Protokoll der Sitzung vom 27.06.2001

Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion, betreffend Verantwortungsvolle Sondermüllentsorgung in Bayern, Drucksache 14/6969. Mit Ja haben 57 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 81 und 6 haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 5)

Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, betreffend Politische und ökologische Verantwortung in der Sondermüllbehandlung, Drucksache 14/7018, lautet: Ja-Stimmen 59, Nein-Stimmen 81, Ent

haltungen 2. Damit ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 6)

Wir fahren fort in der Diskussion. Als nächster Redner hat das Wort Herr Kollege Dinglreiter.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Paulig, seien Sie sicher, die Innenstädte und der Mittelstand im Handel sind bei der CSU in guten Händen.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Probleme, um die es geht, rechtzeitig erkannt. Sie haben ja unseren Entschließungsantrag vom Jahre 1998 eben angesprochen. Dieser ist in einen Antrag hier im Landtag am 24. März 1998 gemündet und hier auch beschlossen worden.

Ich füge hinzu, dass wir uns nie auf diese FOCs spezialisiert haben bzw. diese nie als das größte aller Übel betrachtet haben. Das sind für mich immer nur Randerscheinungen gewesen und der Antrag war Ausdruck unserer damaligen Haltung.

(Zuruf von der SPD: Ein Quantensprung!)

Es geht um große Einzelhandelsagglomerationen, gegen die wir uns wenden, weil diese den Mittelstand nachhaltig beeinflussen. Die mittelständischen Handelsstrukturen werden durch den Ministerratsbeschluss zu den großen Einzelhandelsprojekten grundsätzlich auch nicht aufgeweicht, wie Sie es dargestellt haben, sondern die geltenden Regelungen durchaus restriktiv angewandt.

Dem Beschluss des Ministerrats gingen viele Gespräche sowie eine informelle Anhörung voraus. Dabei ist eine Reihe von Fragen aufgeworfen worden, die eine Beantwortung erfahren haben: Wie kann man auf die Veränderungen in der Angebotsstruktur reagieren und wie kann man auf das Käuferverhalten reagieren, das wir nicht ignorieren dürfen? Wie kann eine nachhaltige, ausgewogene regionale und lokale Versorgungsstruktur in allen Teilen unseres Landes trotz mancher dramatischen Veränderungen sichergestellt werden? Wie können die Kräfte des Marktes so gesteuert werden, dass diese Ziele erreicht werden und die mittelständische Einzelhandelsstruktur gesichert bleibt? Wie können überall im Lande lebendige Innenstädte gesichert werden? Diese Fragen sind in den Kabinettsbeschluss eingegangen. Es gibt ohne Zweifel noch einige diskussionswürdige Punkte. Wir haben uns so vereinbart, dass nach Abschluss der förmlichen Anhörung diese Punkte einer endgültigen Entscheidung zugeführt werden, weil die Betroffenen in den Kommunen und im Handel durchaus auch dazu gehört werden sollen. Seien Sie sicher, diese Punkte werden am Ende mittelstandsfreundlich ausgestaltet sein.

Nun zu den Eckpunkten des Beschlusses ein paar kurze Anmerkungen. Was wichtig ist und was uns wichtig war, ist die absolute Priorität des Schutzzieles Innenstadt. Es

geht um die Versorgungsfunktion, es geht um die wohnortnahe Grundversorgung in den Gemeinden. Das hat absolute Priorität bei diesem Beschluss. Es geht um die innerstädtische Lebensqualität und es geht um die Sicherheit durch belebte Straßen. Wir wissen alle, dass belebte Straßen nur durch den Handel garantiert werden.

Unverändert bleibt die Bindung von Einzelhandelsgroßprojekten an Unterzentren und an zentrale Orte höherer Stufen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Es ist also nicht so, dass die grüne Wiese jetzt fröhliche Urständ feiern könnte.

Was neu und wie ich denke wichtig ist – darüber ist lange geredet worden – ist, dass nicht mehr einzelne Geschäftstypen Ausgangspunkt für den Schutz der Innenstand sind, sondern dass das Sortiment eines Geschäftes das Kriterium für die Bewertung ist. Deshalb ist unterschieden worden zwischen Innenstadtrelevanz zum einen, also das, was in der Innenstadt verkauft wird, nämlich Haushaltsartikel, Porzellan, Schuhe, Bekleidung und Ähnliches mehr, und zum anderen einem nicht innenstadtrelevanten Warenbereich wie Möbel, Baumärkte und Ähnliches. Das ist ein bedeutsamer Punkt, um den es hier geht.

Bei den innenstadtrelevanten Bereichen haben wir durchaus eine sehr restriktive Haltung insofern erreicht, als eine Abschöpfungsquote von 10% aus dem Verflechtungsbereich des innerstädtischen Einzelhandels festgeschrieben ist.

