Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 75. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich Sie, eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.
Am 5. November verstarb Herr Konrad Rauter im Alter von 94 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1962 bis 1970 an und vertrat für die Fraktion der CSU den Wahlkreis Schwaben, Augsburg-Ost. Als Verwaltungsinspektor der Inneren Mission Augsburg sowie als Stadtrat und Bezirksrat brachte er einen reichen Erfahrungsschatz in seine parlamentarische Arbeit ein. Er engagierte sich besonders im Ausschuss für kulturpolitische Fragen und im Ausschuss für sozialpolitische Angelegenheiten, dessen stellvertretender Vorsitzender er war. Der Bayerischen Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren des Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Für die heutige Sitzung war die Fraktion der CSU vorschlagsberechtigt. Sie hat zum Thema „Die negativen Auswirkungen der Steuerpolitik der Bundesregierung auf die Kommunen in Bayern“ eine Aktuelle Stunde beantragt. In die Beratung beziehe ich folgende zum Plenum eingereichte Dringlichkeitsanträge ein:
Gegen die Schwächung der Finanzkraft der bayerischen Kommunen durch die Steuerpolitik der Bundesregierung – Für eine Senkung der Gewerbesteuerumlage (Drucksache 14/7898)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Kellner, Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wie Sie wissen, dürfen in der Aktuellen Stunde die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht
mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder die Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit der Dauer der Aussprache zu sprechen. Ich bitte Sie, auf mein Signal zu achten. Der erste Redner mit einem Redebeitrag von zehn Minuten ist Herr Kollege Ach.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die rot-grüne Bundesregierung dilettiert auf vielen Politikfeldern, leider auch auf so essenziellen wie der Steuerpolitik. Die Steuerschätzung vom letzten Freitag hat in erschreckender Weise belegt, welch dramatische Auswirkungen die verfehlte rot-grüne Bundespolitik gerade auch auf Land und Kommunen hat. Für die Kommunen ist die Entwicklung der Gewerbesteuer zum Hauptproblem geworden. Leider ist die Gewerbesteuer als zweitwichtigste kommunale Steuerquelle nach dem Einkommensteueranteil keine verlässliche und konstante Größe mehr.
Städte und Gemeinden klagen über alarmierende Einbrüche ihres Gewerbesteueraufkommens. Selbst große und finanzstarke Unternehmen fallen als Gewerbesteuerzahler aus.
Herr Kollege Strasser, in Bayern wird für das laufende Jahr gegenüber 2000 ein Rückgang von durchschnittlich knapp 12% erwartet; einzelne Städte verlieren bis zu 50%. Wie verhält sich da die Bundesregierung? Erst wird der Karren durch verfehlte politische Vorgaben von Rot-Grün in den Graben gefahren. Dann passiert nichts mehr, und der Kopf wird in den Sand gesteckt. Auch von der bayerischen Opposition ist – außer Zwischenbemerkungen, die möglicherweise nicht einmal den Tatbestand betreffen – nichts zu sehen und zu hören. Liebe Freunde, Einsatz bei Ihren Genossen beim Bund für die bayerischen Interessen: leider Gottes wie immer Fehlanzeige, stramme Parteisoldaten, aber keine eigene Meinung.
Erstens, Steuerpolitik und Konjunkturverlauf. Mit ihrer verfehlten und zögerlichen Steuerpolitik trägt die Bundesregierung entscheidende Verantwortung für den schwachen Konjunkturverlauf, dessen Folgen gerade auch die Kommunen treffen. Die Unternehmensteuerreform Eichels begünstigt einseitig die großen Konzerne zulasten des Mittelstandes, der in der Bundesrepublik Deutschland der Motor für Wachstum und Beschäftigung ist. Hinzu kommen Belastungen auch für die Kommunen aus der so genannten Ökosteuer.
Zweitens, Vertrauensbruch gegenüber den Gemeinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regierungskoalition hat die Gewerbesteuerumlage im Steuersenkungsgesetz mit der Begründung angehoben, dass die Gemein
den auch von den Gegenfinanzierungsmaßnahmen profitieren. Zu den angekündigten Gegenfinanzierungsmaßnahmen gehörte auch die Anpassung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von den amtlichen AfATabellen. Den Gemeinden wurde daraus ein Mehraufkommen von 274 Millionen DM für das laufende Jahr und von bis zu 3,375 Milliarden DM im Jahre 2005 in Aussicht gestellt. Nachdem die Bundesregierung mit dem kläglichen Rückzug bei den Branchentabellen selbst die Geschäftsgrundlage im Nachhinein geändert hat, hätte es ihr gut zu Gesicht gestanden, auch die Gewerbesteuerumlage neu zu prüfen. Dass sie dies nicht getan hat, meine Damen und Herren, grenzt an Betrug an den Gemeinden.
Da wir unsere Gemeinden nicht im Regen stehen lassen wollen, fordern wir in unserem Dringlichkeitsantrag eine Senkung der Gewerbesteuerumlage.
