Protokoll der Sitzung vom 13.12.2000

Frau Staatsministerin Stamm (Sozialministerium) : Herr Kollege, der Freistaat Bayern ist für die Bedarfsplanung nicht mehr zuständig. Zuständig sind die Landkreise und kreisfreien Städte. Sie machen zusammen mit den Sozialhilfeträgern und überörtlichen Trägern aufgrund ihrer Bevölkerungsstruktur die Bedarfsplanung. Zuständig für die Bedarfsplanung sind die kreisfreien Städte und die Landkreise, nicht mehr der Freistaat Bayern. Mit dem Ausführungsgesetz zum Pflegeversicherungsgesetz haben wir die Zuständigkeit nach unten gegeben.

Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Lück.

Frau Ministerin, inwieweit sind in die derzeit laufenden Bemühungen, den aus der „Misswirtschaft“ des Deutschen Ordens entstandenen Schaden zu begrenzen, auch die betroffenen Kommunen und Kreise einbezogen, und wie wird eine mögliche Übernahme der Trägerschaft durch diese beurteilt?

Frau Ministerin.

Frau Staatsministerin Stamm (Sozialministerium) : Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lück, ich darf Ihnen zu Ihrer Anfrage Folgendes sagen: Am 05.12.2000 fand im Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit unter Leitung des Staatssekretärs und mir eine Besprechung mit den Regierungspräsidenten, den betroffenen Landräten und Vertretern der Städte sowie des Verbandes der bayerischen Bezirke statt. Das war noch in der Woche, in der wir das Gespräch mit den Banken hatten. Im Rahmen dieser Besprechung wurden sämtliche aktuellen Probleme des Deutschen Ordens und die aktuelle Situation vor Ort mit den Vertretern der Kommunen ausführlich erörtert. Um die Sanierung nicht zu gefährden, wird einer Gesamtlösung der Vorrang eingeräumt. Dieses Konzept wurde von den Vertretern der betroffenen Kommunen grundsätzlich mitgetragen.

Zusatzfrage: Frau Kollegin Lück.

Einer Zeitungsmeldung und dem Bericht des Gesprächs kann man entnehmen, dass für einzelne Kliniken unter Umständen neue Träger gesucht werden sollen. Stimmt das, und wird speziell mit den zuständigen Körperschaften verhandelt?

Frau Ministerin.

Frau Staatsministerin Stamm (Sozialministerium) : Frau Kollegin Lück, Sie werden mir und dem Freistaat Bayern zugestehen, dass weder ich noch der Freistaat Bayern der Sanierer des Deutschen Ordens ist. Insofern kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Ich bin nicht für das Gesamtkonzept zur Sanierung des Deutschen Ordens zuständig. Ich war auch nicht zuständig, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und die Untergebrachten in den jeweiligen Einrichtungen vor Weihnachten noch durchatmen können. Ich habe mich aber dafür verantwortlich gefühlt, dass im November und im Dezember die Gehälter bezahlt und das Weihnachtsgeld ausgezahlt und dass diejenigen, die betreut werden, sichergehen können, dass die Zulieferung und die Pflegesätze der Krankenkassen und anderer fließen. Ich habe diese Verantwortung im Vorfeld des Beginns der Sanierung persönlich übernommen. Der Deutsche Orden muss sanieren. Er muss ein glaubwürdiges und bestandsfähiges Sanierungskonzept vorlegen. Der Freistaat Bayern wird dafür sorgen, dass das Sanierungs

konzept nicht zulasten von bayerischen Einrichtungen geht.

Weitere Zusatzfragen? – Frau Kollegin Lück.

Für Ihren Einsatz bedanke ich mich nachdrücklich und frage Sie aber trotzdem, ob Ihnen bekannt ist, dass einige betroffene Kliniken zumindest davon ausgehen, dass jede Hilfe, die dem Deutschen Orden gewährt wird, das langsame Sterben verlängert. Was können Sie tun, um bayerische Einrichtungen zu schützen? Sehen Sie den Weg der Rückübernahme der Franziskanerinnen, um andere Trägerschaften anzustreben?

Frau Ministerin.

Frau Staatsministerin Stamm (Sozialministerium) : Frau Kollegin Lück, Sie werden mir zugestehen, dass die Verunsicherung, die wir in den sozialen Einrichtungen durch den Deutschen Orden erfahren haben, schlimm genug ist. Würde ich Ihre Frage mit Ja beantworten, hätten wir das lassen müssen, was wir jetzt tun. Mittlerweile haben wir folgende Situation: Der Sanierer der Bank teilt dem Landschaftsverband Rheinland mit:

Der Deutsche Orden hat mich als Treuhänder der Kreditinstitute der LfA-Förderbank Bayern des Erzbistums München-Freising des Ordens und als Koordinator der Sanierungsbemühungen auch für den Freistaat Bayern gebeten, ihnen zu bestätigen, dass das von Frau Staatsministerin Barbara Stamm angeregte Sanierungskonzept durch entsprechende Erklärungen aller Beteiligten zu Stande gekommen ist. Damit stehen dem Deutschen Orden 48 Millionen DM liquide Mittel zur Verfügung.

