

wurf soll doch gerade das Versprechen aus der Koalitionsvereinbarung, die Pflegequalität zu sichern und weiterzuentwickeln, umsetzen. Das war der Auftrag im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen.

Lassen Sie mich beschreiben, mit welchen Mitteln die Bundesregierung aus unserer Sicht in diesen Entwürfen versucht, eine Verbesserung der Pflegesituation zu erreichen:

Die Pflegekassen sollen in Zukunft mit den Heimträgern umfassende Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen abschließen. Hierbei soll der MDK die Heimträger beraten. Kontrolle soll nach den Vorstellungen der Bundesgesundheitsministerin nicht mehr vornehmlich vom MDK, sondern durch eigene Einrichtungen der Träger und durch die Heimaufsicht ausgeübt werden. Ich frage: Sollen die Pflegekassen in Zukunft die Verwendung ihrer Gelder nicht mehr überprüfen, wenn die Kompetenzen des MDK auf ein Minimum reduziert werden? Frau Kollegin Schopper, Sie haben gerade deutlich gemacht, dass eine Abstimmung zwischen diesen beiden Gesetzentwürfen notwendig ist, weil die jetzigen Formulierungen nicht ausreichen. Ich stelle die Frage: Soll in Zukunft die staatliche Heimaufsicht als Sachwalter der Pflegekassen auftreten? Das kann es wohl nicht sein. Ich meine, das bisherige System hat sich überzeugend dargestellt. Bei allen Problemen muss ich feststellen, dass dieses System zu dem geführt hat, was wir erreichen wollten.

Wer soll in Zukunft die Besetzung der Pflegestationen in der Nacht überprüfen, wenn die Heimaufsicht ohne Anlass eine solche Kontrolle nicht mehr vornehmen darf? Ich gehe davon aus, dass diese Gesetzentwürfe so aufeinander abgestimmt werden, dass ohne Ankündigung Kontrollen durchgeführt werden können, wie Sie das in Ihrer Rede angekündigt haben. Ich bin der Auffassung, wenn bereits erste Defizite in diesen Gesetzentwürfen erkennbar sind, sollten diese Entwürfe auf einen gleichen Maßstab gebracht und kompatibel gemacht werden, damit sie zusammenpassen. Wenn das in der Weise geschieht, wie Sie das soeben angekündigt haben, ist das in Ordnung. Allerdings sind Ihre Ankündigungen noch nicht in den Gesetzentwürfen fixiert. Deshalb habe ich mich ein bisschen darüber gewundert, dass beide Oppositionsfraktionen die Gesetzentwürfe der Bundesregierung begrüßt haben und anschließend erklärten, dass wir die Möglichkeit einer unangemeldeten Kontrolle bräuchten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sollten gleich Gesetze machen, die passen. Wir brauchen keine Gesetze, die sofort nachgebessert werden müssen.

Wir brauchen eine effektive Zusammenarbeit zwischen der Heimaufsicht und dem MDK. Das bayerische System hat sich auch in den vergangenen Jahren bewährt, aber dieses System – so sieht es der Gesetzentwurf nach seiner jetzigen Formulierung vor, soll nicht beibehalten werden. Wir müssen dann den Heimbewohnern und deren Angehörigen erklären, weshalb dieses funktionierende Kontrollsystem nicht beibehalten wird und warum dafür ein anderes System in Kraft treten soll.

Woraus besteht denn der weitere Kernbereich des Gesetzentwurfes von Frau Fischer? Ich habe vergeblich versucht, eine Stelle zu finden, aus der sich eine konkrete und rasche Verbesserung der Situation der Heimbewohner ablesen lässt.

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Werner?

Lassen Sie mich bitte noch einen Satz sagen.

Ich lese in den Entwürfen von bundesweiten Pflegeheimvergleichen, von der Aufstellung von bundesweiten Rahmenvorgaben für die abzuschließenden Qualitätsvereinbarungen, von bundesweit zu erarbeitenden Personalrichtwertvereinbarungen etc. Herr Kollege Werner, mit diesem Gesetz wird doch mehr Bürokratie geschaffen statt abgebaut. Deswegen meine ich, dass dieser Gesetzentwurf nicht dem Weg entspricht, den Bayern bisher verfolgt hat und der auch von Erfolg gekennzeichnet war.

Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, dass die §§ 15 und 20 des Heimgesetzes dem Medizinischen Dienst und der Heimaufsicht alle Möglichkeiten unangemeldeter Kontrollen offen lassen? Wenn das System der Heimaufsicht in Bayern so erfolgreich gewesen wäre, frage ich Sie, warum die Heimaufsicht immer wieder von Skandalen in Pflegeheimen aus der Zeitung erfährt.

