Protokoll der Sitzung vom 28.11.2000

Auch ich nehme mir das Recht heraus, Frau Ministerin Stamm, Auszüge aus verschiedenen Anträgen vorzutragen. Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 12/15992 der SPD-Landtagsfraktion vom 14. Juni 1994 – Eindämmung der Rinderseuche BSE –:

Die Staatsregierung wird aufgefordert,...dafür zu sorgen, dass Tiermehl nicht mehr hergestellt bzw. zur Fütterung eingesetzt wird. Ein absolutes Produktionsverbot ist zu erlassen.

Dieser Antrag ist von 1994. Der Antrag wurde von der Mehrheit des Hohen Hauses am 14. Juli 1994 abgelehnt. Ich verweise auf die Drucksache 12/16840.

(Maget (SPD): Warum eigentlich?)

Ja, warum eigentlich? Ein weiterer Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 13/402. Dieser Antrag der SPD-Landtagsfraktion ist vom 2. Februar 1995. Ich wiederhole: 1995. Dort heißt es unter der Überschrift „Schutz vor BSE-Fleisch“:

Der Landtag wolle beschließen, die Staatsregierung wird aufgefordert, zum Schutz der Verbraucher vor BSE-Fleisch beim Bund –

damals gab es eine CDU/CSU- und FDP-Regierung –

darauf hinzuwirken, dass die Tiermehlerzeugung und -verfütterung europaweit verboten wird.

(Dr. Kaiser (SPD): Europaweit!)

Auch dieser Antrag wurde von der CSU abgelehnt, und zwar am 9. Februar 1995. Ich verweise auf Drucksache 13/439.

Warum wurde er abgelehnt?

Warum haben Sie diesen Antrag abgelehnt? Das ist Ihre konsequente Haltung gegen BSE.

Mit Antrag 13/5345 vom 4. Juli 1996 forderte die SPDFraktion das Verbot des Einsatzes von Tiermehl als Futtermittel zur Fütterung von Nutztieren, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind.

Der Landtag wolle beschließen: Die Staatsregierung wird aufgefordert,...EU-weit darauf hinzuwirken, generell den Einsatz von Tiermehl als Futtermittel zu verbieten.

In der Begründung heißt es unter anderem:

Gerade im Zusammenhang mit der BSE-Debatte zeigt sich, dass die Verfütterung von Tiermehl sehr problematisch ist. Seit 1984 besteht das Verbot, Tiermehl an Rinder zu verfüttern. Dieses Verbot ist nicht ausreichend und muss auf alle anderen Schlachttiere ausgedehnt werden.

Auch dieser Antrag wurde von der CSU abgelehnt, am 18. Dezember 1996. Ich verweise auf Drucksache 13/6894. Warum, bitte sehr? Ich mache hier noch weiter: Dringlichkeitsantrag 13/7311. Ein Antrag der SPD-Landtagsfraktion vom 19. Februar 1997. Unter der Überschrift „BSE-Vorsorge und Verbraucherschutz“ heißt es:

Der Landtag wolle beschließen: Der Landtag verurteilt die nachlässige Haltung der EU-Kommission im Umgang mit dem Ursprungsland von BSE sowie dem fahrlässigen Handeln mit britischem Tiermehl, das von der EU-Kommission nicht unterbunden wurde. Die Staatsregierung wird aufgefordert, folgende Maßnahmen zu ergreifen: Verfütterung von

Tiermehl soll ausgesetzt werden, bis zweifelsfrei geklärt wird, welche Gefahren von Tiermehlen ausgehen...

Auch dieser Antrag wurde von der CSU abgelehnt. Abgelehnt am 11. April 1997 mit Drucksache 13/7857. Warum wurde auch dieser Antrag abgelehnt?

Herr Ministerpräsident, ich frage Sie persönlich ebenso wie die Mehrheit in diesem Hohen Hause: Was hat Sie eigentlich bewogen, all diese Anträge abzulehnen? Standen Geld und Kommerz vor der Sicherheit und der Gesundheit der Verbraucher?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wo waren Sie, Herr Stoiber, als diese Anträge zum Verbot von Tiermehl gestellt wurden? Sie hätten solche Maßnahmen in Bayern seit Jahren oder damals unter Ihrem Gesundheitsminister Seehofer bundesweit in die Wege leiten können.

Kolleginnen und Kollegen der CSU-Fraktion, erinnern Sie sich noch an eine Anhörung des Landwirtschaftsausschusses im Oktober des vergangenen Jahres? Es war doch die CSU-Landtagsfraktion, die beispielsweise schärfere Maßnahmen der EU massiv abgelehnt hat. Ich erspare mir, Zitate aus dem Protokoll der Anhörung vorzutragen. Aber Brüssel hat bereits 1997 – 1997! – Risikomaterialien wie Hirn etc. aus der Futterkette verbannen wollen. Wie gesagt, bereits 1997. Aber aufgrund des deutschen und insbesondere des bayerischen Widerstands konnte dieses Verbot erst zum 1. Oktober dieses Jahres in Kraft treten. Herr Minister Miller, ich frage Sie noch einmal, ist das Ihre konsequente Haltung gegen BSE? Haben Sie das alles vergessen? Das war doch Verhinderungstaktik, ohne die Sie viel Schaden von den Verbrauchern, den Konsumenten und den Landwirten hätten abhalten können. Bitte vergessen Sie das nicht.

