Ich sage Ihnen noch einmal: 80000 assyrische Christen und 30000 Armenier, die hier in Deutschland und Bayern leben, sind die Nachkommen der Opfer des Holocaust. Diese Menschen treibt dieses begangene Unrecht um. 16000 Menschen haben die Petition an den Deutschen Bundestag unterzeichnet. Das Anliegen der Petenten um Vergangenheitsbewältigung verdient die volle Unterstützung deutscher Politiker auf Landes- und Bundesebene. Setzen Sie also ein Zeichen und stimmen Sie unserem Antrag zu.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Köhler, Sie haben zum Schluss gebeten, dass wir alle dem Antrag zustimmen sollten. Ich werde einige Aussagen machen und auf Gründe verweisen, warum wir von der CSU dem Antrag sicher nicht zustimmen werden, ohne die ganze Diskussion im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen wiederzugeben. Ich möchte zunächst den historischen Anlass für diese Ereignisse in Armenien nennen und dann Ursachen aufzeigen und zur Bewertung kommen.
Die Verfolgung der Armenier begann nach der verheerenden Niederlage der osmanischen Armee Sakiramis im Januar 1915. Die Osmanen waren mit den Zentralmächten verbündet und sind etwas später in den Krieg
eingetreten. Diese Armee sollte von der armenischen Hochebene aus auf die Ölregion Baku vorstoßen, war jedoch schlecht vorbereitet. Der Winter war sehr streng und der Gegner, die Russen, waren besser ausgerüstet und hervorragend geführt. Für die schreckliche Niederlage, die die Osmanen erlitten haben, wurden die Armenier verantwortlich gemacht. In der russischen Armee dienten damals 4 Legionen Auslandsarmenier, welche sich in den Kämpfen besonders hervortaten. Auf der osmanischen Seite kämpften die Armenier, die im osmanischen Reich ansässig waren.
Wie gesagt, die Armenier wurden für diese Niederlage haftbar gemacht. Diese Niederlagen, meine Damen und Herren, war der Anlass für die radikale und extrem nationalistisch und pantürkisch eingestellte Fraktion des „Komitees für Einheit und Fortschritt“, die Deportation der anatolischen Armenier einzuleiten, die von Massakern an der armenischen Bevölkerung begleitet wurde. Bis Mai 1915 wurden die in den Ostprovinzen ansässigen Armenier ausgesiedelt, das heißt, die männlichen Armenier wurden größten Teils an Ort und Stelle getötet oder wie die Alten, Frauen und Kinder zu Fuß oder soweit das Eisenbahnnetz es zulässt, mit Zügen deportiert. Weit über eine Million Armenier waren die Opfer.
Dies ist historisches Faktum. Das wird von vielen Historikern akzeptiert. Dieses Faktum wird auch von den Türken nicht bestritten. Zumindest wird die historische Tatsache nicht bestritten, sie wird aber von Seiten der Türken in wesentlichen milderem Licht dargestellt, nämlich als eine Kette von tragischen Ereignissen, bei denen es auch zu Todesfällen kam. Die Türken und viele Historiker auf dieser Seite stellen die Ereignisse als kriegsbedingte Deportation dar, was die Sache nicht besser macht.
Die Türkei bietet ein Heer von Historikern auf, um die Behauptung des Genozids zu entkräften. Die Türkei will auf keinen Fall und hat das auch mit Strafe bewehrt, dass diese Vorgänge als Genozid beurteilt werden. Die Armenier bieten ebenfalls eine Anzahl von Historikern auf. Ich habe sowohl von türkischer als auch von armenischer Seite im Vorfeld der Ausschussdiskussion eine Vielzahl von Dokumenten erhalten, die die historischen Fakten unterschiedlich darstellen.
Ich bin der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Landtag ist nicht der Ort und hat keine Veranlassung, sich in diesen nahöstlichen Historikerstreit einzumischen.
Sie haben von vorne herein versucht, den Vorwurf der Doppelzüngigkeit zu entkräften. Ich wundere mich aber über die Doppelzüngigkeit der GRÜNEN auf Landesund auf Bundesebene. Ich erinnere an die Kleine Anfrage der PDS im Deutschen Bundestag vom 13. Februar 2001, in der die Bundesregierung gefragt wurde, ob diese bereit wäre, die Anerkennung des Völkermordes im Bundestag durchzusetzen und die türkischen Staatsbürger anhalten würde, sich für die Vergangenheitsbewältigung einzusetzen. Die Antwort auf die Kleine Anfrage der PDS sah folgendermaßen aus: Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wer an der Spitze des
Auswärtigen Amtes steht, das ist der berühmte Marathonläufer oder „Jogger-Josef“, wie er genannt wird. Auf jeden Fall gehört er zu den GRÜNEN.
