Protokoll der Sitzung vom 12.12.2001

lassen unterschiedlicher Meinungen, also buchstäblich Toleranz und Respekt voreinander erlernt und, wenn es die Gruppenstärken zulassen, eingeübt. In keinem anderen Fach werden in solchem Umfang unsere gesamtgesellschaftlichen Werte vermittelt wie im Religionsunterricht. Hier können Schülerinnen und Schüler diese Werte für sich entdecken, deren Bedeutung für sich und andere nachspüren und sich damit auseinandersetzen, sie hinterfragen und verstehen lernen.

Hinzu kommt, dass in keinem anderen Fach an der Schule in diesem Maß das Kennenlernen anderer Kulturen und Religionen, anderer Lebensweisen und anderer Einstellungen möglich ist.

Nicht nur nach dem 11. September, der für viele junge Leute sehr tiefgreifende und elementare Fragen aufgeworfen hat, die man aufgreifen muss und die man mit ihnen besprechen muss, sondern schon immer war und ist dies von ganz außerordentlicher Bedeutung. Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass entstehen bekanntermaßen vor allem aus Unkenntnis und Nicht-Verstehen anderer Lebensweisen und Religionen mit deren speziellen Sitten und Gebräuchen. Gerade hier ist die Bedeutung des Religionsunterrichts bei der Entwicklung der Persönlichkeiten der Schulkinder herausragend. Wenn ich von Religionsunterricht spreche, dann meine ich damit auch den Ethikunterricht.

Es kommt noch einiges hinzu – um die Verfassung weiter zu zitieren –, was im Religionsunterricht erlernt und ermöglicht wird: der verantwortliche Umgang mit der Natur, die Auseinandersetzung mit der eigenen Religiosität und darüber, was für viele den Sinn des Lebens ausmacht und ausmachen soll.

Das alles, meine Kolleginnen und Kollegen, ist nur möglich, wenn im Religionsunterricht eine vertraute und angstfreie Atmosphäre herrscht und die Klassengrößen und sonstigen Bedingungen so sind, dass auch neue Unterrichtsformen und Lernmethoden eingesetzt werden können.

(Befall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Das alles wischt die Bayerische Staatsregierung über das Kultusministerium mit ihrer „Regelung zur Gruppenbildung“ beiseite. Mit dieser Regelung zur Gruppenbildung werden Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Klassen zu Gruppen zusammengelegt, das Ganze geschieht jahrgangsübergreifend und – man höre und staune – sogar schulübergreifend.

Was das für den Religionsunterricht bedeutet, ist ganz offensichtlich.

Die bestehende vertrauliche Atmosphäre geht verloren. Während es zuvor noch möglich war, den friedlichen Umgang mit Konflikten spielerisch zu erlernen und zu üben, ist dies nun nicht mehr möglich, weil sich die Schülerinnen und Schüler aus Scham, sich eine Blöße zu geben, nicht mehr mit gleichaltrigen vertrauten Kolleginnen und Kollegen aus der Klasse austauschen und sich nicht mehr offen und persönlich äußern wollen. Dies gilt

besonders dann, wenn Jahrgangsstufen übergreifend Klassen zusammengefasst werden, weil die jüngeren Schülerinnen und Schüler oft etwas Furcht vor den ältern haben, während die älteren Schülerinnen und Schüler vor den jüngeren keine Blöße zeigen wollen.

Hinzu kommt noch, dass bei zusammengefassten Gruppen die Anwendung neuer Unterrichts- und Lehrmethoden nur noch schlecht möglich ist. Was bleibt den Pädagoginnen und Pädagogen übrig? Nachdem sie die Fäden der unterrichtlichen Ansprüche oftmals nicht zusammenbekommen, müssen sie zum nichtadäquaten Frontalunterricht übergehen, was gerade im Religionsunterricht wenig angebracht erscheint.

Mit ihrer „Regelung zur Gruppenbildung“ macht es die Bayerische Staatsregierung dem Religionsunterricht unmöglich, seinen bisherigen Aufgaben in ihrer vollen Bedeutung nachzukommen. Eine sinnvolle Werteerziehung, die schon jetzt sehr erschwert ist, wird damit erneut ein Stück weiter belastet. Sonst bestehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU immer bis aufs I-Tüpfelchen auf die Erfüllung der Lehrpläne. Sie wissen doch ganz genau, dass es in solchen Gruppen schier unmöglich ist, die Lehrpläne in der vorgesehenen Weise zu erfüllen und den Stundentafeln, die Religion an unseren bayerischen Schulen immer noch als ordentliches Schulfach vorsehen, gerecht zu werden.

