Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie funktionieren Ihre Kontrollen? Warum funktionieren sie in unseren Augen eben nicht? Sie müssen darauf achten, dass zum Beispiel bei Antibiotika-Razzien nicht nur die Hausapotheke inspiziert wird, sondern dass auch tatsächlich Blut- und Urinproben aus dem Tierbestand gesichert werden. Sie müssen ähnlich wie beim Dopingtest für Sportler auch bei den Tieren diese Proben ziehen lassen. Das ist notwendig, um festzustellen, ob den Tieren illegale Substanzen verabreicht worden sind. Es reicht mir nicht, dass der Bauer ein Zeuge ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass Sie in Ihrem Ministerium zu wenig strukturelle Substanz haben, um tatsächliche Veränderungen herbeiführen zu können. Wir wissen alle, dass der Weg zu einem Wandel in der Landwirtschaftspolitik und damit auch der Weg zu einem effizienten Verbraucherschutz ein steiniger Weg sein wird. Es ist richtig, dass Sie mit einer personellen Verstärkung die Kontrolldichte erhöhen müssen, und es ist auch richtig, in der Forschung und Wissenschaft einen Weg zu suchen, um mit neuen Tests – vielleicht auch mit dem Marker-Test – bei der Maul- und Klauenseuche Lösungen zu finden. Richtig ist auch, dass die Landwirte nicht die Alleinschuldigen sind und dass nicht nur die Schuld bei den Tierhaltern oder den Tiertransporteuren zu suchen ist. Es ist ein zentraler Punkt, dass auch die

Lebensmittelindustrie umdenken muss. Sie steht bisher zu wenig im Kreuzfeuer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zunahme von Allergien, von Nahrungsmittelunverträglichkeiten geht auch mit auf das Konto der Lebensmittelverarbeitung. Die Landwirtschaft liefert als ein Teil des industrialisierten Prozesses die Rohstoffe für die Produktion, und zwar vermeintlich im Sinne des Verbrauchers; denn der Verbraucher fordert zurzeit noch, dass die Lebensmittel schön aussehen, dass sie süß oder durchgängig sauer schmecken und dass sie ewig halten.

Das kann Natur nicht leisten. Davon müssen wir uns verabschieden, wenn wir uns die Kehrseite der Medaille anschauen.

Wenn man das Kleingedruckte auf den Lebensmitteln prüfen will, benötigt man einen Crashkurs in Chemie. Die meisten Verbraucher und Verbraucherinnen kapitulieren bereits vorher. Da muss die Nahrungsmittelindustrie verstärkt in die Verantwortung genommen werden. Wenn wir, zumindest in Berlin, den Wandel in der Landwirtschaftspolitik angehen und Klasse statt Masse fördern wollen, aber in der Produktion nur einen Schritt, und den halbherzig, gehen, bleiben wir auf halben Wege stecken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Frau Abgeordneten Werner-Muggendorfer (SPD))

Aber um letztendlich Erfolg zu haben, damit aus der Krise eine Chance erwächst, reicht nach unserem Dafürhalten ein Kontrollministerium nicht aus. Sie, Herr Minister, haben die Installierung des neuen Ministeriums mit einem Reifenwechsel bei fahrendem Auto verglichen. Damit wird die Absurdität des Unternehmens offen gelegt. Bisher kann ich und kann auch unsere Fraktion keine Initiativen erkennen, die tatsächlich Veränderungen herbeiführt.

Für einen nachhaltigen Verbraucherschutz brauchen wir eben auch eine neue Landwirtschaftspolitik und für diese dürfen Sie nicht zuständig sein. Dieses Defizit macht Sie, Herr Minister Sinner, zu einem Visionär in der Zwangsjacke.

(Dr. Bernhard (CSU): Aber immerhin! – Willi Müller (CSU): Den Sinner bringt man nicht in eine Zwangsjacke!)

Ihre Rolle ist die des zusätzlichen Wadlbeißers in Richtung Berlin. Bellt der Chef, dann heulen Sie mit in der Annahme, dass Renate Künast vor zwei Hunden vielleicht fürchterlich erschrickt.

In Bayern wurde nach unserem Dafürhalten eine Chance vertan. Statt einer Umstrukturierung mit politischer Gestaltungskraft kam es leider zu einem politischen Kramerladen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatsminister Miller hat ums Wort gebeten.

Staatsminister Miller (Landwirtschaftsministerium) : Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu dem Fleischgeschäft und den Ausführungen von Frau Biedefeld Stellung nehmen.

Frau Biedefeld, Sie kritisieren die Fleischexporte nach Moskau.

(Frau Biedefeld (SPD) und Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Gibt es schon welche?)

