Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Elisabeth Köhler, Schammann und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Willi Müller, Loscher-Frühwald und anderer und Fraktion (CSU)
Mitverantwortung des Bundes für eine Verbraucherinitiative „Sichere Lebensmittel und gesunde Landwirtschaft“ (Drucksache 14/5767)
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Agrarkrise ist eine Vertrauenskrise. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Vertrauen in die Sicherheit und die Qualität der Lebensmittel verloren, insbesondere in die Sicherheit und die Qualität von Rind- und Schweinefleisch. Großteile der bayerischen Bevölkerung haben das Vertrauen in die Fähigkeit der Staatsregierung verloren, den Verbraucherschutz gegen die Interessen der Agrarlobby durchzusetzen.
Das kommt nicht von ungefähr. Es kommt daher, dass die Staatsregierung bis gestern nichts unternommen hat, um das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen. Wir haben Staatsregierung und Landtag in den letzten Wochen immer wieder anhand von konkreten Vorschlägen dazu aufgefordert, für eine Erhöhung der Qualität in der Lebensmittelproduktion zu sorgen.
Unser Zwölf-Punkte-Programm für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion, das heute vorliegt, enthält die wesentlichen Voraussetzungen für eine Agrarwende. Es steht unter dem Motto: Klasse statt Masse.
Nun hat gestern erstmals auch der bayerische Ministerpräsident vorgeschlagen, Maßnahmen für den Verbraucherschutz und für ein Umsteuern in der Agrarpolitik zu ergreifen. Obwohl diese Vorschläge nur sehr vage sind, begrüßen wir es, dass sich Ministerpräsident Dr. Stoiber endlich zu seiner Verantwortung bekennt.
Es war allerhöchste Zeit. Geradezu unerträglich war es, wie Ministerpräsident Dr. Stoiber und Minister Miller in den letzten Tagen so getan haben, als könnten sie einfach so weitermachen, als wäre nichts gewesen. Es war unerträglich, wie sie verkündeten, dass in Bayern keine Kursumkehr nötig sei. Bayern ist das Zentrum des BSESkandals und des Schweinemastskandals.
Daher war es allerhöchste Zeit, dass Ministerpräsident Dr. Stoiber endlich die Bremse ziehen will. Bisher gibt es dafür nur Absichtsbekundungen. In der Erklärung des Ministerpräsidenten von gestern wird erstmals offen von der Notwendigkeit einer Agrarwende auch in Bayern gesprochen. Der Ministerpräsident spricht davon, dass eine Zäsur nötig ist. Erstmals hören wir das Wort Zäsur. Von Weiterentwicklung ist nicht die Rede, sondern von Zäsur. Er zeigt sich betroffen davon, zu welchen Auswüchsen und Missbräuchen es in der Tierhaltung gekommen ist. Es hat lange gedauert, bis sich diese Betroffenheit einstellte. Jemand muss schon ganz schön dickfellig sein, wenn er zwei Monate braucht, bis der Schock der bayerischen Bevölkerung dazu führt, dass er sich betroffen fühlt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, damit ist Ihnen Ministerpräsident Dr. Stoiber sogar noch voraus. Ministerpräsident Dr. Stoiber hat gestern gesagt, dass es in der bayerischen Agrarpolitik keineswegs so weitergehen könne. Kolleginnen und Kollegen der CSU, es ist auch für Sie allerhöchste Zeit einzusehen, dass es so nicht weitergehen kann.
Der Ministerpräsident hat ein Landesprogramm für Umstellungsmaßnahmen in der Landwirtschaft angekündigt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich der bayerische Ministerpräsident endlich unsere Forderungen zu Eigen macht.
Jetzt müssen diese Ziele erreicht werden. Wir werden dazu unseren Beitrag leisten. Wir betrachten allerdings die vorläufigen Finanzierungsvorschläge für die bayerische Agrarwende mit Skepsis; denn wir wollen in der Agrarpolitik wirklich umsteuern. Das bedeutet, dass wir
prüfen wollen, wo im bayerischen Agraretat Mittel für eine Umsteuerung zur Bewältigung der Agrarkrise frei gemacht werden können. Wir wollen gesunde Lebensmittel, und wir wollen, dass sich deren Herstellungskosten langfristig in den Preisen niederschlagen, die die Verbraucherinnen und Verbraucher an der Kasse dann gerne zahlen werden, sofern die Lebensmittel gesund sind.