Wie hieß es dieser Tage doch in einem Kommentar?

Wir stehen erst am Anfang eines langen Weges, der wahrscheinlich etwas kürzer gewesen wäre, wenn schon Anfang der neunziger Jahre wirklich drastische und konsequente Maßnahmen zur Eindämmung von BSE ergriffen worden wären.

Ich kann nur sagen: Recht hat er, der Kommentator. Zu viel Fehler und Versäumnisse wurden zu lange begangen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher fordern zu Recht ein, dass jetzt endlich gehandelt werden muss, im Interesse von Schutz und Gesundheit der Verbraucher und unserer Landwirtschaft. Ich hoffe, es bilden sich auf Länder- und auf Bundesebene, aber auch auf EU-Ebene große Allianzen gegen BSE. Der Schutz der Verbraucher muss endlich Priorität haben. Verbraucherschutz muss vor Klientelpolitik stehen. Wir freuen uns, dass Sie unseren Kurs eingeschlagen haben.

(Beifall bei der SPD)

Auf Bundesebene steht ein erster Schlachtplan, Sie haben das bereits angesprochen. Ich brauche es deshalb nicht zu wiederholen. Tiermehl wird aus der Futter

mittelkette verschwinden. Die Vorbereitungen sind soweit abgeschlossen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat entsprechende Vorgaben in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium auf den Weg gebracht. Diese Vorgaben werden dem Bundesrat rechtzeitig für seine Sitzung Anfang Dezember zugeleitet. Bund und Länder wollen sich an den Kosten beteiligen und diese Fragen umgehend besprechen. Was Sie hinsichtlich der BSE-Schnelltests sagten, trifft zu. Bund und Länder machen in all diesen Fragen endlich gemeinsame Sache. Das ist auch notwendig. Ich denke, die Verbraucherinnen und Verbraucher werden dies auch entsprechend anerkennen.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal feststellen, dass wir wirklich am Anfang eines langen Weges stehen. Ziehen wir innerhalb Bayerns gemeinsam an einem Strang, ziehen wir auch zwischen den Bundesländern und gemeinsam mit dem Bund an einem Strang. Setzen wir uns im Interesse des Schutzes und der Gesundheit der Verbraucher und im Interesse unserer bayerischen Landwirtschaft auch EU-weit durch. Möge der Verbraucherschutz wirklich einmal als Sieger vorgehen. Das würden wir uns wünschen, daran haben wir gemeinsam zu arbeiten.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Als nächster hat Herr Kollege Dr. Gröber das Wort.

(Zuruf des Abgeordneten Heckel (CSU))

Dann Herr Kollege Heckel. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde nicht auf die Verdächtigungen, Unterstellungen und Übertreibungen der Kollegin Biedefeld eingehen.

(Unruhe bei der SPD – Frau Radermacher (SPD): Sind das Übertreibungen, wenn Sie die Anträge abgelehnt haben? Sie haben doch selbst abgestimmt!)

Ich möchte nur eines zur Klarstellung anführen: Wir haben damals im Einklang mit den anderen Bundesländern, also auch im Einklang mit den SPD-Bundesländern, entschieden. Das war zur damaligen Zeit die jeweils richtige Entscheidung.

Der Verbraucher, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist zweifelsohne durch den einen bisher bekannt gewordenen BSE-Fall in Schleswig-Holstein verunsichert. Er ist auf Grund der sehr komplizierten Sachverhalte verunsichert. Uns wurde heute in der Fraktion von verschiedenen Wissenschaftlern bestätigt, dass diese Sachverhalte in der Tat sehr kompliziert sind. Der Verbraucher ist auch dadurch verunsichert, dass in der Europäischen Union in den vergangenen Wochen und Monaten nur zögerlich gehandelt wurde.

Gestatten Sie mir einige Anmerkungen aus veterinärmedizinischer Sicht – der gemeinsame Antrag ist bereits

durch Frau Staatsministerin Stamm und Herrn Staatsminister Miller begründet worden –, wobei ich mich auf jüngste Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach, auf Veröffentlichungen der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen und des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin stütze. Zunächst möchte ich einige erläuternde Vorbemerkungen machen, weil ich immer wieder feststelle, dass schon bei einfachsten Begriffsbestimmungen bisweilen die Meinungen sehr weit auseinandergehen. Die Frage nach dem Erreger von BSE scheint geklärt. Es handelt sich um Prione, um krankhaft veränderte Eiweißkörper. Das macht die Bekämpfung dieser Seuche so schwer. Das bedeutet, dass sich die Bekämpfung auf Keulung kranker Tiere bzw. auf die unschädliche Beseitung der Tiere, die im Rahmen von Schnelltests als positiv erkannt worden sind, einengt.

