Protokoll der Sitzung vom 09.01.2001

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD und vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben uns – wie viele politisch Verantwortliche im Bund und in den Ländern auch – über die BSE-Freiheit Deutschlands geirrt.

(Herbert Müller (SPD): Bayerns!)

Nein, ich rede von Deutschland. Es ist unredlich, meine Damen und Herren von der Opposition, Vorgänge von gestern mit dem Wissen von heute zu beurteilen.

(Beifall bei der CSU – Lebhafter Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen: Auch der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag war nicht frei von Irrtümern. Er hat noch Ende November 2000 ein Importverbot für Rindfleisch aus Großbritannien, Irland, Frankreich und der Schweiz als „überzogen“ bezeichnet. Das alles sind Staaten mit mehr BSE-Fällen als Deutschland. Fakt ist: Bayern hat im Bundesrat mit Zustimmung von SPDregierten Ländern einen derartigen Beschluss durchgesetzt.

Wenn uns die Opposition „Arroganz“ vorwirft, verdreht sie die Tatsachen.

(Lachen bei der SPD – Prof. Dr. Gantzer (SPD): Was ist denn mit unseren Anträgen gewesen?)

Nicht Bayern hat sich das Prädikat „BSE-frei“ selbst verliehen. Vielmehr hat das Internationale Tierseuchenamt in Paris aufgrund der Angaben des Bundes Deutschland stets den Status der BSE-Freiheit verliehen, zuletzt im Juni 2000. –

(Frau Renate Schmidt (SPD): Das ist dementiert von demselben Amt!)

Das ist nicht dementiert. Sie zitieren hier nicht richtig. Das Amt hat gesagt, es hat aufgrund der Angaben der Deutschen Bundesregierung im Juni 2000 Deutschland als BSE-frei bezeichnet, nicht aufgrund eigener Erkenntnisse, sondern aufgrund der Erkenntnisse, die dem Amt von der Bundesregierung geliefert worden sind.

(Beifall bei der CSU – Starzmann (SPD): Wie sollten Sie denn? – Gegenruf von der CSU)

Regen Sie sich bitte nicht so auf. Dieser Status wird Ländern zuerkannt, die keine originären BSE-Fälle haben.

Bundeslandwirtschaftsminister Funke hat zu Recht darauf hingewiesen, dass von 1991 bis 1999 in Deutschland rund 18990 Rinder mit zentralnervösen Störungen untersucht wurden. Dabei wurde in über 3700 Fällen auch auf BSE untersucht. Es wurde kein originärer BSEFall in Deutschland festgestellt. Darauf hat die Bayerische Staatsregierung vertraut, und darauf haben wir auch unsere Maßnahmen abgestimmt. Es gibt hier nicht nur eine Wahrheit, sondern mehrere. Ohne unsere Verantwortung hier auszublenden, möchte ich auf die Gesamtverantwortung sehr deutlich hinweisen: Sie können nicht nur unsere Verantwortung sehen, aber die Verantwortung der Europäischen Union und der Bundesregierung vernachlässigen. Damit machen Sie sich nicht glaubwürdiger.

(Beifall bei der CSU)

Die Damen und Herren von der Opposition haben reflexartig den Rücktritt von Staatsministerin Stamm und Staatsminister Miller gefordert.

(Schindler (SPD): Wohl überlegt!)

Sie sind auch vor haltlosen Vorwürfen gegen die Staatsregierung nicht zurückgeschreckt, sie täusche und vertusche.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Stimmt doch!)

Staatsministerin Stamm und Staatsminister Miller erfüllen ihre Pflichten mit vollem Einsatz. Sie hatten und sie haben mein volles Vertrauen.

(Lebhafter Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeord- neten Starzmann (SPD))

Meine Damen und Herren von der Opposition, im Übrigen frage ich mich, welchen Kurs Sie verfolgen. Sie verlangen den Rücktritt der beiden bayerischen Minister wegen angeblicher Versäumnisse. Warum verlangen Sie dann eigentlich nicht zuerst den Rücktritt der Bundesmi

nister aus Ihren eigenen Parteien? Sogar der Generalsekretär der SPD, Müntefering, hat Fehler beim BSE-Krisenmanagement eingeräumt.

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Starzmann (SPD))

Ich empfehle Ihnen nicht oft, sich der Meinung des Bundeskanzlers anzuschließen, aber hier kann ich Sie nur auf seine Neujahrsansprache verweisen, in der er deutlich ausführte, was wir jetzt am Wenigsten brauchen: einen Wettbewerb in Rücktrittsforderungen und Schuldzuweisungen. Dem kann ich nur zustimmen.