In unseren Augen dürfen die BSE-Hilfen allenfalls eine einmalige Beihilfe sein. Wir sind ganz und gar nicht damit einverstanden, dass ein großer Teil dieser Mittel mit Hilfe einer Haushaltssperre aufgebracht werden soll.
Das trifft nämlich Einrichtungen, welche die Agrarkrise wesentlich weniger zu verantworten haben als die Staatsregierung, die CSU und die Landwirtschaft.
Es ist absurd, dass beispielsweise nichtstaatliche Theater oder soziale Selbsthilfegruppen dafür zur Kasse gebeten werden, dass die bayerische Agrarpolitik versagt hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Freiherr von Rotenhan (CSU): Das entbehrt jeglicher Grundlage! – Frau Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wissen Sie, was eine Haushaltssperre bedeutet?)
In Finanzierungsfragen hat der Bayerische Landtag das entscheidende Wort, nicht der Ministerpräsident. Wir werden zu gegebener Zeit darüber noch detaillierter reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, das letzte Wort haben Sie insofern auch, dass Sie wieder einmal vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Minister Miller geht es da nicht besser. Der wurde wieder einmal mit Entscheidungen in seinem Zuständigkeitsbereich konfrontiert, bei denen er kein Wort mitreden durfte. Für uns bedeutet das, dass wir uns in der Agrarpolitik künftig gleich an den Chef halten werden. Verbraucherschutz und Landwirtschaft sind jetzt Chefsache; jetzt ist Ministerpräsident Dr. Stoiber selbst der Agrarminister.
Wenn wieder einmal etwas schief geht, werden wir den Ministerpräsidenten persönlich verantwortlich machen, nicht mehr Herrn Miller.
Die Stärkung der Kontrolle und des Verbraucherschutzes, die der Ministerpräsident jetzt vorschlägt, ist längst überfällig. Herr Stoiber hat noch vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit dem EU-Bericht über Schlampereien in Bayern gewettert. Das soll allerdings alles nicht wahr gewesen sein, was Minister Sinner inzwischen eingeräumt hat. Nun beginnt auch Herr Stoiber, aus vergangenen Fehlern Konsequenzen zu ziehen. Das begrüßen wir.
Wie die Bundesregierung fordern wir seit langem eine gläserne Produktion. Die Vorschläge des Ministerpräsidenten wären noch glaubwürdiger, wenn die Staatsregierung endlich gegen illegale Machenschaften vorginge, zum Beispiel beim Antibiotikaeinsatz.
Es ist doch lächerlich, dass die Staatsregierung zwar jetzt die Telefonüberwachung fordert, aber unfähig oder nicht willens ist, so einfache Maßnahmen wie Urin-, Blutoder Gülleproben durchzuführen.
Die Vorschläge für eine gesunde Landwirtschaft, die der Ministerpräsident gestern vorgestellt hat, sind wortwörtlich von uns abgeschrieben. Deshalb ist es für uns leicht, sie zu unterstützen. Sie müssen aber endlich Nägel mit Köpfen machen. Daher legen wir ein Zwölf-Punkte-Programm für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion vor.
Zweitens. Deswegen verlangen wir, dass in der Landwirtschaft nur noch derjenige gefördert werden darf, der besondere Leistungen der Qualitätsverbesserung für Umwelt und Tierschutz erbringt.
Drittens. Wir verlangen wieder einmal – das haben wir in diesem Hause schon mehrmals getan – ein Investitionsund Beratungsprogramm, mit dem die Umstellung auf artgerechte Tierhaltung gefördert wird. Seit gestern haben wir auch die Rückendeckung des Ministerpräsidenten.
Schön. Vielleicht kriegen wir in diesem Punkt irgendwann auch einmal die Unterstützung der CSU; das wäre noch schöner.