Protokoll der Sitzung vom 09.01.2001

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es war auch kein Verbraucherschutz, als man dann immerhin am 19. Dezember 2000 dann das endgültige, das positive Ergebnis vortrug. Wer schneller testet, der ist selber schuld, der hat den ersten offiziellen deutschen BSE-Fall am Hals.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst als man nicht mehr leugnen konnte, dass es auch in Bayern BSE gab, als es längst auch in Bayern Schnelltests gab, griffen immer wieder die alten Gewohnheiten: Schlendrian und Vertuschungsversuche. Bis heute bleibt ungeklärt, warum die Öffentlichkeit am 15.12.2000 von einem Anfangsverdacht bei einer Kuh aus Sulzberg unterrichtet wurde, aber nicht von dem Fall in Westerheim, obwohl jene Kuh am gleichen Tag und im gleichen Schlachthof getötet wurde. Warum mussten Sie, Herr Minister Miller, persönlich bei dem betroffenen Landwirt nachfragen, ob sich der Anfangsverdacht BSE bestätigt habe, obwohl doch spätestens nach den ersten BSE-Fällen eine enge Zusammenarbeit zwischen Ihrem Ministerium und dem von Frau Stamm angesagt gewesen wäre? Warum haben Sie trotzdem, obgleich Sie selbst angerufen haben, nach Ihren eigenen Angaben nichts davon erfahren, dass der Hof schon gesperrt war? Das sind doch merkwürdige Geschichten.

(Hofmann (CSU): So ein Schmarrn!)

Als Herr Miller und Frau Stamm am 27. und am 29. November 2000 noch stolz erklärten, Bayern habe keinen BSE-Fall, da war diese stolze Behauptung längst nicht mehr wahr. Das betreffende Rinderhirn aber war gut gelagert und wartete.

Der Präsident der Tierärztekammer ist ziemlich deutlich geworden. Günter Pschorn erklärte in der „Süddeutschen Zeitung“: „Da ist der Wurm drin.“ Schon der Anfangsverdacht am 2. November sei anzeigepflichtig gewesen. Der Referatsleiter im Gesundheitsministerium, Ministerialrat Otto Buchegger, müsse „von der ersten Minute an“ über den Fall unterrichtet gewesen sein. Wenn Sie, Frau Stamm, also am 29. November meiner Kollegin Frau Kellner erklärt haben, dass es in Bayern „bisher keinen BSE-Verdacht und damit auch keine BSE-Verdachtsproben gegeben“ habe, dann haben Sie entweder selbst gelogen oder Sie sind von Ihrem Ministerium angelogen worden. Hier wurde jedenfalls das Parlament belogen. Entweder von Ihnen oder von Ihrem Ministerium. Wir finden, das ist eine Ungeheuerlichkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über das Tiermehlproblem haben wir bereits vorhin kurz gesprochen. An dieser Stelle kann ich nur noch einmal sagen, dass die Fleischforschungsanstalt in Kulmbach seit 1995 Versuche anstellt und jahrelange Erfahrungen hat. Davon wusste sogar das Sozialministerium. Am 5.02.1997 berichtete Ministerialrat Dr. Buchegger im Landwirtschaftsausschuss, dass möglicherweise ein Drittel des Tiermehls in Bayern nicht ausreichend erhitzt würde. Man wollte es aber lieber nicht so genau wissen. Deshalb lehnte die Ausschussmehrheit auch den Antrag von uns GRÜNEN am 19.02.1997 ab. Die CSU lehnte es ab, Tiermehle auf ausreichende Erhitzung zu überprüfen, Stichproben aus Mischfuttermitteln mit Tiermehlanteil zu prüfen, Mischfuttermittel für Wiederkäuer auf Tiermehlanteile zu untersuchen und ein völliges Verbot einer Fütterung mit Tiermehl zu prüfen. Selbst die Prüfung war für die CSU im Jahr 1997 nicht interessant. Sie sagen sogar, es hätte eine einhellige Meinung zum Thema BSE gegeben. Einhellig mag die Meinung gewesen sein, allerdings nur in Ihrer Fraktion.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider haben CSU und Staatsregierung seit damals nichts dazu gelernt. Frau Ministerin Stamm hat sich nicht einmal dadurch belehren lassen, dass jetzt in Bayern unleugbar BSE-Fälle aufgetreten sind. Statt dass sich die Staatsregierung aber endlich auf die Suche nach den nicht genügend erhitzten Tiermehlen machen und untersuchen würde, ob und wo sie in die Futtermittelkette gelangt sind, wird weiter geleugnet.