Die Angaben zur Inkubationszeit schwanken zwischen dreißig Monaten bis hin zu sechzig Monaten. Die Infektion scheint in erster Linie per os zu erfolgen, also durch die Verfütterung nicht ausreichend hygienisierter Abfälle bzw. nicht ausreichend hygienisierten Risikomaterials.

Die Wissenschaftler sind sich nicht ganz einig, ob die bisherigen Verfahrensweisen unserer Tierkörperverwertungsanstalten – eine Temperatur von 133 Grad Celsius, eine Erhitzungszeit von zwanzig Minuten und drei Bar Druck im Kernbereich – Prione in der Tat abtöten. Unabhängig davon sind wir der Meinung, dass das seit 1994 geltende Verfütterungsverbot von Tiermehl an Wiederkäuer generell auf alle landwirtschaftlichen Nutztiere ausgeweitet werden sollte und vor allem auch europaweit ausgedehnt werden sollte. Sonst macht das keinen Sinn.

Zu dem ersten Spiegelstrich des Dringlichkeitsantrags 14/5085: Bezüglich der Übertragungswege ist anzunehmen, dass die Infektion auch intrauterin erfolgen kann, also von der Mutter auf die Frucht – den Fötus, den Embryo –. Offensichtlich funktioniert bei BSE die sonst wirksame Plazenta-Barriere nicht.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch eine horizontale Infektion stattfinden kann. Wir möchten deshalb mit unserem Antrag abgeklärt wissen, ob es andere Übertragungsmöglichkeiten gibt und wie man diese effektiv unterbinden kann.

Zu den Spiegelstrichen 5 und 6, in denen die Staatsregierung aufgefordert wird, sich im Bundesrat für die schnellstmögliche Einführung von BSE-Schnelltests in der EU und in Drittländern für alle über 24 Monate alten Schlachtrinder einzusetzen, und darauf hinzuwirken, dass die frühzeitige Erkennung der BSE-Krankheit und die Entwicklung von sicheren praxistauglichen BSETests verstärkt erforscht und bundes- und EU-weit koordiniert wird, möchte ich anmerken, dass ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der BSE-Überwachung, der Rinderbestände und der Ermittlung des tatsächlichen Status der BSE-Infektion in den EU-Mitgliedstaaten zweifelsohne Schnelltests an Schlachtieren sind. Für die amtliche Zulassung dieser Tests nach dem deutschen Tierseuchengesetz ist das nationale Referenzzentrum

für BSE- und Scrapie-Diagnostik an der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen zuständig.

Zur Zeit stehen zwei Testverfahren zur Zulassung an. Frau Staatsministerin Stamm hat dies bereits ausgeführt. Beide Tests wurden von der EU evaluiert, d.h. in einem EU-weiten Versuch mit 1400 Gehirnproben von Schlachttieren vorgeprüft. Beide Verfahren beruhen auf dem immuno-chemischen Nachweis des krankhaft veränderten Prions und sind innerhalb von sechs bis acht Stunden durchführbar. Damit können Gewebeproben aus dem Gehirn von Schlachttieren getestet werden, nicht aber Muskelfleisch oder Blut. Entsprechende Presseveröffentlichungen von vor einigen Tagen sind falsch. Es liegen keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse vor, ab welchem Zeitpunkt innerhalb der durchschnittlich fünfjährigen Inkubationszeit infizierte Tiere mit Sicherheit erkannt werden können. Das bedeutet, dass mit dem Vorliegen eines negativen Testergebnisses nicht unbedingt die BSE-Freiheit garantiert werden kann, sondern allenfalls, dass die Menge der Erreger unter der Nachweisgrenze liegt.

Unabhängig davon sind die Tests sinnvoll und notwendig bei allen Schlachttieren, die älter als fünf Jahre sind, denn gerade diese Gruppe stellt das größte Infektionspotential dar.

Es ist interessant, dass bei den sehr vielen BSE-Fällen in Großbritannien die Gruppe der jüngeren erkrankten Tiere nur 0,25 Prozent ausgemacht hat. Die Risikogruppe sind also in der Tat die älteren Schlachttiere. Ergänzt werden müssen die bisherigen Testverfahren, wenn sie offiziell zugelassen sind, durch Testmöglichkeiten an jüngeren Schlachttieren und jüngeren lebenden Tieren. Diese Möglichkeiten scheinen nach Aussagen der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach über Biopsie oder Blutproben zur Erkennung von Plasminogenen, die das Prion binden, gegeben zu sein. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, entsprechende Möglichkeiten zu erforschen und möglichst schnell auszuarbeiten, die von den bisherigen und zur Zulassung anstehenden Schnelltests zu anderen und besseren Testverfahren an jüngeren und lebenden Tieren hinführen.

In Bayern gibt es bis dato keinen einzigen originären BSE-Fall. Bayern hat konsequent im Interesse des Verbraucherschutzes gehandelt, der in unserer Gesundheitspolitik einen hohen Stellenwert genießt, Bayern hat im Interesse der heimischen Landwirtschaft, des verarbeitenden Gewerbes und im Interesse der notwendigen Seuchenhygiene gehandelt.