Protokoll der Sitzung vom 10.10.2001

(Heiterkeit der Frau Abgeordneten Werner-Muggen- dorfer (SPD))

Mit 5000 Plätzen, die für die Kleinstkinderbetreuung in den nächsten fünf Jahren geschaffen werden sollen, machen Sie einen Anfang. Wir sagen dazu: endlich. Lang haben Sie die Kommunen allein gelassen. Lang hat Ihnen die ideologische Schere im Kopf beim Thema Kleinstkinderbetreuung ausschließlich blinde Flecken beschert. Ihre Prognose, dass eine 5,7-prozentige Versorgung für Krippenkinder ausreicht, darf jedoch bezweifelt werden. Die Landeshauptstadt München hat sich das Ziel einer 20-prozentigen Versorgung gesetzt.

(Unterländer (CSU): Wir machen hier Landespolitik!)

Gerade für Frauen mit qualifiziertem Abschluss mündet der Wunsch nach Kind und Karriere in die Entscheidung Kind oder Karriere. Instrumente wie zum Beispiel der Erziehungsurlaub von drei Jahren, den Sie als das Mittel zur Überbrückung bis zum Kindergartenalter angesehen haben, führen viele Frauen ins berufliche Abseits. Eine Nachbesserung ist deshalb dringend überfällig, bisher haben Sie das Thema Krippe auf die Kommunen abgewälzt und diese billig abgespeist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Auch beim Thema Horte erwachen Sie nun endlich aus Ihrem Bewusstseinskoma. 10000 neue Plätze soll es bis 2006 im Hortbereich geben. Qualifizierte Nachmittagsbetreuung ist für viele Kinder und Eltern notwendig, um die immer wieder beschriebene Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Für viele Kinder ist gerade qualifizierte Hortbetreuung ein Garant, um schulische Schwierigkeiten anzugehen und zu meistern.

An Krippen und Horten geht kein Weg vorbei. Lange mussten wir als Opposition mit unseren Anträgen zum Einstieg in genau diese Hort- und Krippenförderung bei Ihnen hausieren gehen. Ihre ideologischen Schranken pflegten und hegten Sie wie das Idealbild der glücklichen Familie, die als Keimzelle der Gesellschaft allen Schwierigkeiten und Widrigkeiten trotzt. Dass genau diese Keimzellen vielfältige Unterstützung brauchen, weil viele dieser Einzeller-Familien Zellteilung, sprich Trennung zu bewältigen haben oder weil viele der Keimzellen, die intakt sind, tagsüber auf verschiedenen Ebenen, sprich Erwerbstätigkeit, tätig sind, ignorierten Sie mit der Beharrlichkeit eines sardischen Esels. Herr Unterländer,

Probleme mit der Zeit haben nicht nur allein erziehende Mütter,

(Frau Radermacher (SPD): Ja!)

die haben andere auch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Familienpolitisch zogen Sie die Reißleine, weil Sie die demographische Entwicklung, sprich fehlende Kinderzahl, in Panik versetzte, Kinder, die mit ihren Beiträgen in die Renten- und Sozialkassen als nächste Generation genau diesen Generationenvertrag weiter ermöglichen.

Belassen Sie es, meine Damen und Herren, mit Ihren Kinderbetreuungskonzepten nicht bei durchsichtigen Manövern. Eine verlässliche Grundlage, um Kinder in qualifizierte und gute Hände zu geben, ist dringend notwendig. Ihre Anstrengungen stecken hier noch in den Kinderschuhen.

