Protokoll der Sitzung vom 15.02.2001

Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Kaiser.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dinglreiter, Sie sind dabei, in die Schützengräben des Klassenkampfes zurückzukehren.

(Beifall bei der SPD)

Ihr Debattenbeitrag zur Mitbestimmung zeigt, wie sehr Ihre Politik in die Vergangenheit gerichtet ist. Das konnten wir schon bei der Auseinandersetzung um die 68erBewegung beobachten. Gestern lasen wir alle in der „Süddeutschen Zeitung“ Aussagen des stellvertretenden Vorsitzenden Ihrer Partei, Horst Seehofer. Herr Seehofer warnt seit Wochen intern vor einer einseitig neoliberal ausgerichteten Wirtschaftspolitik.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Er hält auch nichts von einer Konfrontation mit den Gewerkschaften auf Biegen und Brechen beim Streit um das Betriebsverfassungsgesetz. Herr Kollege Dinglreiter, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSUFraktion, Sie sollten die Ratschläge Seehofers beherzigen, anstatt hier Klassenkampfparolen zu verbreiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft. Wir treten ein für ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft in den Betrieben und den Unternehmen haben sich bewährt; das ist unsere feste Überzeugung. Wir begrüßen deshalb sehr den Kabinettsentwurf zur Reform des 30 Jahre alten Betriebsverfassungsgesetzes. Durch das neue Gesetz wird die betriebliche Mitbestimmung modernisiert und zukunftsfähig gemacht werden. Unser Ziel ist es, das Erfolgsmodell zur Mitbestim

mung als wichtiges Instrument des gesellschaftspolitischen Friedens für die Zukunft zu sichern.

Wir begrüßen ausdrücklich die Eckpunkte der Reform. Ich will nur einige nennen: Vereinfachung des Verfahrens zur Wahl der Betriebsräte, zum Beispiel Aufhebung der Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten – diese ist antiquiert –, Einbeziehung von Leih- und Telearbeitnehmern in die Betriebsverfassung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Betriebsräte durch moderne Technik und die Möglichkeit der Delegation von Beteiligungsrechten der Betriebsräte, Stärkung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte vor allem im Hinblick auf Entscheidungen zur Qualifikation und zur Beschäftigungssicherung, stärkere Einbeziehung der Mitarbeiter in die Betriebsratsarbeit, Einbeziehung des betrieblichen Umweltschutzes in die Mitwirkungsaufgaben des Betriebsrates, Stärkung der Jugend- und Auszubildendenvertretung, Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Betrieb.

Herr Kollege Dinglreiter, ich bedauere sehr, dass Sie sich gegen den letztgenannten Punkt ausgesprochen haben. Schließlich müssen wir auch in den Betrieben Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus setzen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die zur Diskussion stehende Novelle stellt einen vernünftigen Kompromiss zwischen den Interessen der Unternehmen und denen der Beschäftigten dar. Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen dem Arbeitsund dem Wirtschaftsminister war sicherlich ungewöhnlich. Doch hat sie zu einer intensiven Sachdebatte geführt und war deshalb von großem Nutzen.

(Lachen bei Abgeordneten der CSU)

Sie hat auch die Bedeutung der Mitbestimmung deutlich gemacht. Diese Auseinandersetzung war unter anderem notwendig, um den Bürgern zu zeigen, dass Politik nicht nur aus Personaldebatten im Hinblick auf Kanzlerkandidatur und Führungspositionen besteht.

(Beifall des Abgeordneten Herbert Müller (SPD))

Die Oppositionsarbeit der Unionsparteien in Berlin ist wirklich erbarmungswürdig und bietet keine Alternative zur Regierungspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Dinglreiter, Sie wollen in der Hinsicht jetzt etwas nachholen. Doch ist der Bayerische Landtag dafür die falsche Bühne. Meine Damen und Herren von der CSU, auch heute haben Sie keine Alternativen aufgezeigt. Ihr einschlägiger Dringlichkeitsantrag ist ein Dokument der Einfallslosigkeit und der Ratlosigkeit und stellt keine Alternative dar.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind gegen Reformen, Sie sind strukturkonservativ, nicht wir. Wenn Sie erklären, Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Werner Müller seien Papiertiger, kann ich nur sagen: Die Papiertiger sitzen in Ihren Reihen, und zwar in Gestalt von Friedrich Merz, Angela Merkel und Edmund Stoiber.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Stärkung der Betriebsräte ist ein Vorteil für die Unternehmen; so sehen wir es. Viele Arbeitgeber haben dies längst erkannt und schätzen die Kompetenz der Betriebsräte und deren Rolle für den sozialen Frieden. Unverständlich ist uns deshalb die Kritik der Vertreter der Wirtschaftsverbände. Sie haben in dasselbe Horn geblasen, Herr Kollege Dinglreiter. Die oft geforderte Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Öffnung der Flächentarifverträge sind doch, wenn man diese Änderungen denn will, nur mit starken Betriebsräten möglich. Wenn es diese nicht gibt, haben die Arbeitgeber keine Verhandlungspartner. Deshalb ist es notwendig, die Betriebsräte zu stärken.