Man muss feststellen, dass dieses Mal der Religionsunterricht das Bildungssparopfer ist. Diese Regelung stellt eine weitere Sparmaßnahme zu Lasten unserer Schülerinnen und Schüler dar, weil sie ihnen das soziale Lernen, welches unsere Kinder für die Lebensgestaltung wirklich brauchen, erschwert. Wichtige Bildungsinhalte werden damit unseren Kindern genommen.

Hinzu kommt die fadenscheinige Begründung, die Sie hier liefern. Sie verstecken sich hinter den Bemerkungen des Obersten Rechnungshofes, dem angeblich speziell im Religionsunterricht die Gruppenstärken zu klein erschienen sind. Wo bleibt denn Ihr Einsatz, wenn es darum geht, den vom Rechnungshof gerügten Zuwachs von 4% mehr Spitzenbeamten in den Ministerien zu beschränken, was Sie zu verantworten haben?

(Beifall bei der SPD)

Die Spitzenbeamten werden weiter hochgezogen. Der Wasserkopf wird aufgebläht, und dort, wo dringend Lehrerinnen und Lehrer gebraucht werden, zieht man das Personal durch diese und ähnliche Maßnahmen sogar noch ab. Schon heute entfallen an den Grundschulen geschätzte 5% des Unterrichts. Ich kann einige Beispiele nennen. An den Berufsschulen beträgt der Unterrichtsausfall 18,6%, an den Fachoberschulen sind es 58,4%. Dieser Unterricht kann nun auch in Zukunft nicht mehr gehalten werden. Schön langsam nähert sich dies ganz offensichtlich einem Skandal.

Die Zusammenlegung von Klassen über drei oder mehr Jahrgangsstufen hinweg oder sogar über verschiedene Schulen hinweg ist kein sinnvolles Instrument, um die Zahl der entfallenen Stunden zu reduzieren. Notwendig ist – darauf bestehen wir weiterhin – eine Zuweisung von

mehr Lehrerstellen auch für den Religionsunterricht. Auch wenn in Diasporagebieten Klassen übergreifende Gruppen für den Religionsunterricht gebildet werden müssen, kann es dennoch nicht hingenommen werden, dass Sie die Situation mit Ihrer Regelung noch einmal deutlich verschärfen. Nicht zuletzt deshalb kritisieren auch die Religionspädagoginnen und -pädagogen selbst diese Regelung aufs Schärfste. Das geht hin bis zum Landeskomitee der Katholiken und zu anderen christlichen Vereinigungen und Verbänden. Von ihnen allen wird diese Maßnahme kritisiert. Das sollte Ihnen auch bekannt sein.

Sie setzten mit dieser Anordnung ein falsches gesellschaftspolitisches Signal. Mit dem Aufhängen von Kruzifixen ist es nicht getan, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Wir müssen darüber hinaus unsere Klassenzimmer auch damit erfüllen, dass dort ein qualitätsvoller Religionsunterricht gehalten wird. Daran dürfen wir Sie an dieser Stelle ganz deutlich erinnern.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb fordern wir Sie ganz entschieden auf, darauf hinzuwirken, dass diese Anordnung schnellstmöglich zurückgenommen wird. Wir haben es durch unseren Druck, den wir gemeinsam mit den kirchlichen Organisationen Ende letzten Schuljahres auf Sie ausgeübt haben, immerhin schon geschafft, dass das Schlimmste vorläufig verhindert werden konnte. Dennoch ist es nötig, diese Verordnung möglichst schnell zurückzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Schneider.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, die CSU braucht sich von Seiten der SPD oder von Seiten des Kollegen Egleder nicht vorwerfen zu lassen, dass wir in Bayern dem Religionsunterricht nicht den notwendigen Stellenwert geben.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD: Aber scheinbar doch!)

Mich freut es auch, dass wir von Seiten der SPD plötzlich so vehement Unterstützung für den konfessionellen Religionsunterricht bekommen. Auch das war nicht immer so.

(Beifall bei der CSU – Gabsteiger (CSU): Diese Heuchler!)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Götz?

