Protokoll der Sitzung vom 11.12.2001

Ich lasse über den Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN betreffend „Konsequenzen aus Pisa: Chancengerechtigkeit schaffen – Spitzenleistungen ermöglichen“, Drucksache 14/8252, abstimmen. Wer diesem Dringlichkeitsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Dies sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD. Ich bitte, Gegenstimmen anzuzeigen. – Dies ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltung? – Herr Kollege Hartenstein, fraktionslos. Dann ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt. Damit haben wir Tagesordnungspunkt eins abgeschlossen.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 2 a

Gesetzentwurf der Staatsregierung

zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (Drucksache 14/8157)

Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung nicht begründet. Ich eröffne die Aussprache. – Ich sehe keine Wortmeldungen. Dann können wir auf die Aussprache verzichten. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 2 b

Gesetzentwurf der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zur Förderung der Integration im Freistaat Bayern (Drucksache 14/8221)

Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Antragsteller begründet. Das Wort hat Frau Kollegin Köhler. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Parallel zu den Beratungen eines Zuwanderungsgesetzes auf Bundesebene haben wir, die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, im Bayerischen Landtag ein Gesetz zur Förderung der Integration in Bayern erarbeitet und heute in den Landtag eingebracht. Dieses Gesetz soll die Integration der bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten fördern und einfordern; es ist also keine Einbahnstraße. Dieses Gesetz soll für die neu Ankommenden die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Integration gelingen kann. Flankiert wird dieses Gesetz durch ein Antragspaket zu den Themen Bildung und Gesundheit.

Ich habe im Vorfeld der heutigen Beratungen in den „Nürnberger Nachrichten“ gelesen, dass aus Kreisen der CSU und SPD gesagt wird, für ein bayerisches Integrationsgesetz sei es viel zu früh. Man wisse noch nicht, was auf Bundesebene vereinbart werde. Da aber unser Gesetz vor allem auf die bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten abzielt, ist es nicht zu früh – im Gegenteil. Es wird endlich Zeit, dass wir uns den Versäumnissen der Vergangenheit stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor 40 Jahren wurden die ersten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus der Türkei angeworben. Die damals gemachten Fehler ziehen sich wie ein roter Faden durch die nachfolgenden Generationen. Die daraus resultierenden Schäden sind enorm und finden sich mittlerweile gar in internationalen Studien wieder, wie wir gerade beim vorangegangenen Tagesordnungspunkt diskutiert haben.

Dies sollte uns Warnung genug sein, bei der jetzt anstehenden Zuwanderungsdebatte die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, hieße, zum Beispiel jetzt die Hände in den Schoss zu legen und zu warten, was aus Berlin kommt. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen sagen, dass bereits verschiedene Bundesländer – zum Teil auch mit Zustimmung der konservativen Parteien, also der CDU – in ihren Landesparlamenten zumindest Integrationskonzepte verabschiedet haben. Das Landesintegrationsgesetz, so wie wir es heute vorlegen, ist meines Wissens hingegen bundesweit das erste.

Meine Damen und Herren, dieses Land profitiert von Zuwanderung. Hans-Peter Stiehl, der Ex-Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, sagte letzte Woche, die ersten 10000 Greencards für ausländische Computerexperten und -expertinnen hätten zur Schaffung von 22500 Jobs für Deutsche geführt. Dies ist ein Verhältnis von 1 : 2. Zuwanderung, meine Damen und Herren, schafft also Arbeitsplätze.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderes Beispiel: Der gesamte Münchener Krankenund Altenpflegebereich wäre ohne ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zu bewältigen. Gerade in dieser Sparte leisten wir uns einen Irrsinn sondergleichen. Anstatt ausländische Pflegekräfte über ein Einwanderungsgesetz dauerhaft hierher zu holen, werden diese Pflegekräfte alle fünf Jahre ausgetauscht.

(Zuruf von der CSU: Aus gutem Grund!)

Es ist unvernünftig. Wer integriert ist, wer die deutsche Sprache spricht, muss gehen, und dann holt man sich, weil der Arbeitskräftebedarf nicht mit Deutschen gedeckt werden kann, wieder neue Pflegekräfte aus dem Ausland.

(Zuruf von der CSU: 4 Millionen Arbeitslose!)

Haben Sie es bisher geschafft, den Bedarf an Altenpflegekräften im Münchener Raum mit deutschen Arbeitskräften zu decken? Ihr Kollege Traublinger hat vor ein paar Monaten in der „Süddeutschen Zeitung“ verkündet, der Münchener Raum benötige 50000 Fachkräfte, und dieser Bedarf solle durch ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gedeckt werden. Fragen Sie einmal bei Ihrem Kollegen Traublinger nach.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir müssen unser Land öffnen und für Migranten und Migrantinnen attraktiv gestalten. Diese Umgestaltung bedeutet aber nicht, dass jemand bevorzugt oder benachteiligt werden soll. Vielmehr soll ein Umgestaltungsprozess zum Wohle aller stattfinden. Unter diese Prämisse haben wir unser Gesetz gestellt. Ich möchte Ihnen ein kurzen Überblick geben, damit Sie wissen, worüber Sie in den nächsten Monaten diskutieren sollen.

