Protokoll der Sitzung vom 09.11.2000

Auch im Schienenverkehr reißt die Bundesregierung Lücken auf. Bei der Bahnreform bestand und besteht Einigkeit, dass die Bahn pro Jahr mindestens 9 Milliarden Mark für Investitionen benötigt. Aus den 9 Milliarden sind in diesem Jahr rund 6,4 Milliarden geworden.

Einst wollte Rot-Grün mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlegen. Meine Damen und Herren, heute tun Sie das Gegenteil: Sie verlagern mehr Verkehr von der Schiene auf die Straße.

(Beifall bei der CSU)

Baden-Württemberg und Bayern haben daher auf unserer gemeinsamen Kabinettssitzung am Dienstag in Augsburg beschlossen, einen Gesetzentwurf zur Rettung des Schienenpersonenfernverkehrs in den Bundesrat einzubringen. Wir lassen nicht zu, dass sich die Bundesregierung aus ihrer Verantwortung stiehlt, die klar im

Artikel 87 e Absatz 4 des Grundgesetzes festgeschrieben ist.

Meine Damen, meine Herren, ein Markenzeichen unserer Zukunftsvorsorge und ein wichtiger Standortfaktor sind auch die Erfolge Bayerns im Umweltschutz. So hat der Umweltpakt Bayern für den Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie sehr konkrete Ergebnisse gebracht. Wir setzen auf Kooperation und freiwillige Verpflichtung statt auf bürokratische Reglementierung. Und der Erfolg gibt uns Recht. Über 1300 bayerische Unternehmen haben sich am Umweltpakt beteiligt und Umweltleistungen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus erbracht. An mehr als 580 Standorten hat die Wirtschaft ein EG-Öko-Audit durchgeführt. Damit ist Bayern europaweit die Region mit den meisten Unternehmen, die dieses Gütesiegel tragen.

Die Erfolgsgeschichte des Umweltpakts setzen wir mit seiner Neuauflage auch in den kommenden Jahren fort. Daneben ist eine weitere wichtige Aufgabe für diese Legislaturperiode bis 2003 die Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms mit dem generellen Ziel der Nachhaltigkeit. Wir werden damit für ganz Bayern langfristige Perspektiven für die Zukunft entwickeln.

Meine Damen und meine Herren, je mehr sich unsere Gesellschaft unter dem Druck der Demografie und des globalen Wettbewerbs anpassen und ändern muss, desto dringlicher stellt sich auch die Frage nach dem Konstanten, nach dem Verlässlichen in unserer Gesellschaft. Gerade im Wandel braucht eine humane Gesellschaft dauerhaft gültige Werte.

Auch die Extremismusdebatte in diesem Sommer und Herbst hat gezeigt: Der Staat, wir alle müssen die Werte unserer Demokratie aktiv fördern und verteidigen. Diese Herausforderung ist nicht zuletzt auch ein großer Bildungsauftrag an unsere Schulen. Die Schule kann die Sozialisation in der Familie nicht ersetzen. Doch gerade wegen des Schwindens der Erziehungskraft in den Familien brauchen wir eine neue Konzentration auf Erziehungs-Ziele. Die Ziele der Werteerziehung und der Bildung der Persönlichkeit sind von einigen Theoretikern der Siebzigerjahre zu Schimpfwörtern degradiert worden. Ich meine dagegen: Nur wenn wir unseren Kindern Orientierung und stabile Werte vermitteln, gelingt die Symbiose von Fortschritt und Humanität.

Wir verstehen Bildungspolitik als einen Kern unserer Zukunftspolitik, obwohl die Bildungspolitik leider in den Charts der großen Themen nach Auffassung der Bevölkerung relativ unten angesiedelt ist. Die Zahlen im Doppelhaushalt 2001/2002 zeigen, dass die Staatsregierung der Bildung oberste Priorität einräumt. 40% der Ausgabenmehrung des neuen Staatshaushalts entfallen allein auf die Bildung.