Ich möchte jetzt bitte zunächst einmal fortfahren. Nachdem ich Sie schon einmal gelobt und mich über Ihr Verhalten gefreut habe, muss ich natürlich auch eine gewisse Eintrübung feststellen. Wie hat Kollege Egleder gesagt? Staatsregierung und CSU reden mit gespaltener Zunge. Mit großer

Verwunderung habe ich heute eine Anfrage der Kollegin Goertz zur Kenntnis genommen, welche sie dann aber wieder zurückgezogen hat. Nachdem Schülerinnen und Schüler an Volksschulen regelmäßig zwei bis drei Stunden Religionsunterricht pro Woche haben, fragte Frau Goertz die Staatsregierung, „ob es mit dem Lehrplan vereinbar ist, dass zum Beispiel an drei Tagen während der regulären Schulzeit Weihnachtsgottesdienste durchgeführt werden und – wenn nicht – was getan werden kann, um das Recht der Schülerinnen und Schüler auf Unterricht zu gewährleisten.“ Also sollten sie nicht in den Weihnachtsgottesdienst gehen. Einerseits stellen Sie solche Fragen, andererseits tun Sie am gleichen Tag so, als wäre bei uns der konfessionelle Religionsunterricht in Gefahr.

(Welnhofer (CSU): Na bravo! – Zuruf von der SPD: Was hat das damit zu tun?)

Kollege Egleder hat einige Schreckgespenster gemalt. Er sprach permanent von Stelleneinsparungen und von Streichungen, obwohl ihm schon zweimal gesagt worden ist, dass mit dieser Verordnung keine Streichung von Lehrerstunden einher geht. Diese Stunden verbleiben der Schule. Es wird nur die Möglichkeit genutzt, Gruppen zu bilden, wie es in den Richtlinien vorgesehen ist.

Im Rechnungshofbericht steht es nicht nur angeblich, sondern wirklich, dass die Richtlinien nicht so eingehalten werden, wie es eigentlich erforderlich wäre. Deswegen forderte der Rechnungshof, dass die Richtlinien eingehalten werden. Was passiert denn eigentlich? Es werden zwei Möglichkeiten genutzt. Wenn es – meistens in Diasporagebieten – in den verschiedenen Klassen nur wenige Schüler einer Konfession gibt, dann werden diese Schüler in Gruppen zusammengefasst. In Diasporagebieten kann diese Zusammenfassung auch einmal über Jahrgänge hinweg erfolgen. Sie haben auch die Zahlen bekommen, die vom Ministerium dem Vorsitzenden des Bildungsausschusses zugeleitet worden sind.

Daran zeigt sich, dass in der Tat 74% des gesamten Religionsunterrichts in Klassen erteilt und nur 23% klassenübergreifend, aber innerhalb einer Klassenstufe erteilt werden, das heißt 96% aller katholischen Kinder – die Zahlen gelten jetzt für den katholischen Religionsunterricht – sind in einer Klasse oder zumindest in einer Jahrgangsstufe. Das Schreckgespenst, welches Sie gemalt haben, trifft nur 3%; bei ihnen wird jahrgangsübergreifend unterrichtet. Das große Schreckgespenst, dass über drei und sogar mehr Jahrgangsstufen hinweg unterrichtet wird, betrifft in Bayern im katholischen Religionsunterricht gerade einmal 0,5%.

Diese Zahlen, die Ihnen vorliegen, nennen Sie nicht, sondern Sie machen mit Zahlen weiterhin Panik. Sie haben auf das Landeskomitee der Katholiken verwiesen. Ich zitiere gern die Aussage des Landeskomitees über den Stellenwert des Religionsunterrichts, worin wörtlich steht: „Ein gemeinsamer Religionsunterricht für Schüler verschiedener Klassen innerhalb eines Jahrgangs stellt in der Praxis oft noch kein Problem dar. Auch eine Zusammenlegung verschiedener Jahrgangsstufen ist dann überlegenswert, wenn darunter die Qualität des

Unterrichts nicht leidet.“ Weiter heißt es – auch das möchte ich nicht verschweigen –: „Ein enormer Qualitätsverlust ist aber zu unterstellen, wenn drei und mehr Jahrgänge zusammen unterrichtet werden sollen.“ Auch dies gehört ehrlichkeitshalber dazu. In der Tat ist es pädagogisch nicht optimal, wenn drei oder mehr Jahrgangsstufen gemeinsam unterrichtet werden. Das sind aber relativ wenige Klassen, wie die Zahlen widerspiegeln. Die Gruppenstärke ist dabei sehr niedrig.