Er verwendet Formulierungen wie „Völkermord“. Er verwendet Formulierungen wie „Übergriffe auf die armenische Bevölkerung“ oder „Massaker an den Armeniern“. Wenn das Auswärtige Amt zur Bewertung kommt, es sei eine historische Angelegenheit und damit Sache der Geschichtswissenschaft und in erster Linie Sache der betroffenen Länder Armenien und der Türkei. Also, es ist eine Angelegenheit der Historiker und der betroffenen Länder.
Meine Damen und Herren, ich komme auf den Antrag der GRÜNEN zurück und stelle die Frage, wieso eine historische Untat – egal wie sie von welcher Seite bewertet wird – eine parlamentarische Bestätigung braucht. Warum braucht eine historische Untat des Jahres 1915 die parlamentarische Verurteilung durch den Bayerischen Landtag? Der Bayerischen Landtag ist nicht der Ort, wo die Ereignisse des Jahres 1915 aufgearbeitet werden können.
Sie sagen, Sie möchten der Türkei zur Vergangenheitsbewältigung verhelfen. Es gibt viele, die sagen, dies wäre kontraproduktiv und würde eher zum Gegenteil führen. Kein geringerer als der Präsident der EKD, der vor einigen Monaten – ich glaube im Mai – in der Türkei war und den armenischen Patriarchen besuchte, hat gesagt, dass es wichtig sei, dass die Betroffenen ins Gespräch kommen und die Belastungen aufarbeiten.
Wenn über Vergangenheitsbewältigung geredet wird, ist zu sagen, dass Vergangenheitsbewältigung die Aufgabe des betroffenen Volkes ist, in diesem Falle der Türkei. Das sage nicht ich, sondern das hat Ihr grüner Parteikollege, Ihr Renommier-Türke im Bundestag, Cem Özdemir, – von dem ich ansonsten ich nicht allzuviel halte – in dieser Form ausgeführt. Er hat auch gesagt, Vergangenheitsbewältigung sei die bewusste Gewissensentscheidung eines Volkes, nicht länger die Ereignisse der Vergangenheit zu verdrängen.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass Vergangenheitsbewältigung ein sehr komplexer Prozess ist. Wir werden stets deutlich machen, meine Damen und Herren – ich sage das mit den Worten eines Autors Kohlhammer, der Zeitschrift „Merkur“, den ich vor kurzem gelesen habe, dass diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, dazu verurteilt seien, sie zu wiederholen. Er sagt und führt weiterhin aus, dass das Geheimnis der Erlösung Erinnerung heiße. Das hat zunächst nichts mit dem tun, was Sie fordern.
Ihr Dringlichkeitsantrag ist nicht geeignet, dieses Bewusstsein und diese bewusste Gewissensentscheidung zu fördern. Dies hat auch – ich habe es ausgeführt – der Deutsche Bundestag so gesehen, der die Petition des Vereins der Völkermordgegner behandelt hat und sie als Material an die Bundesregierung verwiesen hat. Ich möchte einige Äußerungen vor allem der GRÜNEN zitieren – es gibt auch Äußerungen von SPD- und CDU
Politikern. Die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin, hat gesagt, es bringe nichts, die türkischen Partner mit öffentlicher Kritik oder Verurteilung beeinflussen zu wollen. Was gilt nun? – Die Stimme der GRÜNEN in Berlin oder die Stimme der GRÜNEN im Bayerischen Landtag?
(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Hier gilt die Stimme der GRÜNEN im Bayerischen Landtag!)
Ich möchte noch einmal Cem Özdemir, Ihren Bundestagsabgeordneten zitieren. Er sagte, eine Anerkennung könne bedeuten, dass ein zukunftsfähiger Dialog zwischen Türken und Armeniern erschwert werde. Deutschland solle niemandem in Ankara bei der Suche nach nationalen Feinden helfen. Soweit zu den Äußerungen von den GRÜNEN im Deutschen Bundestag zu dieser Petition.
Meine Damen und Herren, das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Vertreibungen. Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Deportationen, der ethnischen Säuberungen, der Flüchtlingskatastrophen und des Völkermordes. Wollten Sie alle diese Ereignisse des 20. Jahrhunderts mit Entschließungen des Bayerischen Landtags aufarbeiten, hätten wir bis zum Ende dieser und der nächsten Legislaturperiode zu tun, um das zu bewältigen.
Meine Damen und Herren, ich sehe – Frau Köhler, sehen Sie mir das nach – eine gewisse Heuchelei der GRÜNEN. Würde die CSU einen Antrag einbringen, mit dem die tschechische Regierung aufgefordert werden solle, den Völkermord an den Sudetendeutschen zu verurteilen, würden Sie alle Register ziehen und mit der „Faschismuskeule“ auf uns los gehen
und uns vorwerfen, dass wir die ewig Gestrigen seien, die die eigene Vergangenheit noch nicht bewältigt hätten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen, dass viele Länder Schwierigkeiten mit ihrer Geschichte haben. Ich könnte Ihnen viele Beispiele aufzählen, aber die Zeit reicht hierzu nicht. Ich bin der Meinung, wir sollten – auch aufgrund unserer Geschichte – nicht als Lehrmeister für die Vergangenheitsbewältigung anderer Völker auftreten. Das sollten wir anderen überlassen. Das ist auch der Grund dafür, dass wir diesen Antrag ablehnen.