Man verschanzt sich hinter der Aussage, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Das bestreiten wir nicht. Wir bestreiten nicht, dass in den Erhitzungsanlagen die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Wir bestreiten aber, dass die Proben ausreichend erhitzt wurden. Das haben Sie unserer Auffassung nach nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Deshalb fordern wir, dass die fraglichen Proben – es müssen Referenzproben da sein – unverzüglich von unabhängigen Labors geprüft werden.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Wir glauben, dass die gesetzlichen Vorschriften nicht ausreichen. Wir meinen, dass man das lange wusste und nicht gehandelt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist kein aktiver Verbraucherschutz, wie wir ihn uns vorstellen. Da kann von Vorbeugung, von Risikovermeidung keine Rede sein. Im Gegenteil. Sie haben ruhigen Auges zugesehen, weil Sie „wussten“, dass Bayern BSE-frei ist. Wir alle sehen, dass nicht alles seine Richtigkeit hatte. Deswegen meinen wir, dass die Chargen nachverfolgt werden müssen. Wir wollen wissen, was aus den Chargen wurde und in welchem Stall oder auf welchem Futtertisch sie landeten. Diese Bauern muss man warnen. Gleiches gilt für die Milchaustauscher. Wir wollen, dass die Futtermittelkette nachvollzogen und den Bauern gesagt wird, dass sie mit BSE-Verdachtsfällen rechnen müssen. Um eine solche Warnung geht es uns. Die Kälber, die mit dem Milchaustauscher aufgezogen wurden, müssen aus dem Verkehr gezogen werden. Dies ist zum Schutze der Verbraucherinnen und zum Schutze der betroffenen Bauern nötig. Meine Damen und Herren von der Staatsregierung, Sie müssen endlich etwas tun. Wenn Sie die Energie, die Sie darauf verwenden, sich aus der Affäre reden zu wollen, nur zum Teil darauf verwenden würden, die Fehler, die Sie gemacht haben, wenigstens teilweise zu beheben, wäre uns allen mehr gedient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie gesagt, Nordrhein-Westfalen hat zweimal gezeigt – einmal bei den Schnelltests und zum Zweiten beim Tiermehl –, dass man über die Standards hinausgehen konnte. Bei Tiermehlen gab es in Nordrhein-Westfalen eine Nulltoleranz. Die dortige grüne Ministerin, Frau Höhn, hat nicht zugelassen, dass Futtermittel für Rinder mit Tiermehlen verunreinigt wurden. Die Bayerische Staatsregierung hat das zugelassen. Dort gab es keine Toleranzen wie in Bayern. Das war die einzige saubere Lösung. Frau Höhn hat unterbunden, dass Restrisiken entstehen konnten. Frau Stamm hat das aber zugelassen. Das ist ein Skandal. Hier wäre die Nulltoleranz mal wirklich angebracht gewesen, Herr Beckstein. Wo ist Herr Beckstein? – Ich vermisse ihn. Herr Beckstein, das ist ein Fall für Nulltoleranz.

(Hofmann (CSU): Er konzentriert sich verzweifelt auf sein Schreibzeug!)

Das glaube ich auch.

(Hofmann (CSU): Es ist eine Schande, was Sie abliefern!)

Minister Miller hat treuherzig erklärt – ich habe das bereits zitiert –, in Bayern sei niemals Tiermehl verfüttert worden. Und als der erste BSE-Fall in Schleswig-Holstein bekannt wurde, hat Minister Miller stolz verkündet – ich zitiere:

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern verfügen wir in Bayern über eine mit dem Programm „Qualität

aus Bayern – garantierte Herkunft“ lückenlose Kontrolle vom Stall bis zur Ladentheke.