72, 73% des evangelischen Religionsunterrichts werden im Klassenunterricht und in einer Jahrgangsstufe erteilt. Von den 27% jahrgangsübergreifenden Unterricht finden über 20% in Gruppen mit zwei Jahrgängen statt. Auch da haben Sie ein Schreckgespenst gemalt. Gleichzeitig fordern die Reformpädagogik und auch die SPD einen jahrgangsübergreifenden Unterricht. Wenn dies jedoch passiert, ist es aus Ihrer Sicht Teufelszeug; dieses Wort passt zwar nicht gut, aber so haben Sie es dargestellt.

Fazit ist, dass der Religionsunterricht überwiegend in Klassen bzw. klassenübergreifend in einer Jahrgangsstufe erteilt wird.

(Hoderlein (SPD): Gott sei Dank!)

In der Diaspora sind Zusammenlegungen notwendig, wie allein eine Zahl zeigt: Wir haben in Bayern 250 Schulen mit insgesamt lediglich bis zu 10 evangelischen Schülerinnen und Schüler. Dass wir hier nicht für jede einzelne Klasse den Religionsunterricht in der Klasse anbieten können, müsste jedem einleuchten.

Die Gruppengrößen reichen nur in den seltensten Fällen an die Höchstgrenze heran. Die durchschnittliche Gruppengröße beträgt beim katholischen Unterricht durchschnittlich 19,5, beim evangelischen Unterricht 16,5 und beim Ethikunterricht 14,2 Schüler. Diese Gruppengrößen liegen weit unter der durchschnittlichen Klassengröße von 23,6 Schülern. Die einzelnen Daten liegen der SPD-Fraktion und uns vor, weshalb ich darauf nicht näher eingehen möchte.

(Zuruf des Abgeordneten Egleder (SPD))

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang auch, dass diese Zahlen den Vertretern der beiden Kirchen vorgelegt wurden. Nach Vorlage dieser Zahlen erklärten sie, sie seien mit dem Ist-Zustand grundsätzlich zufrieden. Dass es immer Verbesserungen geben kann, steht außer Frage.

Herr Kollege Egleder, Sie haben die Zwischenrufe mitbekommen. Wenn Sie etwas für den Stellenwert des Religionsunterrichts und der Konfessionen tun wollen, sammeln Sie Ihren ganzen Einfluss, damit der Bundeskanzler ein Kreuz, das ihm zugesandt wird, annimmt und nicht sagt, dafür gebe es keinen Platz. Noch besser wäre es, mit Ihren brandenburgischen Kolleginnen und Kollegen zu reden, damit dem Wunsch der Eltern und der Kirchen Rechnung getragen werden kann und nicht der so genannte LER-Unterricht, sondern ein konfessioneller Religionsunterricht ermöglicht wird.

(Beifall bei der CSU – Hoderlein (SPD): Dies ist völlig abwegig; Stolpe war der Konsistorialpräsident der evangelisch-lutherischen Kirche in Brandenburg!)

Insgesamt stimmen wir mit der Aussage der Vertreter der beiden Kirchen, man sei mit der Situation und dem Stellenwert des Religionsunterrichts in Bayern zufrieden, überein. Dafür brauchen wir von Ihnen keine besonderen Belehrungen.

(Beifall bei der CSU)

Um das Wort hat Frau Kollegin Gote gebeten. Bitte, Frau Kollegin.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der konfessionelle Religionsunterricht, über den wir heute sprechen, und der Ethikunterricht sind mir in der Schule sehr wichtig. Dass den GRÜNEN der Religionsunterricht und der religionskundliche Unterricht insgesamt sehr wichtig sind, können Sie gestern unter anderem daran sehen, dass wir als bisher einzige Fraktion in diesem Haus im Rahmen der Diskussion über das Integrationsgesetz den Religionsunterricht durch einen überkonfessionell erteilten religionskundlichen Unterricht aufwerten wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können dies auch an dem Einsatz ablesen, den wir in den letzten Jahren für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an unseren Schulen gezeigt haben; denn auch die Kinder islamischen Glaubens haben ein Recht auf Religionsunterricht an unseren Schulen. Auch für diese Kinder ist der Religionsunterricht in ihrem Glauben sehr wertvoll.