Der Gesetzentwurf zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes ist ein weiterer Eckstein der Reformpolitik der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung. Wir, die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, wollen die Teilnahme am Haben und am Sagen, wie es Philip Rosenthal immer ausdrückt. Die Teilnahme am Haben zu erreichen, das ist eine große Aufgabe. Ein Beitrag zur Teilnahme am Sagen ist das Betriebsverfassungsgesetz. Wir begrüßen den vorliegenden Reformentwurf ausdrücklich. Meine Damen und Herren von der CSU, rücken Sie ab von Ihrer Fundamentalopposition! Packen wir die gesellschaftspolitischen Herausforderungen gemeinsam an, auch mit Hilfe des nun zu verabschiedenden neuen, guten Gesetzes.

(Beifall bei der SPD)

Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die betriebliche Mitbestimmung hat sich bewährt. Das aus dem Jahre 1972 stammende Betriebsverfassungsgesetz hat unseres Erachtens gute Dienste getan. Doch muss dieses Gesetz jetzt endlich reformiert werden. Das wirtschaftliche Geschehen verändert sich dynamisch. Wirtschaftsund Unternehmensstrukturen haben sich gewandelt. Veränderungen hat es vor allem beim technischen und organisatorischen Arbeitsumfeld gegeben. Die Betriebe sind im Durchschnitt kleiner geworden, die Arbeitsverhältnisse partiell flüchtiger, partiell gebrochener. Jetzt geht es darum, die damit zwangsläufig zusammenhängende Erosion der betrieblichen Mitbestimmung zu stoppen. Das heißt: Die innerbetriebliche Partizipation an Entscheidungsprozessen muss gestärkt werden. Betriebsräte muss es auch in mittelgroßen Betrieben geben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Im Hinblick auf das zur Diskussion stehende Gesetzesvorhaben der Bundesregierung ist schon ein gewaltiger Popanz aufgebaut worden, und zwar schon im Dezember, als der Entwurf von Minister Riester vorgelegt wurde. Zur Rolle der Wirtschafts- und Unternehmensverbände muss man sagen: Klappern gehört zum Handwerk. Das ist überhaupt keine Frage. Sicherlich kostet betriebliche Mitbestimmung etwas.

(Zurufe von der SPD: Sie bringt auch viel!)

Allerdings bringt sie ungleich mehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist sehr interessant – das kann man nachlesen –, dass Unternehmer mit der Betriebsratstätigkeit wesentlich zufriedener sind als Betriebsratsmitglieder. Die Unternehmer wissen die Arbeit der Betriebsräte sehr wohl zu schätzen.

Herr Dinglreiter hat die Kosten angesprochen, die mit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes verbunden sein werden. Hierzu gibt es auch verschiedene Untersuchungen, etwa eine des Instituts der deutschen Wirtschaft. Meines Erachtens werden diese Kosten maßlos überschätzt. Einiges von dem, was in dem Zusammenhang vorgebracht wird, habe ich einmal mit der betrieblichen Wirklichkeit verglichen. Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass ein nicht freigestellter Betriebsrat 50 bis 70% seiner Arbeitszeit für Betriebsratstätigkeit aufwendet. Wir alle wissen, dass dies in der Regel nicht der Fall ist.

Jetzt komme ich zu dem Popanz, der von Ihnen aufgebaut worden ist, meine Damen und Herren von der CSU. Sie lamentieren nur und malen Horrorgemälde. Doch von Vorstellungen aus Ihren Reihen habe ich bisher weder gehört noch gelesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Hierzu einige Zitate. So hat Frau Stewens erklärt, man müsse das Gesetz der wirtschaftlichen Realität anpassen.

(Maget (SPD): Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister?)