Erziehen, Betreuen und Bilden – diese Trias wird im Bayerischen Kindergartengesetz formuliert. Nehmen Sie Ihre Grundsätze und Gesetzestexte ernst. Nehmen Sie genau diese zur Grundlage, wenn es an die Umgestaltung der Finanzierungsrichtlinien für Kindergärten geht. Marktorientierte Steuerung und Nutzungszeit als Grundlage einer Kinderbetreuung im Kindergarten führen ins pädagogische Abseits. Nutzen Sie die Chance, mit rückläufiger Geburtenrate und sinkender Kinderzahl pädagogisch sinnvolle Vorschläge zu machen. „Kinder sind unser höchstes Gut“, so steht es in unserer Bayerischen Verfassung geschrieben. Damit es den Kindern gut geht, sollten Sie alle Konzepte genau darauf abklopfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Staatsministerin Hohlmeier.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Opposition schlichtweg etwas dagegen hat, dass die CSU und die Bayerische Staatsregierung beschlossen haben, über 500 Millionen DM innerhalb von fünf Jahren zur Unterstützung von Familien auszugeben,

(Frau Radermacher (SPD): Nein, wirklich nicht!)

weil dies in anderen Ländern, die von Ihnen regiert werden, in dieser Größenordnung weder möglich ist noch durchgeführt wird.

Zweitens habe ich das Gefühl, wir führen eine Phantomdiskussion. Gerade nachdem ich mir den Wortbeitrag von Frau Münzel angehört habe, habe ich das Gefühl, dass Sie zum Teil noch in ideologischen Schablonen denken, die wir längst aufgegeben haben,

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Da gibt es gar keine ideologischen Schablonen!)

dass Sie noch in einer alten Diskussion verweilen, die es für uns eigentlich schon nicht mehr gibt.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch nie gegeben hat, das ist das Problem!)

Das Thema Ganztagsschule und das, was SPD- oder grünregierte Länder unter Ganztagsschulen verstehen, hat mit dem Begriff Schule oder Ganztagsschule im ursprünglichen Sinn überhaupt nichts mehr zu tun.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Ach so?)

Man muss sich einmal ansehen, was zum Beispiel Hamburg unter einer Ganztagsschule versteht.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind hier in Bayern!)

Moment, ich will mal die Begrifflichkeiten klären. Das ist Ihnen zwar unangenehm, aber es dient der Wahrheit.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Es ist immer hilfreich, wenn Sie die Begrifflichkeit klären!)

In Hamburg zum Beispiel – oder auch in Rheinland-Pfalz oder in Nordrhein-Westfalen – ist eine offene Ganztagsschule dann vorhanden, wenn am Nachmittag Sportübungsleiter Kindern sportliche Aktivitäten anbieten, wenn durch Pädagogikstudenten Hausaufgabenbetreuung angeboten wird,

(Frau Radermacher (SPD): Es gibt mehrere Formen, das ist richtig!)

wenn durch Musikschullehrer den Schülerinnen und Schülern musikalische Angebote gemacht werden.

(Frau Radermacher (SPD): Genau!)

Das hat allerdings in der Relation wenig mit Schule und mit schulischem Ablauf, sondern vielmehr mit der jeweiligen örtlichen Situation und mit einem Ganztagsbetreuungsangebot zu tun.

(Frau Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Machen Sie es doch besser!)

Wir nennen das Ganze halt so, wie es tatsächlich ist.

Ich habe mich neulich mit meiner Kollegin Behler aus Nordrhein-Westfalen unterhalten, die eindeutig zur SPD gehört. Sie hat mich gefragt, ob Bayern daran denke, allein durch den Staat finanzierte Ganztagsschulen einzuführen bzw. flächendeckend auszuweiten.

Darauf war meine Antwort: Nein. Ich habe ihr gesagt, dass wir dies in spezifischen pädagogischen und unterrichtlichen Einzelfällen tun wollen, die ich gleich noch beschreiben werde, aber dass wir normalerweise Ganztagsangebote an oder in der Nähe von Schulen anstre

ben, abhängig von Räumlichkeiten und Trägern und davon, welcher Vorlauf innerhalb einer Gemeinde, eines städtischen Gebietes bereits stattgefunden hat. Wir wollen eine anteilige Finanzierung zwischen Staat, Kommunen und Eltern. Frau Behler hat mir geantwortet, dass dies letztendlich auch das Konzept von Nordrhein-Westfalen sei, und dass in Niedersachsen ebenfalls eine anteilige Finanzierung praktiziert werde.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer)

Nein, das tut mir herzlich leid. Sie haben nicht viele Ganztagsschulen. Auch darüber habe ich mich informiert. Allein die Gesamtschulen sind dort zum Teil Ganztagsschulen, weil die Kurse organisatorisch nicht anders durchführbar sind. Das ist die Fragestellung. Herr Irlinger, 600 Ganztagsschulen schwerpunktmäßig im Förderschulbereich, wo Bayern zum Teil schon Ganztagsschulen hat, und zum Teil im Hauptschulbereich. Als ich mir das Konzept angesehen habe, stellte ich fest, dass es in einem erheblichen Umfang das Konzept der Ganztagsangebote Bayerns ist.