Ich sage es noch einmal: Der Bayerische Landtag ist nicht der richtige Ort, um die Ereignisse von 1915 im Nachhinein zu bewältigen. Wenn Sie sagen, dass die CSU Seite an Seite mit der Türkei marschiere, muss ich Sie fragen: Marschieren dann auch die GRÜNEN in Berlin in dieser Frage Seite an Seite mit der Türkei, oder marschiert die SPD in dieser Frage Seite an Seite mit der Türkei?
Das werden wir sehen. Auf jeden Fall sind die Äußerungen Ihrer Berliner Kollegen völlig anders, als Sie es hier darzustellen versuchen.
Wir werden es uns nicht nehmen lassen, in den Diskussionen, in denen es darum geht, die Verhältnisse bezüglich der Menschenrechte in der Türkei zu verbessern, auf Toleranzdefizite hinzuweisen, wenn es solche gibt. Nachdem der türkischen Minderheit in unserem Land eine ungeheuer große Toleranz in allen Fragen entgegengebracht wird, können wir von der türkischen Seite verlangen, dass Ähnliches für Minderheiten wie Christen und christliche Armenier gilt. Das ist unsere Position. Ich hoffe, dass ich deutlich gemacht habe, warum wir den Dringlichkeitsantrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ablehnen. Ich plädiere für Ablehnung.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Köhler, die SPD ist nicht glücklich darüber, in welche Richtung Sie diese diffizile Thematik mit Ihrem Dringlichkeitsantrag gerückt haben. Es kann keine Rede davon sein, dass man dann, wenn man diesem Antrag nicht zustimmt, mit Rücksicht auf die Türkei handelt. Man denke nur daran, wie hart wir von der SPD gegenüber der Türkei gerade in der Kurdenfrage Stellung bezogen haben. Das ist ein deutliches Beispiel. Sie sollten also anderen nichts unterstellen.
Wir sind auch nicht glücklich darüber, dass Sie Ihren Antrag nicht modifiziert haben, wie wir es vorgeschlagen haben. Wir hätten es für sinnvoll gehalten, „die Türkei aufzufordern, im Interesse ihrer Landsleute, aber auch im Interesse der in Bayern lebenden Menschen türkischer, armenischer und assyrischer Herkunft die Beziehungen zu den Armeniern zu intensivieren und dabei die Belastungen aus der Vergangenheit abzubauen“. Es gibt noch eine große Distanz, nicht zu den wenigen Armeniern, die in der Türkei leben, aber zum armenischen Staat. Auf diesem Gebiet ließe sich viel machen.
Für mich – ich bin seit Jahrzehnten in der Erinnerungsarbeit in München und Dachau engagiert – ist entscheidend, dass eine solche Verurteilung der falsche Weg ist, um Verbesserungen herbeizuführen. Es gab dabei immer Mahnungen der überlebenden Opfer. Dazu zählen auch viele meiner persönlichen Freunde, die aus dem Ausland gekommen sind. Eine so harte Form der Verurteilung der Vergangenheit wurde aber von diesen Kreisen auch aus Gründen der Kooperation für eine tragfähige, gemeinsame Zukunft vermieden. Ich denke, eine Verurteilung ist der falsche Weg. Deswegen werden wir uns bei dem vorliegenden Dringlichkeitsantrag der Stimme enthalten, wobei wir uns nicht unterstellen lassen, dass wir die Situation nicht ernst nehmen. Wir treten
für die Menschenrechte ein, wo dies erforderlich ist. Im Übrigen hätten die von Ihnen zitierten Staaten Argentinien und Russland auf ihrem Gebiet viel genug zu tun, um ein gutes Beispiel abzugeben.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen empfiehlt die Ablehnung des Dringlichkeitsantrags. Wer dagegen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie 3 Stimmen der SPD. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Das ist die Fraktion der SPD sowie Herr
Außerhalb der Tagesordnung gebe ich bekannt, dass Frau Kollegin Erika Görlitz nach ihrem Amtsantritt als Staatssekretärin im Staatsministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz gegenüber dem Vorsitzenden des Landesgesundheitsrates ihren Verzicht auf eine weitere Mitgliedschaft im Landesgesundheitsrat erklärt hat. Die nach § 2 Absatz 2 des Gesetzes über die Schaffung eines Landesgesundheitsrates vorschlagsberechtigte CSU-Fraktion hat für die Nachfolge Frau Kollegin Christa Matschl als Mitglied des Landesgesundheitsrates nominiert. Das Hohe Haus nimmt hiervon zustimmend Kenntnis. Ich bedanke mich für die Mitarbeit und schließe die Sitzung.