Die Staatsregierung hat am 27. Dezember ein Tiermehlverfütterungsverbot für die Wildfütterung erlassen. Wir sehen auch Handlungsbedarf für den Bund, das Tiermehlverfütterungsverbot auf Heimtiernahrung auszudehnen.
Bayern fordert vom Bund die Einführung einer Verbrennungspflicht von Tiermehl. Um zu verhindern, dass Tiermehl auf – welche Art auch immer – in den Nahrungskreislauf gelangen kann, muss es vernichtet werden. Andere Verwendungen als Verbrennung sollten ausgeschlossen sein. Die notwendigen Verbrennungskapazitäten stehen in Bayern jedenfalls ausreichend zur Verfügung.
Seit Jahresbeginn führen wir bei allen gefallenen und verendeten Tieren lückenlos einen BSE-Test durch. Hier gehen wir bewusst über Vorgaben der Europäischen Union hinaus, nach denen wir eine Mindestprüfzahl von 195 Proben jährlich erreichen müssen. Die Entdeckung eines BSE-Verdachtsfalles in der letzten Woche ist schon das Ergebnis dieser lückenlosen, nur in Bayern so angeordneten Kontrolle. Die notwendigen erheblichen zusätzlichen Personalkapazitäten werden wir zur Verfügung stellen. Ferner wird die notwendige Sachausstattung der Landesuntersuchungsämter, zum Beispiel in den Untersuchungslabors, aufgestockt.
In Deutschland müssen seit dem 6. Dezember des letzten Jahres alle über 30 Monate alten Schlachtrinder mit dem BSE-Schnelltest getestet werden. Auf EU-Ebene besteht erst seit 1. Januar 2001 eine derartige Verpflichtung. Deutschland ist hier freiwillig vorangegangen. BSE-Schnelltests für Rinder ab 24 Monate sind in Deutschland bisher freiwillig. Wir begrüßen es, wenn sie nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union verpflichtend würden. Auch hier müssen die zuständigen Gremien der Europäischen Union handeln. Wir fordern die Bundesregierung auf, freiwillige BSE-Tests für Schafe, Ziegen und Wild zu prüfen. Auch hier hat die Sicherheit der Verbraucher absolute Priorität.
Die im Rahmen von Kontrollen aufgedeckten Fälle falscher Kennzeichnung von Wurstwaren zeigen leider die Notwendigkeit ständiger engmaschiger Überprüfungen. Um die Kontrollen noch effizienter zu machen, werden wir alle Kompetenzen bündeln, die zur Sicherheit der Lebensmittel gehören. Bayern wird dazu beim Gesundheitsministerium ein Landesamt für Lebensmittelsicherheit einrichten. Das detaillierte Konzept dazu werden wir Ihnen im März dieses Jahres vorlegen. Die staatliche Lebensmittelüberwachung setzt zudem bei Wurstwaren einen Kontrollschwerpunkt.
Wir müssen mehr über BSE wissen. Aber das ist nicht von heute auf morgen zu erreichen, wie uns die bisherigen Erfahrungen lehren. Seit 250 Jahren kennen wir die Krankheit Scrapie bei Schafen; seit 60 Jahren wird daran geforscht. Seit den Achtzigerjahren ist die Problematik von BSE bekannt und wird auch daran geforscht. Dennoch wissen wir noch viel zu wenig über beide Krankheiten. Deshalb brauchen wir eine Verstärkung der Forschung, insbesondere der Grundlagenforschung. Hier wird Bayern als führender Wissenschaftsstandort seinen Beitrag leisten. Wir fangen nicht bei Null an. Bereits jetzt
arbeiten insbesondere an den bayerischen Universitäten in München, Würzburg und Erlangen-Nürnberg sowie sonstigen Forschungseinrichtungen eine Reihe von Wissenschaftlern am Problem BSE. Zwölf Arbeitsgruppen sind bereits heute an internationalen Forschungsprojekten beteiligt. Jetzt gilt es, die verschiedenen Initiativen zu vernetzen, zu intensivieren und mit ausländischem Know-how zu verknüpfen.
Staatsminister Zehetmair hat deshalb mit kompetenten Wissenschaftlern am Freitag ein Forschungskonzept mit folgenden Schwerpunkten erörtert:
Erforschung der Nahrungskette vom Erzeuger bis zum Verbraucher einschließlich einer Risikobewertung von Lebensmitteln.
