Protokoll der Sitzung vom 09.01.2001

Was können wir in Bayern in dieser Frage überhaupt tun? Wir müssen uns mit der Agrarpolitik auf allen Ebenen auseinander setzen, von der WTO angefangen bis hin zum Bauernhof. Die WTO-Position der Europäischen Union muss einheitlich sein. In der nächsten WTORunde, die jetzt läuft, müssen wir die Forderung anmelden, zusätzlich zu den bisherigen gesundheitlichen Standards auch ökologische, soziale, ethische, tierschützerische und kulturelle Standards in den einzelnen Ländern zu ermöglichen, und damit die einzelnen Länder langfristig gemäß diesen Standards schützen. Uns muss es erlaubt sein, Hormonfleisch in Europa zu verbieten. Uns muss es erlaubt sein, BST-erzeugte Ware in Europa zu verbieten. Uns muss es erlaubt sein, antibiotische Wachstumsförderer in Europa innerhalb der WTORegeln zu verbieten.

(Beifall bei der SPD)

Das muss langfristig geschehen. Durch schnelle Entscheidungen darf kein Handelshemmnis entstehen. Wenn wir das heute festlegen und in der nächsten WTORunde fordern, dass nach fünf Jahren in Europa gilt, dass kein antibiotischer Wachstumsförderer mehr eingesetzt werden darf, muss das auch bei den Amerikanern durchsetzbar sein. Selbstverständlich wollen sie an uns liefern, aber sie können dann eben kein Hormonfleisch mehr liefern. Das ist durchsetzbar. Wenn die WTO-Standards so scharf sind, wie wir das für unser Essen aus ethischen Gründen fordern, können wir allen Ländern innerhalb der WTO erlauben, an uns zu liefern. Wenn wir so hohe Standards setzen, brauchen wir keine Furcht vor dem Wettbewerb zu haben.

Anders als der Ministerpräsident meine ich, dass wir auf europäischer Ebene eine Food-and-Drug-Behörde, ähnlich der amerikanischen, brauchen, die alles untersucht und über die Zulassung entscheidet, die entscheidet, was der Mensch essen kann.

(Zuruf von Staatsminister Bocklet)

Ja eben. Wenn die Amerikaner BST-erzeugte Produkte zulassen, ist es deren Sache. Wir brauchen in Europa eine Behörde, die dafür sorgt, dass BST bei uns nicht zugelassen ist.

Wir brauchen eine europäische Agrarförderung. Wir müssen bei der nächsten Runde deutlich machen, dass wir ein Agrarfördersystem bekommen, in dem die Nationalstaaten grundsätzlich zu 50% mitfördern.

(Zuruf des Abgeordneten Willi Müller (CSU))

Ich gebe Ihnen Recht, dass das auf der Agenda steht. Eine andere Frage ist, ob man das durchsetzen kann. Ich verlange heute nicht, dass das durchgesetzt wird,

weil ich nicht weiß, welche Situation sich ergeben wird. Dieses Thema muss jedenfalls auf der Agenda sein.

Wir brauchen auf Bundesebene eine Bundesverbraucherbehörde – in allen Mitgliedsländern der EU müsste es so etwas geben –, die in einer Abteilung die einheitliche Umsetzung von EU-Vorschriften im Nationalstaat überprüft. Wir erwarten, dass es eine Länderverbraucherbehörde geben wird. Sie ist dringend notwendig und sollte EU-Vorschriften einheitlich auf Landesebene umsetzen.