Wir haben – zum Teil gegen heftigen Widerstand, an den die Leute heute nicht mehr erinnert werden wollen – eine mutige Hochschulreform für mehr Effizienz und Internationalität angepackt und sie in Rekordzeit umgesetzt. Der Hochschulrat hat sich bestens bewährt und ist heute überhaupt nicht mehr im Streit wie noch vor zwei Jahren.

(Beifall bei der CSU)

Die Reformen in den Haupt- und Realschulen sind ein großer Erfolg. Die Möglichkeit, an der Hauptschule die Mittlere Reife zu erreichen, und der sechsjährige Bildungsgang an der Realschule bereiten die Jugendlichen nicht nur auf die veränderten Herausforderungen des Berufslebens vor, sondern es bleibt auch an der jeweiligen Schule mehr Zeit für die Persönlichkeitsbildung. Die Reformen an den Haupt- und Realschulen finden eine so große Akzeptanz, dass die Landkreise und Sachaufwandsträger sie lieber heute als morgen in ihrer Region umsetzen wollen. Deshalb haben wir es mit der Unterstützung der Mehrheitsfraktion im Landtag möglich gemacht, dass nun die Reformen schon bis zum Jahr 2003 flächendeckend umgesetzt werden.

Mit unserem gegliederten Schulwesen sichern wir den Kindern in Bayern eine vielfältige Förderung gemäß ihrer individuellen Begabung. Die Vorteile des gegliederten Schulwesens wurden jüngst wieder durch Studien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Berlin bestätigt. Ich danke im Nachgang den Vorgängerregierungen dafür, dass sie bei den damaligen Diskussionen um die Gesamtschule standhaft geblieben sind. Aus den ernüchternden Ergebnissen für die Anhänger der Gesamtschule haben nun auch die Kollegen Clement in Düsseldorf und Gabriel in Hannover ihre Konsequenzen deutlich formuliert. Das ist eine späte Einsicht nach jahrzehntelangen bildungspolitischen Irrwegen der SPD.

(Beifall bei der CSU)

In Bayern sind Eltern, Kinder und die große Mehrheit der Lehrerschaft dankbar, dass wir den Vorschlägen der Opposition in diesem Hause etwa für eine Orientierungsstufe nie gefolgt sind. Die Erfolge des bayerischen Schulsystems sind ein Grund, warum SPD und Grüne mit ihrem jüngsten Schul-Volksbegehren eklatant gescheitert sind.

(Beifall bei der CSU)

Wir haben keine Experimente gemacht, die nachweislich zu Lasten ganzer Generationen von Schülerinnen und Schülern gingen und gehen. Wir in Bayern brauchen keine Korrektur bildungsideologischer Irrtümer.

Aber auch bei der Bildungspolitik gilt: Stillstand ist schon Rückschritt. Wir haben deshalb den bundesweit einmaligen Bildungspakt Bayern mit der Wirtschaft geschlossen. Diese Stiftung hat zum Ziel, die Anwendung der Informations- und Kommunikationstechnologien und innovative Unterrichtsformen weiter zu fördern. Des Weiteren sollen die betriebliche Praxis und die Schulen besser zusammengeführt werden.

In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode wird es jetzt darauf ankommen, die innere Schulentwicklung voranzutreiben. Wir wollen die Methoden und Inhalte des Unterrichts weiterentwickeln und der Wissensgesellschaft anpassen. Dabei halten wir an dem bewährten Grundsatz fest: In bayerischen Schulen wird nicht nur Wissen und Können vermittelt. Ebenso wichtig ist die

Erziehung zu Verantwortungsbereitschaft und zu einer stabilen Wertorientierung.

Nicht zuletzt die Rekordzahl von über 4700 neu eingestellten jungen Lehrerinnen und Lehrern ist eine große Investition in die Bildung. Es gibt kein Land in Deutschland, das hier so viel tut, meine Damen und meine Herren.

(Beifall bei der CSU – Schläger (SPD): Nachholbedarf!)