Entwicklung von Testverfahren zur Feststellung von Infizierungen beim lebenden Tier sowie Verbesserung vorhandener Testverfahren.
Erforschung von Verbreitungswegen des Erregers über Tierfutter, Böden etc. Wissenschaftlich wird auch zu klären sein, inwieweit Produkte aus Rinderbestandteilen außerhalb der menschlichen Ernährung Übertragungswege beinhalten könnten.
Diagnostik aller neuen Varianten der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen und darauf aufbauend Therapieforschung, die es in Deutschland bisher noch nicht gibt.
Voraussetzung zur Klärung dieser Fragen ist eine Verstärkung der Grundlagenforschung. Mit den Wissenschaftlern sind wir einig, dass neben kurzfristigen Maßnahmen vor allem langfristiges Engagement in der Forschung erforderlich ist. Dazu wird Staatsminister Zehetmair einen bayerischen BSE-Forschungsverbund mit einem eigenen BSE-Forschungszentrum einrichten, den die Professoren Kretzschmar, ter Meulen und Wolf leiten sollen. Darin mitarbeiten werden unter anderem die LMU München, die Universität Würzburg, die Universität Erlangen, das Life Sciences Center Weihenstephan für Ernährung, Max-Planck-Institute sowie das Gen-Zentrum München. Die Staatsregierung hat dafür 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Wir erwarten von der Bundesregierung und der Europäischen Union, dass sie ihre eigenen Forschungsanstrengungen ebenfalls deutlich verstärken und die Mittel dafür entsprechend erhöhen.
Allerdings hat – unter anderem gestern am Runden Tisch – die Wissenschaft auch um Geduld gebeten. Der Leiter des Institutes für Immunologie und Virologie der Universität Würzburg, Dekan Prof. ter Meulen, hat, nachdem er auch auf die langen Zeiträume hingewiesen hat, seit denen bereits an Scrapie und BSE geforscht wird,
stellvertretend für seine Kollegen deutlich gemacht, dass hier ein langer Atem notwendig sein wird. Erfolge in der BSE-Forschung werden seines Erachtens nicht kurzfristig zu erreichen sein. So unangenehm das ist, glaube ich, ist es dennoch notwendig, dieses deutlich zu sagen.
Meine Damen, meine Herren, im Zusammenhang mit der BSE-Forschung wird die Frage nach einer Quarantäne zu Forschungszwecken und vor allem nach der Notwendigkeit der Tötung BSE-befallener Rinderbestände gestellt. Für die betroffenen Bauern ist es ungemein schwer, mit ansehen zu müssen, wie ihre ganze Herde, wie die Früchte ihrer Arbeit und ihr ganzer Stolz zur Tierkörperbeseitigungsanlage abtransportiert werden. Bei meinen Besuchen unter anderem auch in Sulzberg und in Stamsried habe ich die große Trauer und die große Betroffenheit so vieler Hunderter von Bauern miterlebt. Ich verstehe, dass die Bauern nach Sinn und Notwendigkeit der Tötung des gesamten Bestandes fragen. Die Frage nach Sinn und Notwendigkeit stellen sich natürlich auch die Verbraucher und die Tierschützer. Nachdem Wissenschaftler eine Infektion von Tier zu Tier verneinen, sehen sie auch keine Notwendigkeit, so zu verfahren wie bisher.
Wir haben dieses Problem innerhalb der Staatsregierung nicht nur gestern außerordentlich intensiv diskutiert. Gestern haben wir im Rahmen des Runden Tisches darüber diskutiert, ob Bayern den Schweizer Weg gehen sollte, nur die direkten Nachkommen sowie die Rinder zu töten, die der sogenannten Geburtskohorte des infizierten Rindes angehören; das sind alle Tiere, die ein Jahr vor und ein Jahr nach dem BSE-infizierten Rind geboren wurden oder als Kalb zugekauft wurden. Die Bayerische Staatsregierung hält das Schweizer Modell auch aus Gründen des Tier- und Verbraucherschutzes für angemessener als die gegenwärtige Praxis in Deutschland und in Europa, mit Ausnahme Englands.
Wir können dieses Modell nicht allein in Bayern durchsetzen. Wir können das nur mit dem Bund und mit den anderen Ländern zusammen in Deutschland und in Europa erreichen. Wir haben den Bund mit Nachdruck darauf gedrängt, dass das in der Schweiz übliche Verfahren europaweit übernommen wird. Wir erwarten jetzt auch, dass die Bundesregierung handelt. Auch die Gesundheitsministerin, Frau Stamm, hat die Bundesregierung dazu bereits zweimal aufgefordert.