Nun ein besonders schönes Zitat: „Das grundsätzliche Ziel, dass es auch in der New Economy mehr Betriebe mit Betriebsräten geben soll, ist richtig.“ Was hören wir von dem Herren Wiesheu – er ist gar nicht mehr da –

(Maget (SPD): Es interessiert ihn gar nicht!)

und Stoiber? „Es ist kontraproduktiv für Arbeit und Wohlstand.“ „Deutschland droht im internationalen Wettbewerb um Jahre zurückgeworfen zu werden.“ Derartige Aussagen sind doch wirklich lächerlich. Meine Damen und Herren von der CSU, bringen Sie stattdessen doch bitte eigene Ideen. Die CDU hat wenigstens eigene Vorstellungen präsentiert.

Besonders interessant ist, wie der Dissens zwischen den zuständigen Fachministern hochgespielt und wie diese Diskussion gewertet wird. Unseres Erachtens kann eine solche Debatte nur sinnvoll, nur zielführend und gut sein. Dass Minister Riester für seinen Gegenstand und seine Klientel kämpft, ist selbstverständlich. Genauso selbstverständlich, richtig und wichtig ist es, dass sich Herr Minister Müller für die Belange der Wirtschaft einsetzt. Ein solches Vorgehen wünsche ich mir von den Mitgliedern der Staatsregierung. Doch sieht es dort ganz anders aus. Nehmen wir doch einmal den Umweltminister. Herr Gauweiler hatte in einigen Punkten ja noch Biss. Doch bei allen seinen Nachfolgern war bzw. ist zu beobachten, wie der Minister dem Weltspitze- und Champions-League-Gehabe der Staatskanzlei hinterherhechelt und versucht, dieser zu Diensten zu sein.

Herr Minister Wiesheu – er ist immer noch nicht da –, ich würde mir ebenso wie Kollege Kaiser wünschen, dass Sie stärker gegen den wirtschafts- und ordnungspolitischen Irrweg gegenhalten würden, der von der Staatskanzlei immer wieder gegangen wird. Unseres Erachtens war Herr Müller sehr erfolgreich. Ich nenne nur einige wenige Beispiele, weil die Zeit für mehr nicht reicht. Es gibt keine überfallartige Installierung eines Betriebsrates; dieser Artikel 14 a des Dezember-Entwurfs ist verschwunden. Jetzt heißt es, dass es mindestens zwei Sitzungen geben muss, was wir begrüßen. Ich sage ganz offen, dass wir uns wesentlich näher bei den Vorstellungen von Herrn Müller befinden. Das gilt auch für unsere Bundestagsfraktion. Vielen Bedenken, die er eingebracht hat, wurde da Rechnung getragen. § 91 – da gab es große Befürchtungen – blieb unverändert. Es gibt keine zwangsweise Einsetzung eines Konzernbetriebsrats usw.

Die jetzt zu verzeichnenden Änderungen sind unseres Erachtens vertretbar und sachgerecht. Ich nenne nur die Aufhebung des Gruppenprinzips, andere Schwellenwerte, d. h. eine andere Zuordnung nach Betriebsgröße, Anzahl der Mitglieder des Betriebsrats und Befassung mit Themenfeldern. Herr Minister Wiesheu, der betriebliche Umweltschutz interessiert sehr wohl auch die Mitarbeiter der New Economy. Diese Erfahrung werden Sie noch machen.

Herr Dinglreiter, Sie wissen, dass ich Sie ansonsten sehr schätze, aber einen Vorwurf muss ich Ihnen jetzt doch machen: Sie haben die Gesetzentwürfe nicht gelesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe das alles dabei: Das alte Gesetz von 1972, der Gesetzentwurf vom Dezember und der Entwurf, der jetzt herausgekommen ist. Sie haben vom Beispiel der zwei Betriebsräte in einem Unternehmen ab fünf Mitarbeitern gesprochen. Bitte lesen Sie das nach. Selbst im Gesetzentwurf vom Dezember, der weitergehend war, vertritt gemäß § 9 eine Person fünf bis 20 Mitarbeiter. Was hier gesagt wurde, ist einfach nicht richtig.

Fazit: Die Aufgeregtheit hier ist unangebracht. Der Antrag der CSU und das gesamte Vorgehen der CSU dokumentieren nichts anderes als finstere Totalopposition. Das ist alles andere als sachgerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Söder, bitte.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema ist alles andere als ein Popanz. Wer vor wenigen Tagen erlebt hat, wie Handwerker, Mittelständler und Großunternehmer Seite an Seite demonstriert haben in tiefer Sorge um die wirtschaftliche Zukunft des Standortes Bayern,