Wer die jetzige Regelung kennt, weiß, dass das 30 bis 40% sein können. Also von daher absolut eine positive Haltung, die dieser Zielvorschlag einnimmt.

Bei den nicht innenstadtrelevanten Sortimenten ist es so, dass wir den Einzugsbereich nehmen, so wie bisher auch, eine Kaufkraftabschöpfung von 15% festlegen, und das, was innenstadtrelevant ist, in gleicher Weise behandeln, als ob es selbstständig zu behandeln wäre. Also ich denke, das ist sehr viel restriktiver, als es die bisherigen Regelungen festgelegt haben.

Die ÖPNV-Anbindung ist angesprochen worden. Sie ist festgeschrieben, wobei wir uns – das gebe ich zu – schwer tun in Mittelzentren, weil das dort nicht immer und unbedingt darstellbar ist. In den großen Oberzentren ist es sicher kein Problem.

Festgelegt ist auch die städtebauliche Integration. Es ist generell so, dass städtebauliche Integration verlangt wird. Es ist eine Ausnahme formuliert: in städtebaulicher Randlage, also nicht am Rande der Stadt. Ich füge hier auch ganz klar hinzu: Hier geht es darum, dass dieser Begriff noch präzisiert wird, damit er für alle klar ist und nicht jeder ihn so auslegen kann, wie er ihn gerne ausgelegt hätte. Da, wie gesagt, gibt es noch Klärungsbedarf, aber im Grundsatz, denke ich, ist das absolut richtig. Es ist auf jeden Fall so, dass an Autobahnkreuzungen und weit vor den Toren unserer Städte weder Einzelhandelszentren generell noch FOCs entstehen können, und das, meine ich, sollte so auch dargestellt werden.

Wenn in dem Antrag formuliert wird, dass dem Mittelstand das Wasser nicht abgegraben werden darf, dann, denke ich, ist dieser Zielvorschlag für die Anhörung und dann für die spätere Behandlung im Bayerischen Landtag durchaus gut dazu geeignet, den Mittelstand zu sichern.

Ein breites Verkaufsangebot in den Innenstädten bleibt über das Landesentwicklungsprogramm erhalten. Ob wir es dann in der Praxis wirklich halten können, meine Damen und Herren, hängt aber noch von einer Reihe anderer Faktoren ab, über die wir in diesem Zusammenhang auch reden müssen, nämlich über die Frage der Mieten und der Kosten für die Geschäfte in unseren Städten oder über die Frage von Stellplatzablösen für Neubau und Erweiterung von Einzelhandelsgeschäften in unseren Städten. Wenn also in mittleren Städten schon 20000 DM und mehr für eine Stellplatzablöse verlangt werden, die dann nicht einmal in Parkplätze umgesetzt werden, dann ist das ein Problem.

Oder ich denke an sonstige Schikanen, die sich manche Kommunen einfallen lassen, zum Beispiel die Luftraumsteuer für Markisen, für Werbeanlagen oder Ähnliches.

Und schließlich, meine Damen und Herren, komme ich auf die Verkehrsprobleme zu sprechen, weil Sie in Ihrem Antrag auch das Thema „Verkehr“ angesprochen haben. Der ÖPNV ist richtig und ist wichtig, und er ist in München, Nürnberg und in anderen Großstädten, er ist auch in den Oberzentren problemlos darstellbar.

In Mittelzentren – ich habe es schon angesprochen – haben wir damit Schwierigkeiten, weil die Nachfrage nach einem umfassenden ÖPNV nicht vorhanden ist, weil das Einzugsgebiet für die Käuferschicht dieser Mittelzentren weit in den ländlichen Bereich hineingeht. Wer da den Pkw aussperren will durch unzureichende Zufahrtsstraßen, durch nicht ausreichende Parkplätze, der verstärkt den Druck in Richtung Einzelhandel auf der grünen Wiese. Das muss man Ihnen ins Stammbuch schreiben.

(Starzmann (SPD): Eine billige Stellplatzablöse, wie Sie sie gerade gefordert haben, verhindert Parkplätze!)

Nein, sehr verehrter Herr Kollege, ich habe keine billige Stellplatzablöse gefordert, nein, ich habe gesagt, es geht nicht an, dass 20000 DM verlangt werden und kein einziger Parkplatz geschaffen wird. Das ist das Problem!

(Beifall bei der CSU)

Und solche Fälle gibt es genug. So kann man es einfach nicht machen. Wenn die Einzelhändler daraus einen Vorteil hätten, wäre ja alles durchaus in Ordnung, aber wenn sie den Vorteil nicht haben, geht es so nicht.

Es geht auch darum, dass Schnittstellen zwischen Individualverkehr und ÖPNV nicht ausreichend geschaffen werden, weil man Angst hat, der Individualverkehr würde profitieren, wenn wir Schnittstellen zum ÖPNV schüfen. Auch da, denke ich, liegt es im Argen.