Herr Kollege Werner, darf ich dazu eine grundsätzliche Bemerkung machen? Wir sollten sehr vorsichtig sein, wenn wir Einzelfälle generalisieren. Ich komme in der Woche in drei oder vier derartige Einrichtungen und sehe dabei, welch großartige Arbeit dort von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geleistet wird. Diese Arbeit ist beispielhaft. Deshalb sollten wir nicht nur darüber reden, wo es Skandale gibt, sondern auch darüber, was geleistet und welche hervorragende Arbeit erbracht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Natürlich wird in der Presse immer wieder der eine oder andere Fall zu Recht dargestellt. Wenn solche Probleme auftauchen, müssen wir ihnen nachgehen und die Fälle aufklären. Die Heimbewohner aber haben wenig Verständnis dafür, dass über bürokratische Zuständigkeiten diskutiert wird; sie erwarten vielmehr, dass diese Probleme gelöst werden.

Wir haben in der Zusammenarbeit zwischen MDK und Heimaufsicht bisher ein System gehabt, das gut funktioniert hat. Wir sind der Auffassung, dass nach den jetzigen Entwürfen dieses System so nicht mehr beibehalten wird. Wenn die Entwürfe noch nicht ideal und klar ausformuliert sind – so hat sich jedenfalls Frau Schopper vorhin geäußert –, dann handelt es sich bei diesen Entwürfen um keine sauberen Gesetzentwürfe. Sie sollten auf jeden Fall nachgebessert werden. Jetzt wird nur von Beratung gesprochen. Wenn zukünftig das bayerische

System so beibehalten wird, ist die Sache in Ordnung und unsere Bedenken sind dann ausgeräumt. Nicht nur die CSU-Fraktion oder die Bayerische Staatsregierung haben dieses Problem angesprochen. Diese Regelung wird auch von Fachleuten vehement kritisiert. Sie sagen, dass die jetzige Konzeption der Bundesregierung nicht dem jetzigen Stand entspricht. Sie wollen auch das alte System wieder haben, sie wollen unangemeldete Heimkontrollen durch den MDK ermöglicht haben. Wenn alles in bester Ordnung wäre, bräuchten im Lande nicht große Diskussionen geführt werden. Ich will dabei gar nicht vom Besuch der Bundesgesundheitsministerin im Bayerischen Landtag reden. Dazu werde ich nachher noch einige Bemerkungen machen.

Lieber Herr Kollege, ich darf die Bitte äußern, dass Sie die Bundesregierung veranlassen, dass sie diesen Gesetzentwurf so anpasst, dass wir genau wissen, was damit gemeint ist, wenn auch Ihnen daran liegt, dass das bisherige System beibehalten wird.

Ich darf noch einmal auf den Besuch der Bundesgesundheitsministerin vor zwei Wochen hier in München zurückkommen.

(Maget (SPD): Das war nichts!)

Danke, ich bin sehr dankbar für die Unterstützung durch den neuen Fraktionsvorsitzenden ab September. Für Frau Fischer gilt eben auch der Satz: Es wäre besser gewesen, du wärest zu Hause, oder noch besser gesagt, in Berlin geblieben.

(Maget (SPD): Da versteht sogar Frau Schopper mehr davon!)

Liebe Frau Schopper, natürlich waren es keine einfachen Stunden. Manchmal sagt man sich auch nachher, es wäre besser gewesen, man hätte Frau Fischer nicht eingeladen, dann wäre der Auftritt nicht ganz so peinlich gewesen.

(Widerspruch des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Beschönigen Sie bitte diesen Auftritt nicht. Der Auftritt war schon schlimm genug, Sie machen ihn nur noch schlimmer.

Bei diesem Auftritt wurde auch deutlich, dass das Konzept, das jetzt vorgelegt wird, noch nicht ausgereift ist. Ich darf Sie herzlich darum bitten, dass Sie Ihre Hausaufgaben machen. Wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben, werden wir Ihre Gesetzentwürfe neu prüfen. Wenn sie dann in Ordnung sind, können wir ihnen auch zustimmen. Bisher ist das für uns aber nicht erkennbar.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn der Gesetzentwurf Gesetz werden sollte, werden Sie vor der Bevölkerung nicht mehr deutlich machen können, dass Sie ein Anwalt der Pflegebedürftigen sind. Dazu müsste das Gesetz schon klarer formuliert werden, deshalb wollen wir auch eine klare Linie haben.

Vorhin ist von Geld gesprochen worden. Werte Kolleginnen und Kollegen, dann müssen Sie auch ehrlich sein und sauber rechnen. Wer hat denn jetzt ohne mit der Wimper zu zucken aus der Pflegeversicherung 400 Millionen DM entnommen? Sie aber behaupten, es fehle Geld und die Kassen seien nicht mehr ausreichend finanziell ausgestattet. 400 Millionen DM fehlen, und das hat Herr Eichel zu verantworten. Darüber gibt es nicht viel zu diskutieren. Das muss deutlich gemacht werden. Wenn Sie fordern, dass Mittel zur Verfügung gestellt werden, muss auch deutlich gemacht werden, dass Sie auf der anderen Seite Mittel aus dem Topf herausnehmen.