(Beifall bei der CSU)

Ich habe manchmal das Gefühl, dass Sie erstens Äpfel mit Birnen verwechseln,

(Frau Radermacher (SPD): 649 Schulen!)

und zweitens wollen Sie, da das Konzept insgesamt stimmt, letztendlich irgendetwas finden, was daran nicht stimmen könnte.

Warum unterbreiten wir Ganztagsangebote, warum die Aufteilung zwischen Staat, Kommunen und Eltern? Erstens. In allen Ländern wird eine solche anteilige Finanzierung durchgeführt, außer in den Stadtstaaten, da es dort logischerweise keine Trennung zwischen Staat und Stadt geben kann. Zweitens. Die Ganztagsangebote bedeuten, dass man sich wesentlich flexibler an die örtlichen Verhältnisse angleichen kann. Wer sich einmal in Bayern umsieht, erlebt, dass bereits sehr viele Aktivitäten von den Kommunen, von den freien Trägern und zum Teil auch schon mit Unterstützung des Freistaates Bayern durchgeführt werden. Wir können dann dort vor Ort, je nach Situation – ob das innerhalb der Schule ist, ob das in einem Jugendfreizeitzentrum nebenan ist, ob das in Räumlichkeiten eines bereits bestehenden freien Trägers ist – für Schülerinnen und Schüler ein Ganztagsangebot unterbreiten. Wie dies organisiert wird, müssen letztendlich Schulen und Kommunen gemeinsam mit den Eltern vereinbaren und ausmachen. Es wäre falsch von uns, ein Ganztagsschulkonzept ohne die Beteiligung der Kommunen von oben nach unten aufzuoktroyieren, ohne dass es vor Ort passen würde.

Letztendlich führen wir zum Teil auch eine Finanzdiskussion. Die SPD sagt, der Freistaat Bayern hat alles zu 100% zu finanzieren. Die Opposition neigt grundsätzlich dazu, es sei denn, sie wird von den Beschlüssen der Bayerischen Staatsregierung überrascht. Bei den Lehrerplanstellen beispielsweise hat die Bayerische Staatsregierung mehr Lehrerplanstellen beschlossen, als Herr

Irlinger gefordert hat, und dankenswerterweise beabsichtigt der Bayerische Landtag, dies in den Haushalt aufzunehmen.

Die Situation ist relativ ähnlich. Bei den Ganztagsangeboten haben Sie den Vorteil, dass Sie auch die örtlichen Kulturträger einbinden können, die örtlichen Vereinsstrukturen einbinden können. Dies ist nicht zwingend vorgeschrieben, aber ich halte es für sehr wichtig, dass Kinder, die zum Beispiel vorher in einem Sportverein waren, auch bei einem Ganztagsangebot noch im selben Sportverein tätig sein können. Die Angebote müssen möglichst flexibel örtlich angepasst mit einer festen anteiligen Finanzierung unterbreitet werden, auf die sich die Kommunen auch verlassen können, die auf Dauer bestehen bleibt und nicht irgendwann abgesenkt wird. Deshalb auch das Ziel, sie früher oder später in ein Gesetz einmünden zu lassen.

Frau Münzel, jetzt zu Ihrer Argumentation bezüglich der Nachwuchssportler. Ich habe das Gefühl, Sie haben sich im Nachwuchssport noch nicht umgeschaut. Für Leistungssportler des Skisports haben wir schwerpunktmäßig einzelne Schulen.

(Zuruf von der SPD)