Ihnen geht es eben nicht um Fleischexporte, Ihnen geht es nicht um die Situation der Landwirtschaft, weil Sie sich bis heute nicht informiert haben und Ihre Aussagen nur so von Falschheit strotzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Tatsache ist, meine sehr geehrten Damen und Herren: Als der Fleischexport auf 20% zurückging, als im Absatz nichts mehr ging, waren wir alle sehr froh, dass Russland als Abnehmer auftrat.

(Frau Biedefeld (SPD): Wie viel wurde bis jetzt verkauft?)

Sie fragen, wie viel verkauft wurde. Nach einer Statistik für die ganze Bundesrepublik, leider nicht nach Ländern gegliedert, wurden vom 1. Januar bis zum 5. April 2001 Exportlizenzen für 60000 Tonnen Rindfleisch von der Bundesrepublik nach Russland genehmigt, davon 50000 Tonnen frisches Fleisch und 10000 Tonnen gefrorenes Fleisch.

Was ist damit bisher erreicht worden? Heimische Rindfleischmärkte wurden entlastet, die Preise haben wieder angezogen, wertvolle Nahrungsmittel wurden vor der Verbrennung bewahrt – in Bayern wurde nicht herausgekauft, um zu verbrennen – und Steuergelder wurden gespart.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sind doch zwei Paar Stiefel)

Das können Sie halt nicht auseinander halten, auch wenn Sie als Philosoph promoviert sind.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind Sie neidisch?)

Um die Märkte haben Sie sich wenig angenommen. Verkaufen ist besser als verbrennen.

Es hat lange gedauert, bis die Ministerin, die den GRÜNEN angehört, unseren Vorschlag aufgenommen hat, endlich Fleisch nach Nordkorea zu liefern, um es den dort hungernden Menschen zu geben, statt es bei uns zu verbrennen. Das ist unsere ethische Grundhaltung, darin unterscheiden wir uns von euch.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Substanzlosigkeit ist so schmerzhaft!)

Reden Sie doch einmal mit der Fleischwirtschaft. Dort habe ich nachgefragt, ob sich von Ihnen jemals jemand erkundigt hat.

(Ach (CSU): Kaum!)

Das wurde verneint. Es wurde gesagt: Sie geben zwar Interviews, aber erkundigt haben Sie sich noch nie. Die Anstrengungen des Ministerpräsidenten haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Türen für die Zahlen geöffnet wurden, die ich Ihnen genannt habe. Ich frage mich: Warum überziehen Sie das mit Spott und Häme? Ihnen müsste doch eigentlich auch etwas an unseren Bauern liegen, die in der schwierigen Zeit besonders auf diese Exporte angewiesen sind. Aber darum geht es Ihnen nicht, das beweisen Ihre Bemerkungen.

(Frau Biedefeld (SPD): Wie viel wurde denn nach Russland exportiert?)

Ich habe gesagt: Von der Bundesrepublik Deutschland sind von 1. Januar bis 5. April – Sie sind ja ein bisschen schwer von Begriff, deswegen wiederhole ich es – 60000 Tonnen – –

(Frau Biedefeld (SPD): Bayern!)

Ich habe gesagt, dass diese Statistik nur Bundeszahlen enthält.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt gehen Sie dazu über – und das ist der Gipfel der Unverfrorenheit –, unseren Ministerpräsidenten mit Häme zu überziehen, indem Sie sagen: Wegen der Maul- und Klauenseuche seien die Exporte eingestellt worden. Als ob der Ministerpräsident für die Maul- und Klauenseuche in England und in Holland etwas könnte.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für die Fleischexporte kann er auch nichts!)

So primitiv dürfen Sie nicht argumentieren.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Sprinkart?

Staatsminister Miller (Landwirtschaftsministerium). Das können wir hinterher machen. Jetzt habe ich dafür keine Zeit.

Das Russlandgeschäft muss finanziell abgesichert werden, das spielt eine große Rolle. Sie behaupten nach Zeitungsmeldungen immer wieder, dass dazu Genehmigungen vonseiten unseres Ministeriums notwendig seien. Ich möchte dies einmal klarstellen. Das ist nicht der Fall. Von der Exportfirma werden Anträge auf Exportlizenz gestellt, und diese wurden bisher immer erteilt.

Einmal haben Sie kritisiert, dass junge, nicht untersuchte Tiere exportiert werden, und haben das als große Gefahr für Russland an die Wand gemalt.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ein andermal kritisieren Sie, dass alte Tiere exportiert werden, die man bei uns nicht mehr will. Das hängt aber von der Erstattung ab, die derzeit bei Bullen 3,80 DM und bei Kühen 1,80 DM beträgt. Außerdem muss das Geschäft durch Hermesbürgschaften abgesichert werden, und da erzählen mir die Geschäftspartner in Russland, dass die Bundesregierung für Gesprächen mit ihren Experten keine Zeit hat,

(Dr. Bernhard (CSU): Hört, hört!)

und das in einer Situation, in der unsere Bauern auf diese Exporte angewiesen sind. Das ist die Wahrheit.