Protokoll der Sitzung vom 11.07.2001

zes. Kaum etwas ärgert und verdrießt den Mittelstand so sehr wie diese gesetzliche Regelung. Anscheinend reden Sie nicht mehr mit den Leuten in den Betrieben, sonst wüssten Sie, das ist ein Stimmungskiller par excellence.

Wir brauchen eine konsequente Fortsetzung der Privatisierungspolitik und Einsparungen bei überflüssigen Ausgaben. Ich sage es noch einmal: Allein EEG, KWK-Regelung und Ökosteuer kosten den Stromkunden bereits über 11 Milliarden DM. Die Summe steigt an. Die Kohleförderung kostet 8 Milliarden DM. Wenn die Zielvorstellungen von Rot-Grün verwirklicht werden, werden 50% bis 60% des Strommarktes subventioniert und reguliert. Das kann nicht sein.

Wir brauchen außerdem das, was Sie im Wahlkampf vollmundig angekündigt haben, nämlich eine „aktive Modernisierungs- und Innovationspolitik“. Davon ist nichts anderes geblieben als eine Restaurierungs- und Stagnationspolitik.

Ich erwarte vom Bundeskanzler, dass er im „Bündnis für Arbeit“ dafür sorgt, dass im nächsten Jahr schwere Tarifkonflikte vermieden werden und dass keine Lohn-PreisSpirale in Gang gesetzt wird, die letztlich nur in der Stagflation und im Rückgang von Investitionen enden würde. Moralappelle an die Unternehmen nach Ausweitung der Beschäftigung bringen niemand weiter. Es ist Chuzpe und Unverfrorenheit, wenn der Bundeskanzler vorsorglich die Unternehmer als Verantwortliche dafür benennt, dass er sein Arbeitsmarktziel nicht erreicht. Da muss er sich schon an der eigenen Nase packen.

(Beifall bei der CSU)

Es war interessant, was er gesagt hat, als ihm 1998 bei einem großen „Spiegel“-Interview die niedersächsischen Wirtschaftszahlen vorgehalten wurden. Damals hat er erklärt, er könne nichts ändern, weil die Rahmenbedingungen beim Bund gemacht würden. Er habe keine Instrumente in der Hand. Jetzt hat er die Instrumente in der Hand, aber er geht falsch mit ihnen um. Das bringt mehr Schaden als Nutzen. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen kommt es jetzt in erster Linie auf die politischen Rahmenbedingungen an. Ich füge hinzu: Wer den Mittelstand nicht hegt und pflegt, wird nicht mit neuen Arbeitsplätzen rechnen können. Deswegen muss man dort ansetzen.

Letzte Bemerkung: Die Zeit der wirtschaftspolitischen Beliebigkeit und der Klientelpolitik der Bundesregierung ist vorbei. Bisher ging man daran, sich die Großbetriebe durch die Reform der Körperschaftsteuer wohlgesonnen zu machen. Für die Gewerkschaften hat man dafür die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes durchgeführt. Der Mittelstand wird dabei zerrieben. Meine Damen und Herren, das kann nicht sein. Wir brauchen auch im Bund eine Wirtschaftspolitik, die sich wieder am ordnungspolitischen Leitbild der sozialen Marktwirtschaft orientiert, anstatt ihr Heil in Minimalkonsens-Runden zu suchen und zu finden.

Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht in der Lage, ihre wirtschafts- und ordnungspolitische Führungsrolle

wahrzunehmen. Dies wäre aber die Grundvoraussetzung für einen selbsttragenden Aufschwung, für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit Deutschlands und für einen angemessenen Wachstumsbeitrag unserer Volkswirtschaft. Heute steht im „Münchner Merkur“, der Präsident des Arbeitgeberverbands, Herr Hundt – der im Übrigen ein sehr ausgeglichener Mensch ist und die Kontroversen nicht sucht –, sage, Herr Schröder habe keine Ahnung von Wirtschaftspolitik. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

(Lang anhaltender Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Ich eröffne die Aussprache. Nachdem Herr Staatsminister Dr. Wiesheu die Redezeit überzogen hat, verlängert sich die Redezeit der Fraktionen um jeweils 18 Minuten. Das heißt, es stehen jeder Fraktion 48 Minuten zur Verfügung. Erster Redner ist Herr Dr. Kaiser.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Rede des Wirtschaftsministers haben wir uns gefragt, was soll diese Regierungserklärung. Herr Dr. Wiesheu, der Neuigkeitswert ist gleich null, und der Stil ist unwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Weite Teile Ihrer Rede bestanden aus billiger Polemik und Beleidigungen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, ich fordere Sie auf, den Ausdruck „Propagandatrottel“ gegenüber unserem Fraktionsvorsitzenden augenblicklich zurückzunehmen.

Das ist unwürdig. Herr Wiesheu hatte im Amt des Wirtschaftsministers einen legendären Vorgänger: Ludwig Erhard. Er hat gesagt, 50% der Wirtschaftspolitik sind Psychologie.

(Zurufe von der CSU: Jawohl!)

Herr Wiesheu, daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen, anstatt billige Polemik zu verbreiten.