Wir brauchen auch – hier komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück – eine deutliche Veränderung des Qualitätszeichens „Qualität Herkunft aus Bayern“. Wir sollten das Zeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“ aus rein pekuniären Gründen nicht verschwinden lassen, weil es mit 17 Millionen DM in der Bevölkerung gut eingeführt wurde. Die Bevölkerung ist davon allerdings total enttäuscht und weiß, dass dieses Qualitätszeichen nichts bringt. „Qualität Herkunft aus Bayern“ ist nur noch zu retten, wenn wir es mit Richtlinien unterfüttern, die dem Verbraucher die Gewissheit geben: Ja, so möchte ich mein Essen haben. Ich will kurz auflisten, was ich mir von „Qualität Herkunft aus Bayern“ erwarte, das für die Fleischproduktion gilt. Die Milchleistung der Kühe, die später gegessen werden, muss aus dem Grundfutter, aus Grünland- und Ackerfutterbau, erfüttert werden. Das muss für das Markenzeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“ Voraussetzung sein. Voraussetzung muss weiter sein, dass der Kraftfuttereinsatz mit Getreide und mit Leguminosen bestritten werden muss. Die Versorgung mit Mineralstoffen muss ebenfalls über das Grundfutter erfolgen. Es reicht, wenn unsere Kühe 5000 bis 6000 Liter Milch im Jahr geben. Wollen Sie als Verbraucher Milch von einer Kuh trinken, durch die jährlich, wie es Praxis sein kann, 12000 Liter Milch laufen? Da laufen täglich mehr als 60 Liter Milch durch eine Kuh. Wollen Sie eigentlich noch Milch von einer solchen Kuh trinken?

Was gilt für die Kälberaufzucht gemäß „Qualität Herkunft aus Bayern“? Es ist doch gängige landwirtschaftliche Praxis, dass die Kälbchen der Mutter sofort nach der Geburt weggenommen werden.

Die Milch wird zu Magermilchpulver denaturiert. Für diese Denaturierung zahlt der Steuerzahler einen Zuschuss. Aus diesem Magermilchpulver wird anschließend durch Zufügen von tierischem Fett der so genannte Milchaustauscher für die Kälberaufzucht hergestellt. Nachdem der Steuerzahler abgezockt wurde, wird der Verbraucher noch einmal zur Kasse gebeten, indem dem Milchaustauscher Fett aus tierischen Abfällen beigefügt wird. Das ist die Praxis; dieses Fleisch müssen wir heute essen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das können wir im Rahmen des Gütezeichens „Qualität Herkunft aus Bayern“ verbieten. Dazu brauchen wir keinen Kanzler Schröder zu fragen und keinen Kommissar Byrne. Das Siegel „Qualität Herkunft aus Bayern“ hat dann einen Sinn, wenn diese Kälber bis zur 12. Lebenswoche wieder mit Vollmilch gefüttert werden. Glauben

Sie denn, dass der Verbraucher, wenn er Kalbfleisch kauft, daran denkt, wie unsere Bauern diese Kälber erzeugen, dass es ihm nicht graust, wenn er erfährt, was hier gemacht wird? Jeder Verbraucher glaubt, dieses Kalb hat einmal an seiner Mutter getrunken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie irgendwo ein Plakat sehen, auf dem unsere Bauern werben, dann möchte ich einmal sehen, ob Sie ein Plakat anschlagen können, auf dem ein kleines Kalb und die Rezeptur für den Milchaustauscher abgebildet ist. Das werden die Bauern nicht wagen. Auf diesen Werbeplakaten werden das Muttertier und das Kalb abgebildet. Das ist eigentlich ein Schwindel.

(Beifall bei der SPD)

Es geht jetzt um die Fütterung der Masttiere. Wir haben uns an hohe tägliche Gewichtszunahmen gewöhnt, weil wir lockeres Fleisch wollen. Mit 1300 Gramm Futter muss so ein Bulle jeden Tag zunehmen. Diese pervertierte Landwirtschaft zwingt die Tiere zum Fressen. Was ist schon dabei, wenn der Bulle weniger zunimmt, wenn sein Fleisch dunkler ist? Wir protestieren gegen die französischen Maststopfgänse. Unsere eigenen Stiere stopfen wir aber wie die französischen Mastgänse.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

All das ist in Bayern möglich. Weidemast in Grünlandgebieten ist ohne weiteres möglich. Kleegras, Grassilage, Getreideschrot, Erbsen, alles wächst in diesem schönen bayerischen Land. Ich wünschte mir, dass die Staatsregierung etwas dazutut, dass wir wieder mit Vergnügen essen können. Die rechtlichen Möglichkeiten dazu haben Sie. Schaffen Sie ein vernünftiges Gütezeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“, und dann wird es in Bayern wieder besser werden. Wir müssen Ihnen aber leider dabei helfen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Loscher-Frühwald.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich alles gesagt, aber noch nicht von jedem.