Drittens, Förderung von Gestaltungsmöglichkeiten. Mit dem Wechsel zum Halbeinkünfteverfahren hat die Regierungskoalition auch Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen durch Kapitalgesellschaften von der Körperschaftsteuer befreit. Sie hat damit die negativen Folgen aus der zunehmenden Verflechtung der Wirtschaft erheblich gefördert, nämlich: Gewinne und Verluste können leichter saldiert werden, Gestaltungsmöglichkeiten werden in größerem Maßstab genützt. Hinzu kommen noch die Vorzieheffekte, zum Beispiel die Realisierung von Veräußerungsverlusten im laufenden Jahr, die das Aufkommen zusätzlich belasten. Die Folgen, die sich daraus für die Haushalte der Gemeinden, die oft nur von wenigen Gewerbesteuerzahlungen abhängen, ergeben, hat die Bundesregierung offensichtlich, wie in anderen Fällen auch, überhaupt nicht bedacht, wenn sie es überhaupt interessiert hat. Auch diese Feststellung möchte ich hier treffen.
Viertens, Steuerbefreiung für Dividenden. Die Bundesregierung hat die Steuerbefreiung für Dividenden im vergangenen Jahr auf Biegen und Brechen gegen unseren Widerstand durchgesetzt und leider wieder einmal die Folgen nicht bedacht. Ab 2002 zahlen Kapitalgesellschaften für Dividenden keine Gewerbesteuer mehr. Das hat vor allem für Versicherungsunternehmen enorme Auswirkungen, die große Wertpapierbestände haben. Die negativen Konsequenzen allerdings haben Städte und Gemeinden auszubaden, in denen Versicherungsunternehmen ansässig sind.
Fünftens, Politik der ruhigen Hand. – Das ist schon ein geflügeltes Wort. In der Koalitionsvereinbarung von 1998 heißt es: Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden Prüfung unterziehen. Tatsache ist: Rot-Grün hat die Finanzkraft der Gemeinden geschwächt. Das Thema Gemeindefinanzen aber wird aus wahltaktischen Gründen auf die lange Bank geschoben. Eine solche Politik der ruhigen Hand, liebe Kolleginnen und Kollegen, mag zwar dem Stil von Bundeskanzler Schröder entsprechen; Bayern entlässt die Bundesregierung aber hier nicht aus ihrer Verantwortung.
Wir fordern deshalb in unserem Dringlichkeitsantrag die Bundesregierung auf: Nehmen Sie Ihre Arbeit auf und setzen Sie endlich eine Expertenkommission zur Reform der Gemeindefinanzen ein. Angesichts des aufgerufenen aktuellen Dringlichkeitsantrags vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN muss ich schon sagen: Es ist schon eigenartig, dass Sie uns als Bayern brauchen und von uns dort Initiativen erwarten, wo Sie Regierungsverantwortung tragen.
So ist es. Wir müssen dazu beitragen, dass die bayerischen GRÜNEN ihre eigenen Genossen in Berlin auf den Weg bringen. Das ist interessant. Oder haben sich die GRÜNEN aus der Koalition schon verabschiedet? Das kann auch sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal: Wir fordern die Bundesregierung auf – und Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, können Ihren Beitrag dazu leisten –, endlich eine Expertenkommission zur Reform der Gemeindefinanzen einzusetzen. Im Antrag der GRÜNEN steht:
Darüber hinaus soll sie sich auf Bundesebene für die Bildung einer Kommission zur Gemeindefinanzreform einsetzen.
Die Gemeinden brauchen stetige und verlässliche Einnahmen, damit sie auch in Zukunft ihre Aufgaben erfüllen können, für ihre örtliche Gemeinschaft ebenso wie für das Gemeinwesen als Ganzes. Aus diesem Grunde ist unser Dringlichkeitsantrag mehr als berechtigt. Ich erhoffe mir konstruktive Beiträge auch von der Opposition. Wir werden eine namentliche Abstimmung über unseren Dringlichkeitsantrag beantragen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zu Beginn meiner Ausführungen bei dieser Aktuellen Stunde eine kleine Korrektur anzubringen. Das Thema der Aktuellen Stunde hier im Bayerischen Landtag müsste in Wirklichkeit heißen: „Die negativen Auswirkungen auf die bayerischen Städte, Gemeinden, Landkreise und Bezirke durch Entscheidungen und Beschlüsse der Bayerischen Staatsregierung und der CSU-Fraktion.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, wir sind hier im Bayerischen Landtag. Ich bin der Auffassung, die Bayerische Staatsregierung und Ministerpräsident Stoiber müssten, bevor sie mit dem Finger immer wieder auf den Bund zeigen, selbst ihre Hausaufgaben machen. Das wäre ihre Pflicht an diesem heutigen Tag, meine Damen und Herren.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich daran erinnern, was Sie alles versprochen haben. Sie sollten zuerst Ihre Hausaufgaben machen.
Hausaufgabe Nummer 1: Denken Sie daran, was Sie den Städten, Gemeinden und Landkreisen versprochen haben. Sie haben ihnen versprochen, die Schülerbeförderung zu 80% zu erstatten. Was machen Sie? – Sie lösen Ihr Versprechen nicht ein; Sie zahlen nur 60%. Sie sollten zuerst diese Hausaufgabe machen, meine Damen und Herren.
Ich nenne Beispiele und Fakten, was die Zuschüsse anbetrifft. Der Bayerische Städtetag hat vor einiger Zeit die Verpflichtungen des Freistaates Bayern, des bayerischen Haushaltes, gegenüber den Kommunen auf sage und schreibe 6 Milliarden DM beziffert. – Das ist keine Erfindung der SPD, das sagt vielmehr der Bayerische Städtetag. – Auch hier sollten Sie zuerst Ihre Hausaufgaben machen, bevor Sie wiederum nach Berlin zeigen, meine Damen und Herren.