Wir schreiben für alle Neuankommenden fest, dass sie Anspruch auf einen Sprach- und Orientierungskurs haben. Dieser Anspruch gilt auch für Migranten und Migrantinnen, die sich seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Wir dürfen bei der Debatte nicht diejenigen vergessen, die in den vergangenen Jahren zugewandert sind. Wenn ich Frau Merkel und Herrn Rüttgers richtig verstehe, dann geht es der CDU ebenfalls um die Integration insbesondere derjenigen, die in der Vergangenheit zugewandert sind.

Für die praktische Umsetzung schlagen wir vor, dass mit den Zuwanderern ein Integrationsvertrag geschlossen wird. Dieser regelt die individuelle Beratung, die sprachliche Förderung und die Teilnahme an Orientierungskursen. Dafür ist es natürlich notwendig, dass wir bei den Kreisverwaltungsbehörden Einwanderungs- und Integrationsämter einrichten, die diese Beratung qualifiziert und umfassend durchführen. Die Gemeinden bekommen für die Durchführung von Elternsprachkursen in ihren Kindergärten die Finanzmittel vom Freistaat ersetzt.

Des Weiteren wollen wir, dass die Erziehungsziele im Bayerischen EUG erweitert werden, und zwar um den Passus „Erziehung zur Achtung und Toleranz gegenüber

anderen Kulturen und Lebensweisen“. Dies, meine Damen und Herren, kostet kein Geld, verändert aber Einstellungen und sensibilisiert die Menschen.

Ergänzt wird dieser Antrag durch ein Bündel von Anträgen zur Förderung der interkulturellen Bildung.

Des Weiteren haben wir uns das Hochschulgesetz vorgenommen. Die Internationalisierung der Hochschulen wollen wir dadurch erreichen, dass die Zugangsvoraussetzungen sowohl der ausländischen Studierenden als auch der ausländischen Lehrenden erweitert werden. Für Hochschulen, die sich auf dem Gebiet der Internationalisierung besonders engagieren, soll es auch angemessene Finanzmittel geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine weitere Passage betrifft die Ausländerbeiräte. Aus den bisherigen Ausländerbeiräten sollen Integrationsräte mit klar definierten Aufgaben werden, für Kommunen ab 20000 Einwohnern fest in der Gemeindeordnung verankert. Dies gibt es in anderen Bundesländern bereits. Zum Beispiel in Hessen, und in Nordrhein-Westfalen sind die Ausländerbeiräte in der Gemeindeordnung verankert.

Auf der Landesebene wollen wir einen Landesintegrationsrat installieren, und schließlich soll sich ein Landtagsausschuss federführend mit Integrations- und Migrationsfragen beschäftigen.

Außerdem wollen wir, dass die Migranten und Migrantinnen im gesamten öffentlichen Dienst – wir denken hier an die Polizei, an die Justiz, aber auch an die Kommunalbehörden – stärker vertreten sind.

Auch sollen sich die Interessen der nichtdeutschen Bevölkerung in der Zusammensetzung des Rundfunkund Medienrates niederschlagen, und wir empfehlen die Ausweitung der muttersprachlichen Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf sieben Sprachen, wie dies zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen der Fall ist.

Schließlich haben wir auch an den Tod und daran gedacht, dass die Menschen aus anderen Kulturen und Religionen gemäß ihrer Riten und Zeremonien hier bei uns bestattet werden können.

Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, enthält dieses Integrationsgesetz ein ganzes Bündel von Vorschlägen und Maßnahmen. Ich denke, dieses Gesetz kommt nicht zu früh, sondern genau zum richtigen Zeitpunkt. Man kann nämlich nicht, wie Herr Beckstein immer sagt, Integration nur von anderen fordern und selber nichts tun.

Ich bitte um eine konstruktive, intensive und interessierte Beratung in den Ausschüssen. – Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Dr. Merkl.

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Politisch wirken heißt für mich, Probleme erkennen, nach Lösungen suchen, Lösungen erarbeiten und sich dann bemühen, Mehrheiten dafür zu finden, um mit deren Hilfe die erarbeitete Lösung umzusetzen. Dies sollte ein Prozess nach objektiven Kriterien, ohne Eigeninteressen, sein. Dies ist leider oftmals ein Wunschtraum, weil insbesondere das Bemühen um Mehrheiten, das Schielen nach der Klientel – nach der Wählerklientel – gewinnt. Oft bestimmt dann die Klientel die Richtung.

Das, meine Damen und Herren, gilt auch für das politische Dauerthema der Zuwanderung und Integration,

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist das bei euch!)

auch wenn von allen Seiten immer wieder betont wird, dieses Thema eigne sich nicht für den Wahlkampf oder für wahltaktische Überlegungen.

Herr Dürr, genau aus diesem Grunde habe ich diese Einleitung gewählt. Ich behaupte nämlich: Wenn es ein Musterbeispiel dafür gibt, wie eine politische Partei nach einer gewissen Klientel schielt, dann ist es dieser Gesetzentwurf von Ihnen, von den GRÜNEN.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Integration wird in Bayern sehr ernst genommen. Die Staatsregierung hat unter anderem zwei große Berichte vorgelegt, die CSU-Fraktion hat mehrmals Entschließungen in den Landtag eingebracht, die verabschiedet wurden. In diesem Parlament haben wir auch über die Parteigrenzen hinweg einige Grundsatzentscheidungen getroffen, aber immer unter dem Gesichtspunkt: Integration ist keine Einbahnstraße.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)