Die Staatsregierung gibt mit über 10 Milliarden DM so viel Geld aus wie noch nie zuvor für die Schulen. Diese Leistungen zeigen: Wer in Deutschland eine zuverlässige und dynamische Bildungspolitik machen will, der muss sich sicherlich auch an Bayern messen.

Meine Damen und meine Herren, eine humane Gesellschaft braucht stabile Werte, aber auch allgemein anerkannte Grenzlinien und Tabus zum Schutz dieser Werte. Deshalb kannte und kennt die Staatsregierung keine Toleranz gegenüber Extremismus und Gewalt.

(Beifall bei der CSU)

Ob es die Wehrsportgruppe Hoffmann früher war oder die PKK: der öffentliche Raum muss sicher sein und frei von einem Klima der Angst. Dafür tut Bayern alles nur Mögliche und hat dabei seit Jahren eine Vorreiterrolle: Die Schleierfahndung – bei ihrer Einführung kritisiert, mittlerweile in allen anderen Ländern eingeführt – schafft mehr Sicherheit. Die Sicherheitswacht – anfangs kritisiert, jetzt allgemein anerkannt – schärft das Auge der Bürger für ihre Sicherheit. Das Kampfhundeverbot, das ich selbst hier noch als Innenminister vertreten habe, hat Bayern gerade zum Schutz von Kindern und älteren Menschen als erstes Land frühzeitig eingeführt. Daran brauchen wir nichts zu korrigieren.

(Beifall bei der CSU)

Der Einsatz sichtbarer Videokameras an gefährdeten Orten – heute noch kritisiert – ist ein weiterer Beitrag für mehr Sicherheit auf Straßen und Plätzen.

Die Ergebnisse unserer Politik sind auch messbar: Bayern ist laut Kriminalstatistik nach Baden-Württemberg – mit diesem Lande befinden wir uns immer in einem edlen Wettstreit – das sicherste Land in Deutschland.

(Beifall bei der CSU)

Die Menschen in Deutschland sind in den letzten zwei Wochen durch die Flucht des brutalen Gewaltverbrechers Frank Schmökel und die dramatischen Umstände seiner Festnahme aufgeschreckt worden. Gerade in Fällen wie diesen erweist es sich als ein schwerwiegender, ja auch tödlicher Fehler, wenn oberste Priorität die Reintegration hat und der Schutz der Bevölkerung erst an zweiter Stelle kommt. Ich stimme dem Kommentar der „FAZ“ von gestern zu. In Bayern steht seit jeher der Schutz der Allgemeinheit ganz oben. Sicherheit hat bei uns eindeutig Vorrang vor der Resozialisierung eines Täters in die Gesellschaft.

(Beifall bei der CSU)

In Bayern herrscht eine Kultur des Hinsehens, des Schutzes der Schwachen und des Bürgermutes. Dieses positive gesellschaftliche Klima ist ein Erfolg nicht zuletzt auch unserer konsequenten Politik für die innere Sicherheit.

Ich kritisiere scharf den Plan der Bundesregierung, dass künftig Freiheitsstrafen – wir müssen das dann vollziehen – von über zwei bis zu drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden dürfen und dass Erstverbüßer bei Freiheitsstrafen bis zu fünfzehn Jahren bereits nach der Hälfte der Strafzeit entlassen werden dürfen. Ich sage ganz deutlich: Unverständlich milde Strafen erschüttern das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtstaat. Das ist eine verfehlte Politik auf Kosten der Sicherheit.