Die bayerische Herkunft ist garantiert. Das ist für die CSU das Wichtigste. Nur das, was die Viecher fressen, ist garantiert nicht BSE-frei. Das hätte in den Ministerien bekannt sein müssen. Man hat das Problem ignoriert, weil man wusste, dass man Ärger mit der Fleischindustrie, dem Bauernverband und der Futtermittelindustrie bekommen wird. Diesen Ärger wollte man nicht. CSU und Staatsregierung sind in ihrer Selbstgefälligkeit immer noch unbeirrt. Herr Glück, Sie haben gestern die Maßnahmen als in Deutschland „einmalig“ bezeichnet. Was die CSU in Bayern macht, bezeichnet sie immer als einmalig. Wirklich einmalig ist die Zahl der BSE-Fälle in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern. Diese Politik ist wirklich einmalig. Herr Ministerpräsident, Sie haben die Politik Ihrer Regierung wieder einmal auf einmalige Weise überhöht. Sie finden alles wieder toll. Ich wundere mich, wie Sie zu Ihrem Resultat kommen, dass alles hervorragend sei. Die Selbstdarstellung ist wieder einmal perfekt. Die nächste Stufe ist der Heiligenschein. Darüber gibt es nichts mehr.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Ich fürchte, mit dieser Einstellung werden Sie keinen Neuanfang in der bayerischen Landwirtschaftspolitik und der Gesundheitspolitik schaffen. Sie müssen erst einmal von der Einmaligkeit herunter.

Das Allerschönste aber ist, dass Minister Miller immer noch glaubt, andere belehren zu müssen. Noch am Freitag hat er verkündet, dass in Bayern immer schon eine nachhaltige, naturnahe Landwirtschaft praktiziert werde und eine verbraucher- und umweltorientierte Ernährungspolitik. Das hat er am Freitag erklärt. Außerdem meinte er, der Bund solle sich ein Beispiel nehmen. Nähme sich der Bund ein Beispiel an Bayern, wäre Bayern nicht BSE-Land Nummer 1. Herr Miller, wir fordern Ihre Entlassung, weil Sie immer noch glauben, alles richtig gemacht zu haben. Sollten Sie im Amt bleiben, ist die nächste Krise – ähnlich wie die BSE-Krise – garantiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen die jetzige BSE-Krise als Chance, das grundfalsche Agrarsystem umzustellen. Es gab nicht nur individuelle Fehler der beiden Minister. Sondern BSE wurde vom jetzigen Agrarsystem systematisch produziert. Wir sind heute hier, weil die bisherige Ernährungs- und Agrarpolitik ihren Bankrott erklären muss. Das ist Ihr Bankrott, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, der Bankrott Ihrer Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist der Bankrott einer Politik, die immer erklärt hat, wie vorbildlich die bayerische Landwirtschaft sei, aber nichts dafür getan hat. Es ist die Politik der großen, der leeren Sprüche, mit der Sie jetzt auf die Nase gefallen sind. Ausbaden müssen diese Ihre Politik aber die Verbraucherinnen und Bauern. Aber Sie sind groß darin, sich aus der Verantwortung zu stehlen, fast noch größer als

darin, große Sprüche zu klopfen. Sie wollen die Schuld wieder einmal auf andere abschieben. Jeder soll schuld sein: die EU, die Bundesregierung – dabei haben Sie selbst in Ihrer Regierungsverantwortung die Weichen falsch gestellt. Sie und Ihre Partei haben die jahrzehntelangen Fehlentwicklungen in Europa, auf die sich der Ministerpräsident neulich herausreden wollte, ganz entscheidend mit zu verantworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für Sie gibt es nicht einen Grund, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das müssen Sie akzeptieren.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Schweder (CSU))

Auch Sie, Herr Ministerpräsident, werden für die Fehlentscheidungen Ihrer Regierung geradestehen müssen. Dass wir es verstärkt mit BSE zu tun haben, liegt im Agrarsystem begründet.

(Hofmann (CSU): Frau Paulig hätte das zehnmal besser gemacht als Sie! – Lachen bei der CSU)

Das macht nichts. Ich bin stolz darauf, dass wir Ihrer Meinung nach so gute Leute in der Fraktion haben – einen guten Mann und eine zehnmal bessere Frau. Darauf bin ich stolz. Das ist einmalig, was Sie gesagt haben. Ich habe von Ihnen noch nie ein Lob über Frau Paulig gehört. Das ist toll. Wenn ich jetzt ginge, würden Sie mich auch über den Schellenkönig loben. Soll ich gehen?