(Maget (SPD): Dann wird es aber schlimm!)

Ich möchte auch noch einen Beitrag dazu liefern. Herr Dr. Dürr, es wird Ihnen sicher nicht gelingen, sich bei den Wählern mit der BSE-Debatte zu profilieren. Mit Ihrer Rede haben Sie dafür den besten Beweis geliefert.

Wider besseres Wissen werfen Sie der Staatsregierung Versäumnisse vor, sie habe versucht, zu vertuschen. Über Versäumnisse der Bundesregierung gehen Sie großzügig hinweg, zum Beispiel dass Bundeslandwirtschaftsminister Funke bereits am 13. April 2000 von

Experten der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten eine Bewertung des BSE-Risikos erhalten hat.

(Maget (SPD): Daraus habe ich sogar zitiert!)

Das ist in der „Welt“ vom 8. Januar 2001 nachzulesen. Dort wird auch gefragt, Herr Kollege Maget, was Herr Funke in dieser Zeit getan hat. Dadurch ist wertvolle Zeit verloren gegangen.

(Maget (SPD): Das habe ich kritisiert!)

Wie ernst hat man von Seiten der Bundesregierung die Ängste der Verbraucher und die Sorgen der Landwirte genommen?

Bevor Sie Vorwürfe gegen die Staatsregierung erheben, sollten Sie noch einmal die „Welt“ von gestern, vom 8. Januar 2001, nachlesen. Dort heißt es unter der Überschrift „BSE-Beauftragte kritisiert Funke und Fischer“, dass es nicht nur zwischen dem Bundeslandwirtschaftsministerium und dem Bundesgesundheitsministerium, sondern auch innerhalb der Ministerien in Berlin in Sachen BSE keine Zusammenarbeit gab. Wenn Sie schon Vorwürfe erheben, dann richten Sie sie an die richtige Adresse. Fordern Sie den Bundeskanzler auf, oder gehen Sie selber nach Berlin, und versuchen Sie, diesem Chaos so schnell wie möglich ein Ende zu bereiten.

Ich habe noch eine weitere Pressemeldung vom 4. Januar 2001 in die Hände bekommen. Daraus geht hervor, wie ernst Bundeslandwirtschaftsminister Funke diese Probleme genommen hat. Darin heißt es:

„Wo war Funke, als es im wahrsten Sinne des Wortes um die Wurst ging? Während seine Sprecherin sagte, Funke sei krank, fand bei einer Kreistagssitzung seine plötzliche Genesung statt. Funke rauchte Zigarren, nahm an einem Kreistagsessen teil und schwänzte damit den Krisenstab.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Maget (SPD): Wissen Sie, wo Landwirtschaftsminister Miller war, als der erste BSE-Fall in Bayern bekannt wurde? – Gegenruf des Abgeordneten Ach (CSU))

Das weiß ich nicht, das kann er dann selbst sagen.

Ich möchte noch ein paar Sätze zum Thema „Tiermehl“ sagen. Tiermehl wird von der Europäischen Union nicht deshalb verboten, weil es als gesundheitsgefährdend eingestuft wird, sondern weil man sich im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes dazu entschlossen hat. Ich meine, es muss auf Dauer aus der Futter- und damit auch aus der Nahrungsmittelkette verschwinden. Hier darf es – darin stimmen wir sicherlich überein – überhaupt keine Toleranzgrenzen geben.

Nach meiner Überzeugung war es ein außerordentlich großer Fehler, dass man dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland bei seinem Beitritt zur Europäischen Union eine Sonderregelung bei der

tierischen Abfallverwertung zugestanden hat. Das niedrige Hygieneniveau wurde jahrelang auch von London verharmlost. So konnte in Großbritannien Tiermehl sehr billig hergestellt werden. Damit wurden Konkurrenten aus dem Markt verdrängt. Ein Tiermehlverbot allein in Bayern wäre völlig wirkungslos. Futtermittel werden heute nicht mehr europaweit, sondern weltweit gehandelt.