(Beifall bei der CSU)

Eine humane Gesellschaft braucht einen Grundkonsens und eine kulturelle Identität, die prägend sind für das Zusammenleben. Diese Identität unserer Heimat wollen wir erhalten und pflegen. Ich betone: Unter dieser Zielsetzung steht auch die Integration von Zuwanderern, die in unser Land kommen. Schon im Januar 1999 hat deshalb die Mehrheitsfraktion dieses Hauses, die CSUFraktion, in einer Entschließung formuliert, dass Integration beides erfordert: Zugehen der Deutschen auf integrationswillige Ausländer und das aktive Bestreben der Ausländer, sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen. Ich zitiere aus der Entschließung der CSU-Fraktion vom Januar 1999:

Dies bedeutet, dass die Werteordnung unserer christlich-abendländischen Kultur als Leitkultur akzeptiert wird. Das heißt nicht Aufgabe der eigenen kulturellen und religiösen Prägung, aber Einordnung in den bei uns geltenden Werte- und Ordnungsrahmen.

(Beifall bei der CSU)

Unverbindliches, beliebiges Nebeneinander auf Dauer lehnen wir ab.

Das war unser Standpunkt im Jahr 1999. Es gab darüber in der Öffentlichkeit keine größere Debatte. Das ist selbstverständlich weiterhin unser Standpunkt. Wir halten unbeirrt am Wert des sozialen Zusammenhalts unserer Gesellschaft fest. Zusammenhalt entsteht aber nicht allein durch den deutschen Pass, sondern durch das Vertrautmachen mit der Sprache, Geschichte und Kultur Deutschlands. Auch das, was wir heute Vormittag gehört haben, gehört zu unserer Geschichte. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Das hat nichts zu tun mit einer Abwertung anderer Sitten und Gebräuche.

Wir wollen Integration fördern, um eine Desintegration unserer Gesellschaft zu verhindern. So haben wir Förderkurse in Deutsch an den Volksschulen eingerichtet. Zugleich gibt es in Bayern religiöse Unterweisung im muslimischen Glauben unter staatlicher Schulaufsicht. Nicht ohne Stolz kann ich sagen: In Bayern gibt es trotz

eines hohen Ausländeranteils im Vergleich der deutschen Länder mit die geringste Gewalt gegen Ausländer. Ich hoffe, dass das so bleibt, und ich bin stolz darauf, dass das so ist.

(Beifall bei der CSU)

Ausländer können sich sicher und wohl fühlen in Bayern. Wir werden weiterhin alles tun, damit sich daran in Zukunft nichts ändert.

Zum notwendigen Grundkonsens unserer Demokratie gehört, dass gerade in Deutschland kein Platz sein darf für politischen Extremismus, weder von links noch von rechts. Das sage ich auch eingedenk des Todes von Josef Felder und seiner Beisetzung am Montag und des Staatsaktes im Deutschen Bundestag. Dieser große Demokrat, der standhaft gegen den Totalitarismus gekämpft hat, bleibt für die Zukunft Vorbild für Bürgermut und Beispiel für die wehrhafte Demokratie.

Die Bayerische Staatsregierung überlässt den Extremisten nicht die politische Diskussion und schon gar nicht die Straße. Deshalb ist der von Bayern initiierte Antrag auf Verbot der NPD ein wichtiger Beitrag für die Stabilität unserer Demokratie. Ich habe gelesen, dass sich der Fraktionsvorsitzende der SPD entgegen seiner früheren Skepsis jetzt doch der Haltung der Bayerischen Staatsregierung hier anschließt. Morgen wird der Antrag im Bundesrat beraten. Zusammen mit dem Kollegen Gabriel aus Niedersachsen werde ich im Bundesrat diese Initiative begründen.

Es war Günther Beckstein, der diesen Schulterschluss über die Parteien hinweg vorangetrieben hat. Er hat den Dank aller aufrechten Demokraten für seine Standfestigkeit im unermüdlichen Kampf gegen den Extremismus verdient.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Ich möchte nur kurz anmerken, dass sich der Ministerpräsident und der bayerische Innenminister im Moment – ich sage das sehr vorsichtig – ganz besonders harten Anfeindungen ausgesetzt fühlen, in besonderem Maße der Innenminister. Der Preis für politische Standhaftigkeit in der Auseinandersetzung um den Extremismus ist für die betroffene Person sehr hoch. Das sollte in diesem Parlament nicht vergessen werden. Er könnte es sich bequemer machen.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)