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Sie, Herr Ministerpräsident, haben die Richtung der Landwirtschaftspolitik und der Gesundheitspolitik vorgegeben. Diese Richtung war falsch. Das müssen Sie eingestehen. Sie üben schon. Mit Ihren windelweichen Formulierungen üben Sie schon das Eingestehen. Ein bisschen naturnah, ein bisschen nachhaltig. Sie üben schon ein bisschen, aber Sie müssen sich endlich zur Verantwortung bekennen und eine Kehrtwendung machen. Sie müssen in Bayern endlich eine neue Agrar- und Gesundheitspolitik möglich machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Agrarpolitik, die Sie bis jetzt betrieben haben, setzt die Wirtschaftlichkeit, das heißt die Interessen der Agrarlobby, über die Gesundheitsvorsorge. Anerkanntermaßen war das so. Statt Lebensmittel produzieren zu lassen, die die Gesundheit der Menschen fördern, ist Ihr ganzer Ehrgeiz, Lebensmittel produzieren zu lassen, die gerade eben nicht krank machen.

Um genau zu sein: Sie sind mit Lebensmitteln zufrieden, bei denen Sie vermuten, dass sie nicht krank machen. Das gilt auch bei den Grenzwerten. Es genügt Ihnen, wenn nicht nachgewiesen ist, das die Lebensmittel krank machen. Dann sind Sie zufrieden. Das ist Ihre Grenzwertpolitik und Ihre Gesundheitsvorsorge. Uns genügt das nicht. Das ist kein Verbraucherschutz; denn die Gefahr, dass die Agrarproduktion diese Grenze über

schreitet, ist groß. Dies hat man jetzt an Dutzenden Fällen gesehen. Diese Fälle sind nicht aufgetreten, weil die Leute kriminell sind, sondern weil Ihre gesetzlichen Bestimmungen absolut unzureichend sind.

Frau Stamm, so hat die „Süddeutsche Zeitung“ neulich kommentiert, argumentiert wie die Vertreterin einer Fleischfabrik. Warum ist Ihnen die so genannte Wirtschaftlichkeit wichtiger als die Gesundheitsvorsorge? Weil die Agrarlobby ein fester Bestandteil Ihrer Partei ist. Ich brauche mich bloß im Plenarsaal umzusehen. Jeder Agrarexperte in diesem Hause hat etwas mit der Agrarlobby, dem Bauernverband, den bäuerlichen Genossenschaften oder der Futtermittelindustrie, zu tun. Jede Organisation, die handfeste politische Interessen in der Agrarwirtschaft vertritt, ist bei Ihnen prominent vertreten. Eine solche personelle und strukturelle Verflechtung nennt man Filz. Das ist der bayerische Filz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Filz war immer ein Lieblingsthema von Frau Paulig. Immer wieder rückt der schwarze Filz in Bayern ins Blickfeld. Dieser Filz lähmt die Entwicklung unseres Landes und gefährdet die Gesundheit seiner Bevölkerung. Dies wurde an diesem Fall deutlich. Dieser Filz ist nicht harmlos; denn Sie stellen Interessen von einzelnen Interessengruppen über die Interessen der bayerischen Bevölkerung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Wucherungen dieses Filzes gibt es nicht nur hier im Parlament, sondern in jedem kleinsten Dorf. In jedem Dorf gibt es eine intensive personelle und strukturelle Verflechtung. Die bäuerliche Selbstverwaltung und die Staatsverwaltung sind scheinbar untrennbar miteinander verbunden. Sie stecken nicht nur unter einer Decke, sondern in jedem Landwirtschaftsamt auch unter einem Dach. Wenn Ihnen die Interessen der Verbraucher wichtig sind, frage ich Sie, warum dort nicht der Verbraucherschutz sitzt. In den Landwirtschaftsämtern sitzt nur die Lobby, aber nicht der Verbraucherschutz.

Dies ist eine geschlossene Gesellschaft, die aus lauter verdienten Herren und einigen Frauen besteht. Diese Vereinigung hat bisher dafür gesorgt, dass die bayerische Variante der Agrarindustrie reibungslos funktioniert hat.