(Beifall bei der SPD – Dr. Bernhard (CSU): Wir wollen nicht alles schönreden! – Frau Biedefeld (SPD): Keine Sachargumente!)

Was Herr Wiesheu hier geboten hat, war ein Zerrbild der wirtschaftlichen und politischen Realität unseres Landes.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CSU)

Rezessionsängste zu schüren, nützt niemandem und liegt allenfalls im Interesse der kleinkarierten Parteipolitik, die Sie hier betreiben wollen.

(Beifall bei der SPD – Zahlreiche Zurufe von der CSU – Unruhe)

Dafür habe ich angesichts der desolaten Lage der Union auf Bundesebene ein gewisses Verständnis.

(Fortgesetzte Unruhe – Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Stockinger (CSU))

Es hat keinen Sinn, eine einseitige Schuldzuweisung vorzunehmen. Bei einer realistischen, nüchternen Betrachtungsweise ist vorsichtiger Optimismus in der Wirtschaftspolitik angebracht.

(Lachen bei der CSU)

Die Wachstumsprognosen der Institute schwanken zwischen 1 und 2%. Das ist die normale, übliche Prognosedifferenz.

(Widerspruch bei der CSU)

Die OECD geht von 2% aus, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung von 1,2 bis zu 1%. Die OECD hat in ihrem neuesten Ausblick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit folgende Prognosen abgegeben:

(Prof. Dr. Stockinger (CSU): Schönredner! – Gegenruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendorfer (SPD))

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erwartet in Europa trotz des geringeren Wirtschaftswachstums einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit. Die OECD geht in ihrem neuesten Beschäftigungsausblick von einer positiven Entwicklung auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt aus. So lautete die Meldung vom 7. Juli, der erst vor wenigen Tagen war. Die OECD ist zuversichtlich, dass es sich bei der momentanen Abkühlung der Weltkonjunktur um eine sehr begrenzte Abschwächung handelt. Spätestens im Jahr 2002 werde sich die Wirtschaft wieder beleben.

(Kaul (CSU): Die Rede schicken wir den Arbeitslosen!)

Herr Kaul, wir haben die Arbeitslosen von Ihnen geerbt, nämlich über 4 Millionen nach 16 Jahren Unionsregierung! Jetzt sagen Sie: Die Rede schicken wir den Arbeitslosen.

(Beifall bei der SPD – Lebhafter Widerspruch bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Kaul (CSU))

Das ist die Meinung der OECD. Herr Wiesheu, Sie hätten den Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ von heute zur Prognose des DIW zitieren sollen:

Dennoch könnte Eichel Recht haben insofern, als er weiter auf eine Wende zum Besseren setzt, denn die negativen Meldungen verdecken, dass Einzelindikatoren bereits auf eine Erholung zum Jahresende hinweisen.

Das ist die wirtschaftliche Realität in unserem Lande.

Sie haben eine einseitige Schuldzuweisung an die Bundesregierung vorgenommen. Was sind die Realitäten?

Das ifo-Institut hat am 26. Juni folgende Presseerklärung abgegeben:

Die Weltwirtschaft ist im Jahr 2000 mit 4,8% stärker gewachsen als in den letzten zehn Jahren. Hinter diesem Wachstumsrekord im Jahresdurchschnitt versteckt sich aber eine deutliche Verlangsamung im Verlauf des Jahres.

Das ist richtig.

Auslöser dafür war zum einen die Verteuerung des Erdöls und anderer Energieträger. Zum anderen hatten die Notenbanken in den USA und in Westeuropa die monetären Zügel gestrafft, um der Inflationsgefahr entgegenzuwirken. In den USA ging der Boom zu Ende. Die starke Expansion im IT-Sektor hatte bis Mitte 2000 die zyklische Verlangsamung überdeckt, die sich in anderen Bereichen bereits ab Herbst 1999 abzeichnete. Die Konjunkturabkühlung in den USA traf insbesondere die asiatischen Schwellenländer und Japan. Dagegen blieb die Konjunktur in Westeuropa zunächst noch vergleichsweise robust. In Deutschland hat sich die Konjunktur seit Mitte letzten Jahres stark abgekühlt.

Das ist richtig.

Maßgeblich hierfür war einmal die Verlangsamung der Weltkonjunktur.

Das sind die Gründe, die das ifo-Institut in München angibt. Es heißt weiter:

Das ifo-Institut geht aber davon aus, dass es in Deutschland und im gesamten Euro-Raum ab dem zweiten Halbjahr 2001 wieder zu einer konjunkturellen Aufwärtsentwicklung kommt.

Das müssten Sie als bayerischer Wirtschaftsminister verkünden: Es gibt eine erneute Aufwärtsentwicklung zu Ende dieses Jahres. Nicht Pessimismus ist angesagt, sondern Optimismus, auch im Interesse der Arbeitslosen in diesem Lande.

(Beifall bei der SPD)

Keinem Arbeitslosen nützt es etwas, wenn der bayerische Wirtschaftsminister schwarz in schwarz malt und aus parteipolitischen Gründen eine schlechte Konjunktur herbeireden will. Das haben Sie nämlich getan.