Bayern wird den betroffenen Landwirten übergangsweise eine Wahlmöglichkeit einräumen. Neben der sofortigen Keulung des gesamten Rinderbestandes soll es auch möglich sein, nur Rinder aus der Geburtskohorte nach Schweizer Modell zu keulen und die übrigen Rinder zunächst am Leben zu lassen. Dabei dürfen aus Gründen des Verbraucherschutzes nur die verbleibenden Tiere geschlachtet werden, die dreißig Monate alt sind und BSE-getestet werden. Die Milch wird für die Zeit des Moratoriums aus dem Futter- und Ernährungskreislaufs herausgenommen. Diese Verfahrensweise soll ein Zwischenschritt zu dem von uns grundsätzlich angestrebten Schweizer Modell sein. Die Landwirte, die diese Option wählen, erhalten Unterstützung aus dem bayerischen Sofortprogramm.
Fünftens. Wir werden auch unseren Bauern, die durch die BSE-Krise zum Teil existentiell bedroht sind, helfen.
In Bayern sind derzeit sieben landwirtschaftliche Betriebe unmittelbar betroffen, mittelbar alle Rinder haltenden Betriebe. Existenzielle Gefahren sehe ich vor allem für die rund 2300 spezialisierten Rindermastbetriebe in Bayern. Um die Betriebe in dieser Situation zu unterstützen, stellt die Bayerische Staatsregierung 12 Millionen DM zur Verfügung. Die unmittelbar betroffenen Landwirte unterstützt die Staatsregierung neben den Entschädigungen aus der Tierseuchenkasse mit Notstandsbeihilfen. Damit werden zum Beispiel der Milchgeldausfall und der weitergehende Schaden bis zu einer Höhe von 75% erstattet. Das Landwirtschaftsministerium wird Abschlagszahlungen gewährleisten.
Ebenfalls im Wege der Notstandsbeihilfe werden die mittelbar betroffenen Betriebe bei Existenzgefährdung unterstützt. Die Details dazu werden derzeit mit der Europäischen Union und dem Bund abgestimmt.
Für die betroffenen Landwirte schaffen wir Ausnahmeregelungen bei der Förderabwicklung in einer ganzen Reihe von Förderprogrammen. Dazu gehören zum Beispiel das Bayerische Kulturlandschaftsprogramm, das Agrarinvestitionsförderprogramm und Agrarkreditprogramm oder die Vorschusszahlung von EU-Rinderprämien. Bei der Frage der Anrechnung der Futterflächen hat das Landwirtschaftsministerium bereits eine Zusage der Europäischen Union erreicht, die für die bayerische Landwirtschaft Prämien in einer Gesamthöhe von 5 bis 6 Millionen DM sichert.
Bayern geht mit diesen Maßnahmen zur Unterstützung der betroffenen Landwirte im Rahmen seiner Möglichkeiten voran. Die Staatsregierung erwartet allerdings auch, dass die Bundesregierung ihrerseits ein nationales Sofortprogramm für alle von der BSE-Krise betroffenen Wirtschaftskreise auflegt und bei der EU für weitere marktentlastende Maßnahmen auf dem Rindfleischsektor eintritt.
Zusammenfassend kann ich feststellen: Die Bayerische Staatsregierung hat die nach heutigem Erkenntnisstand möglichen und notwendigen Maßnahmen beschlossen. Darüber hinaus sind jetzt auch der Bund und die Europäische Union gefordert. Herr Maget, hier könnten SPD und GRÜNE einiges für Bayern bei ihren politischen Freunden in Berlin tun; denn bisher schweigen sie sich bei den notwendigen Bundes- und EU-Hilfen völlig aus. Alleine kann Bayern das Problem nicht lösen.