(Beifall bei der CSU – Starzmann (SPD): In Berlin fordern die ständig den Rücktritt von Landwirtschaftsminister Funke!)

So lösen Sie doch das Problem nicht. Glauben Sie, dass Sie mit diesen Rücktrittsforderungen überhaupt das Vertrauen der Bevölkerung in die Lösung der Probleme, die schwer genug sind, erreichen? Das ist wirklich etwas, was unsinnig ist.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Was Schuldzuweisungen anbelangt, ist auch der Bauernverband Irrtümern erlegen, zum Beispiel in seinem Einsatz für die Verwendung von Milchaustauschern oder bei seiner Absage an ein generelles Verfütterungsverbot von Tiermehl noch Ende November.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns auf Bundes- und Landesebene ein gemeinsames Handeln für die effiziente BSE-Bekämpfung. Die Gesundheit der Verbraucher, die Sicherheit der Lebensmittel und die Unterstützung der betroffenen Landwirte müssen für uns alle Vorrang haben.

Die Krise hat auch gezeigt: Nach wie vor sind unsere Erkenntnisse über BSE nicht ausreichend. Wir können deshalb nicht mit absoluter Sicherheit sagen, ob die bisherigen, die jetzt eingeleiteten und die zukünftigen Maßnahmen im Kampf gegen BSE tatsächlich den erwarteten Erfolg bringen. Die Staatsregierung wird im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher alles veranlassen, was nach heutigem Kenntnisstand nötig ist. Wir wollen das Risiko so klein wie möglich halten und größtmögliche Sicherheit schaffen. Das ist der einzig verantwortbare Maßstab. Wir sind uns darüber bewusst, und ich sage das sehr deutlich: Was wir heute wissen und tun, kann sich schon morgen im Lichte neuer Erkenntnisse als unzureichend herausstellen.

Zur Aufarbeitung von Defiziten gehört auch die Auseinandersetzung mit den Vorwürfen, die im Berichtsentwurf des Veterinärkontrollamtes der Europäischen Union enthalten sind. Wir werden unvoreingenommen prüfen, ob und gegebenenfalls wo es Defizite und Versäumnisse gab.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir auch!)

Wir werden daraus die nötigen Konsequenzen ziehen.

Die Staatsregierung hat die Projektgruppe „Verwaltungsreform“ beauftragt, zusammen mit den betroffenen Ressorts die kritisierten Verwaltungsabläufe auf den Prüfstand zu stellen und dem Ministerrat bis Ende März dieses Jahres Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

Was die Vorwürfe betrifft, die vom Veterinärkontrollamt erhoben werden, so ist heute festzustellen: Erstens. Es wird uns vorgeworfen, in Bayern sei unzureichend und zu wenig bei gefallenen Tieren auf BSE getestet worden. Dieser Vorwurf ist falsch. Richtig ist: Nach dem EU-Untersuchungsprogramm für gefallene Tiere muss Bayern pro Jahr 195 Stichproben entnehmen. Das StichprobenSoll wurde sogar übererfüllt. Im Zeitraum 1998 und 1999 wurden insgesamt 449 Gehirne von Rindern auf BSE untersucht. Im Jahr 2000 waren es sogar 700 Stichproben. Die im Bericht des Veterinärkontrollamtes aufgeführten Untersuchungszahlen entsprechen nicht den von Bayern gemeldeten Zahlen. Um in künftigen BSE-Fällen zu einer schnelleren Verdachtsdiagnose zu kommen, wird als freiwillige bayerische Leistung lückenlos an allen gefallenen und verendeten Tieren zusätzlich ein BSESchnelltest durchgeführt. Hier geht Bayern über die EUVorgaben hinaus, die lediglich eine histologische Untersuchung vorsehen.

Zweitens. Es wird uns vorgeworfen, nicht genügend Proben aus jeder der vorgegebenen Risikogruppen untersucht zu haben. Ich stelle fest: Das ist falsch. Richtig ist: Bereits in den Vorschriften der EU-Kommission fehlen konkrete Vorgaben, welche und wie viele Proben aus den Risikogruppen untersucht werden sollen. Die Kritik der Veterinärkommission sollte sich daher zuerst an die eigene Adresse richten.

Drittens. Es wird uns vorgeworfen, die bayerische Futtermittelkontrolle hätte versagt. Ich stelle fest: Das ist falsch. Richtig ist: Bayern hat mehr Futtermittelkontrollen durchgeführt, als jedes andere Bundesland.