Zugleich habe ich heute entsprechende Überweisungsaufträge für Löhne und Gehälter an die Kreditinstitute weitergegeben. Hierdurch ist auch der Bestand der Einrichtungen des Deutschen Ordens in Nordrhein-Westfalen, insbesondere im Gebiet des Landschaftsverbandes Rheinland, sichergestellt.

Frau Kollegin, das ist das, was wir in dieser Situation gebraucht haben. Alles andere muss den Sanierern überlassen werden. Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat einen entscheidenden Beitrag in der Größenordnung von 10 Millionen DM geleistet, um die Liquidität und damit die Bezahlung von Löhnen und Gehältern sicherzustellen. Die Banken und die Deutsche Bischofskonferenz legen großen Wert darauf, dass die Sanierung des Deutschen Ordens so stattfindet, dass die sozialen Einrichtungen wieder funktionieren können. Ich möchte in diesem Zusammenhang anmerken, dass der Freistaat Bayern dazu beigetragen hat, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Nordrhein-Westfalen und in Bayern wieder durchatmen können. Das sollten wir besonders hervorheben. Alles andere sollten wir den Sanierern überlassen. Es gibt klare Sanierungskonzepte und klare Vorgaben für die Zukunft.

(Beifall des Abgeordneten Herrmann (CSU))

Die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Frau Ministerin, ich bedanke mich für die Auskünfte, die Sie gegeben haben.

Ich rufe nun auf:

Tagesordnungspunkt 7

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Als erste Initiative rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Schammann, Gote und anderer und Fraktion (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Schluss mit der Förderung der agrarindustriellen Planwirtschaft (Drucksache 14/5317)

Ich eröffne die Aussprache. Die erste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Schammann. Sie wissen, in der Beratung sämtlicher Dringlichkeitsanträge stehen jeder Fraktion 45 Minuten Redezeit zu. Bitte, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, es ist schön, dass Sie sich zur Beratung des aufgerufenen Dringlichkeitsantrags hier eingefunden haben.

(Zurufe von der CSU)

Die klassische Agrarlobbypolitik ist gescheitert. Nach der Planwirtschaft des Ostens scheitert nun offenbar auch die Planwirtschaft der EU. Das System der Agrarlobbyisten – vom Bauernverband über die Chemieindustrie bis zur Nahrungsmittelindustrie – hat sich selbst ins Abseits manövriert. Die subventionierte Unvernunft hat Hunderttausende bäuerlicher Betriebe zerstört. Sie hat die Bauern zu Lieferanten für billige Rohstoffe und zu ungeliebten Subventionsempfängern gemacht. Jahr für Jahr kostet die Überproduktion EU-weit zirka 40 bis 50 Milliarden DM. Allein für Exportsubventionen werden jährlich 10 bis 15 Milliarden DM aufgewandt.

Mit dem Zwang zur Produktionssteigerung und unter dem Druck von Niedrigpreisen sank auch die Qualität unserer Lebensmittel. Aus guten Gründen, nämlich im Interesse der Industrie, wurde die Deklaration von Futtermitteln verwässert. Eine offene und ehrliche Information der Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es bis heute nicht. Die Kosten dieses Systems haben ein größeres Volumen als die Agrarhaushalte der Mitgliedstaaten der EU. Hinzurechnen muss man die Kosten für Umweltbelastung, für Wasseraufbereitung und für die Bekämpfung von Krankheiten, die beispielsweise wegen Antibiotikaresistenzen auftreten, usw.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Freiheit der Bauern akut bedroht ist, und zwar durch Patente auf Gene,

durch Lizenzen auf Pflanzen und – das ist jetzt geplant – auch auf Tiere. In dem Zusammenhang ist auch die Durchsetzung von Hybridsorten im Pflanzenbau zu erwähnen; in der Folge sind die Bauern gezwungen, jedes Jahr aufs Neue Saatgut zu kaufen. Wer noch einen Beweis dafür gebraucht hat, dass das bestehende System der industrialisierten und anonymen Massenproduktion unsinnig ist und einen Irrweg darstellt, kann nun auf die BSE-Krise verwiesen werden, die wir jetzt durchleben.

(Zustimmung des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) – Willi Müller (CSU): Sprechen Sie von Amerika oder von Deutschland?)