Wir brauchen nicht nur für die Herstellung, sondern auch für die schadlose Beseitigung strenge Kontrollen, und zwar in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Ein Verfütterungsverbot für Tiermehl für die Dauer von sechs Monaten führt nur dazu, dass Tiermehl gehortet wird. Es kommt nach Ablauf der sechs Monate wieder auf den Markt. Ich glaube, hier ist auch die Bundesregierung gefordert, das auf europäischer Ebene entsprechend durchzusetzen. Alle in Sachen BSE beschlossenen Maßnahmen wie Verfütterungsverbot von Fleischund Knochenmehl, höhere Standards für die Verwertung von Tierabfällen, die Entfernung von Risikomaterialien und die Einführung von Tests greifen erst dann richtig, wenn man von nationalen Einzelmaßnahmen zu einer gemeinschaftlichen Lösung kommt.

Ich meine, es war richtig, dass auf Initiative Bayerns hin Verstöße gegen das Futtermittelrecht genauso streng geahndet werden wie Verstöße gegen das Lebensmittelrecht. Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass wir bei allen Futtermitteln möglichst schnell eine offene Deklaration brauchen. Wir fordern den Bund auf, die Futtermittelverordnung umgehend zu ändern und damit jede Verwendung von verbotenen Erzeugnissen im Futtermittelbereich von vornherein auszuschließen. Dinge, die nicht in das Futtermittel hineingehören, müssen verboten werden. Das muss man konsequent durchsetzen. Wir brauchen möglichst umgehend ein Importverbot für Tiermehl und tiermehlhaltige Mischfuttermittel.

Es ist in der Tat so – ich habe mir die Zahlen vom Statistischen Bundesamt geben lassen –, dass bisher in Deutschland jährlich etwa 50000 Tonnen Tiermehl eingeführt worden sind. Wir haben aber auch große Mengen Tiermehl ausgeführt, den größten Teil in Ostblockländer. Ich meine, hier muss man konsequent vorgehen.

Angesichts der Osterweiterung der Europäischen Union befürchte ich, dass einige Überraschungen auf uns zukommen. Ich will Ihnen den Appetit auf Ihre polnische Hafermastgans nicht verderben. Ich weiß aber, wie die Tiere dort gehalten werden. Ich fürchte, dass noch gewaltige Probleme auf uns zukommen werden.

BSE ist sicher nicht nur ein bayerisches oder deutsches Problem, wahrscheinlich ist es ein weltweites Problem.

Der Ministerpräsident hat das angesprochen. Wenn man in den Futtermitteln, vor allem im Tiermehl, die Hauptinfektionsquelle vermutet, dann wird es bei der Osterweiterung der Europäischen Union, wie schon gesagt, noch große Überraschungen geben.

Ich möchte mich beim Herrn Ministerpräsidenten und bei der Bayerischen Staatsregierung für das am 19. Dezember 2000 beschlossene Maßnahmenpaket bedanken.

Zunächst geht es darum, die Forschung zu intensivieren und weiter voranzubringen. Aus Sicht der Landwirtschaft wäre es wünschenswert, wenn man möglichst schnell einen Test bekäme, der am lebenden Tier durchgeführt werden kann und der auch entsprechend aussagekräftig ist. Genauso wichtig sind aber gesicherte Erkenntnisse über die Ursachen und die Übertragungswege von BSE. Bisher gibt es hierzu noch keine gesicherten Erkenntnisse, auch nicht aus anderen Ländern. Es sei denn, es gibt solche Erkenntnisse aus England, der Schweiz und Frankreich und sie würden uns nicht zugänglich gemacht. Mir ist zumindest nicht bekannt, dass die Bundesregierung versucht hätte, solche Erkenntnisse für uns nutzbar zu machen.