Obwohl in Bayern etwa die Hälfte weniger Kraftfutter hergestellt wird als in Nordrhein-Westfalen, fanden beispielsweise 1998 fast dreimal so viele Untersuchungen in Bayern statt. Diese Kontrollen haben nur in einem einzigen Fall mit verbotenem Tiermehl durchsetztes Futtermittel feststellen können. In diesem Fall wurde ein Bußgeldbescheid gegen den betreffenden Futtermittelhersteller erlassen. Dieser hat dagegen Einspruch erhoben. Der Bescheid ist derzeit bei Gericht anhängig.

Meine Damen, meine Herren, die Europäische Union hat selbst,

(Franzke (SPD): Was soll das? – Weitere Zurufe von der SPD)

und das ist überaus bemerkenswert, die Ursache für die heute von ihr kritisierten Defizite gesetzt: Vor dem EUTiermehlverfütterungsverbot für Widerkäuer galt in Deutschland ein nationales Verbot, das die Verfütterung von jeglichem Tiermehl untersagte. Die Europäische Union hat mit ihrer Entscheidung vom 27. Juni 1994 – also ein paar Monate später –, ein Tiermehlverfütterungsverbot erlassen, das sich nicht auf Geflügel, Fisch und Blutprodukte erstreckte. Damit wurde das bis dahin

geltende absolute nationale Verfütterungsverbot durch Europa aufgeweicht.

Die Europäische Union hat bei ihrer Entscheidung übersehen, dass die Unterscheidung zwischen zulässigem Geflügel- und Fischmehl und unzulässigem Tiermehl erst bei einer bestimmten Beimischungskonzentration möglich ist. Diese Grenze lag zunächst bei einem Prozent, jetzt liegt sie aufgrund besserer wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden bei 0,5%. Nur bei einem eindeutigen Nachweis waren Zwangsmaßnahmen möglich, die auch einer gerichtlichen Überprüfung standgehalten hätten. Die 75% der Proben, in denen von bayerischen Kontrolleuren tierische Eiweiße in Futtermitteln festgestellt wurden, sind nicht zu beanstanden, da der Anteil von tierischem Eiweiß unter 0,5 bzw. einem Prozent lag. Es ist damit nicht nachweisbar, dass es sich um verbotenes Tiermehl handeln könnte.

Möglich gewesen wäre aber eine Information der Futtermittelhersteller über die Untersuchungsergebnisse. Nordrhein-Westfalen ist in dieser Art und Weise vorangegangen. Aber auch in dieser Frage gilt der rechtsstaatliche Grundsatz: Nicht rechtswidriges Verhalten kann man nicht beanstanden. Erst jetzt, aufgrund des absoluten Tiermehlverfütterungsverbotes und der Wiederherstellung des früheren Rechtszustandes, ist die Unterscheidung zwischen zulässigem Geflügel- und Fischmehl und unzulässigem Tiermehl nicht mehr notwendig. Jetzt können Verstöße auch gerichtsfest geahndet werden. Bayern hat deshalb für die in der letzten Woche festgestellten Verstöße Bußgeldverfahren eingeleitet.

Unabhängig davon kann ich das Vorgehen der EU-Kommission nur in schärfster Weise verurteilen. Bis zum heutigen Tag hat es die EU-Kommission weder für notwendig befunden, der Staatsregierung ein offizielles Exemplar des Berichtsentwurfs in deutscher Sprache zur Verfügung zu stellen, noch ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Stelle sich das einer vor!)

Verbraucherkommissar Byrne hat gegenüber der Bundesregierung von einem „Entwurf eines Prüfberichts“ gesprochen, den er selber noch für überarbeitungsbedürftig gehalten hat. Dennoch hat er seine Veröffentlichung vorab zugelassen. Ich erwarte von Kommissar Byrne, dass er der Staatsregierung jetzt schnellstmöglich Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und seinen Entwurf berichtigt. Die von Brüssel geförderten öffentlichen Vorverurteilungen Bayerns entheben die Kommission noch lange nicht von der Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs!

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Es ist gelinde gesagt eine Unverschämtheit, dass die Europäische Union in einem nicht autorisierten Bericht Dinge, die sie selbst mit zu verantworten hat, alleine den bayerischen Vollzugsbehörden in die Schuhe schiebt. Bis heute hat die Europäische Union nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen. Nach wie vor ist das jetzt

geltende absolute Tiermehlverfütterungsverbot nur auf sechs Monate begrenzt. Die Europäische Union hat noch immer nicht eingesehen, dass ein nicht kontrollierbares Tiermehlverfütterungsverbot den Bauern Steine statt Brot gibt. Ich fordere die Europäische Union auf, die zeitliche Begrenzung des Verfütterungsverbotes schleunigst aufzuheben und nicht wieder in den vorherigen, verhängnisvollen Zustand zurückzufallen.