Das ist ein Widerspruch, den man gerade den GRÜNEN, wie schon gesagt, ins Stammbuch schreiben muss. Man kann nicht auf der einen Seite Innenstädte lebendiger halten wollen, aber gleichzeitig zusätzlichem Verkehrsaufkommen massiv entgegenwirken. Beides zusammen ist nicht machbar. Wer wie Sie den Pkw aussperren will, schadet dem Schutzgut Innenstadt. Dafür gibt es gute Beispiele, die ich jetzt der Kürze der Zeit wegen nicht im Einzelnen aufzählen will.

Meine Damen und Herren, wichtig ist auch – und das sage ich nicht nur hier, das habe ich auch dem Einzelhandel immer wieder deutlich gemacht –, dass auch der Einzelhandel selbst sich anstrengen muss, wenn er dem Druck aus Richtung „grüne Wiese“ verhindern will.

Das Einkaufsverhalten hat sich verändert. Kunden suchen das Einkaufserlebnis. Wenn dies in der Kooperation der Einzelhändler miteinander und untereinander und in der Zusammenarbeit mit den Städten nicht zu machen ist, dann leidet etwas, was Käufer erwarten: dann leidet die Attraktivität. Der Einzelhandel darf deswegen nicht nur auf eine restriktive Genehmigungspraxis für Einzelhandelsgroßprojekte aus sein und darf diese nicht nur fordern; er muss auch selbst Anstrengungen unternehmen, um durch ein gemeinsam gestaltetes Citymanagement die Einkaufsattraktivität unserer Innenstädte zu erhöhen.

Ich bin sicher: Nur im gemeinsamen Bemühen aller in der Politik – in der Landespolitik, die über das Landesentwicklungsprogramm Rahmenbedingungen setzt, in der Kommunalpolitik, die umweltfreundliche Rahmenbedingungen für den Einzelhandel schafft –, aber auch im Handel selbst sind lebendige Städte und mittelständische Strukturen zu sichern.

(Dr. Scholz (SPD): Sie sind umgefallen!)

Also, lieber Freund Dr. Scholz – ich sage das bewusst so, weil wir uns sonst ganz gut verstehen –, da haben Sie nicht zugehört. Ich habe deutlich gemacht, was alles durchaus im Sinne unseres Antrages ist. Ich habe auch deutlich gemacht, dass es noch einige Dinge gibt, über die wir reden müssen, dass wir aber dazu zunächst einmal die Anhörung der Verbände abwarten wollen, was dazu gesagt wird von den Kommunen, vom Handel, von den Organisationen und dergleichen mehr, bevor wir uns dann darum bemühen, eine vernünftige, mittelstandsund innenstadtfreundliche Lösung zu finden.

Aber noch einmal zurück zu den GRÜNEN: Ihr Antrag, meine Damen und Herren, leistet keinen Beitrag zu den Punkten, die ich gerade angesprochen habe, und aus diesem Grunde werden wir ihn ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächster hat Herr Dr. Jung das Wort.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie, Herr Dinglreiter, wollten uns jetzt mit vielen Worten darstellen, dass bei

der Union und in der Staatsregierung niemand umgefallen sei. Gelungen ist Ihnen das nicht, und es nimmt Ihnen auch keiner ab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Erklärungen des Einzelhandelsverbandes – sicherlich keine der SPD besonders nahe stehende oder verdächtige Organisation – sprechen eine deutliche Sprache.

Wir bedauern diese Entwicklung außerordentlich und werden deshalb auch dem Anliegen der GRÜNEN gerne zustimmen, weil Sie damit vernünftige Ansätze ad absurdum führen, vernünftige Ansätze, die auch mit den Problemen zu tun haben, die wir heute diskutiert haben.

Ihr Minister Beckstein hat bedauert, wie wenig Geld für die Projekte der „Sozialen Stadt“ zur Rettung der Innenstädte in Bayern zur Verfügung steht.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Ihr Staatsminister Beckstein hat erklärt, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Städtebauförderung und Entscheidungen für Ansiedlungen auf der grünen Wiese. Es ist naturgemäß so: Man kann nicht beides haben; man kann nicht auf der grünen Wiese ansiedeln lassen, was sich ansiedeln will, und gleichzeitig lebendige und attraktive Innenstädte als Forum des Handels und des gesellschaftlichen Lebens.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn Herr Beckstein noch einen Funken Glaubwürdigkeit haben soll, dann müssen Sie Ihre Entscheidung wieder umdrehen. Es war sogar die Drohung im Raum, auch bei Diskussionen in Mittelfranken, dass Mittel der Städtebauförderung dann von den Kommunen zurückgezahlt werden müssten, wenn gleichzeitig die Stadtratsgremien innenstadtfeindlichen Ansiedlungswünschen nachgeben.