Die BSE-Krise kann der Staat nicht allein bewältigen. Alle – Politik, Wirtschaft, Bauern, Verbraucher, Verbände – müssen gegen BSE zusammenwirken. Am Runden Tisch haben wir gestern mit Fachleuten von Wissenschaft und Forschung, mit Vertretern der Landwirtschaft,
der Fleischwirtschaft, von Futtermittelherstellern, von Verbraucherverbänden, mit dem Bund Naturschutz und sonstigen Organisationen die gegenwärtige Situation erörtert. Sie können sich vorstellen, dass hierbei die unterschiedlichsten Interessen aufeinander gestoßen sind. In einer fruchtbaren, sachlichen und offenen Diskussion haben wir über weitere Verbesserungen bei den Futtermittelkontrollen, Fragen des Umgangs mit Tiermehl und Risikomaterial und die Problematik der Keulung des gesamten Bestandes bei Feststellung von BSE gesprochen. Diskutiert wurde auch über Fragen der BSE-Forschung, Hilfen für die Landwirtschaft und Neuausrichtung der Agrarpolitik.
Im Vorgriff auf notwendige, von Bayern initiierte gesetzliche Regelungen haben sich gestern die Verbände und Organisationen zu folgenden Selbstverpflichtungen bzw. Empfehlungen für ihre Mitgliedsbetriebe und Verbände bereit erklärt:
Erstens. Die Vertreter der Futtermittelbetriebe empfehlen allen bayerischen Futtermittelherstellern im Wege einer freiwilligen Selbstverpflichtung die offene Deklaration der Futtermittel. Der Bauer soll wieder genau wissen, was er verfüttert.
Zweitens. Um Tiermehl verlässlich aus der gesamten Nahrungskette herauszunehmen, verpflichten sich die Tierkörperbeseitigungsanlagen in Bayern freiwillig, sämtliches anfallendes Tiermehl ausschließlich der Verbrennung zuzuführen. Die Staatsregierung setzt sich für eine baldmögliche Klärung der Finanzierung ein. Dabei wird stets gefragt, was in den Ländern der Europäischen Union geschieht, wo das nicht gemacht wird. Das ist eine Frage, die wir in der Diskussion mit am Markt operierenden Unternehmen nur sehr schwer beantworten können.
Drittens. Die Vertreter des Metzgerhandwerks und der Fleischwirtschaft empfehlen allen Mitgliedsbetrieben im Freistaat, die Inhaltsstoffe auch von unverpackter Wurst und von Wurstwaren vollständig an der Ladentheke zu deklarieren.
Viertens. Die Vertreter des Schlachtergewerbes und des Fleischhandwerks prüfen die Empfehlung, die Entfernung von Risikomaterial so auszudehnen, wie es von der Staatsregierung gefordert wird.
Gegen die Einführung eines Zertifikats „BSE-getestet“, das in der Werbung verwendet werden könnte, wurden wichtige Einwände vorgebracht. Der gegenwärtige BSESchnelltest ist zwar ein wichtiges Indiz für den BSENachweis, aber er kann nicht die vom Verbraucher zu Recht erwartete einhundertprozentige Garantie geben.
Die Teilnehmer waren sich darin einig, dass bayerische und deutsche Maßnahmen allein nicht ausreichen, sondern europaweit abgestimmtes Vorgehen unabdingbar
ist. Alle Anstrengungen müssen darauf gerichtet werden, das Vertrauen der Verbraucher in gesunde Nahrungsmittel wiederzugewinnen. Hier ist entscheidend auch die Europäische Union gefordert.
Die BSE-Fälle in Deutschland und Bayern zeigen uns Defizite und Irrtümer auf. Heute wissen wir: Manche Maßnahmen hätten in Europa, im Bund und in den Ländern, auch in Bayern, schneller und strenger durchgeführt werden müssen. So wären das europaweite generelle Verbot der Verfütterung von Tiermehl – und zwar ein lückenlos vollziehbares – und eine europaweite Vernichtung von Tiermehl früher notwendig gewesen. Manche Entwicklungen in der Agrarwirtschaft – ich nenne hier nur die Verwendung von Milchaustauschern mit tierischem Fett in der Kälbermast – hätten viele anders beurteilen müssen, angefangen von den Agrarexperten über den Bauernverband bis hin zu den politisch Verantwortlichen in der Europäischen Union, im Bund und in den Ländern.
Dazu, dass uns die Opposition heute ihre Landtagsanträge zu BSE der letzten Jahre vorhält, kann ich nur feststellen: Was hat Sie eigentlich daran gehindert, Ihre Forderungen auch bei Ihren Genossen in Berlin einzubringen und umzusetzen?
(Lebhafter Beifall bei der CSU – Lachen bei der SPD – Zahlreiche Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Große Unruhe)