Jetzt, wo im Zusammenhang mit der Bewältigung der BSE-Krise Kosten in Milliardenhöhe anfallen, wird endlich der Druck auf die Politiker stärker. So meinte Bundeskanzler Schröder, wir müssten Schluss machen mit dem bisherigen Irrweg. In dem Zusammenhang erklärte er, wenn wir es jetzt nicht schafften, schafften wir es wohl nie mehr. Ministerpräsident Dr. Stoiber wetterte am Sonntag vor acht Tagen in der Sendung von Sabine Christiansen gegen nicht artgerechte Tierhaltung. Er erklärte: „Ich erwarte, dass die kleinen Betriebe endlich mehr gefördert werden.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was haben wir in den letzten 20 Jahren nicht alles gefordert? Wie viele unserer Initiativen, wie viele unserer Vorstöße in eine andere Richtung wurden in diesem Hause und auch auf Bundesebene abgelehnt? Es geht auch anders. Wir müssen jetzt eine Neuorientierung der Agrarpolitik erreichen. Wir müssen gemeinsam an einem Strang ziehen.

(Zustimmung des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Eine neue Agrarpolitik muss auf eine bodengebundene Produktion abzielen, auf verbraucherorientiertes, umweltfreundliches und tiergerechtes Vorgehen. So will es der Verbraucher. Das brauchen auch die Bauern. Der Bauernverband muss jetzt endlich seinen Widerstand gegen die Nachbesserung des Naturschutzprogramms des Bundes aufgeben, gegen die Nachbesserung der so genannten „Guten Fachlichen Praxis“.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die sollen sich um die kleinen Bauern kümmern!)

Das gehört dazu, lieber Herr Kollege. Das Verbraucherrecht auf Transparenz der gesamten Kette der Lebensmittelherstellung muss jetzt endlich durchgesetzt werden, ebenso das Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher auf gentechnikfreie Lebensmittel.

(Freiherr von Rotenhan (CSU): Das Allerneueste! – Willi Müller (CSU): Gesunde Lebensmittel!)

Nur so können wir das Vertrauen der Verbraucher in die Bauern zurückgewinnen. Es darf jetzt nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen bleiben. Wir müssen wirklich handeln.

Was auf diesem Gebiet möglich ist, zeigt eine Studie aus der Schweiz, die über 21 Jahre lief. Dabei wurden konventionelle und ökologische Landwirtschaft miteinander verglichen. Ich zitiere nun aus dem Bericht zu dieser Studie:

Die Erträge von Weizen, Kartoffel, Feldgemüse, Futtergerste und Grünland waren bei extensivem biologischem Anbau im Durchschnitt von 21 Jahren nur um 20% tiefer als bei konventionellen Anbau. Da im Biolandbau aber 30 bis 60% weniger Düngerstoffe aufgewandt werden, kommt unter dem Strich eine um 19% bessere Effektivität heraus.

Man hat hier immerhin 21 Jahre lang konventionellen und ökologischen Landbau miteinander verglichen. Weiter heißt es in der Studie:

Die Fruchtbarkeit der Böden wurde dramatisch verbessert. Der Humusgehalt wurde wesentlich erhöht. Die Zahl der Regenwürmer und Kleinlebewesen im Boden hat sich um 50 bis 80% erhöht auf den ökologischen Flächen.

(Zuruf des Abgeordneten Freiherr von Rotenhan (CSU))

Ich meine, das sind gute Argumente dafür, mehr Flächen auf Ökolandbau umzustellen und sich intensiv um die Einlösung des Versprechens von Herrn Ministerpräsidenten Dr. Stoiber zu kümmern, den Anteil des Ökolandbaus im Freistaat auf mindestens 10% der hiesigen landwirtschaftlichen Flächen auszudehnen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nun zu unserem vorliegenden Antrag. Ich will einige Punkte herausgreifen. Über Planwirtschaft brauchen wir jetzt nicht zu diskutieren, meine ich. Was die EU momentan praktiziert, ist Planwirtschaft. Wenn einerseits Prämien für die Rindermast gezahlt werden und andererseits für die Vernichtung, den Aufkauf und das Verramschen von Rindfleisch auf dem Weltmarkt Beträge in Milliardenhöhe aufgewandt werden, wenn Prämien und Quoten festgelegt und Abnahmegarantien gegeben werden, kann man nur von Planwirtschaft sprechen. Allerdings ist sie bei uns falsch ausgerichtet, nämlich auf den billigen Weltmarkt.

Nun zu Nummer 1 unseres Antrags. Danach sollen die bayerischen Agrarförderprogramme so umgestellt werden, dass kleinere bäuerliche Betriebe und die Ökolandwirtschaft stärker als bisher gefördert werde. Das entspricht einer Forderung von Herrn Ministerpräsidenten Dr. Stoiber.

Unter Nummer 2 fordern wir, im PLANAK dafür einzutreten, dass Beschlüsse zur Modulation, die die EU anbietet, geändert werden. Das ist bei gutem Willen sicherlich möglich. Ich meine, derzeit ist Landwirtschaftsminister Funke für solche Fragen offen – nach all den Diskussionen um die Auflösung seines Ressorts in der gegenwärtigen Krise.