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaffmann?

Staatssekretär Georg Schmid (Sozialministerium) : Selbstverständlich, gerne.

Herr Staatssekretär, ist Ihnen denn bekannt, dass das Pflegezukunftssicherungsgesetz, das von der CSU in Bayern und der CDU in Baden-Württemberg eingebracht worden ist, nach vorsichtigen Kostenschätzungen insgesamt Kosten in Höhe von 3,75 Milliarden DM verursachen würde, sodass der derzeitige Beitragssatz von 1,7% deutlich erhöht werden müsste, um das zu finanzieren, was Sie verlangen?

Herr Staatssekretär.

Natürlich kenne ich das bayerische Konzept, und Sie kennen es auch, denn es ist wiederholt in der Öffentlichkeit dargestellt worden. Es handelt sich um das dreifach abgestufte Konzept, das zunächst eine Verlagerung der Behandlungspflege von den Pflegekassen zu den Krankenkassen vorsieht. Ich glaube, dass dieser Weg richtig und vernünftig ist. Natürlich werden wir dabei über lieb gewordene Dinge sprechen müssen. Alles andere wäre nicht ehrlich. Deshalb werden wir auch über das Sterbegeld reden müssen, wenn wir zusätzliche Pflegekräfte zur Verfügung stellen wollen. Es war eindeutiger politischer Wille des Landespflegeausschusses und es ist eindeutiger politischer Wille dieses Hauses und der Ministerin, Barbara Stamm, dass der Pflegeschlüssel von 1 zu 2,56 auf 1 zu 2,2 angehoben werden soll. Diesen Ansatz sollten wir gemeinsam weiter verfolgen. Wenn aber Aufgaben verlagert und die Krankenkassen belastet werden, damit andere Bereiche entlastet werden können, darf man nicht sofort eine abwehrende Haltung einnehmen, sondern dann müssen wir auch über die anderen Leistungen reden. Das kann das Sterbegeld sein, es können aber auch andere Überlegungen angestellt werden. Jeder ist hier zur Mitarbeit aufgerufen. Die Opposition nehme ich dabei nicht aus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zusammenfassen. Die Konzepte, die von der Bundesregierung vorgelegt wurden, entsprechen nicht dem, was wir brauchen. Mich stört, dass die Bundesgesundheits

ministerin mit Antworten, die letztlich unbefriedigend sind, zur Frage der Kosten Stellung nimmt. Im Gesetzentwurf heißt es, dass im Ergebnis keine Kosten verursacht werden. So einfach kann man es sich nicht machen. Man kann nicht nur alles ein bisschen besser organisieren, um die Probleme zu lösen. Sie müssten auch dazu sagen, dass uns die Maßnahmen etwas kosten, dass sie uns etwas wert sind und dass auch wir Vorschläge gemacht haben. Es steht Ihnen jederzeit frei, unseren Vorschlägen die notwendige Unterstützung zu geben.

Liebe Frau Kollegin Schopper, Sie haben die Heimaufsicht angesprochen. Wir haben doch diese Verlagerung vorgenommen; die Konzepte werden jetzt entwickelt. Wenn die Konzepte in die Praxis umgesetzt werden und wir feststellen, dass wir zusätzliches Personal benötigen oder es an anderer Stelle brauchen, werden wir darüber selbstverständlich reden können und reden müssen. Es ist uns ein gemeinsames Anliegen, dass Menschen, die Unterstützung und Hilfe brauchen, diese tatsächlich erhalten können. Dafür haben wir stets die notwendigen Grundlagen geschaffen und werden das weiterhin tun.

(Beifall bei der CSU)

Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/4034 – das ist der Antrag der CSU – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Bitte die Gegenstimmen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Kollege Hartenstein. Enthaltungen? – Keine. Der Antrag ist angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/4084 – das ist der Antrag der Fraktion der SPD – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Kollege Hartenstein. Gegenstimmen? – Das ist die CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/4087 – das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, die der SPD und Kollege Hartenstein. Ich bitte, die Gegenstimmen anzuzeigen. – Das ist die CSU. Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Antrag ebenfalls abgelehnt.

Ehe ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich in der Diplomatenloge unseren früheren Kollegen Josef Niedermayer sehr herzlich begrüßen. Sepp, es ist schön, dass du dich wieder einmal sehen lässt.

(Beifall)

Nun rufe ich zur gemeinsamen Behandlung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Renate Schmidt, Maget, Straßer, Lochner-Fischer und Fraktion (SPD)